Urteil vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - A 11 K 12230/03

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtling vom wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt 2/3, der Kläger 1/3 der Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt im Wege des Folgeantrags seine Anerkennung als Asylberechtigter und Abschiebungsschutz.
Er ist tschetschenischer Volkszugehöriger und russischer Staatsangehöriger. Sein erster Asylantrag vom 2000 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom .2001 abgelehnt. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Ihm wurde die Abschiebung in die Russische Föderation - ausgenommen Tschetschenien - angedroht. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 22.10.2002 (...) ab. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom ... ab.
Am 13.01.2003 stellte der Kläger einen Folgeantrag. Zur Begründung verwies er auf die veränderte Situation für Tschetschenen in der Russischen Föderation nach der Geiselnahme in Moskau am 26.10.2002 und machte geltend: Es gebe folgende neue Beweismittel, die geeignet seien, sein Vorbringen günstiger zu bewerten:
1.    Beschluss des Petitionsausschusses zur Petition 1-14-06-266-047790,
2. Einzelentscheiderbrief 11/2002,
3. amnesty international vom Herbst 2002,
4. „Tschetschenien-Inguschetien“ von Ärzte ohne Grenzen vom Januar 2002,
5.    „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM-Jahresbericht 2002 [Februar 2002]),
6.    „Tschetschenien in Kollektivhaft“,
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7.    „The Guardian“ vom 5. November 2002,
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8.    Gesellschaft für bedrohte Völker vom 28.11.2002 u.
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9.    GfbV vom September 2002 „Eine Generation wird ausgelöscht - Völkermord in Tschetschenien“.
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Mit Bescheid vom 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Zugleich lehnte es den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 2001 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab. Der Bescheid wurde am 2003 zur Post gegeben.
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Am 2003 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 09.09.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind,
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hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 - 4 AuslG vorliegen, höchsthilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG gegeben sind.
17 
In der mündlichen Verhandlung trug der Vertreter des Klägers vor. Die Frage der Vorverfolgung des Klägers in Tschetschenien könne anders beurteilt werden als im Urteil des VG Karlsruhe vom 2001 im Erstverfahren. Außerdem sei nunmehr die Frage der inländischen Fluchtalternative anders zu beurteilen.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Klage abzuweisen.
20 
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
21 
Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten der Beklagten im Erst- und Zweitverfahren sowie die Verwaltungsgerichtsakten im Erstverfahren (...) und im Eilverfahren A 11 K 12269/03 vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf deren Inhalt und den der gewechselten Schriftsätze sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Das Gericht konnte in Abwesenheit der Beteiligten über die Klage verhandeln und entscheiden, da die diesen rechtzeitig zugestellten Ladungen entsprechende Hinweise enthielten (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO)  bzw. der Bundesbeauftragte generell auf eine Ladung verzichtet hat.
23 
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 51 Abs. 1 VwVfG). Ihm steht zwar kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu, weil er nach seinen glaubhaften Angaben im Erstverfahren vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung auf dem Landweg und damit zwingend aus einem (wenn auch unbekannten) sicheren Drittstaat im Sinne der § 26a  AsylVfG, Art. 16a Abs. 2 GG eingereist ist. Insoweit war die Klage abzuweisen. Er hat aber einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Dementsprechend waren Ziffer 1 und 2 des Bundesamtsbescheids vom 2003 aufzuheben und die Beklagte zu einer entsprechenden Feststellung zu verpflichten.
24 
Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG, § 51 Abs. 1 VwVfG ist ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1  Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, § 51 Abs. 3 S. 1 VwVfG. Das Erfordernis der Antragstellung und deren Fristgebundenheit haben zur Folge, dass der Antragsteller die seiner Ansicht nach vorliegenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens selbst vortragen muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.12.1993, NVwZ 1994, 359). Dabei ist grundsätzlich bereits im Folgeantrag abschließend und substantiiert darzulegen, inwiefern der geltend gemachte Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 VwVfG vorliegen soll, inwiefern der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, jenen Grund schon im früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG), und inwiefern er - es sei denn, dies wäre aktenkundig oder offensichtlich - die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten hat. Werden mehrere selbständige Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht, ist für das Vorbringen eines jeden selbständigen Wiederaufgreifensgrunds jeweils die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zu beachten (BVerwG, Beschl. v. 11.12.1989, NVwZ 1990, 359). Dies bedeutet, dass auch für einen erst im Verlaufe eines Rechtsstreits entstandenen Wiederaufgreifensgrund die Drei-Monats-Frist Geltung hat. Im Folgeantragsverfahren sind die Gerichte nicht befugt, andere als von dem Asylbewerber selbst geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen zu prüfen (BVerwG, Urt. v. 30.08.1988, EZAR 212 Nr. 6).
25 
Gemessen daran hat der Kläger eine Veränderung der Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) dargetan, die einen schlüssigen Ansatz für eine mögliche politische Verfolgung in der Form einer Gruppenverfolgung oder für die Verneinung einer Fluchtalternative in der Russischen Föderation bietet. Er verweist zum einen auf den Bericht der IGFM vom 30.11.2002, aus dem hervorgeht, dass die tschetschenische Bergbevölkerung vor den flächendeckenden Bombardierungen der Russischen Luftwaffe im Süden Tschetscheniens flieht. Der Bericht befasst sich auch mit der Auflösung der Flüchtlingslager in Inguschetien und dem Druck auf die Flüchtlinge, nach Tschetschenien zurückgeführt zu werden. Ein weiterer Bericht der IGFM vom 30.11.2002 („Welle des Terrors überrollt tschetschenische Bevölkerung“) befasst sich mit Zeugenberichten aus Tschetschenien und Inguschetien, die Angaben über Säuberungsaktionen, Folter und Verschleppungen durch russische Sonderkräfte machen. Des weiteren enthält der Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom September 2002 Hinweise auf eine Gruppenverfolgung in Tschetschenien, die geeignet sind, eine günstigere Beurteilung des Asylbegehrens des Klägers herbeizuführen. Dieser Bericht lag dem Gericht im Erstverfahren zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2002 noch nicht vor. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger diese Berichte nicht innerhalb der maßgeblichen Drei-Monats-Frist vorgelegt hat. Dem gemäß war Ziff. 1 des angefochtenen Bescheids aufzuheben.
26 
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. § 30 Abs. 1 2. Alt. AsylVfG) stimmen hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und des politischen Charakters der Verfolgung mit den Voraussetzungen des Asylanspruchs nach Art. 16a Abs. 1 GG überein (BVerwG, Urt. v. 18.02.1992, DVBl. 1992, 843). Gegenüber dem Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte kommt dem Antrag auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG jedoch dann eine selbständige Bedeutung zu, wenn ein (unbeachtlicher) Nachfluchtgrund nachgewiesen ist oder wenn der Ausländer bereits in einem anderen Staat vor politischer Verfolgung sicher war. Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung (asylerhebliche Merkmale) Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt wäre oder - allgemein gesagt - politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfGE 54, 341; 68, 171), wobei Art. 16a Abs. 1 GG nicht schlechthin ausschließt, dass auch andere außer diesen in Art. 1 A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 in der Fassung vom 31.01.1967  (BGBl. 1953, II S. 559 und 1969, II S. 1293) ausdrücklich genannten Merkmale zum Anknüpfungs- und Bezugspunkt für Verfolgungsmaßnahmen genommen werden  (BVerwG, Urt. v. 15.03.1988, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 83). Eine Verfolgung ist dann eine „politische“, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines asylerheblichen Merkmales erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, BVerfGE 80, 315 ff., 333 ff. = NVwZ 1990, 151 ff.).
27 
Nach der Überzeugung des Gerichts ist der Kläger tschetschenischer Volkszugehöriger. (1.). Er ist von dort aber nicht aus Furcht vor politischer Verfolgung ausgereist und ihm droht dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine politische Verfolgung (2.). Ihm droht aber in der Russischen Föderation derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung aufgrund der Verweigerung seiner Registrierung (§ 51 Abs. 1 AuslG), ohne dass er auf eine inländische Fluchtalternative in Tschetschenien verwiesen werden kann (3.).
1.
28 
Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung im Erstverfahren ist das Gericht davon überzeugt, dass er tschetschenischer Volkszugehöriger ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des erkennenden Gerichts vom 22.10.2002 (S. 5) verwiesen. In der Annahme, dass der Kläger Tschetschene ist, wird das Gericht unterstützt durch die Mitteilung des Bundesgrenzschutzamtes vom 01.07.2003, wonach sich der Kläger als Tschetschene ausgegeben und dem Verdacht ausgesetzt hat, tschetschenische Flüchtlinge ins Bundesgebiet eingeschleust zu haben. Das Gericht vermag dem Kläger auch darin zu folgen, dass er in Tschetschenien gelebt hat. Es konnte jedoch nicht die Überzeugung gewinnen, dass er aus Furcht vor politischer Verfolgung Tschetschenien verlassen hat.
2.
29 
Der Kläger ist nicht schon wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen vorverfolgt (2.1.). Er hat Tschetschenien auch nicht wegen eines individuellen Verfolgungsschicksals verlassen (2.2.).
2.1.
30 
Nach der Überzeugung des Gerichts gab es zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Tschetschenien im Februar 2000 dort keine staatlicherseits betriebene oder geduldete gruppengerichtete Verfolgung von Tschetschenen in Tschetschenien. Eine solche droht auch derzeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. zur Gruppenverfolgung z.B., BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, BVerwGE 96, 200 ff. = InfAuslR 1994, 1409 ff. = NVwZ 1995, 175 ff. m.w.N.; zu Tschetschenien: ablehnend OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 4 A 312/00 - m.w.N. im September 1999; offengelassen Niedersächs. OVG, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -, AuAS 2004, 2002 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -, AuAS 2003, 202 ff.). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und -gebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, a.a.O., m.w.N.). Im Unterschied zur mittelbaren Gruppenverfolgung kann eine staatliche Gruppenverfolgung schon dann anzunehmen sein, wenn zwar „Referenz-„ oder Vergleichsfälle durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen zum Nachweis einer jedem Gruppenmitglied drohenden „Wiederholungsgefahr“ nicht im erforderlichen Umfang oder überhaupt (noch) nicht festgestellt werden können, aber hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, dass der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. Dabei müssen die allgemeinen Anforderungen an eine hinreichend verlässliche Prognose erfüllt sein (BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, a.a.O., m.w.N.).
31 
Hinsichtlich der Verhältnisse in Tschetschenien bis zum Spätjahr 2001 wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes (S. 5 ff.) verwiesen. Danach gab es in der Vergangenheit eine Vielzahl von Übergriffen russischer Sicherheitskräfte und russischer Soldaten auf die tschetschenische Zivilbevölkerung in Tschetschenien sowie eine landesweite Diskriminierung tschetschenischer Volkszugehöriger. Ergänzend dazu ist anzumerken: Die menschenrechtliche und militärische Situation in Tschetschenien hat sich in jüngster Zeit verschärft. Außerdem fanden im Februar 2002 tschetschenische Flüchtlinge in Inguschetien und den Nachbarstaaten keine Aufnahme in eine zumutbare Versorgungslage mehr und beginnend ab Mai 2002 sowie im Jahr 2003 wurden die Lager in Inguschetien aufgelöst. Tschetschenen wurden und werden in den restlichen Gebieten der Russischen Föderation schließlich nicht als Binnenflüchtlinge anerkannt; sie haben große Schwierigkeiten sich außerhalb Tschetscheniens niederzulassen, sie werden entgegen der Rechtslage nicht registriert. Im Einzelnen stellt sich dies wie folgt dar:
32 
Ausweislich des jüngsten Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 16.02.2004 (Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) (Stand: 31.01.2004) - im Folgenden: Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004) ist die heutige militärische Situation dadurch gekennzeichnet, dass die russischen Sicherheitskräfte im Rahmen ihrer sog. „Antiterroristischen-Operation“ versuchen, die verbliebenen Rebellenkämpfer systematisch auszuschalten und zu vernichten. Nach den Ereignissen im Moskauer Musical-Theater „Nord-Ost“ im Oktober 2002 forcierte die russische Seite - neben einer Verhärtung des Vorgehens gegen Tschetschenen in- und außerhalb Tschetscheniens - den von ihr betriebenen „politischen Prozess“. Dazu gehören sowohl die Abhaltung eines Verfassungsreferendums (23.03.2003) als auch tschetschenische Präsidentschaftswahlen (05.10.2003) als auch die Wahl eines tschetschenischen Parlaments (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2002, S. 4). Das Auswärtige Amt hebt eine seit Anfang Mai 2003 festzustellende deutliche Verschärfung der Sicherheitslage in Tschetschenien hervor; es macht in diesem Zusammenhang Mitteilungen über Ausschreitungen, Verschwindenlassen von Zivilisten und Übergriffe der russischen und tschetschenischen Einheiten gegen die Zivilbevölkerung bei sog. „Säuberungen“ oder Straßensperren. Es berichtet über massive Menschenrechtsverletzungen durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 7) und von wiederholten Plünderungen, Vergewaltigungen und Raub durch russische Sicherheitskräfte (aber auch tschetschenische Kämpfer) sowie Gräbern in Tschetschenien, in denen Leichen gefunden worden sind, die zum Teil Folterspuren aufwiesen (S. 8 u. 15). Unter Bezugnahme auf internationale und russische Menschenrechtsorganisationen weist das Auswärtige Amt auf die Einrichtung sog. Filtrationslager oder -punkte hin (S. 8 f.; vgl. auch IGFM v. 06.02.2002 an VG Braunschweig mit Anlagen, „Tschetschenien/Inguschetien: Vertriebenen wird Hilfe verweigert“. „Anstieg der Grausamkeit der russischen Truppen nach dem 11. September 2001“; vgl. auch AA, Auskunft v. 29.04.2003 an VG Göttingen; Ad hoc-Bericht v. 27.11.2002 u. v. 07.05.2002; IGFM v. 20.10.2000 an VG Schleswig; s. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 19.05.2003, a.a.O., S. 10 ff. m.w.N; vgl. im übrigen Gesellschaft f. bedrohte Völker - GfbV - v. 02.10.2002 an VGH München und VGH Mannheim).
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Tschetschenen konnten ab Mitte 2002 nicht mehr nach Inguschetien ausweichen, weil sich der Druck auf die Flüchtlinge in den - ohnehin nach Ansicht des UNHCR nicht den Grundbedürfnissen entsprechenden - Notunterkünften in Inguschetien verschärfte. In der Folge des Machtwechsels in Inguschetien, dem seit Ende April 2002 der FSB-Generalmajor Murat Sjasikow als Präsident vorsteht, kam es zu einer veränderten Flüchtlingspolitik Inguschetiens bezüglich der tschetschenischen Flüchtlinge. Am 29.05.2002 wurde eine politische Vereinbarung unterzeichnet, nach der alle tschetschenischen Binnenflüchtlinge bis Ende September 2002 wieder nach Tschetschenien zurückkehren und die Flüchtlingslager in Inguschetien aufgelöst werden sollten. Die meisten Flüchtlinge lehnten dies ab. In der Folgezeit kam es zur Auflösung von Flüchtlingslagern in Inguschetien im Dezember 2002 und im September und Dezember 2003. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004) wird seit Sommer 2002 immer wieder unter Nennung eines Termins von der baldigen Schließung sämtlicher Lager und der Rückführung der Flüchtlinge nach Grosny gesprochen (z.B. „Dez. 2002“ (rus. Tschetschenienminister Iljasow im Nov. 2002); „1.10.03“ (Tschetscheniens Premier Popow am 14.8.03), „1.03.04“ (Iljasow im Jan. 04). In Tschetschenien wurden für die Flüchtlinge provisorische Behausungen errichtet, die besser eingerichtet sein sollen als die Lager in Inguschetien. Die Versuche der Rückführung kulminierten in der Schließung des Lagers  „Imam“ bei Akiyurt/Inguschetien im Dezember 2002. Die Schließung der Lager „Bella“ im September 03 und „Alina“ im Dezember 03 zeigt jedoch, dass die Rückführungspolitik konsequent weiterverfolgt wird (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.04.2004, S. 14; GfbV v. 09.08.2002 an VG Karlsruhe, Ziff. 2.1 u. im Übrigen v. 02.10.2002 an VGH Mannheim u. München, S. 9 zur Schließung des Hotels „Tolna“ am 26.06.2002). Dem Auswärtigen Amt liegen zwar keine Erkenntnisse vor, ob zwangsweise Rückführungen aus den Lagern stattfinden. Es wird jedoch mit Kompensationszahlungen und Bereitstellung von Unterkünften geworben und indirekt Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt, um sie zur Rückkehr zu bewegen (administrative Schikanen, sich verschlechternde Sicherheitslage und zunehmende Aktivitäten der Sicherheitskräfte in Inguschetien); bekannt geworden sind auch Fälle von Abstellen der Strom- und Wasserversorgung oder Einstellung der Lebensmittellieferungen, die Nichtgewährung staatlicher Unterstützungen oder Nichtregistrierung. Memorial berichtet über nächtliche Festnahmen durch maskierte Unbekannte (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 14 f.). Die Verschlechterung der Situation in den Flüchtlingslagern in Inguschetien hob der UNHCR bereits in seiner Stellungnahme vom Januar 2002 (S. 25) unter Hinweis auf die Nähe zum Konfliktgebiet und die fortdauernden militärischen Aktivitäten in Tschetschenien hervor. Er sprach sich entschieden dagegen aus, Inguschetien als zumutbare Relokationsalternative für ethnisch tschetschenische Asylsuchende zu betrachten und wies darauf hin, der Migrationsdienst habe ursprünglich angesichts der überlasteten Situation in Inguschetien beabsichtigt, eine größere Zahl von Binnenvertriebenen in andere Regionen Zentralrusslands umzusiedeln, doch sei dieses Projekt nicht so erfolgreich gewesen, wie es die Behörden der Föderation erwartet hatten, erstens, weil es in kaum einer der betroffenen Regionen eine nennenswerte tschetschenische Gemeinde gab und die Regionen auf die Aussicht, tschetschenische Binnenvertriebene unterbringen zu müssen, nicht begeistert reagierten, und zweitens, weil die tschetschenischen Binnenvertriebenen in der Nähe ihrer Heimatorte in Tschetschenien bleiben wollten und zögerten, Inguschetien zu verlassen, um sich in Regionen zu begeben, in denen sie nicht willkommen waren (UNHCR v. Januar 2002, S. 12).
34 
Eine Registrierung als Binnenflüchtling und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen wurden in der Vergangenheit und heute noch für Tschetschenen in der Russischen Föderation laut Berichten von ai und UNHCR überwiegend verweigert (Ad-hoc-Bericht v. 14.02.2004; UNHCR v. Januar 2002; ai v. 08.10.2001 u. v. 01.02.2002). Nach Informationen des UNHCR (v. Januar 2002, S. 8) wurden die meisten Anträge auf Vertriebenenstatus von den zuständigen Migrationsbehörden abgelehnt, mit dem Argument, dass die von der Regierung geführte „Anti-Terror-Kampagne“ per Definitionen keine massive Störung der öffentlichen Ordnung darstelle. Die meisten Binnenvertriebenen, denen der Vertriebenenstatus gewährt wurde, machten Furcht vor Verfolgung durch islamisch-fundamentalistische Gruppen und nicht durch Regierungstruppen geltend. Den Vertriebenenstatus erhielten aber nur Personen, die im Besitz einer Aufenthaltsregistrierung waren. Da ihnen diese meist verwehrt wurde, befinden sie sich in einem Kreislauf (UNHCR v. Januar 2002, S. 8 ff., 10 ff., 17).
35 
Was die Freizügigkeit der Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens angeht, so wird dies in zunehmendem Maße - insbesondere seit Ende Oktober 2002 - entgegen der Gesetzeslage eingeschränkt. Tschetschenen steht zwar wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der Freizügigkeit, der freien Wahl des Wohnsitzes und des zeitweiligen Aufenthalts in der Russischen Föderation außerhalb von Tschetschenien zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie z.B. Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften sehr stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen geltend unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit antikaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. 1993 erließ die russische Regierung das sog. Föderationsgesetz. Es beinhaltet die Schaffung eines Registrierungssystems am gegenwärtigen Aufenthaltsort („vorübergehende Registrierung“) oder am Wohnsitz („dauerhafte Registrierung“), bei dem die Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren Aufenthalts- und Wohnort melden. Das davor geltende „Propiska“-System sah nicht nur die Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vor. Trotz der Systemumstellung wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Aufgrund der restriktiven Vergabepraxis von Aufenthaltsgenehmigungen haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. In seinem Sonderbericht vom Oktober 2000 kritisierte der Ombudsmann der Russischen Föderation die regionalen Vorschriften, die im Widerspruch zu den nationalen Vorschriften stehen, sowie rechtswidrige Vollzugspraktiken. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen, besonders in Moskau, häufig die Registrierung verweigert wird. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und diejenige am Wohnort. Sie ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen oder Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 18 f. u. v. 27.11.2002 S. 14; so bereits UNHCR v. Januar 2002) und für den Arbeitsplatz (vgl. IGFM v. 20.12.2000 an VG Schleswig-Holstein; vgl. im übrigen GfbV v. 02.10.2002 an VGH Mannheim u. München).
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Nach Moskau zurückgekehrte Tschetschenen haben deshalb in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt überhaupt Aufnahme zu finden, wenn sie auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Nach der Geiselnahme in einem Moskauer Musicaltheater im Oktober 2002 haben sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber Tschetschenen im Allgemeinen und rückgeführten Tschetschenen im Besonderen bei der Niederlassung verstärkt. Tschetschenen leben außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens neben Moskau vor allem in Südrussland. Dies wird auf klimatische, kulturelle und mentalitätsbezogene Gründe zurückgeführt. Dort ist eine Registrierung auch grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil der grundsätzlich als Registrierungsvoraussetzung notwendige Wohnraum (als Eigentümer oder Mieter) dort finanziell erheblich günstiger ist als in Moskau. Trotzdem ist eine Registrierung auch in anderen Landesteilen mitunter erst nach Intervention von Memorial, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten bzw. dem Bezahlen von Bestechungsgeldern möglich gewesen. Die Frage, ob eine legale Niederlassung von aus Deutschland rückgeführten Tschetschenen in der Russischen Föderation möglich sei, wurde von Memorial - trotz aller bestehenden Schwierigkeiten - bejaht (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 19 f.).
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Dem Auswärtigen Amt sind zwar bisher keine konkreten Anweisungen und Befehle der Innenbehörden bekannt, die sich spezifisch gegen die tschetschenische Ethnie richten. Der Befehl vom 17.09.1999 wird vom Auswärtigen Amt unter Angabe mehrerer Anhaltspunkte als Fälschung eingeschätzt (AA, Auskunft v. 11.12.2003 an VG Köln u. v. 26.04.2002 an VG Karlsruhe), was aufgrund der neuerlich genannten Gründe plausibel erscheint. Angesichts der bereits getätigten Recherchen zu dessen Anwendung bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner weiteren Aufklärung dazu, ob er gleichwohl in Umlauf gebracht und angewendet wurde (vgl. IGFM v. 20.12.2000 an VG Braunschweig u. GfbV v. 09.08.2002 an VG Karlsruhe). Denn der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes befasst sich eingehend mit der Situation tschetschenischer Flüchtlinge und Rückkehrer aus dem Ausland.
38 
Hiernach existiert zwar eine Vielzahl von Vergleichsfällen durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen, die auch in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, nämlich an die tschetschenische Volkszugehörigkeit geschahen. (vgl. zu den Voraussetzungen politischer Verfolgung bei der Abwehr terroristischer Angriffe, BVerfG, B. v. 10.07.1989, a.a.O., 315, 317; 81, 142, 149, 152). Die Zahl der feststellbaren Verfolgungsfälle reicht in ihrer Dichte nicht aus, um die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an eine staatliche Gruppenverfolgung anzunehmen. Dabei kann offen bleiben, ob ein Vergleich der ohnehin schwer feststellbaren Bevölkerungszahl in Tschetschenien mit den feststellbaren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien Rückschlüsse auf eine Gruppenverfolgung zulässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, a.a.O.,). Denn weder die Bevölkerungszahl noch die Zahl der Menschenrechtsverletzungen insbesondere der jüngsten „Säuberungsaktionen“ nach vorausgegangenen Terroranschlägen lässt sich annähernd angeben und deshalb auch nicht auf asylerhebliche Maßnahmen in Anknüpfung an die tschetschenische Volkszugehörigkeit eingrenzen; hierfür bildet die eingeschränkte Berichterstattung (s. Ad hoc-Bericht v. 27.11.2002) aus Tschetschenien und der Russischen Föderation einen wesentlichen Faktor für die mangelhafte und unzureichende Aufklärbarkeit staatlicher Vorgänge wie Verfolgungsmaßnahmen in der Russischen Föderation und der Verhältnisse in Tschetschenien. Bis 1991 bestand die nationale Gebietseinheit Tschetscheno-Inguschetien mit einer Bevölkerung von 1,35 Millionen Einwohnern, davon 735.000 Tschetschenen, 164.000 Inguschen und 294.000 Russen. Die Bevölkerung der tschetschenischen Republik bestand 1994 zu 75 % aus Tschetschenen (http//www.unics.uni-Hannover.de/ntr/tschetschenion. html) ; andere Schätzungen schwanken zwischen 450.000 bis 800.000 (so Ad hoc-Bericht v. 14.02.2004). Diese Angaben haben sich durch die Kriegswirren in den folgenden Jahren und die damit einsetzende Flüchtlingswelle (UNHCR v. Januar 2002) stark verändert, ohne dass genaue Zahlen über den verbleibenden Teil von Tschetschenen in Tschetschenien bekannt sind. Eine kritisch zu bewertende Volkszählung im Oktober 2002 ergab eine Zahl von einer Millionen Tschetschenen (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 13). Anhand dieser groben Schätzungen ist eine Gruppenverfolgung nicht feststellbar.
39 
Es fehlen auch hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm. Aus den oben dargestellten Vorgängen und Entwicklungen des Vertreibungsdrucks auf die Tschetschenen in und außerhalb Tschetscheniens ergeben sich zwar Indizien, die auf eine staatlich gelenkte Vertreibung der Tschetschenen aus Tschetschenien und der Russischen Föderation hindeuten. Dazu rechnen die genannten militärischen Einsätze in Tschetschenien, die Auflösung der Flüchtlingslager in Inguschetien im Laufe der Jahre 2002 und 2003 und ständige Razzien, Säuberungsaktionen, Plünderungen und Übergriffe in den von russischen Truppen kontrollierten Gebieten Tschetscheniens durch russische Soldaten (GfbV v. 09.08.2002 an VG Karlsruhe; Auskunft d. UNHCR v. 18.06.2002 an VG Karlsruhe, S. 10 ff., 14 ff. vgl. im Übrigen auch GfbV v. 02.10.2002 an VGH München u. VGH Mannheim) sowie die diskriminierende Behandlung der Tschetschenen im gesamten Staatsgebiet der Russischen Föderation durch Verweigerung der Registrierung (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004). Diese Feststellungen reichen aber nicht für die Annahme eines staatlichen Verfolgungsprogramms aus. Nach offiziellen Angaben bzw. russischer Lesart dient die Einrichtung von sog. Filtrationslagern oder -punkten dem Zweck, tschetschenische Terroristen unter den Flüchtlingen aufzuspüren (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004). Aus Moskauer Sicht werden die Kampfmethoden der Tschetschenen - Sprengstoffanschläge und bewaffnete Überfälle - als terroristisch eingestuft, die es abzuwehren gelte. Ferner spricht Moskau von internationalem Terrorismus, weil auf tschetschenischer Seite Freiwillige aus der islamischen Welt kämpfen. Die Serie von Bombenanschlägen im September 1999 war schließlich ein weiterer Grund dafür, Tschetschenien als Hort des Terrorismus anzusehen (IGFM v. 06.02.2002 an VG Braunschweig, Anlage 4, „Der Westen, Russland und der Tschetschenien-Krieg nach dem 11. September 2001)“. Der allgemein zugänglichen und als gerichtsbekannt vorausgesetzten Presse zufolge setzte sich diese offizielle Moskauer politische Richtung nach den jüngsten Bombenanschlägen im Oktober 2002 und in jüngster Zeit in Moskau fort.
2.2.
40 
Der Kläger hat Tschetschenien auch nicht aus Furcht vor individueller Verfolgung verlassen. Eine Vorverfolgung konnte er im Erstverfahren nicht glaubhaft machen. Das Gericht konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass er aus Furcht vor politischer Verfolgung durch russische Soldaten oder Sicherheitskräfte aus Tschetschenien geflüchtet ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des VG Karlsruhe vom 22.10.2002 verwiesen. Der in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Kläger hat auch im Folgeantragsverfahren mit keinem Wort sein angebliches Verfolgungsschicksal durch die behauptete Vertreibung seitens russischer Soldaten aus Tschetschenien Ende 1999/Anfang 2000 im Februar 2000 ergänzt oder substantiiert. Sein Folgeantrag befasst sich mit allgemein gehaltenen Ausführungen zur veränderten politischen Lage in Tschetschenien.
41 
Zu einer besonders gefährdeten Gruppe von Personen, die sich in der Tschetschenenfrage besonders hervorgetan haben, gehört der Kläger nicht. Dies hat er auch nicht behauptet. Er musste vor seiner behaupteten Flucht im Februar 2000 schließlich nicht befürchten, wegen einer Teilnahme am ersten Krieg verhaftet zu werden. Seine dazu gemachten Angaben sind ohnehin zu knapp und unsubstantiiert und lassen nicht auf seine Beteiligung an einer Gegenwehr gegen russische Soldaten schließen. Selbst wenn seine Angaben, er habe im ersten Krieg geholfen, die Waffen zu besorgen, und er habe seine Eltern beschützt, zuträfen, so drohte ihm seinen eigenen Angaben zufolge deshalb in der Folgezeit keine politische Verfolgung. Seine Ausreise bzw. behauptete Flucht aus Tschetschenien im Februar 2000 stand mit den Ereignissen im ersten Krieg außerdem nicht mehr in Zusammenhang. Die Angaben des Klägers sind dahin zu verstehen, dass er zwischen den Kriegen von politischer Verfolgung unberührt blieb und eine eventuelle Teilnahme an Abwehrmaßnahmen den russischen Soldaten verborgen geblieben wäre. Im Übrigen blieb sein diesbezügliches Vorbringen im Erstverfahren weitgehend allgemeingehalten.
42 
Soweit er geltend macht, sogenannte „Wahabiten“(vgl. z. B. AA, Auskunft v. 16.12.2003 an VG Schleswig u. v. 220.11.2003 an VG Düsseldorf) hätten die Leute angeworben und im Haus abgeholt, um sie zum gemeinsamen Widerstand zu bewegen, und bei dieser Art Anwerbung seien viele Menschen ums Leben gekommen, handelt es sich nicht um dem russischen Staat zurechenbare Maßnahmen. Die sogenannten „Wahabiten“, womit der Kläger die Kämpfer in Tschetschenien gemeint hat, üben ferner keine quasistaatliche Verfolgung aus, hierfür fehlt es an der notwendigen Gebietsgewalt.
43 
Auch unter Berücksichtigung der Verschärfung der Situation in Tschetschenien droht ihm derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine politische Verfolgung in Tschetschenien. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei „qualifizierender Betrachtungsweise“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist nicht eine mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeit, sondern eine wertende Betrachtungsweise, die auch die Schwere des befürchteten Verfolgungseingriffs berücksichtigt (BVerwG, Urt. v. 05.11.1991, BVerwGE 89, 162,169; Urt. v. 14.12.1993, InfAuslR 1994, 201,202; BVerwG, Urt. v. 23. 07. 1991, InfAuslR 1991, 336, 337). Zur Klarstellung ist anzumerken, dass ein Element dieser „wertenden Betrachtungsweise“ immer auch die Information über die statistischen Häufigkeit von Ereignissen ist, die im jeweiligen Falle befürchtet werden muss (vgl. Dürig, Beweismaß und Beweislast im Asylprozess, S. 17). Ohne Bedeutung für den Prognosemaßstab sind dagegen die weiteren Ereignisse im Heimatland des Klägers nach seiner Ausreise (VGH Bad.-Württ.-, Urt. v. 23.05.2002 - A 14 S 831/00 - unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 14.12.1993, a.a.O.,), d. h. der Maßstab wird durch eine Verschärfung der Situation nicht herabgesetzt. Statistische Erfassungen über staatliche Verfolgungen lassen sich wegen der eingeschränkten Berichterstattung und den schwierigen Verhältnissen in Tschetschenien ohnehin nur schwer ausmachen. In Tschetschenien ist zwar nach dem oben Gesagten die Sicherheitslage der Zivilbevölkerung wegen ständiger Razzien, Guerilla-Aktivitäten, Geiselnahmen, „Säuberungsaktionen“, Plünderungen und Übergriffen vor allem durch russische Soldaten nicht gewährleistet. Hinzu kommt, dass die russischen Behörden gegen Menschenrechtsverletzungen aus den eigenen Reihen nicht oder allenfalls in geringem Umfang nachgehen. NROen und kritische Beobachter äußerten ihre Besorgnis über die fortgesetzte weitgehende Straflosigkeit nach solchen Übergriffen durch Sicherheitskräfte (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 8, 15). Die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer drohenden politischen Verfolgung für jeden Tschetschenen in Anknüpfung an die tschetschenische Volkszugehörigkeit ist daraus aber nicht abzuleiten. Dem Kläger droht in Tschetschenien anders als im restliche Gebiet der Russischen Föderation (s. 3.) schließlich keine Verfolgung im Zusammenhang mit dem Registrierungswesen (S. 10), weil dort eine Verweigerung seiner Registrierung nicht zu befürchten ist oder weil er wegen der Kriegswirren überhaupt keine Registrierung benötigt, um sich in Tschetschenien dauerhaft aufzuhalten.
3.
44 
Dem Kläger droht aber im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation derzeit (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung (§ 51 Abs. 1 AuslG) durch Verweigerung seiner dauerhaften oder vorübergehenden Registrierung seines Aufenthalts. Es ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er wegen seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens keine Registrierung erlangen und damit seine Existenzgrundlage nicht sichern kann. Eine solche ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines anderweitigen Schutzes für tschetschenische Flüchtlinge entbehrlich. Denn eine Registrierung als Binnenflüchtling und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen wird, wie bereits erwähnt, in der Russischen Föderation laut Berichten von amnesty international und UNHCR ebenfalls regelmäßig verwehrt (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 19). Eine solche ist im Falle des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
45 
Dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht registriert wird, ergibt sich nach der Überzeugung des Gerichts aus der obigen Darstellung des Registrierwesens (S. 10). Danach wenden trotz der Systemumstellung viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Deshalb haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen, besonders in Moskau, häufig die Registrierung verweigert wird, die Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen oder Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem ist (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 18 f. u. v. 27.11.2002, S. 13; so bereits UNHCR v. Januar 2002) und für den Arbeitsplatz (vgl. IGFM v. 20.12.2000 an VG Schleswig-Holstein). Diese gesetzeswidrige Praxis ist nicht nur auf die Ballungszentren in Moskau und Petersburg beschränkt, sie hat sich nach der Überzeugung des Gerichts in jüngster Zeit auf das gesamte russische Staatsgebiet (außerhalb Tschetscheniens) ausgeweitet. Denn es finden sich in der Berichterstattung über tschetschenische Flüchtlinge keine Berichte über legale Niederlassungen Betroffener, auch nicht über tschetschenische Gemeinden außerhalb Tschetscheniens. Auf deren Fehlen hat der UNHCR bereits in seinem Bericht (v. Januar 2002) über den Versuch der Ansiedlung von Tschetschenen in der Russischen Föderation hingewiesen. Die Aussage des Auswärtigen Amtes, Tschetschenen lebten außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens neben Moskau vor allem in Südrussland, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage. Darüber, wo genau in Südrussland tschetschenische Flüchtlinge ihre Registrierung finden können und ob diese Orte für sie ohne unzumutbare Gefährdung tatsächlich erreichbar sind sowie ob und wie sie dort das zum Leben Notwendige erlangen können, konnte das Auswärtige Amt auf Anfrage keine generelle Aussage machen (AA, Auskunft v. 19.01.2004 an OVG Rheinland-Pfalz). Es verfügt demnach über keine positiven Erkenntnisse darüber, wo Tschetschenen in Südrussland eine Registrierung und damit einen legalen Aufenthalt finden konnten bzw. heute finden können und ob und wie sie ohne Registrierung ihr wirtschaftliches Auskommen bzw. ihr Existenzminimum sichern können. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass eine Abschiebung über Moskau erfolgt, wo Tschetschenen seit Oktober 2002 verstärkt diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt sind (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 20). Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 20, 13), der das erkennende Gericht folgt, mündet die intensive Fahndungstätigkeit russischer Sicherheitskräfte nach den Drahtziehern und Teilnehmern an terroristischen Gewaltakten automatisch in einer Diskriminierung kaukasisch aussehender Personen. Auch hier manifestiert sich das allgemeine Phänomen, dass diese ethnische Gruppe aufgrund der antikaukasischen Stimmung verstärkt staatlicher Willkür ausgesetzt ist, und zwar insbesondere aus dem Ausland abgeschobene Tschetschenen.
46 
Die Verweigerung der zeitweisen oder dauerhaften Registrierung ist eine zielgerichtete Maßnahme in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale - der tschetschenischen Volkszugehörigkeit -, die dem russischen Staat zurechenbar ist. Trotz der in Regierungskreisen bekannt gewordenen ungesetzlichen Anwendung der Registrierungsvorschriften zum Nachteil der Tschetschenen war die russische Regierung offenbar nicht bereit, diese ungesetzliche Praxis abzustellen, oder sie hat nicht das zur Schutzgewährung Erforderliche eingesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass die Sorge um die Einhaltung der Registrierungsvorschriften ihre Kräfte übersteigt (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 336), sind nicht ersichtlich. Die Verweigerung der Registrierung ist nicht nur eine Beeinträchtigung unterhalb der Schwelle der Asylerheblichkeit. Politische Verfolgung liegt vor, wenn sie dem Einzelnen gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als - ausgrenzende - Verfolgung darstellt. Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 335 m.w.N. u. Hess VGH, Urt. v. 19.11.2002 - 5 UE 4670/96 A - u. v. 30.05.2003 - 3 UE 858/02 A - m.w.N.). Danach ist die Verweigerung der Registrierung asylerheblich. Denn, wie bereits ausgeführt (S. 14 f.), sperrt die Verweigerung der Registrierung den Zugang zum Gesundheits- und Schulwesen, zur Anmietung von Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt und in der Regel auch zum Arbeitsmarkt für unselbständige Tätigkeiten. Sie zwingt den Betroffenen, entweder in der Illegalität zu leben, ins Ausland zu flüchten oder nach Tschetschenien ins Kriegsgebiet zurückzukehren. Letzteres ist dem Kläger, worauf noch eingegangen wird, nicht zuzumuten.
47 
Der Kläger vermag die Folgen der Nichtregistrierung nicht in zumutbarerer Weise zu vermeiden, weshalb die Gefahr einer politischen Verfolgung unter diesem Aspekt nicht verneint werden kann. Für tschetschenische Flüchtlinge bzw. Rückkehrer ist angesichts der Tatsache, dass ca. 40 % der Bevölkerung der Russischen Föderation unterhalb des Existenzminimums leben und sich ihren Unterhalt meist durch Hilfe von Freunden und Verwandten oder durch unterschiedliche Formen der weit verbreiteten Schattenwirtschaft sichern können (vgl. AA, Lagebericht v. 28.08.2001), ein Leben in der Illegalität grundsätzlich nicht zumutbar (a.A. VG Braunschweig, a.a.O., u. VG Karlsruhe, Urt. v. 22.10.2002 - A 11 K 11517/01 -). Das Gericht hält an seiner gegenteiligen auf einen Einzelfall bezogenen Rechtsprechung (VG Karlsruhe, Urt. v. 22.10.2002, a.a.O.,) nicht mehr fest. Unter besonderen Umständen mag es zwar für tschetschenische Flüchtlinge zumutbar sein, auch ohne Registrierung außerhalb Tschetscheniens Zuflucht zu nehmen, wenn sie hierdurch keinen Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, die mit denen des § 51 Abs. 1 AuslG vergleichbar sind, sie also nicht in eine ausweglose Lage gelangen. Maßgebend hierfür sind die besonderen Umstände des Einzelfalles, etwa die Vermögensverhältnisse des Betroffenen und seiner Familie und seine Fähigkeiten, etwa erlernte Berufe, sowie Kontakte zu ansässig gewordenen Tschetschenen, mittels deren der Betreffende seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Solche Besonderheiten ließen sich hier nicht feststellen. Der Kläger hat zwar seinen Angaben zufolge bei seinem Onkel in einer Schreinerei gearbeitet und dort die Herstellung von Türen und Fenstern erlernt. Diese Befähigung ermöglicht ihm aber nicht ohne weiteres, seinen Lebensunterhalt ohne Registrierung zu verdienen. Für eine selbständige Tätigkeit im Schreinereihandwerk bedarf es sachlicher Mittel für die Einrichtung eines Betriebs und der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel sowie eines Kundenstamms. Seinen im Erstverfahren gemachten Angaben zufolge verfügt er über keine finanziellen Mittel. Auf die Hilfe seiner angeblich im Februar 2000 in Inguschetien gebliebenen Eltern könnte er ebenfalls nicht zurückgreifen, weil über deren Vermögensverhältnisse nichts in Erfahrung zu bringen war und nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie ihn finanziell bei der Existenzgründung außerhalb Tschetscheniens unterstützen könnten. Verwandtschaftliche Kontakte des Klägers in Südrussland konnte das Gericht ebenfalls nicht feststellen.
48 
Ist der Kläger hiernach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung in der Russischen Föderation bedroht, so bedarf es im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen ist (BVerwG, Urt. v. 05.10.1999 - 9 C 31/99 -, InfAuslR 2000, 99 ff. = NVwZ 2000, 332), der Entscheidung, ob der Kläger in der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative hat, wobei nur Tschetschenien verbleibt. Der Gedanke der inländischen Fluchtalternative ist zwar für den Fall entwickelt worden, in dem einem von regionaler politischer Verfolgung Betroffenen ein Ausweichen auf andere Landesteile zumutbar ist, sofern er dort nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, sondern auch vor denjenigen Nachteilen und Gefahren, die ihm im Zeitpunkt seiner Flucht ein Ausweichen unzumutbar machten, und dass ihm auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohen, durch die er in eine ausweglose Lage geriete (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 345 f.; BVerwG, Beschl. v. 16.06.2000, Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 43 m.w.N.; zu Tschetschenien: bejahend OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 4 A 312/00 - m.w.N.; Niedersächs. OVG, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -, AuAS 2004, 2002 ff.; verneinend VG Düsseldorf, Urt. v. 19.05.2003 - 25 K 7112/01.A -; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.03.2004 - A 11 K 12494/03 -, VG Karlsruhe, Urt. v. 06.02.2004 - A 11 K 10284/02 - zu Tschetschenen aus Kabardino-Balkarien; differenzierend VG Karlsruhe, Urt. v. 22.10.2002, a. a. O. u. VG Braunschweig, Urt. v. 24.07.2002  - 8 A 98/02 -). Diese Grundsätze gelten mit Rücksicht auf die landesweite Betrachtungsweise bei der Frage nach der politischen Verfolgung (§ 51 Abs. 1 AuslG) entsprechend, wenn dem Asylbewerber zwar nicht an seinem Herkunftsort, aber in allen anderen Landesteilen politische Verfolgung droht und eine Rückkehr an seinen Heimatort wegen der ihm dort drohenden Gefahren zweifelhaft bzw. unzumutbar ist.
49 
Eine inländische Fluchtalternative setzt Folgendes voraus: Sowohl der vorverfolgt als auch der nicht vorverfolgt Ausgereiste darf nur dann auf einen anderen Landesteil seines Heimatstaats verwiesen werden, wenn er dort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 346). Dem nicht vorverfolgt Ausgereisten dürfen in diesem anderen Landesteil auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohen, durch die er in eine ausweglose Situation geraten würde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.10.2002 - A 2 S 1517/00 - m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 10.07.1998, a.a.O., 345; zum Existenzminimum BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 B 128/02 -, InfAuslR 2002, 455 ff. = AuAS 2002, 261 ff. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 16.06.2000 - 9 B 255/00 -, Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 34 m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 14.12.1993, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.04.2002, ESVGH 52, 191). Ein verfolgungssicherer Ort bietet dem Ausländer das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann, wenn er durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt Notwendige erlangen kann. Das ist nicht der Fall, wenn der Asylsuchende am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise, welche allerdings die Berücksichtigung individueller Besonderheiten nicht ausschließt, auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger und Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 B 128/02 -, InfAuslR 2002, 455 ff. = AuAS 2002, 261 ff. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 16.06.2000 - 9 B 255/00 -, Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 34 m.w.N.).
50 
Auf der Grundlage dieser Anforderungen ist Tschetschenien kein verfolgungssicherer Ort. Davon geht offenbar auch das Bundesamt in dem im Erstverfahren ergangenen Bescheid vom 23.10.2001 für den damaligen Zeitpunkt aus, in dem es in der Abschiebungsandrohung Tschetschenien ausgenommen hat. Dies macht aber die Feststellung, ob Tschetschenien derzeit ein verfolgungssicherer Ort ist, nicht entbehrlich, weil die Frage, ob dem Kläger landesweit politische Verfolgung droht, nicht durch administrative Entscheidung des Bundesamtes im Erstverfahren entschieden werden kann, erst Recht nicht für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Folgeantragsverfahren bei einem beachtlichen Folgeantrag. Der Kläger ist durch die Einschränkung der Abschiebungsandrohung auf das Gebiet der Russischen Föderation mit Ausnahme Tschetscheniens nur vor einer Abschiebung nach Tschetschenien geschützt. Dies berührt aber nicht die Entscheidung zu § 51 Abs. 1 AuslG. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf es darüber, ob dem Kläger bei Anwendung des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes hinreichend sicher keine politische Verfolgung in Tschetschenien droht, insbesondere ob eine solche Gefahr aus der Willkür staatlicher Verfolgungsmaßnahmen seitens russischer Sicherheitskräfte abzuleiten ist. Ihm drohen jedenfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit andere Nachteile, die ein Ausweichen dorthin unzumutbar machen. Denn das Existenzminimum des Klägers wäre derzeit in Tschetschenien nicht gewahrt. Maßgebend hierfür ist zum einen die bereits dargestellte nicht gewährleistete Sicherheit in Tschetschenien aufgrund militärischer Einsätze und von Übergriffen russischer Sicherheitskräfte auf die tschetschenische Bevölkerung (s.o. S. 8 f.). Eine Arbeitsaufnahme bzw. die Schaffung einer Lebensgrundlage ist unmöglich oder jedenfalls in weiten Gebieten unsicher. Zum anderen ist nach den jüngsten Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 21) die Grundversorgung der Bevölkerung in Tschetschenien, insbesondere in Grosny, mit Nahrungsmitteln äußerst mangelhaft. Die Lieferung von Nahrungsmitteln durch internationale Hilfsorganisationen in das Krisengebiet ist nur sehr begrenzt und punktuell möglich. Infrastruktur (Strom, Heizung etc.) und Gesundheitssystem sind nahezu zusammengebrochen. Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist völlig unzureichend. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - sind medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Wichtige medizinische Einrichtungen in Grosny und Umgebung sind nach Augenzeugenberichten stark beschädigt oder zerstört. Der Wiederaufbau verläuft weiterhin sehr schleppend. Der Kläger kann deshalb in Tschetschenien nicht auf die Inanspruchnahme internationaler Hilfslieferungen verwiesen werden. Bei diesen Gegebenheiten wären für eine Abschiebung nach Tschetschenien die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 u. 2 GG gegeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, 328 u. Urt. v. 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, DVBl. 2001, 1531, 1533 m.w.N.). Dem Kläger kann hiernach ein Ausweichen nach Tschetschenien nicht zugemutet werden.
51 
Da dem Kläger hiernach Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zusteht, war die gegenteilige Feststellung des Bundesamtes in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides aufzuheben. Über die gestellten Hilfsanträge bedarf es keiner Entscheidung mehr.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1 AsylVfG.

Gründe

 
22 
Das Gericht konnte in Abwesenheit der Beteiligten über die Klage verhandeln und entscheiden, da die diesen rechtzeitig zugestellten Ladungen entsprechende Hinweise enthielten (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO)  bzw. der Bundesbeauftragte generell auf eine Ladung verzichtet hat.
23 
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 51 Abs. 1 VwVfG). Ihm steht zwar kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu, weil er nach seinen glaubhaften Angaben im Erstverfahren vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung auf dem Landweg und damit zwingend aus einem (wenn auch unbekannten) sicheren Drittstaat im Sinne der § 26a  AsylVfG, Art. 16a Abs. 2 GG eingereist ist. Insoweit war die Klage abzuweisen. Er hat aber einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Dementsprechend waren Ziffer 1 und 2 des Bundesamtsbescheids vom 2003 aufzuheben und die Beklagte zu einer entsprechenden Feststellung zu verpflichten.
24 
Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG, § 51 Abs. 1 VwVfG ist ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1  Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, § 51 Abs. 3 S. 1 VwVfG. Das Erfordernis der Antragstellung und deren Fristgebundenheit haben zur Folge, dass der Antragsteller die seiner Ansicht nach vorliegenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens selbst vortragen muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.12.1993, NVwZ 1994, 359). Dabei ist grundsätzlich bereits im Folgeantrag abschließend und substantiiert darzulegen, inwiefern der geltend gemachte Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 VwVfG vorliegen soll, inwiefern der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, jenen Grund schon im früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG), und inwiefern er - es sei denn, dies wäre aktenkundig oder offensichtlich - die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten hat. Werden mehrere selbständige Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht, ist für das Vorbringen eines jeden selbständigen Wiederaufgreifensgrunds jeweils die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zu beachten (BVerwG, Beschl. v. 11.12.1989, NVwZ 1990, 359). Dies bedeutet, dass auch für einen erst im Verlaufe eines Rechtsstreits entstandenen Wiederaufgreifensgrund die Drei-Monats-Frist Geltung hat. Im Folgeantragsverfahren sind die Gerichte nicht befugt, andere als von dem Asylbewerber selbst geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen zu prüfen (BVerwG, Urt. v. 30.08.1988, EZAR 212 Nr. 6).
25 
Gemessen daran hat der Kläger eine Veränderung der Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) dargetan, die einen schlüssigen Ansatz für eine mögliche politische Verfolgung in der Form einer Gruppenverfolgung oder für die Verneinung einer Fluchtalternative in der Russischen Föderation bietet. Er verweist zum einen auf den Bericht der IGFM vom 30.11.2002, aus dem hervorgeht, dass die tschetschenische Bergbevölkerung vor den flächendeckenden Bombardierungen der Russischen Luftwaffe im Süden Tschetscheniens flieht. Der Bericht befasst sich auch mit der Auflösung der Flüchtlingslager in Inguschetien und dem Druck auf die Flüchtlinge, nach Tschetschenien zurückgeführt zu werden. Ein weiterer Bericht der IGFM vom 30.11.2002 („Welle des Terrors überrollt tschetschenische Bevölkerung“) befasst sich mit Zeugenberichten aus Tschetschenien und Inguschetien, die Angaben über Säuberungsaktionen, Folter und Verschleppungen durch russische Sonderkräfte machen. Des weiteren enthält der Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom September 2002 Hinweise auf eine Gruppenverfolgung in Tschetschenien, die geeignet sind, eine günstigere Beurteilung des Asylbegehrens des Klägers herbeizuführen. Dieser Bericht lag dem Gericht im Erstverfahren zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2002 noch nicht vor. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger diese Berichte nicht innerhalb der maßgeblichen Drei-Monats-Frist vorgelegt hat. Dem gemäß war Ziff. 1 des angefochtenen Bescheids aufzuheben.
26 
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. § 30 Abs. 1 2. Alt. AsylVfG) stimmen hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und des politischen Charakters der Verfolgung mit den Voraussetzungen des Asylanspruchs nach Art. 16a Abs. 1 GG überein (BVerwG, Urt. v. 18.02.1992, DVBl. 1992, 843). Gegenüber dem Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte kommt dem Antrag auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG jedoch dann eine selbständige Bedeutung zu, wenn ein (unbeachtlicher) Nachfluchtgrund nachgewiesen ist oder wenn der Ausländer bereits in einem anderen Staat vor politischer Verfolgung sicher war. Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung (asylerhebliche Merkmale) Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt wäre oder - allgemein gesagt - politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfGE 54, 341; 68, 171), wobei Art. 16a Abs. 1 GG nicht schlechthin ausschließt, dass auch andere außer diesen in Art. 1 A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 in der Fassung vom 31.01.1967  (BGBl. 1953, II S. 559 und 1969, II S. 1293) ausdrücklich genannten Merkmale zum Anknüpfungs- und Bezugspunkt für Verfolgungsmaßnahmen genommen werden  (BVerwG, Urt. v. 15.03.1988, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 83). Eine Verfolgung ist dann eine „politische“, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines asylerheblichen Merkmales erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, BVerfGE 80, 315 ff., 333 ff. = NVwZ 1990, 151 ff.).
27 
Nach der Überzeugung des Gerichts ist der Kläger tschetschenischer Volkszugehöriger. (1.). Er ist von dort aber nicht aus Furcht vor politischer Verfolgung ausgereist und ihm droht dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine politische Verfolgung (2.). Ihm droht aber in der Russischen Föderation derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung aufgrund der Verweigerung seiner Registrierung (§ 51 Abs. 1 AuslG), ohne dass er auf eine inländische Fluchtalternative in Tschetschenien verwiesen werden kann (3.).
1.
28 
Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung im Erstverfahren ist das Gericht davon überzeugt, dass er tschetschenischer Volkszugehöriger ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des erkennenden Gerichts vom 22.10.2002 (S. 5) verwiesen. In der Annahme, dass der Kläger Tschetschene ist, wird das Gericht unterstützt durch die Mitteilung des Bundesgrenzschutzamtes vom 01.07.2003, wonach sich der Kläger als Tschetschene ausgegeben und dem Verdacht ausgesetzt hat, tschetschenische Flüchtlinge ins Bundesgebiet eingeschleust zu haben. Das Gericht vermag dem Kläger auch darin zu folgen, dass er in Tschetschenien gelebt hat. Es konnte jedoch nicht die Überzeugung gewinnen, dass er aus Furcht vor politischer Verfolgung Tschetschenien verlassen hat.
2.
29 
Der Kläger ist nicht schon wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen vorverfolgt (2.1.). Er hat Tschetschenien auch nicht wegen eines individuellen Verfolgungsschicksals verlassen (2.2.).
2.1.
30 
Nach der Überzeugung des Gerichts gab es zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Tschetschenien im Februar 2000 dort keine staatlicherseits betriebene oder geduldete gruppengerichtete Verfolgung von Tschetschenen in Tschetschenien. Eine solche droht auch derzeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. zur Gruppenverfolgung z.B., BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, BVerwGE 96, 200 ff. = InfAuslR 1994, 1409 ff. = NVwZ 1995, 175 ff. m.w.N.; zu Tschetschenien: ablehnend OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 4 A 312/00 - m.w.N. im September 1999; offengelassen Niedersächs. OVG, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -, AuAS 2004, 2002 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -, AuAS 2003, 202 ff.). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und -gebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, a.a.O., m.w.N.). Im Unterschied zur mittelbaren Gruppenverfolgung kann eine staatliche Gruppenverfolgung schon dann anzunehmen sein, wenn zwar „Referenz-„ oder Vergleichsfälle durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen zum Nachweis einer jedem Gruppenmitglied drohenden „Wiederholungsgefahr“ nicht im erforderlichen Umfang oder überhaupt (noch) nicht festgestellt werden können, aber hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, dass der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. Dabei müssen die allgemeinen Anforderungen an eine hinreichend verlässliche Prognose erfüllt sein (BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, a.a.O., m.w.N.).
31 
Hinsichtlich der Verhältnisse in Tschetschenien bis zum Spätjahr 2001 wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes (S. 5 ff.) verwiesen. Danach gab es in der Vergangenheit eine Vielzahl von Übergriffen russischer Sicherheitskräfte und russischer Soldaten auf die tschetschenische Zivilbevölkerung in Tschetschenien sowie eine landesweite Diskriminierung tschetschenischer Volkszugehöriger. Ergänzend dazu ist anzumerken: Die menschenrechtliche und militärische Situation in Tschetschenien hat sich in jüngster Zeit verschärft. Außerdem fanden im Februar 2002 tschetschenische Flüchtlinge in Inguschetien und den Nachbarstaaten keine Aufnahme in eine zumutbare Versorgungslage mehr und beginnend ab Mai 2002 sowie im Jahr 2003 wurden die Lager in Inguschetien aufgelöst. Tschetschenen wurden und werden in den restlichen Gebieten der Russischen Föderation schließlich nicht als Binnenflüchtlinge anerkannt; sie haben große Schwierigkeiten sich außerhalb Tschetscheniens niederzulassen, sie werden entgegen der Rechtslage nicht registriert. Im Einzelnen stellt sich dies wie folgt dar:
32 
Ausweislich des jüngsten Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 16.02.2004 (Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) (Stand: 31.01.2004) - im Folgenden: Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004) ist die heutige militärische Situation dadurch gekennzeichnet, dass die russischen Sicherheitskräfte im Rahmen ihrer sog. „Antiterroristischen-Operation“ versuchen, die verbliebenen Rebellenkämpfer systematisch auszuschalten und zu vernichten. Nach den Ereignissen im Moskauer Musical-Theater „Nord-Ost“ im Oktober 2002 forcierte die russische Seite - neben einer Verhärtung des Vorgehens gegen Tschetschenen in- und außerhalb Tschetscheniens - den von ihr betriebenen „politischen Prozess“. Dazu gehören sowohl die Abhaltung eines Verfassungsreferendums (23.03.2003) als auch tschetschenische Präsidentschaftswahlen (05.10.2003) als auch die Wahl eines tschetschenischen Parlaments (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2002, S. 4). Das Auswärtige Amt hebt eine seit Anfang Mai 2003 festzustellende deutliche Verschärfung der Sicherheitslage in Tschetschenien hervor; es macht in diesem Zusammenhang Mitteilungen über Ausschreitungen, Verschwindenlassen von Zivilisten und Übergriffe der russischen und tschetschenischen Einheiten gegen die Zivilbevölkerung bei sog. „Säuberungen“ oder Straßensperren. Es berichtet über massive Menschenrechtsverletzungen durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 7) und von wiederholten Plünderungen, Vergewaltigungen und Raub durch russische Sicherheitskräfte (aber auch tschetschenische Kämpfer) sowie Gräbern in Tschetschenien, in denen Leichen gefunden worden sind, die zum Teil Folterspuren aufwiesen (S. 8 u. 15). Unter Bezugnahme auf internationale und russische Menschenrechtsorganisationen weist das Auswärtige Amt auf die Einrichtung sog. Filtrationslager oder -punkte hin (S. 8 f.; vgl. auch IGFM v. 06.02.2002 an VG Braunschweig mit Anlagen, „Tschetschenien/Inguschetien: Vertriebenen wird Hilfe verweigert“. „Anstieg der Grausamkeit der russischen Truppen nach dem 11. September 2001“; vgl. auch AA, Auskunft v. 29.04.2003 an VG Göttingen; Ad hoc-Bericht v. 27.11.2002 u. v. 07.05.2002; IGFM v. 20.10.2000 an VG Schleswig; s. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 19.05.2003, a.a.O., S. 10 ff. m.w.N; vgl. im übrigen Gesellschaft f. bedrohte Völker - GfbV - v. 02.10.2002 an VGH München und VGH Mannheim).
33 
Tschetschenen konnten ab Mitte 2002 nicht mehr nach Inguschetien ausweichen, weil sich der Druck auf die Flüchtlinge in den - ohnehin nach Ansicht des UNHCR nicht den Grundbedürfnissen entsprechenden - Notunterkünften in Inguschetien verschärfte. In der Folge des Machtwechsels in Inguschetien, dem seit Ende April 2002 der FSB-Generalmajor Murat Sjasikow als Präsident vorsteht, kam es zu einer veränderten Flüchtlingspolitik Inguschetiens bezüglich der tschetschenischen Flüchtlinge. Am 29.05.2002 wurde eine politische Vereinbarung unterzeichnet, nach der alle tschetschenischen Binnenflüchtlinge bis Ende September 2002 wieder nach Tschetschenien zurückkehren und die Flüchtlingslager in Inguschetien aufgelöst werden sollten. Die meisten Flüchtlinge lehnten dies ab. In der Folgezeit kam es zur Auflösung von Flüchtlingslagern in Inguschetien im Dezember 2002 und im September und Dezember 2003. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004) wird seit Sommer 2002 immer wieder unter Nennung eines Termins von der baldigen Schließung sämtlicher Lager und der Rückführung der Flüchtlinge nach Grosny gesprochen (z.B. „Dez. 2002“ (rus. Tschetschenienminister Iljasow im Nov. 2002); „1.10.03“ (Tschetscheniens Premier Popow am 14.8.03), „1.03.04“ (Iljasow im Jan. 04). In Tschetschenien wurden für die Flüchtlinge provisorische Behausungen errichtet, die besser eingerichtet sein sollen als die Lager in Inguschetien. Die Versuche der Rückführung kulminierten in der Schließung des Lagers  „Imam“ bei Akiyurt/Inguschetien im Dezember 2002. Die Schließung der Lager „Bella“ im September 03 und „Alina“ im Dezember 03 zeigt jedoch, dass die Rückführungspolitik konsequent weiterverfolgt wird (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.04.2004, S. 14; GfbV v. 09.08.2002 an VG Karlsruhe, Ziff. 2.1 u. im Übrigen v. 02.10.2002 an VGH Mannheim u. München, S. 9 zur Schließung des Hotels „Tolna“ am 26.06.2002). Dem Auswärtigen Amt liegen zwar keine Erkenntnisse vor, ob zwangsweise Rückführungen aus den Lagern stattfinden. Es wird jedoch mit Kompensationszahlungen und Bereitstellung von Unterkünften geworben und indirekt Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt, um sie zur Rückkehr zu bewegen (administrative Schikanen, sich verschlechternde Sicherheitslage und zunehmende Aktivitäten der Sicherheitskräfte in Inguschetien); bekannt geworden sind auch Fälle von Abstellen der Strom- und Wasserversorgung oder Einstellung der Lebensmittellieferungen, die Nichtgewährung staatlicher Unterstützungen oder Nichtregistrierung. Memorial berichtet über nächtliche Festnahmen durch maskierte Unbekannte (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 14 f.). Die Verschlechterung der Situation in den Flüchtlingslagern in Inguschetien hob der UNHCR bereits in seiner Stellungnahme vom Januar 2002 (S. 25) unter Hinweis auf die Nähe zum Konfliktgebiet und die fortdauernden militärischen Aktivitäten in Tschetschenien hervor. Er sprach sich entschieden dagegen aus, Inguschetien als zumutbare Relokationsalternative für ethnisch tschetschenische Asylsuchende zu betrachten und wies darauf hin, der Migrationsdienst habe ursprünglich angesichts der überlasteten Situation in Inguschetien beabsichtigt, eine größere Zahl von Binnenvertriebenen in andere Regionen Zentralrusslands umzusiedeln, doch sei dieses Projekt nicht so erfolgreich gewesen, wie es die Behörden der Föderation erwartet hatten, erstens, weil es in kaum einer der betroffenen Regionen eine nennenswerte tschetschenische Gemeinde gab und die Regionen auf die Aussicht, tschetschenische Binnenvertriebene unterbringen zu müssen, nicht begeistert reagierten, und zweitens, weil die tschetschenischen Binnenvertriebenen in der Nähe ihrer Heimatorte in Tschetschenien bleiben wollten und zögerten, Inguschetien zu verlassen, um sich in Regionen zu begeben, in denen sie nicht willkommen waren (UNHCR v. Januar 2002, S. 12).
34 
Eine Registrierung als Binnenflüchtling und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen wurden in der Vergangenheit und heute noch für Tschetschenen in der Russischen Föderation laut Berichten von ai und UNHCR überwiegend verweigert (Ad-hoc-Bericht v. 14.02.2004; UNHCR v. Januar 2002; ai v. 08.10.2001 u. v. 01.02.2002). Nach Informationen des UNHCR (v. Januar 2002, S. 8) wurden die meisten Anträge auf Vertriebenenstatus von den zuständigen Migrationsbehörden abgelehnt, mit dem Argument, dass die von der Regierung geführte „Anti-Terror-Kampagne“ per Definitionen keine massive Störung der öffentlichen Ordnung darstelle. Die meisten Binnenvertriebenen, denen der Vertriebenenstatus gewährt wurde, machten Furcht vor Verfolgung durch islamisch-fundamentalistische Gruppen und nicht durch Regierungstruppen geltend. Den Vertriebenenstatus erhielten aber nur Personen, die im Besitz einer Aufenthaltsregistrierung waren. Da ihnen diese meist verwehrt wurde, befinden sie sich in einem Kreislauf (UNHCR v. Januar 2002, S. 8 ff., 10 ff., 17).
35 
Was die Freizügigkeit der Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens angeht, so wird dies in zunehmendem Maße - insbesondere seit Ende Oktober 2002 - entgegen der Gesetzeslage eingeschränkt. Tschetschenen steht zwar wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der Freizügigkeit, der freien Wahl des Wohnsitzes und des zeitweiligen Aufenthalts in der Russischen Föderation außerhalb von Tschetschenien zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie z.B. Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften sehr stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen geltend unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit antikaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. 1993 erließ die russische Regierung das sog. Föderationsgesetz. Es beinhaltet die Schaffung eines Registrierungssystems am gegenwärtigen Aufenthaltsort („vorübergehende Registrierung“) oder am Wohnsitz („dauerhafte Registrierung“), bei dem die Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren Aufenthalts- und Wohnort melden. Das davor geltende „Propiska“-System sah nicht nur die Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vor. Trotz der Systemumstellung wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Aufgrund der restriktiven Vergabepraxis von Aufenthaltsgenehmigungen haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. In seinem Sonderbericht vom Oktober 2000 kritisierte der Ombudsmann der Russischen Föderation die regionalen Vorschriften, die im Widerspruch zu den nationalen Vorschriften stehen, sowie rechtswidrige Vollzugspraktiken. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen, besonders in Moskau, häufig die Registrierung verweigert wird. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und diejenige am Wohnort. Sie ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen oder Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 18 f. u. v. 27.11.2002 S. 14; so bereits UNHCR v. Januar 2002) und für den Arbeitsplatz (vgl. IGFM v. 20.12.2000 an VG Schleswig-Holstein; vgl. im übrigen GfbV v. 02.10.2002 an VGH Mannheim u. München).
36 
Nach Moskau zurückgekehrte Tschetschenen haben deshalb in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt überhaupt Aufnahme zu finden, wenn sie auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Nach der Geiselnahme in einem Moskauer Musicaltheater im Oktober 2002 haben sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber Tschetschenen im Allgemeinen und rückgeführten Tschetschenen im Besonderen bei der Niederlassung verstärkt. Tschetschenen leben außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens neben Moskau vor allem in Südrussland. Dies wird auf klimatische, kulturelle und mentalitätsbezogene Gründe zurückgeführt. Dort ist eine Registrierung auch grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil der grundsätzlich als Registrierungsvoraussetzung notwendige Wohnraum (als Eigentümer oder Mieter) dort finanziell erheblich günstiger ist als in Moskau. Trotzdem ist eine Registrierung auch in anderen Landesteilen mitunter erst nach Intervention von Memorial, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten bzw. dem Bezahlen von Bestechungsgeldern möglich gewesen. Die Frage, ob eine legale Niederlassung von aus Deutschland rückgeführten Tschetschenen in der Russischen Föderation möglich sei, wurde von Memorial - trotz aller bestehenden Schwierigkeiten - bejaht (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 19 f.).
37 
Dem Auswärtigen Amt sind zwar bisher keine konkreten Anweisungen und Befehle der Innenbehörden bekannt, die sich spezifisch gegen die tschetschenische Ethnie richten. Der Befehl vom 17.09.1999 wird vom Auswärtigen Amt unter Angabe mehrerer Anhaltspunkte als Fälschung eingeschätzt (AA, Auskunft v. 11.12.2003 an VG Köln u. v. 26.04.2002 an VG Karlsruhe), was aufgrund der neuerlich genannten Gründe plausibel erscheint. Angesichts der bereits getätigten Recherchen zu dessen Anwendung bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner weiteren Aufklärung dazu, ob er gleichwohl in Umlauf gebracht und angewendet wurde (vgl. IGFM v. 20.12.2000 an VG Braunschweig u. GfbV v. 09.08.2002 an VG Karlsruhe). Denn der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes befasst sich eingehend mit der Situation tschetschenischer Flüchtlinge und Rückkehrer aus dem Ausland.
38 
Hiernach existiert zwar eine Vielzahl von Vergleichsfällen durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen, die auch in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, nämlich an die tschetschenische Volkszugehörigkeit geschahen. (vgl. zu den Voraussetzungen politischer Verfolgung bei der Abwehr terroristischer Angriffe, BVerfG, B. v. 10.07.1989, a.a.O., 315, 317; 81, 142, 149, 152). Die Zahl der feststellbaren Verfolgungsfälle reicht in ihrer Dichte nicht aus, um die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an eine staatliche Gruppenverfolgung anzunehmen. Dabei kann offen bleiben, ob ein Vergleich der ohnehin schwer feststellbaren Bevölkerungszahl in Tschetschenien mit den feststellbaren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien Rückschlüsse auf eine Gruppenverfolgung zulässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.07.1994, a.a.O.,). Denn weder die Bevölkerungszahl noch die Zahl der Menschenrechtsverletzungen insbesondere der jüngsten „Säuberungsaktionen“ nach vorausgegangenen Terroranschlägen lässt sich annähernd angeben und deshalb auch nicht auf asylerhebliche Maßnahmen in Anknüpfung an die tschetschenische Volkszugehörigkeit eingrenzen; hierfür bildet die eingeschränkte Berichterstattung (s. Ad hoc-Bericht v. 27.11.2002) aus Tschetschenien und der Russischen Föderation einen wesentlichen Faktor für die mangelhafte und unzureichende Aufklärbarkeit staatlicher Vorgänge wie Verfolgungsmaßnahmen in der Russischen Föderation und der Verhältnisse in Tschetschenien. Bis 1991 bestand die nationale Gebietseinheit Tschetscheno-Inguschetien mit einer Bevölkerung von 1,35 Millionen Einwohnern, davon 735.000 Tschetschenen, 164.000 Inguschen und 294.000 Russen. Die Bevölkerung der tschetschenischen Republik bestand 1994 zu 75 % aus Tschetschenen (http//www.unics.uni-Hannover.de/ntr/tschetschenion. html) ; andere Schätzungen schwanken zwischen 450.000 bis 800.000 (so Ad hoc-Bericht v. 14.02.2004). Diese Angaben haben sich durch die Kriegswirren in den folgenden Jahren und die damit einsetzende Flüchtlingswelle (UNHCR v. Januar 2002) stark verändert, ohne dass genaue Zahlen über den verbleibenden Teil von Tschetschenen in Tschetschenien bekannt sind. Eine kritisch zu bewertende Volkszählung im Oktober 2002 ergab eine Zahl von einer Millionen Tschetschenen (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 13). Anhand dieser groben Schätzungen ist eine Gruppenverfolgung nicht feststellbar.
39 
Es fehlen auch hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm. Aus den oben dargestellten Vorgängen und Entwicklungen des Vertreibungsdrucks auf die Tschetschenen in und außerhalb Tschetscheniens ergeben sich zwar Indizien, die auf eine staatlich gelenkte Vertreibung der Tschetschenen aus Tschetschenien und der Russischen Föderation hindeuten. Dazu rechnen die genannten militärischen Einsätze in Tschetschenien, die Auflösung der Flüchtlingslager in Inguschetien im Laufe der Jahre 2002 und 2003 und ständige Razzien, Säuberungsaktionen, Plünderungen und Übergriffe in den von russischen Truppen kontrollierten Gebieten Tschetscheniens durch russische Soldaten (GfbV v. 09.08.2002 an VG Karlsruhe; Auskunft d. UNHCR v. 18.06.2002 an VG Karlsruhe, S. 10 ff., 14 ff. vgl. im Übrigen auch GfbV v. 02.10.2002 an VGH München u. VGH Mannheim) sowie die diskriminierende Behandlung der Tschetschenen im gesamten Staatsgebiet der Russischen Föderation durch Verweigerung der Registrierung (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004). Diese Feststellungen reichen aber nicht für die Annahme eines staatlichen Verfolgungsprogramms aus. Nach offiziellen Angaben bzw. russischer Lesart dient die Einrichtung von sog. Filtrationslagern oder -punkten dem Zweck, tschetschenische Terroristen unter den Flüchtlingen aufzuspüren (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004). Aus Moskauer Sicht werden die Kampfmethoden der Tschetschenen - Sprengstoffanschläge und bewaffnete Überfälle - als terroristisch eingestuft, die es abzuwehren gelte. Ferner spricht Moskau von internationalem Terrorismus, weil auf tschetschenischer Seite Freiwillige aus der islamischen Welt kämpfen. Die Serie von Bombenanschlägen im September 1999 war schließlich ein weiterer Grund dafür, Tschetschenien als Hort des Terrorismus anzusehen (IGFM v. 06.02.2002 an VG Braunschweig, Anlage 4, „Der Westen, Russland und der Tschetschenien-Krieg nach dem 11. September 2001)“. Der allgemein zugänglichen und als gerichtsbekannt vorausgesetzten Presse zufolge setzte sich diese offizielle Moskauer politische Richtung nach den jüngsten Bombenanschlägen im Oktober 2002 und in jüngster Zeit in Moskau fort.
2.2.
40 
Der Kläger hat Tschetschenien auch nicht aus Furcht vor individueller Verfolgung verlassen. Eine Vorverfolgung konnte er im Erstverfahren nicht glaubhaft machen. Das Gericht konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass er aus Furcht vor politischer Verfolgung durch russische Soldaten oder Sicherheitskräfte aus Tschetschenien geflüchtet ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des VG Karlsruhe vom 22.10.2002 verwiesen. Der in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Kläger hat auch im Folgeantragsverfahren mit keinem Wort sein angebliches Verfolgungsschicksal durch die behauptete Vertreibung seitens russischer Soldaten aus Tschetschenien Ende 1999/Anfang 2000 im Februar 2000 ergänzt oder substantiiert. Sein Folgeantrag befasst sich mit allgemein gehaltenen Ausführungen zur veränderten politischen Lage in Tschetschenien.
41 
Zu einer besonders gefährdeten Gruppe von Personen, die sich in der Tschetschenenfrage besonders hervorgetan haben, gehört der Kläger nicht. Dies hat er auch nicht behauptet. Er musste vor seiner behaupteten Flucht im Februar 2000 schließlich nicht befürchten, wegen einer Teilnahme am ersten Krieg verhaftet zu werden. Seine dazu gemachten Angaben sind ohnehin zu knapp und unsubstantiiert und lassen nicht auf seine Beteiligung an einer Gegenwehr gegen russische Soldaten schließen. Selbst wenn seine Angaben, er habe im ersten Krieg geholfen, die Waffen zu besorgen, und er habe seine Eltern beschützt, zuträfen, so drohte ihm seinen eigenen Angaben zufolge deshalb in der Folgezeit keine politische Verfolgung. Seine Ausreise bzw. behauptete Flucht aus Tschetschenien im Februar 2000 stand mit den Ereignissen im ersten Krieg außerdem nicht mehr in Zusammenhang. Die Angaben des Klägers sind dahin zu verstehen, dass er zwischen den Kriegen von politischer Verfolgung unberührt blieb und eine eventuelle Teilnahme an Abwehrmaßnahmen den russischen Soldaten verborgen geblieben wäre. Im Übrigen blieb sein diesbezügliches Vorbringen im Erstverfahren weitgehend allgemeingehalten.
42 
Soweit er geltend macht, sogenannte „Wahabiten“(vgl. z. B. AA, Auskunft v. 16.12.2003 an VG Schleswig u. v. 220.11.2003 an VG Düsseldorf) hätten die Leute angeworben und im Haus abgeholt, um sie zum gemeinsamen Widerstand zu bewegen, und bei dieser Art Anwerbung seien viele Menschen ums Leben gekommen, handelt es sich nicht um dem russischen Staat zurechenbare Maßnahmen. Die sogenannten „Wahabiten“, womit der Kläger die Kämpfer in Tschetschenien gemeint hat, üben ferner keine quasistaatliche Verfolgung aus, hierfür fehlt es an der notwendigen Gebietsgewalt.
43 
Auch unter Berücksichtigung der Verschärfung der Situation in Tschetschenien droht ihm derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine politische Verfolgung in Tschetschenien. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei „qualifizierender Betrachtungsweise“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist nicht eine mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeit, sondern eine wertende Betrachtungsweise, die auch die Schwere des befürchteten Verfolgungseingriffs berücksichtigt (BVerwG, Urt. v. 05.11.1991, BVerwGE 89, 162,169; Urt. v. 14.12.1993, InfAuslR 1994, 201,202; BVerwG, Urt. v. 23. 07. 1991, InfAuslR 1991, 336, 337). Zur Klarstellung ist anzumerken, dass ein Element dieser „wertenden Betrachtungsweise“ immer auch die Information über die statistischen Häufigkeit von Ereignissen ist, die im jeweiligen Falle befürchtet werden muss (vgl. Dürig, Beweismaß und Beweislast im Asylprozess, S. 17). Ohne Bedeutung für den Prognosemaßstab sind dagegen die weiteren Ereignisse im Heimatland des Klägers nach seiner Ausreise (VGH Bad.-Württ.-, Urt. v. 23.05.2002 - A 14 S 831/00 - unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 14.12.1993, a.a.O.,), d. h. der Maßstab wird durch eine Verschärfung der Situation nicht herabgesetzt. Statistische Erfassungen über staatliche Verfolgungen lassen sich wegen der eingeschränkten Berichterstattung und den schwierigen Verhältnissen in Tschetschenien ohnehin nur schwer ausmachen. In Tschetschenien ist zwar nach dem oben Gesagten die Sicherheitslage der Zivilbevölkerung wegen ständiger Razzien, Guerilla-Aktivitäten, Geiselnahmen, „Säuberungsaktionen“, Plünderungen und Übergriffen vor allem durch russische Soldaten nicht gewährleistet. Hinzu kommt, dass die russischen Behörden gegen Menschenrechtsverletzungen aus den eigenen Reihen nicht oder allenfalls in geringem Umfang nachgehen. NROen und kritische Beobachter äußerten ihre Besorgnis über die fortgesetzte weitgehende Straflosigkeit nach solchen Übergriffen durch Sicherheitskräfte (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 8, 15). Die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer drohenden politischen Verfolgung für jeden Tschetschenen in Anknüpfung an die tschetschenische Volkszugehörigkeit ist daraus aber nicht abzuleiten. Dem Kläger droht in Tschetschenien anders als im restliche Gebiet der Russischen Föderation (s. 3.) schließlich keine Verfolgung im Zusammenhang mit dem Registrierungswesen (S. 10), weil dort eine Verweigerung seiner Registrierung nicht zu befürchten ist oder weil er wegen der Kriegswirren überhaupt keine Registrierung benötigt, um sich in Tschetschenien dauerhaft aufzuhalten.
3.
44 
Dem Kläger droht aber im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation derzeit (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung (§ 51 Abs. 1 AuslG) durch Verweigerung seiner dauerhaften oder vorübergehenden Registrierung seines Aufenthalts. Es ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er wegen seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens keine Registrierung erlangen und damit seine Existenzgrundlage nicht sichern kann. Eine solche ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines anderweitigen Schutzes für tschetschenische Flüchtlinge entbehrlich. Denn eine Registrierung als Binnenflüchtling und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen wird, wie bereits erwähnt, in der Russischen Föderation laut Berichten von amnesty international und UNHCR ebenfalls regelmäßig verwehrt (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 19). Eine solche ist im Falle des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
45 
Dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht registriert wird, ergibt sich nach der Überzeugung des Gerichts aus der obigen Darstellung des Registrierwesens (S. 10). Danach wenden trotz der Systemumstellung viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Deshalb haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen, besonders in Moskau, häufig die Registrierung verweigert wird, die Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen oder Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem ist (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 18 f. u. v. 27.11.2002, S. 13; so bereits UNHCR v. Januar 2002) und für den Arbeitsplatz (vgl. IGFM v. 20.12.2000 an VG Schleswig-Holstein). Diese gesetzeswidrige Praxis ist nicht nur auf die Ballungszentren in Moskau und Petersburg beschränkt, sie hat sich nach der Überzeugung des Gerichts in jüngster Zeit auf das gesamte russische Staatsgebiet (außerhalb Tschetscheniens) ausgeweitet. Denn es finden sich in der Berichterstattung über tschetschenische Flüchtlinge keine Berichte über legale Niederlassungen Betroffener, auch nicht über tschetschenische Gemeinden außerhalb Tschetscheniens. Auf deren Fehlen hat der UNHCR bereits in seinem Bericht (v. Januar 2002) über den Versuch der Ansiedlung von Tschetschenen in der Russischen Föderation hingewiesen. Die Aussage des Auswärtigen Amtes, Tschetschenen lebten außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens neben Moskau vor allem in Südrussland, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage. Darüber, wo genau in Südrussland tschetschenische Flüchtlinge ihre Registrierung finden können und ob diese Orte für sie ohne unzumutbare Gefährdung tatsächlich erreichbar sind sowie ob und wie sie dort das zum Leben Notwendige erlangen können, konnte das Auswärtige Amt auf Anfrage keine generelle Aussage machen (AA, Auskunft v. 19.01.2004 an OVG Rheinland-Pfalz). Es verfügt demnach über keine positiven Erkenntnisse darüber, wo Tschetschenen in Südrussland eine Registrierung und damit einen legalen Aufenthalt finden konnten bzw. heute finden können und ob und wie sie ohne Registrierung ihr wirtschaftliches Auskommen bzw. ihr Existenzminimum sichern können. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass eine Abschiebung über Moskau erfolgt, wo Tschetschenen seit Oktober 2002 verstärkt diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt sind (AA, Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 20). Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 20, 13), der das erkennende Gericht folgt, mündet die intensive Fahndungstätigkeit russischer Sicherheitskräfte nach den Drahtziehern und Teilnehmern an terroristischen Gewaltakten automatisch in einer Diskriminierung kaukasisch aussehender Personen. Auch hier manifestiert sich das allgemeine Phänomen, dass diese ethnische Gruppe aufgrund der antikaukasischen Stimmung verstärkt staatlicher Willkür ausgesetzt ist, und zwar insbesondere aus dem Ausland abgeschobene Tschetschenen.
46 
Die Verweigerung der zeitweisen oder dauerhaften Registrierung ist eine zielgerichtete Maßnahme in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale - der tschetschenischen Volkszugehörigkeit -, die dem russischen Staat zurechenbar ist. Trotz der in Regierungskreisen bekannt gewordenen ungesetzlichen Anwendung der Registrierungsvorschriften zum Nachteil der Tschetschenen war die russische Regierung offenbar nicht bereit, diese ungesetzliche Praxis abzustellen, oder sie hat nicht das zur Schutzgewährung Erforderliche eingesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass die Sorge um die Einhaltung der Registrierungsvorschriften ihre Kräfte übersteigt (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 336), sind nicht ersichtlich. Die Verweigerung der Registrierung ist nicht nur eine Beeinträchtigung unterhalb der Schwelle der Asylerheblichkeit. Politische Verfolgung liegt vor, wenn sie dem Einzelnen gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als - ausgrenzende - Verfolgung darstellt. Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 335 m.w.N. u. Hess VGH, Urt. v. 19.11.2002 - 5 UE 4670/96 A - u. v. 30.05.2003 - 3 UE 858/02 A - m.w.N.). Danach ist die Verweigerung der Registrierung asylerheblich. Denn, wie bereits ausgeführt (S. 14 f.), sperrt die Verweigerung der Registrierung den Zugang zum Gesundheits- und Schulwesen, zur Anmietung von Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt und in der Regel auch zum Arbeitsmarkt für unselbständige Tätigkeiten. Sie zwingt den Betroffenen, entweder in der Illegalität zu leben, ins Ausland zu flüchten oder nach Tschetschenien ins Kriegsgebiet zurückzukehren. Letzteres ist dem Kläger, worauf noch eingegangen wird, nicht zuzumuten.
47 
Der Kläger vermag die Folgen der Nichtregistrierung nicht in zumutbarerer Weise zu vermeiden, weshalb die Gefahr einer politischen Verfolgung unter diesem Aspekt nicht verneint werden kann. Für tschetschenische Flüchtlinge bzw. Rückkehrer ist angesichts der Tatsache, dass ca. 40 % der Bevölkerung der Russischen Föderation unterhalb des Existenzminimums leben und sich ihren Unterhalt meist durch Hilfe von Freunden und Verwandten oder durch unterschiedliche Formen der weit verbreiteten Schattenwirtschaft sichern können (vgl. AA, Lagebericht v. 28.08.2001), ein Leben in der Illegalität grundsätzlich nicht zumutbar (a.A. VG Braunschweig, a.a.O., u. VG Karlsruhe, Urt. v. 22.10.2002 - A 11 K 11517/01 -). Das Gericht hält an seiner gegenteiligen auf einen Einzelfall bezogenen Rechtsprechung (VG Karlsruhe, Urt. v. 22.10.2002, a.a.O.,) nicht mehr fest. Unter besonderen Umständen mag es zwar für tschetschenische Flüchtlinge zumutbar sein, auch ohne Registrierung außerhalb Tschetscheniens Zuflucht zu nehmen, wenn sie hierdurch keinen Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, die mit denen des § 51 Abs. 1 AuslG vergleichbar sind, sie also nicht in eine ausweglose Lage gelangen. Maßgebend hierfür sind die besonderen Umstände des Einzelfalles, etwa die Vermögensverhältnisse des Betroffenen und seiner Familie und seine Fähigkeiten, etwa erlernte Berufe, sowie Kontakte zu ansässig gewordenen Tschetschenen, mittels deren der Betreffende seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Solche Besonderheiten ließen sich hier nicht feststellen. Der Kläger hat zwar seinen Angaben zufolge bei seinem Onkel in einer Schreinerei gearbeitet und dort die Herstellung von Türen und Fenstern erlernt. Diese Befähigung ermöglicht ihm aber nicht ohne weiteres, seinen Lebensunterhalt ohne Registrierung zu verdienen. Für eine selbständige Tätigkeit im Schreinereihandwerk bedarf es sachlicher Mittel für die Einrichtung eines Betriebs und der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel sowie eines Kundenstamms. Seinen im Erstverfahren gemachten Angaben zufolge verfügt er über keine finanziellen Mittel. Auf die Hilfe seiner angeblich im Februar 2000 in Inguschetien gebliebenen Eltern könnte er ebenfalls nicht zurückgreifen, weil über deren Vermögensverhältnisse nichts in Erfahrung zu bringen war und nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie ihn finanziell bei der Existenzgründung außerhalb Tschetscheniens unterstützen könnten. Verwandtschaftliche Kontakte des Klägers in Südrussland konnte das Gericht ebenfalls nicht feststellen.
48 
Ist der Kläger hiernach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung in der Russischen Föderation bedroht, so bedarf es im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen ist (BVerwG, Urt. v. 05.10.1999 - 9 C 31/99 -, InfAuslR 2000, 99 ff. = NVwZ 2000, 332), der Entscheidung, ob der Kläger in der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative hat, wobei nur Tschetschenien verbleibt. Der Gedanke der inländischen Fluchtalternative ist zwar für den Fall entwickelt worden, in dem einem von regionaler politischer Verfolgung Betroffenen ein Ausweichen auf andere Landesteile zumutbar ist, sofern er dort nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, sondern auch vor denjenigen Nachteilen und Gefahren, die ihm im Zeitpunkt seiner Flucht ein Ausweichen unzumutbar machten, und dass ihm auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohen, durch die er in eine ausweglose Lage geriete (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 345 f.; BVerwG, Beschl. v. 16.06.2000, Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 43 m.w.N.; zu Tschetschenien: bejahend OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 4 A 312/00 - m.w.N.; Niedersächs. OVG, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -, AuAS 2004, 2002 ff.; verneinend VG Düsseldorf, Urt. v. 19.05.2003 - 25 K 7112/01.A -; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.03.2004 - A 11 K 12494/03 -, VG Karlsruhe, Urt. v. 06.02.2004 - A 11 K 10284/02 - zu Tschetschenen aus Kabardino-Balkarien; differenzierend VG Karlsruhe, Urt. v. 22.10.2002, a. a. O. u. VG Braunschweig, Urt. v. 24.07.2002  - 8 A 98/02 -). Diese Grundsätze gelten mit Rücksicht auf die landesweite Betrachtungsweise bei der Frage nach der politischen Verfolgung (§ 51 Abs. 1 AuslG) entsprechend, wenn dem Asylbewerber zwar nicht an seinem Herkunftsort, aber in allen anderen Landesteilen politische Verfolgung droht und eine Rückkehr an seinen Heimatort wegen der ihm dort drohenden Gefahren zweifelhaft bzw. unzumutbar ist.
49 
Eine inländische Fluchtalternative setzt Folgendes voraus: Sowohl der vorverfolgt als auch der nicht vorverfolgt Ausgereiste darf nur dann auf einen anderen Landesteil seines Heimatstaats verwiesen werden, wenn er dort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, a.a.O., 346). Dem nicht vorverfolgt Ausgereisten dürfen in diesem anderen Landesteil auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohen, durch die er in eine ausweglose Situation geraten würde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.10.2002 - A 2 S 1517/00 - m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 10.07.1998, a.a.O., 345; zum Existenzminimum BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 B 128/02 -, InfAuslR 2002, 455 ff. = AuAS 2002, 261 ff. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 16.06.2000 - 9 B 255/00 -, Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 34 m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 14.12.1993, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.04.2002, ESVGH 52, 191). Ein verfolgungssicherer Ort bietet dem Ausländer das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann, wenn er durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt Notwendige erlangen kann. Das ist nicht der Fall, wenn der Asylsuchende am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise, welche allerdings die Berücksichtigung individueller Besonderheiten nicht ausschließt, auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger und Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 B 128/02 -, InfAuslR 2002, 455 ff. = AuAS 2002, 261 ff. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 16.06.2000 - 9 B 255/00 -, Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 34 m.w.N.).
50 
Auf der Grundlage dieser Anforderungen ist Tschetschenien kein verfolgungssicherer Ort. Davon geht offenbar auch das Bundesamt in dem im Erstverfahren ergangenen Bescheid vom 23.10.2001 für den damaligen Zeitpunkt aus, in dem es in der Abschiebungsandrohung Tschetschenien ausgenommen hat. Dies macht aber die Feststellung, ob Tschetschenien derzeit ein verfolgungssicherer Ort ist, nicht entbehrlich, weil die Frage, ob dem Kläger landesweit politische Verfolgung droht, nicht durch administrative Entscheidung des Bundesamtes im Erstverfahren entschieden werden kann, erst Recht nicht für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Folgeantragsverfahren bei einem beachtlichen Folgeantrag. Der Kläger ist durch die Einschränkung der Abschiebungsandrohung auf das Gebiet der Russischen Föderation mit Ausnahme Tschetscheniens nur vor einer Abschiebung nach Tschetschenien geschützt. Dies berührt aber nicht die Entscheidung zu § 51 Abs. 1 AuslG. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf es darüber, ob dem Kläger bei Anwendung des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes hinreichend sicher keine politische Verfolgung in Tschetschenien droht, insbesondere ob eine solche Gefahr aus der Willkür staatlicher Verfolgungsmaßnahmen seitens russischer Sicherheitskräfte abzuleiten ist. Ihm drohen jedenfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit andere Nachteile, die ein Ausweichen dorthin unzumutbar machen. Denn das Existenzminimum des Klägers wäre derzeit in Tschetschenien nicht gewahrt. Maßgebend hierfür ist zum einen die bereits dargestellte nicht gewährleistete Sicherheit in Tschetschenien aufgrund militärischer Einsätze und von Übergriffen russischer Sicherheitskräfte auf die tschetschenische Bevölkerung (s.o. S. 8 f.). Eine Arbeitsaufnahme bzw. die Schaffung einer Lebensgrundlage ist unmöglich oder jedenfalls in weiten Gebieten unsicher. Zum anderen ist nach den jüngsten Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Ad hoc-Bericht v. 16.02.2004, S. 21) die Grundversorgung der Bevölkerung in Tschetschenien, insbesondere in Grosny, mit Nahrungsmitteln äußerst mangelhaft. Die Lieferung von Nahrungsmitteln durch internationale Hilfsorganisationen in das Krisengebiet ist nur sehr begrenzt und punktuell möglich. Infrastruktur (Strom, Heizung etc.) und Gesundheitssystem sind nahezu zusammengebrochen. Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist völlig unzureichend. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - sind medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Wichtige medizinische Einrichtungen in Grosny und Umgebung sind nach Augenzeugenberichten stark beschädigt oder zerstört. Der Wiederaufbau verläuft weiterhin sehr schleppend. Der Kläger kann deshalb in Tschetschenien nicht auf die Inanspruchnahme internationaler Hilfslieferungen verwiesen werden. Bei diesen Gegebenheiten wären für eine Abschiebung nach Tschetschenien die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 u. 2 GG gegeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, 328 u. Urt. v. 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, DVBl. 2001, 1531, 1533 m.w.N.). Dem Kläger kann hiernach ein Ausweichen nach Tschetschenien nicht zugemutet werden.
51 
Da dem Kläger hiernach Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zusteht, war die gegenteilige Feststellung des Bundesamtes in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides aufzuheben. Über die gestellten Hilfsanträge bedarf es keiner Entscheidung mehr.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1 AsylVfG.

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