Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 21 K 10593/97
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 04.07.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.1997 verpflichtet, dem Kläger Hilfe zur Pflege auf der Grundlage der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04. bis 24.06.1997 zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger erhält seit dem 25.08.1994 im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG Sozialhilfe. Er lebt im Pflegeheim T. in X. . Mit Bescheid vom 28.11.1996 stufte die AOK H. als zuständige Pflegekasse den Kläger rückwirkend ab dem 01.07.1996 in die Pflegestufe I ein. Mit Bescheid des Beklagten vom 20.12.1996 wurden die Leis- tungen der Sozialhilfe rückwirkend zum 01.07.1996 dem veränderten Bedarf angepasst.
3Mit Bescheid vom 19.06.1997 stufte die AOK H. den Kläger ab dem 01.04.1997 in die Pflegestufe II ein. Das Schreiben, mit dem das T. . -Heim dem Beklagten davon Mitteilung machte, ging am 25.06.1997 bei dem Beklagten ein.
4Aufgrund der Veränderung der Pflegestufe wurde die ergänzende Hilfe für den Kläger mit Bescheid vom 04.07.1997 neu festgesetzt. Dabei wurde der erhöhte Pflegesatz ab dem 25.06.1997 berücksichtigt.
5Hiergegen legte der Kläger rechtzeitig Widerspruch ein, den der Landschaftsverband Rheinland mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.1997 als unbegründet zurückwies.
6Am 28.11.1997 hat der Kläger Klage erhoben.
7Er vertritt die Auffassung, ihm stünden die auf Grund der Einstufung in die Pflegestufe II geänderten Sozialhilfeleistungen bereits ab dem 01.04.1997 zu. Aufgrund der in § 68 a BSHG festgelegten Bindungswirkung sei die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit des Klägers auch hin- sichtlich des Zeitpunktes der sozialhilferechtlichen Entscheidung über die Hilfe zur Pflege zugrunde zu legen. Der Beklagte könne sich nicht auf die Regelung des § 5 BSHG berufen. Die Vorschrift des § 5 BSHG beziehe sich sinngemäß nur auf die Kenntnis der Sozialhilfebedürftigkeit an sich, nicht aber auf die Höhe des aktuellen Umfanges der Hilfe. Denn aufgrund des im Sozialhilferecht geltenden Gesamtfallgrundsatzes treffe den Sozialhilfeträger mit dem Bekanntwerden des Sozialhilfefalles die Pflicht, alle in Betracht kommenden Hilfemöglichkeiten und damit den Sozialhilfefall im Ganzen zu prüfen. Da bei einem pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger grundsätzlich immer mit einer Veränderung des Pflegezustandes zu rechnen sei, sei von dem Sozialhilfeträger regelmäßig die Frage der Höhe des Pflegegeldes zu überwachen. Die Mitteilung von der veränderten Einstufung des Klägers in die Pflegestufe II betreffe daher nur den Umfang der bereits gewährten Leistung und sei daher ab dem Zeitpunkt der veränderten Einstufung zu berücksichtigen.
8Der Kläger beantragt,
9unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 04.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landschaftsverbandes Rheinland vom 29.10.1997 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Hilfe zur Pflege auf der Grundlage der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.1997 bis 24.06.1997 zu gewähren.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Er vertritt die Auffassung, die Bindungswirkung des § 68 a BSHG beziehe sich nur auf das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit, nicht aber auch auf den Zeitpunkt des Leistungsbeginns. Etwas anderes lasse sich auch nicht aus § 5 BSHG herleiten. Die für den Leistungsbeginn notwendige Kenntnis des Sozialhilfeträgers nach § 5 BSHG beziehe sich auch auf den konkreten Bedarf, nicht nur auf die allgemeine So- zialhilfebedürftigkeit.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Klage ist zulässig und begründet.
16Der Bescheid des Beklagten vom 04.07.1997 in der Gestalt des Wi- derspruchsbescheides des Landschaftsverbandes Rheinland vom 29.10.1997 ist teilweise rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege auf der Grundlage der Pflegestufe II auch für die Zeit vom 01.04.1997 bis 24.06.1997.
17Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG hat. Es ist zwischen den Beteiligten weiterhin unstreitig, dass der Kläger nach der Entscheidung der für ihn zuständigen Pflegekasse ab dem 01.04.1997 entsprechend § 15 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI in die Pflegestufe II eingeordnet ist. Die zum 01.04.1997 erfolgte Einordnung in die Pflegestufe II ist aber - entgegen der von dem Beklagten vertretenen Auffassung - ab diesem Zeitpunkt auch den Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 68 ff BSHG durch den Beklagten zug- rundezulegen und nicht erst ab Kenntniserlangung des Beklagten vom veränderten Ausmaß der Pflegebedürftigkeit mit der Folge, daß ihm Hilfe zur Pflege auf der Grundlage der Pflegestufe II bereits für die Zeit vom 01.04.1997 bis 24.06.1997 zusteht.
18Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
19Nach § 68 a BSHG ist der Sozialhilfeträger an die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit gebunden, soweit die Entscheidung auf Tatsachen beruht, die bei beiden Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Mit der hiernach gesetzlich festgelegten Bindung des Sozialhilfeträgers an die - getroffene - Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI ist eine einheitliche Entscheidung beider Stellen - der Pflegekasse und des Sozialhilfeträgers - über diesen Sachverhalt bezweckt. Der Träger der Sozialhilfe ist in den Fällen, in denen Entscheidungen beider Träger auf denselben Tatsachen beruhen und eine Entscheidung der Pfle- gekasse vorliegt, nicht befugt und nicht verpflichtet, in entsprechende eigene Prüfungen einzutreten. Ein vom Hilfebedürftigen bei dem Sozialhilfeträger gestellter Antrag auf Erhöhung der Hilfe zur Pflege kann damit eigene Ermittlungen des Sozialhilfeträgers über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht auslösen, sondern geht ins Leere. Diese Ermittlungen obliegen insoweit ausschliesslich der zuständigen Pflegekasse, die der Sozialhilfeträger nach § 68 a BSHG zu übernehmen hat. Dabei erstrecken sich die Ermittlungen der Pflegekasse nicht nur auf das Krankheitsbild und seine Auswirkungen auf das Maß der Hilfebedürftigkeit, sondern auch auf den Zeitpunkt der Veränderung der Hilfebedürftigkeit. Übernimmt aber die jeweilige Pflegekasse - auch für den Sozialhilfeträger - die Ermittlungen zum Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und schreibt sie durch seine Entscheidung fest, sind sie, da sie der Sozialhilfeträger nach der Regelung des § 68 a BSHG für seine Entscheidung über die Höhe der Hilfe zur Pflege nach §§ 68 ff BSHG zu übernehmen hat, wie dessen eigene Ermittlungen des der Entscheidung nach § 68 BSHG zugrunde- liegenden Sachverhalts zu werten. Da die dem Sozialhilfeträger zuzurechnenden Ermittlungen der Pflegekasse aber nicht teilbar sind, ist die Entscheidung der Pflegekasse nicht nur hinsichtlich der Aussage über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit sondern, auch über den Zeitpunkt des Eintritts des veränderten Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit für den Sozialhilfeträger bindend, also unabhängig davon, wann die Entscheidung der Pflegekasse dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird.
20Der Bindung des Sozialhilfeträgers nach § 68 a BSHG an die Entscheidung der Pflegekasse nicht nur hinsichtlich des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit, sondern auch hinsichtlich des Zeitpunktes der Veränderung der Pflegebedürftigkeit steht der Grundsatz des § 5 BSHG, wonach Sozialhilfe erst bei Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Hilfebedürftigkeit einsetzt, nicht entgegen. Da die Ermittlungen der Pflegekasse dem Sozialhilfeträger wie eigene zuzurechnen sind, ist die Kenntnis der Pflegekasse von Zeitpunkt und Ausmaß der - veränderten - Hilfebedürftigkeit der Kenntnis des Sozialhilfeträgers gleichzusetzen. Dem Grundsatz aus § 5 BSHG ist damit letztlich Genüge getan. Es kann zwar nicht in Abrede gestellt werden, dass das gefundene Ergebnis zur Folge hat, dass für den Sozialhilfeträger in den Fällen rückwirkender Einstufung in eine höhere Pflegestufe erhebliche Kosten entstehen; dieser Nachteil wird aber dadurch ausgeglichen, dass das durch § 68 a BSHG vorgesehene Verfahren bei dem Sozialhilfeträger nicht nur Personalkosten, sondern auch erhebliche Kosten von - Wiederholungs - Gutachten erspart. Hinzukommt, dass eine andere Interpretation des § 68 a BSHG zu unbilligen Ergebnissen führen würde. Die Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Pflegekasse nach § 68a BSHG setzt eine rechtskräftige Entscheidung der Pflegekasse voraus. Bei einer späten Entscheidung der Pflegekasse etwa wegen länger andauernder Ermittlungen und gegebenenfalls anschließendem Streit über das gefundene Ergebnis entstünde eine große Diskrepanz zwischen den Leistungen des Sozialhilfeträgers und denen der Pflegekasse, die letztlich wegen des Grundsatzes, dass es keine Schuldenübernahme im Sozialhilferecht gibt, denjenigen träfe, der die eigentlich Pflegeleistung erbringt.
21Schließlich ist der Zweck des § 5 BSHG nicht berührt, wenn der Träger der Sozialhilfe erst durch die Übersendung eines Bescheides der Pflegekasse von einem auch für die zurückliegende Zeit entstandenen höheren Bedarf des Hilfeempfängers Kenntnis erlangt und dadurch veranlaßt wird, letztlich Schulden zu übernehmen. Denn anders als bei sonstigen Sozialhilfefällen kann der Träger der Sozialhilfe in einem Fall der vorliegenden Art bei einem an ihn gerichteten Antrag auf Erhöhung der Pflegestufe weder selbst Ermittlungen einleiten noch in anderer Weise auf Art und Maß der Hilfe Einfluss nehmen. Die Kenntnis von dem Verfahren wegen Er- höhung der Pflegestufe wäre demnach nicht geeignet, irgendwelche Reaktionen des Trägers der Sozialhilfe auszulösen, und deshalb unerheblich.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.