Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 20 L 2374/00
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. 2. Der Streitwert wird auf 4.250,00 DM festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 02. Oktober 2000 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. September 2000 hinsichtlich der damit verfügten Meldeauflage wiederher- zustellen und hinsichtlich des angedrohten Zwangsgeldes anzuordnen,
4ist unbegründet.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschieben- de Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage ganz oder teilweise wiederherstel- len, wenn die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist - das ist hier der Fall hinsichtlich der Meldeauflage, für die der Antragsgegner in einer dem § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise das besondere öffentliche Interesse begründet hat - bzw. anordnen, wenn eine behördliche Maß- nahme kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist - wie hier die Androhung eines Zwangs- geldes i.H.v. 1.000,00 DM gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 8 AG VwGO NRW. Der Antrag ist unbegründet, wenn der Widerspruch bzw. die Klage offensichtlich aussichtslos ist, weil bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Interesse an der Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht kommt. Er hat dagegen Erfolg, wenn die Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt oder - soweit eine offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht festgestellt wer- den kann - wenn das private Interesse des Antragstellers daran, von der Vollziehung der Ordnungsverfügung vorerst verschont zu werden, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung aus sonstigen Gründen überwiegt.
6Gemessen an diesen Voraussetzungen überwiegt hier bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollzie- hung.
7Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kann allerdings weder eine offensichtliche Rechtmäßigkeit noch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung des Antragsgegners festgestellt werden:
8Was die formelle Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung anbetrifft, ist anzumer- ken, daß der Antragsteller vor Erlaß der belastenden Maßnahme nicht gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW von dem hier zuständigen Antragsgegner angehört worden ist; für eine Sachlage, bei der nach Abs. 2 der Vorschrift von einer Anhörung abgesehen werden kann, ist weder etwas ersichtlich noch vorgetragen. Dieser Mangel kann je- doch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW im Widerspruchsverfahren noch nach- träglich geheilt werden. Denn der Antragsteller hat vor Eintritt einer Erledigung der Verfügung (mit Ablauf der Meldezeit am 07. Oktober 2000, 15.00 Uhr) sowohl im Rahmen des von ihm eingelegten Widerspruchs wie auch des vorliegenden einstwei- ligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Gelegenheit, seine sachli- chen Einwände gegenüber der Maßnahme des Antragsgegners vorzutragen; auf diese könnte der Antragsgegner auch noch rechtzeitig vor Eintritt des erledigenden Ereignisses mit einer Abhilfeentscheidung reagieren.
9In materieller Hinsicht gilt folgendes:
10Nach § 8 PolG NRW kann die Polizei im Einzelfalle die notwendigen Maßnah- men treffen, um eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Da- bei muß sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (§ 2 PolG NRW) und unter Berücksichtigung aller Umstände nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind (§ 3 PolG NRW). Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind jene Maßnahmen gegen diese Person zu richten (§ 4 Abs. 1 PolG NRW). Die Polizeibehörde kann hiernach gegen einen Störer im öffentlichen Interesse eine Meldeauflage erlassen, um von Einzelnen und/oder dem Gemeinwe- sen Gefahren abzuwehren.
11Die Anwendung der polizeilichen Generalklausel (§ 8 PolG NRW) ist vorliegend nicht durch die Regelungen über Paß- und Personalausweisbeschränkungen in den entsprechenden Bundesgesetzen ausgeschlossen. Das Paßgesetz - PaßG - und das Gesetz über Personalausweise bekämpfen mit der Möglichkeit der Versagung bzw. Beschränkung der entsprechenden Dokumente - unter anderem - die Gefahr, die für die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesre- publik Deutschland durch den Dokumenteninhaber im Ausland entstehen kann. Sonstigen Gefahren (von § 7 Abs. 1 Nrn. 2 bis 9 PaßG abgesehen) wird durch das Bundesrecht nicht begegnet. Mit der Meldeauflage soll gezielt verhindert werden, daß der Antragsteller Delikte gegen Leben, Gesundheit und Eigentum, hier aus An- laß des Fußballänderspiels England - Deutschland im Ausland, begeht. Sie dient damit der Abwehr einer polizeilichen Gefahr, die als solche nicht von der Regelung in § 7 PaßG erfasst wird, da dort nur bei bestimmten anderen Delikten (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 3 ff. PaßG) eine Paßbeschränkung zulässig ist. Dabei kommt es - hier - nicht darauf an, ob die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder des Eigentums Dritter im Ausland (vgl. § 7 Strafgesetzbuch) oder im Inland einzutreten droht,
12vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluß vom 14. Juni 2000 - 1 S 1271/00 -, JURIS.
13Wenn damit grundsätzlich einer derartigen Maßnahme nichts entgegensteht, so kann doch bei der gegenwärtigen Erkenntnislage nicht abschließend beurteilt werden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Eingreifen auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel vorliegen.
14Eine Gefahr für die o.a. Schutzgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) ist gegeben, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Eintritt eines Schadens führt. Der damit erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsa- chenwissen zu Grunde zu legen, das aktuell bei der Polizei vorhanden ist, von ihr dargelegt wird und das im gerichtlichen Verfahren Bestand hat. Anhand dieses Tatsachenwissens muß aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer Gefahr bejaht werden können. Entscheidend sind dabei Tatsachen (auch tatsächliche Indizien), nicht schlichte Einschätzungen oder Vermutungen bzw. ein unbelegter Verdacht.
15Unter Berücksichtigung der dargelegten Maßstäbe spricht zwar einiges dafür, daß ausreichende Erkenntnisse dafür vorliegen können, daß im Rahmen des Fußballänderspieles in London Ausschreitungen durch deutsche Hooligans drohen. Es spricht auch einiges dafür, daß der Antragsteller als gewaltbereiter Hooligan eingeschätzt werden kann und auch von ihm in diesem Zusammenhang eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
16Der Antragsgegner beruft sich dazu auf polizeiliche Erkenntnisse, insbesondere der Zentralen Informationsstelle für Sportveranstaltungen - ZIS -, und geht nachvollziehbar davon aus, daß Angehörige der sogenannten Hooligan-Szene aus Nordrhein-Westfalen konkret beabsichtigen, zu dem Fußballänderspiel nach England zu fahren. Weiterhin dürfte konkret damit zu rechnen sein, daß es im engeren Umfeld dieser Veranstaltung zu Körperverletzungsdelikten und Sachbeschädigungen kommen wird, an den auch deutsche Hooligans beteiligt sein würden, sofern keine Maßnahmen ergriffen werden, die eine Reise der betroffenen Personen in das Vereinigte Königreich verhindern. Dies ergibt sich aus den von der ZIS dokumentierten landesweiten Gefährdeansprachen" durch die Polizei bei den Fußballanhängern" der von ihr so benannten Kategorien B" und C". Ein B-Fan" ist danach ein Mitläufer, der nicht gezielt nach Auseinandersetzungen sucht, bei sich bietender Gelegenheit aber an Schlägereien und Sachbeschädigungen teilnimmt; ein C-Fan" ist derjenige, der vor, während und nach dem Spiel die Auseinandersetzung mit Gleichgesinnten sucht.
17Bei summarischer Bewertung spricht einiges dafür, daß der Antragsteller zutreffend durch die Polizeibehörden in die Kategorie der C-Fans" eingeordnet worden ist. Denn er ist seit April 1997 bis in die jüngste Vergangenheit regelmäßig im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen anläßlich von Fußballspielen - auch mit internationaler Beteiligung - in Erscheinung getreten. Auf die in der streitigen Ordnungsverfügung im einzelnen dokumentierten Vorfälle wird insoweit Bezug genommen. Der Antragsteller hat diese Vorkommnisse auch nicht in Abrede gestellt. Der Antragsteller wird danach in einem polizeilichen Vermerk bei summarischer Prüfung mit Recht als jemand mit besten Verbindungen zu englischen (Chelsea London und Manchester United) sowie holländischen (Feyenoord Rotterdam) Vereinen bezeichnet. Damit ist zumindest die Nähe, wenn nicht gar die Zugehörigkeit des Antragstellers zur gewaltbereiten internationalen Hooligan-Szene hinreichend belegt; er sucht offensichtlich gemeinsam mit anderen (die Nähe zu) gewalttätigen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Hooligan-Gruppen.
18Die Gefahr, daß im Umfeld des Länderspiels von - deutschen - Hooligans Straftatbestände verwirklicht werden könnten, und der Umstand, daß der Antragsteller der gewaltbereiten Hooligan-Szene im weiteren Sinne zuzurechnen sein dürfte, dürfte alleine jedoch nicht ausreichen, um gerade den Antragsteller hier schon polizeirechtlich als (Mit-)Verursacher der Gefahr für die öffentliche Sicherheit - in Deutschland - wegen möglicher Straftaten im Ausland anzusehen. Grundsätzlich ist nur derjenige, der durch sein eigenes Verhalten unmittelbar eine Gefahr oder Störung verursacht, dafür polizeirechtlich verantwortlich,
19vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 313.
20Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit darf daher eine auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Meldeauflage gegen den Antragsteller nur ergehen, wenn sich gerade in seiner Person die Gefahr von Verstößen gegen die deutsche Rechtsordnung bei dem Länderspiel konkretisiert. Vor dem Hintergrund des erwähnten Tatsachenmaterials des Antragsgegners ist die Prognose über die von dem Antragsteller ausgehenden Gefahr nicht mit abschließender Sicherheit zu tref- fen:
21Der Antragsteller selbst hat erklärt, er plane keine Reise zu dem Fußballspiel. Dem Antragsgegner liegen auch keine gegenteiligen Erkenntnisse vor, die diese Einlassung als Schutzbehauptung erscheinen lassen würden. Insbesondere sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben, daß gerade von dem An- tragsteller selbst im Umfeld geplanter, aber noch nicht hinreichend konkretisierter Ausschreitungen aus Anlaß des Fußballänderspiels konkrete Straftaten zu erwarten sind. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder gar Verurteilungen gegen den An- tragsteller sind bislang nicht bekannt geworden. Insoweit ist einzuräumen, daß die Möglichkeiten der Polizei, bei oder nach gewalttätigem Auftreten von Hooligans einzelnen Beteiligten strafbares Verhalten nachzuweisen, sehr schwierig sind; dies zumal, weil die Hooligan-Gruppen planvoll Gegenstrategien entwickeln, und weil die Polizei auf Grund ihrer eigenen Strategie oftmals bereits im Vorfeld Auseinandersetzungen wirksam begegnet. Das Fehlen strafrechtlicher Ermittlungen oder Verurteilungen indiziert deshalb nicht, daß der Antragsteller sich von der Beteiligung an der gewalttätigen Hooligan-Szene fernhielte. Hinreichende Belege dafür, daß er persönlich aktiv an Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen beteiligt gewesen ist oder auch nur Beihilfe oder Anstiftung zu derartigen Delikten geleistet hat, liegen auf der anderen Seite aber auch nicht vor. Insoweit vermitteln die von dem Antragsgegner angeführten Vorfälle - mit Ausnahme einer dargelegten, aber noch nicht näher konkretisierten Beteiligung des Antragstellers an einer Schlägerei anläßlich des Spiels Borussia Dortmund gegen Manchester United am 09. April 1997 und der Ignorierung eines Platzverweises am 29. April 1998 in Gelsenkirchen, die zur einer Ingewahrsamnahme führte - dafür noch keine hinrei- chenden Erkenntnisse. Auch die weiteren vom Antragsgegner im Verfahren mitgeteilten Erkenntnisse erlauben noch keinen hinreichenden Aufschluß darüber, in welcher Weise der Antragsteller anläßlich von Fußballspielen aufgetreten ist, insbesondere welche die öffentliche Sicherheit gefährdenden Handlungen er persönlich hierbei vorgenommen oder unterstützt hat oder ob er solcher Handlungen zumindest stark verdächtig gewesen ist. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß der Antragsteller sich bisher im wesentlichen nur deshalb in die Auseinandersetzungen von Hooligan-Gruppen begeben hat, um alleine durch das Dabeisein einen besonderen Kick" zu erleben.
22Sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nach dem derzeitigen Sachstand demnach noch nicht abschliessend zu bewerten, so überwiegt bei der deshalb vorzunehmenden Interessenabwägung im weiteren Sinne jedoch das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der dem Antragsteller aufgegebenen Meldeauflage.
23Maßgebend dafür ist für das Gericht zunächst, dass die Gefahr erheblicher gewalttätiger Krawalle anlässlich des Länderspiels in London nach den Erfahrungen der letzten Zeit nicht von der Hand zu weisen ist und - wie oben dargestellt - gewichtige Anzeichen dahin deuten, dass der Betroffene sich häufiger in der internationalen "Hooligan-Szene" aufhält. Es besteht ein sehr starkes öffentliches Interesse daran, dass deutsche Hooligans - wo auch immer - daran gehindert werden, an derartigen Ausschreitungen mit gravierenden Folgen mitzuwirken. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass schon das verhängte Ausreiseverbot zur Begrenzung der Gefahr ausreicht. Das wäre nur dann der Fall, wenn Grenzkontrollen so engmaschig durchgeführt werden könnten, dass damit eine Beteiligung des Antragstellers an Ausschreitungen in London mit Sicherheit verhindert würde.
24Demgegenüber sind die privaten Interessen des Antragstellers geringer zu bewerten. Da der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren betont hat, er wolle ohnehin nicht zu dem Spiel in London fahren und er auch sonst keine Reisepläne dargelegt hat, stellt die Unannehmlichkeit, sich am Samstag kurzfristig bei der Polizei zu melden, für ihn keine sehr gewichtige Belastung dar. Hinzu kommt, daß der Antragsteller bei kurzfristigen Änderungen seiner Tagesplanung sich in Abstimmung mit dem Antragsgegner voraussichtlich auch bei einem anderen deutschen Polizeirevier melden könnte, in dessen Bezirk er sich gerade aufhält, wie es die unbürokratische Vorgehensweise des Antragsgegners schon am 30. Juni 2000 gezeigt hat.
25Hinsichtlich der darüber hinaus erfolgten Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 1.000,00 DM hat die Ordnungsverfügung vom 18. September 2000 ihre Rechtsgrundlage in § 56 PolG NRW i.V.m. §§ 50 Abs. 1, 51 und 53 PolG NRW. Bedenken hiergegen sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
26Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.
27Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG. Dabei ist für die Anordnung der Meldeauflage und die Androhung eines Zwangsgeldes jeweils die Hälfte des in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren anzusetzenden Betrages zu Grunde gelegt worden; der Streitwert der auf Aufhebung der verfügten Mel- deauflage gerichteten Klage wäre mit dem Auffangstreitwert (8.000,00 DM), die mit diesem Bescheid verbundene Androhung eines Zwangsgeldes wäre dabei mit der Hälfte des angedrohten Zwangsgeldbetrages (500,00 DM) zu bemessen.
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