Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 7162/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist am 00.00.0000 in Esil, Gebiet Turgai (Kasachstan) geboren. Seine Eltern sind der 1935 geborene B. E. und die 1941 geborene T. H. . Der Vater ist nach den Angaben im Aufnahmeverfahren deutscher Volkszugehöriger, die Mutter tatarische Volkszugehörige.
3Der Kläger beantragte mit Datum vom 15.03.1997 beim Bundesverwaltungsamt (BVA) seine Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland als Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Er sei deutscher Volkszugehöriger. In seinem 1986 ausgestellten Inlandspass sei er mit deutscher Nationalität vermerkt. Als Kind habe er im Elternhaus Deutsch und Russisch gesprochen. Außerhalb des Elternhauses habe er Deutsch durch Selbststudium und durch Sprachkurse beim Zentrum der deutschen Kultur erlernt. Heute verstehe er wenig Deutsch. Seine Sprachfertigkeiten reichten jedoch für ein einfaches Gespräch aus.
4Zu einem ersten Sprachtest im Jahre 2000 erschien der Kläger nicht. Die inzwischen in Deutschland lebenden Eltern des Klägers teilten dem BVA daraufhin mit Schreiben vom 31.05.2001 mit, dass der Kläger und sein ebenfalls eingeladener Zwillingsbruder E1. zum Sprachtest nicht hätten erscheinen könne, weil ihnen das von den örtlichen Behörden verboten worden sei. Sie seien "wie Geiseln ... an ihren Wohnort gefesselt ...". Grund sei die journalistische Tätigkeit der Mutter, die ein Protesttelegramm an Präsident Jelzin gesandt habe. Zudem sei der Kläger in den Krieg in Tschetschenien geschickt worden.
5Mit Bescheid vom 02.06.2009 lehnte das BVA den Aufnahmeantrag des Klägers unter Hinweis darauf ab, dass die familiäre Sprachvermittlung nicht habe festgestellt werden können.
6Der Kläger erhob Widerspruch. Zur Begründung verwies er wiederum auf Schwierigkeiten mit den örtlichen Behörden und nachwirkende Verpflichtungen aus seiner Militärzeit, die es ihm unmöglich gemacht hätten, zum Sprachtest zu erscheinen.
7Das BVA lud den Kläger daraufhin erneut zu einem Sprachtest, der am 26.05.2010 in der deutschen Botschaft Moskau stattfand. Hierbei war nach der Bewertung des Sprachtesters ein Gespräch mit dem Kläger auf Deutsch trotz einiger Mängel möglich. Der Kläger gab an, die deutsche Sprache sei ihm vom Vater, der Großmutter väterlicherseits und anderen Verwandten vermittelt worden. Der Kläger äußerte während einer in russischer Sprache durchgeführten Zusatzbefragung zu seiner Abstammung erstmals, dass er zum ersten Sprachtest nicht habe erscheinen können, weil er wegen eines Raubüberfalls 11 Jahre im Gefängnis gewesen sei. Ausweislich eines daraufhin vom BVA angeforderten und in Übersetzung vorliegenden Urteils de Regionalgerichts von Krasnodar vom 02.01.1999 wurde der Kläger wegen mehrfachen gemeinschaftlichen und bewaffneten schweren Raubes, begangen im Frühjahr 1998, zu einer Gesamtstrafe von 12 Jahren verurteilt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das in russischer Abschrift und deutscher Übersetzung bei der Aufnahmeakte des Klägers befindliche Urteil verwiesen.
8Mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2010 wies das BVA den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger erfülle nicht die Aufnahmevoraussetzungen als Spätaussiedler, da aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung der Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 1 lit. d) BVFG gegeben sei.
9Der Kläger hat am 25.11.2010 Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, dass die nach § 5 Nr. 1 lit. d) BVFG anzuwendende Tilgungsfrist für die dem Kläger zur Last gelegten Straftaten bereits am 02.01.2019 ende. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er die volle Strafe unter den besonders belastenden Umständen des russischen habe verbüßen müssen, sei ihm aus Billigkeitsgründen die Rechtsstellung als Spätaussiedler bereits jetzt zuzubilligen, zumal er auch im vorliegenden Verfahren mit einer längeren Verfahrensdauer rechnen müsse.
10Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
11die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BVA vom 02.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 zu verpflichten, ihm einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die vom Kläger begangenen Taten seien nach deutschem Recht als schwerer Raub im Sinne des § 250 StGB zu werten und daher ein Verbrechen nach § 12 Abs. 1 StGB. Bei der Verurteilung wegen Raubes verlängere sich die 15-jährige Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG gemäß § 46 Abs. 3 BZRG um die Dauer der Freiheitsstrafe. Sie ende im Fall des Klägers erst am 02.01.2026. Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung des Klägers unter Verletzung rechtsstaatlicher Mindeststandards zustande gekommen sei, lägen nicht vor.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Aufnahmeakte des BVA Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden. Er ist auf diese Folge in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden, § 102 Abs. 2 VwGO.
18Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2007 (BGBl. I, S. 1902), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 04.12.2011 (BGBl. I, S. 2426) - BVFG -. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 02.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
19Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten ein Aufnahmebescheid erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthaltes im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler kann nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BVFG nur ein deutscher Volkszugehöriger sein. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer nach dem 31.12.1923 geboren worden ist, sofern er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG nur festgestellt, wenn der Betreffende im Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag auf Grund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann.
20Es kann offen bleiben, ob der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt. Denn der Zuerkennung der Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 BVFG steht der zwingende Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 1 lit. d) BVFG entgegen. Hiernach erwirbt die Rechtsstellung als Spätaussiedler nicht, wer eine rechtswidrige Tat begangen hat, die im Inland als Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB anzusehen wäre, es sei denn, die Tat wäre nach deutschem Recht verjährt oder eine Verurteilung deswegen nach dem Bundeszentralregistergesetz (BZRG) zu tilgen. Bereits im Prozesskostenhilfebeschluss vom 05.01.2012 wurde ausgeführt, dass der Kläger durch das Regionalgericht Krasnodar am 02.01.1999 wegen im Frühjahr 1998 gemeinschaftlich begangener bewaffneter Raubüberfälle zu einer Gesamtstrafe von 12 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Regionalgerichts in seinem in Übersetzung vorliegenden Urteil erfüllten die Taten die Tatbestände des schweren Raubes nach § 250 StGB, resp. der schweren räuberischen Erpressung nach §§ 255, 250 StGB oder eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316a StGB, die sämtlich im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder (teils deutlich) darüber bedroht und damit Verbrechen im angesprochenen Sinne sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung nach deutschem Recht aus dem Bundeszentralregister zu tilgen wäre, sind nicht ansatzweise erkennbar, da die hier die anzuwendende fünfzehnjährige Frist des § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG noch nicht abgelaufen und zudem gemäß § 46 Abs. 3 BZRG um die Dauer der Freiheitsstrafe zu verlängern wäre. Selbst die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angestellte Berechnung gelangt zu einem Tilgungstermin im Jahre 2019. Ansätze für eine Verkürzung der Tilgungsfrist aus Billigkeitsgesichtspunkten bietet die gesetzliche Regelung nicht.
21Auch eine Verjährung scheidet aus, da vorliegend die zwanzigjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB anzusetzen und außerdem deren Unterbrechung durch Verfahrungshandlungen nach § 78c StGB zu berücksichtigen wäre.
22Auch wurde bereits ausgeführt, dass greifbare Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Urteil des russischen Gerichts wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen und deshalb mit dem deutschen ordre public unvereinbar sein könnte, nicht erkennbar sind. Dem ist der Kläger nicht entgegen getreten.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
24Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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