Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 3 K 4416/20

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 30.10.2020 gegen Ziffer 1 der Verfügung des Ordnungs- und Bürgeramtes der Stadt Karlsruhe vom 27.10.2020 wird wiederhergestellt, soweit das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die Teilnehmer der Versammlung angeordnet wird.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine versammlungsrechtliche Auflage, mit der den Teilnehmern aufgegeben wird, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
Die Initiative Querdenken 721 wendet sich nach eigener Darstellung gegen die Einschränkungen der Grundrechte durch die Corona-Verordnungen. Sie führte regelmäßig, zuletzt am 04.10.2020, Kundgebungen auf dem Schlossplatz in Karlsruhe durch. Bisher ordnete die zuständige Behörde für die Teilnehmer der Versammlung nicht das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an. Am 07.10.2020 meldete die Antragstellerin für die Initiative am 31.10.2020 in der Zeit von 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr eine weitere Versammlung zu dem Thema „Querdenken 721 - Fest für Freiheit, Frieden und Liebe“ mit etwa 500 Personen auf dem Schlossplatz an. Mit der Veranstaltung möchte die Initiative sich nach eigenem Bekunden insbesondere gegen die Verpflichtung zum Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung wenden und dies durch deren bewusstes Nichttragen zum Ausdruck bringen.
Mit Bescheid vom 27.10.2020 ordnete das Ordnungs- und Bürgeramt der Stadt Karlsruhe an, dass die Versammlungsteilnehmenden sowie die Ordnerinnen und Ordner eine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen haben (Ziffer 1), regelte Ausnahmen hiervon für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr, für Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, oder wenn ein anderweitiger, mindestens gleichwertiger Schutz für andere Personen (etwa durch Plexiglasabtrennungen) gegeben ist, sowie für die Rednerinnen und Redner der Versammlung zudem, falls ein Mindestabstand von 1,50 Metern zu anderen Personen eingehalten wird oder andere geeignete Infektionsschutzmaßnahmen umgesetzt werden (Ziffer 2), und ordnete die sofortige Vollziehung der Auflage an (Ziffer 3).
Zur Begründung führte die Behörde an: Das Nichtragen einer Mund-Nasen-Bedeckung stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Denn auf dem Schlossplatz gelte bereits aufgrund von § 3 Abs. 1 Nr. 11 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) in der ab 19. Oktober 2020 gültigen Fassung und Ziffer 1 der Allgemeinverfügung des Gesundheitsamtes vom 27.10.2020 über infektionsschützende Maßnahmen bei einer 7-Tages-lnzidenz innerhalb des Stadtkreises Karlsruhe von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner (AV Karlsruhe) eine Maskenpflicht. Auf einer Versammlung ließen sich Menschenansammlungen naturbedingt nicht vermeiden. Bei 500 Versammlungsteilnehmern, die sich über einen längeren Zeitraum an einem Ort aufhalten, sei das Infektionsrisiko hoch. Hinzukomme, dass das Abstandsverhalten auf der Versammlung am 04.10.2020 nach den polizeilichen Feststellungen und dem von einem Bürger vorgelegten Bildmaterial phasenweise kritisch gewesen sei. Die Polizei habe auf die Ordner einwirken müssen; einzelne Teilnehmer hätten in der Folge von der Versammlung ausgeschlossen werden müssen. Die Auflage stelle sich als verhältnismäßig dar. Eine Maske sei geeignet, die Übertragung des Covid19-Virus über den Austausch von Atemluft und Aerosolen zu reduzieren. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich; zumal die Auflage Ausnahmen für bestimmte Fallgruppen regele.
Hiergegen legte die Antragstellerin am 30.10.2020 Widerspruch ein.
Mit dem am 29.10.2020 bei Gericht eingegangenen vorläufigen Rechtsschutzantrag wendet sich die Antragstellerin gegen die Auflage, dass die Teilnehmer der Versammlung eine Mund-Nase-Bedeckung tragen müssen.
Zur Begründung macht sie geltend: Die aktuelle Zahl der Covid19-Infizierten in Karlsruhe rechtfertige nicht die Auflage, auf einer Versammlung im Freien eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen; derzeit gebe es keine Intensivpatienten im betroffenen Stadtteil. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sei zudem gesundheitsgefährdend. Bei den früheren Versammlungen der Initiative habe es eine solche Auflage nicht gegeben; die Initiative habe sich immer tadellos verhalten. Alternativ wäre eine Erhöhung der Sicherheitsabstände auf 2,00 m möglich gewesen. Ein Flatterband stelle sicher, dass auf der Versammlungsfläche kein öffentlicher Publikumsverkehr stattfinde. Schließlich vereitele die Auflage den gerade gegen die Maskenpflicht gerichteten Kundgabezweck.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 30.10.2020 gegen die Ziffer 1 der Verfügung des Ordnungs- und Bürgeramtes der Stadt Karlsruhe vom 27.10.2020 wiederherzustellen, soweit diese das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die Teilnehmer der Versammlung anordnet.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie verteidigt die angefochtene Verfügung und ergänzt: Die angefochtene Auflage gehe über die geltenden Regelungen der CoronaVO und der AV Karlsruhe nicht hinaus. Die Bildaufnahme von der Versammlung am 04.10.2020 belegten, dass die Abstände von den Versammlungsteilnehmern nicht eingehalten würden. Die von der Antragsgegnerin zitierte Entscheidung des VG Stuttgart betreffe keinen vergleichbaren Sachverhalt; die hier angemeldete Zahl von 500 Teilnehmer sei fünfmal höher. Die Versammlungsfreiheit werde nicht unverhältnismäßig berührt. Der Protest gegen die Maskenpflicht bleibe möglich; zudem seien die Redner von der Verpflichtung ausgenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Behörde (VV) Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg. Der Antrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Der Antrag, der bei sachdienlicher Auslegung des Gesamtvorbringens der Antragstellerin (vgl. § 88, § 122 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von der Antragstellerin im Zweitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wirksam eingelegten Widerspruchs gegen die nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbare Ziffer 1 der Verfügung des Ordnungs- und Bürgeramtes der Stadt Karlsruhe vom 27.10.2020 gerichtet ist, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO statthaft.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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2.1 Zwar genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides dem besonderen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Diese Begründung erfordert eine auf den konkreten Fall abgestellte schlüssige und substantiierte und nicht lediglich formelhafte Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist und dass hinter dieses öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (VGH Mannheim, Beschluss vom 29.06.2018 – 5 S 548/18 – juris, Rn. 8). Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Sie legt dar, dass nach Auffassung der Behörde mit der Durchführung einer Versammlung ohne Auflagen ein hohes Infektionspotenzial und damit eine Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Versammlungsteilnehmern und Nichtteilnehmern verbunden ist, die für die Dauer eines Widerspruchs- und Klageverfahrens nicht hingenommen werden könne.
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2.2 Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Auflage tritt jedoch hinter das Interesse der Antragstellerin zurück, vorläufig von deren Wirkungen verschont zu bleiben. Denn Ziffer 1 der Verfügung vom 27.10.2020 erweist sich, soweit sie angefochten wird, bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen und allein gebotenen summarischen Prüfung im Ergebnis als rechtswidrig.
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Gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Hier liegen zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vor (2.2.1); die behördliche Entscheidung erweist sich indes als ermessensfehlerhaft, da die angefochtene Auflage sich als unverhältnismäßig darstellt (2.2.2).
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2.2.1 Die angefochtene Verfügung bejaht im Ergebnis zutreffend eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
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2.2.1.1 Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris; Beschluss vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94, NVwZ 1998, 834 ff.).
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Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris). Art. 8 Abs. 1 GG umfasst das Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung.
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Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (VGH Mannheim, Beschluss vom 16.05.2020 - 1 S 1541/20, juris, Rn. 4).
25 
2.2.1.2 Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
26 
2.2.1.2.1 Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin wird eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit indes nicht bereits durch einen zu erwartenden Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Nr. 11 CoronaVO und Ziffer 1 AV Karlsruhe begründet.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 11 CoronaVO muss innerhalb von Fußgängerbereichen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c Straßengesetz eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden, es sei denn, es ist sichergestellt, dass der Mindestabstand nach § 2 Abs. 2 Satz 1 CoronaVO eingehalten werden kann. Ziffer 1 AV Karlsruhe bestimmt, dass auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen sowie auf allgemein zugänglichen Spiel- Sport- und Festplätzen innerhalb des Stadtgebiets der Stadt Karlsruhe eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ist (Maskenpflicht), es sei denn, es ist sichergestellt, dass der Mindestabstand nach § 2 Abs. 2 Satz 1 CoronaVO, zu anderen Personen eingehalten werden kann.
28 
Nach der Systematik der Corona-VO, an die auch die AV Karlsruhe anknüpft, finden diese Vorschriften auf Versammlungen keine Anwendung. Denn die Versammlungen nach Art. 8 GG werden in § 11 Corona-VO besonders geregelt. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Corona-VO hat die Versammlungsleitung auf die Einhaltung der Abstandsregel nach § 2 Corona-VO hinzuwirken. Die in § 3 Corona-VO geregelte Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung findet hierbei dagegen keine Erwähnung. Die zuständigen Behörden können diese daher auf der Grundlage des § 11 Abs. 2 Satz 2 Corona-VO – wie auch die insoweit explizit genannten Hygieneanforderungen nach § 4 Corona-VO – nur im Wege einer weiteren Auflage anordnen.
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2.2.1.2.2 Die Antragsgegnerin hat jedoch zu Recht eine hohe Gefahr für das verfassungsrechtlich geschützte Leben und die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen bejaht.
30 
Die Ausbreitung des Covid19-Virus ist von der Weltgesundheitsorganisation als Pandemie eingestuft worden. Nach der aktuellen Risikobewertung des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 07.10.2020 handelt es sich bei der Corona-Pandemie um eine weltweit auch in Deutschland sehr dynamische und ernstzunehmende Situation (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Risikobewertung.html). Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Zahl der Infizierten nimmt im gesamten Bundesgebiet aktuell stark zu; es kommt bundesweit zu einem beschleunigten Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung. Der tägliche Lagebericht des RKI vom 29.10.2020 (www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartloes Coronavirus/Situationsberichte/Okt 2020/2020-1 Q-22-de.pdf? blob=publicationFile1) weist für Baden-Württemberg eine 7-Tage-Inzidenz von aktuell 95,9 Fällen pro 100,000 Einwohner aus. In der Stadt Karlsruhe liegt die 7-Tage-lnzidenz am 30.10.2020 bei 115,4 Infizierten auf 100.000 Einwohnern (https://corona.karlsruhe.de/content/stats/Fallzahlen_Tabellenform_20201030.pdf).
31 
Nach dem Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 16.10.2020 beruht die exponentiell verlaufende Verbreitung des Virus darauf, dass das Virus besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und Aerosolen von Mensch zu Mensch übertragbar ist (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html) und gegenwärtig nur durch eine Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann.
32 
Danach ist offensichtlich, dass in der gegenwärtigen Lage bei einem ungeregelten Zusammentreffen von sehr vielen Menschen im Rahmen einer Versammlung eine erhebliche Gefährdung der Rechtsgüter von Leib und Leben zu besorgen ist.
33 
2.2.2 Die Auflage, wonach alle Teilnehmer der Versammlung der Antragstellerin eine Mund-Nase-Bedeckung tragen müssen, erweist sich jedoch als ermessensfehlerhaft (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), da sie unverhältnismäßig in die Versammlungsfreiheit eingreift.
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2.2.2.1 Zwar ist eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen- Bedeckung für alle Versammlungsteilnehmer grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Erreichung des legitimen Zwecks des Gesundheitsschutzes. Ein Mittel ist bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird. Dies ist hier der Fall. Die streitgegenständliche Anordnung beruht im Wesentlichen auf der Grundannahme, dass sich das Coronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen bei direkten persönlichen Kontakten im Wege einer Tröpfcheninfektion oder über Aerosole, die längere Zeit in der Umgebungsluft schweben, besonders leicht von Mensch zu Mensch verbreitet. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen im Umkreis von ein bis zwei Metern um eine infizierte Person, herum erhöht (RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Übertragungswege; www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges Coronavirus/Steckbrief, Stand: 16.10.2020). Nach den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts ist bei dem derzeitigen Erkenntnisstand davon auszugehen, dass auch privat hergestellte textile Mund-Nase-Bedeckungen eine Filterwirkung auf feine Tröpfchen und Partikel entfalten können, die als Fremdschutz zu einer Reduzierung der Ausscheidung von Atemwegsviren über die Ausatemluft führen kann. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung kann damit einen Beitrag zur weiteren Verlangsamung der Ausbreitung des von Mensch zu Mensch übertragbaren Coronavirus leisten (RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavlrus-Krankhelt-2019 (COVID-19), Übertragungswege; https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792).
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2.2.2.2 Die Anordnung, dass alle Versammlungsteilnehmer eine Mund-Nasenbedeckung tragen erweist sich jedoch bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen und allein gebotenen summarischen Prüfung als nicht erforderlich.
36 
Denn mit der konsequenten Einhaltung eines physischen Mindestabstandes von 1,5 m gibt es ein anderes, ebenso geeignetes Mittel, um das Ansteckungsrisiko unter freiem Himmel gleich wirksam reduzieren. Die Antragstellerin hat sogar angeboten, die Abstände zwischen den Versammlungsteilnehmern auf zwei Meter zu erhöhen, um den Mindestabstand jederzeit sicherzustellen.
37 
Hiervon geht, gestützt auf die Einschätzung des RKI, auch die Landesregierung Baden-Württemberg aus. § 2 Abs. 2 Corona-VO erachtet im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 m als ausreichend. Nur für den Fall, dass dessen Einhaltung nicht sichergestellt ist, ordnet § 3 Abs. 1 Nr. 11 Corona-VO innerhalb von Fußgängerbereichen das verpflichtende Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an. Das RKI empfiehlt das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum bei Menschenansammlungen im Freien, wenn der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten wird (RKI, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2/Krankheit COVID-19, Stand: 27.10,2020; https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html).
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Die Kammer geht davon aus, dass aufgrund des stationären Charakters der Versammlung, einer Teilnehmerzahl von 500 Personen und der polizeilichen Feststellungen zu der vorangegangenen Versammlung am 04.10.2020 die vorgeschriebenen Abstandsregeln eingehalten werden können.
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Zunächst hat die Antragsgegnerin nicht geltend gemacht, dass es auf der Fläche des Schlossplatzes bereits aufgrund der Zahl von 500 Versammlungsteilnehmern tatsächlich ausgeschlossen ist, den Mindestabstand von 1,5, m einzuhalten. Die Stellungnahme des Polizeipräsidiums vom 09.10.2020 bejaht die Eignung des Schlossplatzes für eine Teilnehmerzahl von 1.000 Personen (Bl. 15 VV).
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Die Antragsgegnerin hat auch nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass bei der gebotenen Prognose davon auszugehen ist, dass die Teilnehmer der Versammlung der Abstandspflicht voraussichtlich nicht nachkommen werden. Es fehlt an aussagekräftigen behördlichen Feststellungen, dass bei der Versammlung am 04.10.2020 nicht nur in Einzelfällen gegen die Abstandspflicht verstoßen wurde. Zwar hat die Antragsgegnerin einzelne Bildaufnahmen eines Passanten vorgelegt, auf denen zu sehen ist, dass der Abstand von 1,5 m von den Teilnehmern nicht konsequent eingehalten wurde. Zeitpunkt und Umstände der Bildaufnahmen und damit auch die genaue Zahl und Dauer möglicher Verstöße gegen § 2 Abs. 2 Corona-VO bleiben indes unklar. Die Meldung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 08.10.2020 stellt dagegen fest, dass die Versammlungen am 04.10.2020, abgesehen von geringfügigen Störungen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Corona-VO durch Teilnehmer der ‚Querdenker‘-Versammlung, störungsfrei verliefen (Bl. 13 VV). In der ergänzenden Stellungnahme vom 09.10.2020 heißt es, dass wiederholt auf die Einhaltung der coronabedingten Auflagen (Tragen von Mund-Nase-Schutz sowie Abstandsverhalten der Teilnehmer) hingewiesen werden musste, die Versammlungsleitung sich jedoch bemüht zeigte, den Anforderungen unverzüglich Folge zu leisten (Bl. 15 VV). Dem polizeilichen Einsatzbericht vom 04.10.2020 ist schließlich zu entnehmen, dass das Abstandsverhalten phasenweise kritisch war, so dass mehrfach auf die Ordnerleitung eingewirkt werden musste, um die Abstände entsprechend einhalten zu können; letztlich habe sich dies jedoch akzeptabel gestaltet (Bl. 28 VV); bei 600 Versammlungsteilnehmern wurde lediglich ein Verstoß gegen die Corona-VO polizeilich festgestellt (Bl. 29 VV).
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Mit Blick auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG), von der die Antragstellerin gerade in der Weise Gebrauch machen möchte, dass sie ihre ablehnende Haltung gegenüber der Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, durch deren Nichtragen während der Versammlung Ausdruck verleiht, ist die verpflichtende Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes für alle Teilnehmer auf der Grundlage dieser polizeilichen Feststellungen bei summarischer Prüfung nicht gerechtfertigt. Vielmehr lässt sich den polizeilichen Berichten entnehmen, dass den nur vereinzelten Verstößen von Teilnehmern der Versammlung am 04.10.2020 in der Vergangenheit durch das Einwirken auf die Ordner und die Versammlungsleitung im Ergebnis erfolgreich begegnet werden konnte. Die Antragsgegnerin zeigt nicht auf, warum dies nicht auch am 31.10.2020 gelingen sollte.
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Im Übrigen bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, kurzfristig, in Abhängigkeit vom konkreten Versammlungsgeschehen weitergehende Auflagen zu erlassen, sollte die Abstandspflicht in erheblichem Umfange tatsächlich nicht eingehalten werden.
43 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
44 
4. Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 45.4 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05/01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen. Eine Reduzierung des hälftigen Auffangstreitwertes war nicht geboten, da das Begehren der Antragstellerin in der Sache auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.

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