Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 2 K 1217/98
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
1
T a t b e s t a n d
2Der Beigeladene erhielt mit Bescheid vom 22.01.1997 die Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes mittlerer Höhe, nachdem er auf die Ausnutzung einer insoweit im Jahre 1996 erteilten Baugenehmigung verzichtet hatte. Dagegen legten die Kläger, die sich bereits gegen die frühere Baugenehmigung gewandt hatten, Widerspruch ein. Im wesentlichen machten sie Verstöße gegen § 6 BauO NRW sowie das Rücksichtnahmegebot geltend. Einen Antrag der Kläger auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes lehnte die Kammer mit Beschluss vom 23.04.1997 - 2 L 1224/97 - ab. Unter dem 09.09.1997 wurde eine Nachtragsbaugenehmigung erteilt (Rückstaffelung und Verzicht auf den Aufzug im Dachgeschoss), die die Kläger ebenfalls mit einem Widerspruch anfochten. Die Widersprüche wurden mit Bescheiden der Bezirksregierung Köln vom 13. und 14.01.1998 zurückgewiesen.
3Dagegen haben die Kläger rechtzeitig Klage erhoben. In planungsrechtlicher Hinsicht liege ein Verstoß gegen § 13 BauNVO vor, da nahezu 50% der Nutzfläche Bürozwecken diene, wobei diese Fläche teilweise nicht ausreichend konkretisiert sei. Des Weiteren liege - und zwar unabhängig von der Frage der Einhaltung der Abstandsflächen - ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Denn das Gebäude erstrecke sich nahezu über die gesamte Grundstückstiefe. Die Ausrichtung des Gebäudes, auch dokumentiert durch die Abrundungen der beiden Flügel, erfolge primär in Richtung der Ruhe- und Gartenzone des klägerischen Grundstückes. Die Lage westlich und südwestlich des klägerischen Grundstückes führe zu einer nachhaltigen Verschattung. Die Ausrichtung des Gebäudes und die Anordnung der Fenster ließen jede Rücksichtnahme auf das Gebäude bzw. das Grundstück der Kläger vermissen. Eine derartige Bebauung sei in der Umgebung beispiellos. Das Vorhaben verstoße außerdem in mehrfacher Hinsicht gegen § 6 BauO NRW. In Bezug auf die Abstandsfläche T 9 könne das Schmalseitenprivileg nicht in Anspruch genommen werden, da der entsprechende Wandteil mit der Wand im Bereich der Abstandsflächen T 13 und T 14 nicht als "eine Wand" im Sinne des § 6 Abs. 6 S. 3 BauO NRW bewertet werden könne. Bei der entsprechenden Begriffsbestimmung sei von einer funktionellen Betrachtungsweise auszugehen. Das Vorhaben bestehe aus 2 aneinander gebauten Flügeln. Beide Gebäudeteile stellten selbständig nutzbare Einheiten dar, die durch das sie erschließende Treppenhaus voneinander getrennt würden. Die östliche Außenwand des östlichen Gebäudeteils sowie die östliche Außenwand des westlichen Gebäudeteils könnten bei diesen Gegebenheiten nicht mehr als eine in sich gegliederte Außenwand bewertet werden. Außerdem sei bei Berechnung der Abstandsfläche im Bereich T 9 die genehmigte Abgrabung nicht in der erforderlichen Weise berücksichtigt worden. Bei Berechnung der Abstandsflächen T 13 und 14 sei schließlich zu beachten, dass neben dem straßennah befindlichen Höhenpunkt 50.80 in ganz geringer Entfernung ein Höhenpunkt 51.00 eingezeichnet sei. Die Kammer habe aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der Ermittlung der mittleren Geländeoberfläche lediglich den Höhenpunkt 50.80 zugrunde gelegt. Die Kläger beantragen,
4die Baugenehmigung des Beklagten vom 22.01.1997 in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 09.09.1997 sowie die Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Köln vom 13. und 14.01.1998 aufzuheben.
5Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,
6die Klage abzuweisen.
7Sie treten der Argumentation der Kläger entgegen und vertiefen ihre Ausführungen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes.
8Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
9E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
10Die Klage ist unbegründet.
11Die Baugenehmigung des Beklagten vom 22.01.1997 in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 09.09.1997 verletzt keine öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte der Kläger.
12Das streitige Vorhaben verstößt nicht zu Lasten der Kläger gegen Abstandsflächenvorschriften.
13Zunächst liegt im Bereich der Abstandsfläche T 9 kein entsprechender Verstoß vor. Dort kann das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen werden, weil es sich bei diesem Wandteil sowie dem Wandteil im Bereich der Abstandsflächen T 13 und 14 um eine Wand im Sinne des § 6 Abs. 6 S. 3 BauO NRW handelt. Zum Verständnis dieser Vorschrift erscheint es geboten, sich den Hintergrund dieser 1995 erfolgten Neufassung in Erinnerung zu rufen. Seinerzeit war unter den Bausenaten des OVG NRW umstritten, ob zu einer Grundstücksseite hin ausgerichtete Wandteile in Bezug auf die Möglichkeit, das Schmalseitenprivileg in Anspruch nehmen zu können, als eine oder mehrere Außenwände zu bewerten waren.
14Vgl. einerseits etwa OVG NRW, Beschluss vom 01.02.1988 - 10 B 3791/87 - (Schmalseitenpriveleg kann für jedes Wandglied gesondert in Anspruch genommen werden), anderer- seits OVG NRW, Beschluss vom 05.07.1985 - 7 B 876/85 -, BRS 44 Nr. 144 und vom 29.11.1985 - 7 B 2402/85 -, BRS 44 Nr. 101 (gegliederte Wand ist eine Außenwand). Mit der Neufassung des § 6 Abs. 6 BauO NRW ist die Sicht des 7. Senats gesetzlich verankert worden. Dieser hat seinerzeit zu Recht angenommen, dass als Außenwand die gesamte zu einer Grundstücksgrenze hin ausgerichtete Gebäudeabschlusswand zu verstehen ist, mag sie auch in sich gegliedert sein. Zur weiteren Begründung hat der 7. Senat (im Hinblick auf die damalige Fassung des § 6 Abs. 6 BauO NRW) darauf hingewiesen, dass es anderenfalls möglich sei, durch eine gewisse Wandgliederung gegenüber einem Nachbargrundstück das Schmalseitenpriveleg bis zu einer Wandlänge von insgesamt 32 Metern in Anspruch zu nehmen. Zwar ist diese Möglichkeit nunmehr durch § 6 Abs. 6 S. 4 BauO NRW ausdrücklich ausgeschlossen. Dies ändert aber nichts an der Richtigkeit des damaligen Ansatzes, nämlich für die Bewertung der hier maßgeblichen Frage vorrangig daran anzuknüpfen, ob Wandteile zu einer Grundstücksgrenze hin ausgerichtet sind und damit auch zugleich die Wirkung auf das Nachbargrundstück in den Blick zu nehmen. Denn für den Nachbarn ist es unter dem Aspekt des Sozialabstandes weniger von Bedeutung, wie stark Wandteile gegliedert sind, sondern entscheidend, wie die Wandteile, für die das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen werden soll, zu seinem Grundstück hin ausgerichtet sind. Von daher ist bislang auch nicht eine bautechnische oder - entsprechend der Argumentation der Kläger - funktionelle Betrachtung in den Vordergrund gestellt worden. So ist beispielsweise bisher nicht zweifelhaft gewesen, dass bei einem Vorhaben, welches aus 2 Gebäudeteilen mit jeweils 8 Meter langen (zu einer Grundstücksgrenze hin ausgerichteten) Außenwandteilen besteht, die wiederum durch eine bis zu einem Meter aus dem vorhandenen Gelände herausragende Tiefgarage verbunden sind, für die beiden 8 Meter langen Wandteile das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen werden kann, obwohl es sich bautechnisch zweifelsfrei um 2 Außenwände handelt. Nichts anderes gilt, wenn entsprechende Wandteile hintereinander gestaffelt sind. In dieses Bewertungssystem lassen sich zwar einzelne Entscheidungen des 7. Senates des OVG NRW nicht ohne Weiteres einordnen, die für die Abgrenzung auf eine "natürliche Betrachtungsweise" abstellen und dann trotz der Ausrichtung von Wandteilen zu einer Grundstücksgrenze zur Annahme von gesonderten Außenwänden gelangen,
15vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26.04.1995 - 7 B 487/95 -.
16Gleichwohl sieht die Kammer die vorgenannten Kriterien als maßgeblich an und hält von daher an ihrer im Beschluss vom 23.04.1997 - 2 L 1224/97 - vertretenen Auffassung fest, dass hier die Wandflächen im Bereich der Abstandsfläche T 9 und T 13 und 14 eine Wand im Sinne des § 6 Abs. 6 BauO NRW darstellen.
17Bezüglich der Abstandsfläche T 9 greift auch das Argument nicht durch, der Bezugspunkt für die Bemessung der Wandhöhe sei unzutreffend gewählt worden. Denn auch wenn man hier insgesamt die niedrigste Geländehöhe (49.00) zugrunde legt, wird - mit Schmalseitenprivileg - ohne Weiteres die Abstandsfläche eingehalten.
18Soweit die Kläger meinen, dass die Abstandsfläche im Bereich T 13 und 14 zu ihren Lasten falsch berechnet worden sei, weil an der nordöstlichen Gebäudeecke unzutreffender Weise nur der Höhenpunkt 50.80, nicht aber der danebenliegende Höhenpunkt 51.00 mit berücksichtigt worden sei, greift dies nicht durch. Denn bezieht man den höherliegenden Geländepunkt 51.00 mit ein, werden die Wandhöhe und damit auch die Abstandsfläche nicht größer, sondern kleiner.
19Weitere Verstöße gegen nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften sind nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich.
20In planungsrechtlicher Hinsicht liegt kein Verstoß gegen § 13 BauNVO vor. Denn schon bei überschlägiger Gegenüberstellung der für eine Büronutzung in Betracht kommenden Flächen zur Gesamtnutzfläche ergibt sich, dass die genehmigte Büronutzung jedenfalls deutlich unter 50% liegt. Im Kellergeschoss beläuft sich (unter Einbeziehung des Hobby-/Büroraums und des Filmraums) die Bürofläche auf ca. 69 m² (Gesamtnutzfläche 156 m²), das Erdgeschoss ist insgesamt der Büronutzung vorbehalten, das erste Obergeschoss und das Dachgeschoss dienen ausschließlich der Wohnnutzung, während im zweiten Obergeschoss die Bürofläche ca. 44,80 m² beträgt (Gesamtnutzfläche 191 m²), so dass auf der Grundlage der in der Akte befindlichen Flächenberechnung sich ungefähr eine Bürofläche von 270 m² im Verhältnis zu einer Gesamtnutzfläche von 739 m² ergibt. Im übrigen enthält die Baugenehmigung vom 22.01.1997 die Bedingung, dass ausschließlich eine Büronutzung im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 13 BauNVO zulässig ist.
21Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liegt ebenfalls nicht vor. Ein solcher scheidet aus tatsächlichen Gründen in der Regel mit der Einhaltung der Abstandsflächen nach Landesrecht aus, soweit es um die Belange der Belichtung, der Belüftung, des Brandschutzes und des Sozialabstandes geht,
22vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128.98 -, ZfBR 1999, 169. Regelmäßig bleibt deshalb im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme nur die sogenannte "erdrückende Wirkung" zu prüfen. Dies bedeutet, dass im Einzelfall ein Vorhaben trotz Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften auf das Nachbargrundstück in der Weise einwirkt, dass es geradezu eingemauert wird. Diese Wirkung ist der Rechtsprechung erst bei gravierenden Höhen- und Breitenunterschieden auf den jeweiligen unmittelbar benachbarten Grundstücken angenommen worden.
23Vgl. Ernst/Zinkhahn/Bielenberg, BauGB, § 34 Anm. 127, 129; OVG NRW, Beschluss vom 12.07.1991 - 10 B 1547/91 - (betr.) Wand von 8 m Höhe und 45 m Länge); OVG NRW, Beschluss vom 22.05.1991 - 11 B 3358/90 - (44 m langes Gebäude im Abstand von 4 m zur Grundstücksgrenze bei einer Traufhöhe von 4,50 m); OVG NRW, Beschluss vom 08.05.1991 - 11 B 668/91 - (an die Grenze gebautes zwei- oder dreigeschossiges Gebäude). Von dem Vorhaben des Beigeladenen geht bei weitem keine "erdrückende Wirkung" in Bezug auf das Grundstück der Kläger aus. Es wirkt in diese Richtung hin objektiv nicht besonders massiv. Der Umstand, dass die Kläger sich durch die Nord-Süd- Ausrichtung des Gebäudes (die benachbarten Häuser sind - soweit ersichtlich - in West-Ost-Richtung erstellt) und die entsprechende Ausrichtung der Fenster gestört fühlen, ändert daran nichts. Denn soweit die Kläger sich damit gegen die gesteigerte Einsehbarkeit ihres Grundstücks wenden wollen, ist dies planungsrechtlich nicht relevant. Die Möglichkeit, von einem Gebäude in andere Grundstücke Einsicht zu nehmen, ist schon kein Kriterium zur Beurteilung der Frage, ob sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einfügt.
24BVerwG, Beschluss vom 24.04.1989 - 4 B 72.89 -, Brs. 49 Nr. 85; OVG NRW, Beschluss vom 25.06.1995 - 7 B 1029/95 -,
25und dementsprechend auch im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme nicht relevant. Auch insoweit kann grundsätzlich keine Rücksichtnahme verlangt werden, die über den Schutz hinausgeht, der diesen Interessen durch die Abstandsvorschriften zuteil wird.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 -, BRS 55 Nr. 168; OVG NRW, Beschluss vom 25.06.1995 - 7 B 1029/95 -.
27Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen erstattet werden, denn er hat einen Antrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt.
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