Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 2 K 5193/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwen-
den, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit
in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung Köln, Flur 00, Flurstück 000. Das nahe dem Rheinufer in der nördlichen Innenstadt von Köln gelegene Grundstück ist mit einem 22-geschossigen Hochhaus (N.-------straße 00) und einem 5-geschossigen Bürogebäude (N.-------straße 00) bebaut. In dem Hochhaus gibt es nach Angaben der Klägerin rund 230 Bewohner und rund 43 gewerbliche Arbeitsplätze. Das Gebäude verfügt über einen Abfallschacht, der es den Bewohnern ermöglicht, ihre Abfälle durch Einwurf in Öffnungen auf jeder Etage des Gebäudes zu entsorgen.
3Am 09. Oktober 2003 beantragte die Verwalterin der Klägerin in deren Namen bei der Beklagten die Erteilung einer Abweichung von der in § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW normierten Stilllegungsverpflichtung für Abfallschächte zum 31. Dezember 2003 mit dem Ziel, den Abfallschacht in der Großwohnanlage N.-------straße 00 zeitlich unbefristet offen zu halten. Mit Schreiben vom 02. Februar 2006 teilte die Beklagte der Verwalterin mit, die Erteilung einer Abweichung vom Silllegungsgebot des § 46 Abs. 1 BauO NRW sei rechtlich nicht möglich. Es bestehe nur die Möglichkeit, den weiteren Betrieb der Müllabwurfanlage für einen befristeten Zeitraum zu dulden. Grundvoraussetzung für eine befristete Duldung sei allerdings der Nachweis, dass eine andere Form der Abfallentsorgung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich sei. Weiterhin sei die Abfalltrennung sicherzustellen, durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen für die Prüfung des Brandschutzes sei ferner gutachterlich zu bestätigen, dass die Vorgaben des § 46 Abs. 2 bis 5 BauO NRW eingehalten würden, außerdem sei eine Prüfbestätigung durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen betreffend die Betriebssicherheit und Wirksamkeit einer installierten Sprinkleranlage beizubringen. Nach weiterem Schriftverkehr teilte die Beklagte der Verwalterin unter dem 08. November 2007 mit, die Klägerin habe weiterhin die Gelegenheit, eine befristete Duldung des Weiterbetriebs der Abfallschächte in der Großwohnanlage zu beantragen. Sie bitte um Rückäußerung dazu innerhalb von 6 Wochen ab Zugang des Schreibens. Sie sei gehalten, die endgültige Schließung der Abfallschächte zu fordern, falls eine Duldung nicht beantragt werde oder eine Duldung von ihr nicht ausgesprochen werden könne.
4Nach Durchführung eines Ortstermins im September 2008 räumte die inzwischen anwaltlich vertretene Klägerin ein, dass auf ihrem Grundstück ausreichend Freiflächen zum Aufstellen von Abfallbehältern zur Verfügung stehen. Diese Freiflächen befänden sich allerdings entlang der Rheinpromenade und es werde ein optisch unschöner Eindruck vermittelt, wenn dort zahlreiche Müllbehälter untergebracht würden. Außerdem bat sie um Berücksichtigung, dass es sich bei rund 75 % der Bewohner um ältere Menschen handele, für die das nahezu tägliche Aufsuchen der Müllbehälter im Falle der Schließung der Schachtanlage mit erheblichen Erschwernissen verbunden sei. Es sei deshalb beabsichtigt, die Möglichkeit einer Petition an den Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen zu prüfen. Sie bitte insoweit, ihr einen kurzen weiteren Aufschub zu gewähren.
5Unter dem 22. Juni 2009 richtete die Klägerin eine Petition an den Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen und beantragte die ersatzlose Aufhebung von § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW, hilfsweise die befristete Duldung des Betriebs des Abfallschachtes auf einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren durch die Beklagte. Diese Petition hatte keinen Erfolg. Der Petitionsausschuss beschloss am 01. Dezember 2009, Abfallschächte ständen mit den Zielen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nicht im Einklang, da eine konsequente Mülltrennung mit dem Ziel, Abfälle möglichst zu verwerten, mit Abfallschächten nicht erreicht werden könne. Eine Änderung der Landesbauordnung sei in diesem Punkt daher nicht beabsichtigt. Die Voraussetzungen für eine befristete Duldung des Weiterbetriebs des Abfallschachtes in dem streitigen Gebäude lägen nicht vor, da auf dem Grundstück ausreichend Freiflächen zu Verfügung stehen würden, auf denen Abfallsammelbehälter aufgestellt werden könnten.
6Nach Anhörung gab die Beklagte der Klägerin durch Ordnungsverfügung vom 20. Juli 2010 für das Grundstück N.-------straße 00 auf, innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung der Verfügung die im Gebäude vorhandenen Abfallschächte außer Betrieb zu nehmen und die zu ihrem Befüllen vorgesehenen Öffnungen dauerhaft in der Brandschutzqualität F90 gemäß DIN 4102 und rauchdicht zu verschließen. Für den Fall der Nichterfüllung drohte die Beklagte der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR an. Zur Begründung wies die Beklagte im Wesentlichen darauf hin, dass bestehende Abfallschächte gemäß § 46 Abs. 1 BauO NRW spätestens bis zum 31. Dezember 2003 außer Betrieb zu nehmen und die zu ihrem Befüllen vorgesehenen Öffnungen bis zu diesem Zeitpunkt dauerhaft zu verschließen waren. Die Verfügung wurde der Klägerin am 23. Juli 2010 zugestellt.
7Die Klägerin hat am 17. August 2010 Klage erhoben, die sie erst am 28. September 2011 begründet hat.
8Sie macht geltend, für die angefochtene Ordnungsverfügung fehle es an einer Rechtsgrundlage, denn die streitentscheidenden Vorschriften des § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW seien verfassungswidrig. Die Klägerin verweist dazu auf ein von ihr eingeholtes Gutachten des Universitätsprofessors Dr. E. vom 22. September 2011. Der Gutachter komme darin zum Ergebnis, dass die gesetzliche Verpflichtung zum Rückbau legal errichteter Abfallschächte einen Eingriff in die grundrechtliche Garantie des Eigentums aus Art. 14 Grundgesetz sei, die den grundrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen für Inhalts- und Schrankenbestimmungen unterlägen und diesen nicht gerecht würden, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Rechtsgutachten (Beiakte Heft 2) verwiesen.
9Die Klägerin beantragt,
10die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 20. Juli 2010 (Az: 63/A31/0126/2003) aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die landesrechtliche Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW sei mit den Zielvorgaben des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes vereinbar. Sie stehe nicht im Widerspruch zum Bundesrecht, sondern solle dieses nur in Gestalt einer bauordnungsrechtlichen Regelung ergänzen. Die Vorschrift sei entgegen der Auffassung des Gutachters auch verhältnismäßig, da eine ausreichend lange Übergangszeit zur Außerbetriebnahme der Abfallschächte gewährt worden sei. Anträge auf Duldung des Weiterbetriebs von Müllabwurfanlagen würden von ihr gleichmäßig behandelt. Im Einzelfall würden befristete Duldungen in Anlehnung an die Frist zur wiederkehrenden Prüfung von Hochhäusern für jeweils 5 Jahre ausgesprochen. In ihrem Zuständigkeitsbereich seien weitere 11 Fälle bekannt, in denen der Weiterbetrieb von existenten Müllabwurfschächten geprüft werde; eine Entscheidung habe bislang noch nicht getroffen werden können.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagte Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtene Bauordnungsverfügung der Beklagten vom 20. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
17I.
18Die Forderung unter Ziffer I. der Ordnungsverfügung, innerhalb von drei Monaten nach Zustellung die im Gebäude N1. . 16 vorhandenen Abfallschächte außer Betrieb zu nehmen und die zu ihrem Befüllen vorgesehenen Öffnungen dauerhaft in der Brandschutzqualität F90 gemäß DIN 4102 und rauchdicht zu verschließen, findet ihre Rechtsgrundlage im § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung der ihnen in § 61 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW zugewiesenen Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen hier vor.
19Das Gebäude N1. . 00 steht mit den Anforderungen der Bauordnung NRW nicht im Einklang. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW sind bestehende Abfallschächte spätestens bis zum 31. Dezember 2003 außer Betrieb zu nehmen. Die zu ihrem Befüllen vorgesehenen Öffnungen sind nach § 46 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW bis zu diesem Zeitpunkt dauerhaft zu verschließen. Diesen gesetzlichen Geboten ist die Klägerin nicht nachgekommen.
20§ 46 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BauO NRW sind formell und inhaltlich verfassungsmäßig. Die auf das Rechtsgutachten vom 22. September 2011 gestützten Bedenken der Klägerin an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen teilt das Gericht nicht.
211. An der Kompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen, derartige Regelungen zu erlassen, bestehen ersichtlich keine Zweifel. Diese folgt aus Artikel 70 Abs. 1 Grundgesetz. Danach haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Gegenstand der Regelung in § 46 BauO NRW sind technische Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von baulichen Anlagen. Insoweit ist dem Bund durch das Grundgesetz keine Gesetzgebungsbefugnis verliehen, für derartige bauordnungsrechtliche Fragestellungen besteht vielmehr eine alleinige Regelungskompetenz der Länder.
222. Die fraglichen Normen der Bauordnung sind auch inhaltlich verfassungsmäßig.
23a) Entgegen der Auffassung der Klägerin verfolgt der Landesgesetzgeber mit § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW einen legitimen Zweck. Für den Landesgesetzgeber sind Abfallschächte mit den Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (in seiner damaligen Fassung), vor allem hinsichtlich des Trennens von Abfällen nicht in Einklang zu bringen. Die Neuregelung soll das mit der Novellierung der Landesbauordnung 1995 eingeführte Verbot der Errichtung neuer Abfallschächte (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 BauO 1995) für bestehende Schächte weiterentwickeln (so LT-Drucks. 12/4394, Seite 72). Die Klägerin meint, diese Zielvorstellung des Landesgesetzgebers sei mit den Systementscheidungen, die der Bundesgesetzgeber im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz getroffen habe, nicht zu vereinbaren und deshalb unzulässig (vgl. Blatt 13 - 15 des Gutachtens vom 22. September 2011). Die Kammer teilt diese Bedenken nicht. Sie kann nicht erkennen, warum die Schließung von Abfallschächten zwingend der Konzeption von § 15 Abs. 3 KrW-/AbfG (heute § 20 Abs. 2 Satz 1 KrWG) widersprechen soll. In praktischer Hinsicht betreffen Abfallschächte nur den Transportweg zu den Abfallbehältnissen. Werden diese Schächte verschlossen, führt dies lediglich dazu, dass dieser Transportweg nicht mehr gegeben ist. Die Regelungen in § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW verfälschen aus Sicht der Kammer aber auch rechtlich nicht die grundlegenden konzeptionellen Vorgaben des Bundesrechts. Sie machen die Rechtsordnung nicht widersprüchlich, das Gegenteil ist der Fall. Die Bestimmungen des Landesgesetzes ergänzen vielmehr die Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft. Die inzwischen außer Kraft getretene Norm des § 5 Abs. 2 Satz 4 KrW-/AbfG bestimmte, soweit dies zur Erfüllung der Anforderungen nach den §§ 4 und 5 des Gesetzes erforderlich war, dass Abfälle zur Verwertung getrennt zu halten waren. Dies bedeutete, dass der Abfallbesitzer es unterlassen sollte, Abfälle zu vermischen, die getrennt angefallen waren oder aus unterschiedlichen Herkunftsbereichen stammten,
24vgl. Weidemann in Jarass/Petersen/Weidemann, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Band II, § 5 Rn. 60.
25Diesem Gebot der Getrennthaltung dienen auch die fraglichen Regelungen aus § 46 Abs. 1 BauO NRW. Sie tragen durch die Normierung baulicher Anforderungen unterstützend dazu bei, dem Erfordernis der Getrennthaltung von Abfällen zur Verwertung nach dem Kreislaufwirtschaftsrecht zur Geltung zu verhelfen. An diesem Ziel hält der Bundesgesetzgeber unverändert fest, wie § 9 Abs. 1 KrWG in seiner heutigen Gestalt verdeutlicht.
26Auch an der Rationalität der gesetzgeberischen Zielfindung des Landesgesetzgebers hat das Gericht im Gegensatz zur Klägerin (vgl. Blatt 15 - 18 des vorgelegten Gutachtens) keine durchgreifenden Zweifel. Die Neuregelung knüpft in ihrer Entwicklung an das Verbot der Neuerrichtung von Abfallschächten gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 1995 an, welches dem Grundsatz der Abfallvermeidung Rechnung tragen sollte. Diese Fortentwicklung ist nachvollziehbar. Nach den in der Praxis schon in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts gemachten Erfahrungen in großen Wohnanlagen und Hochhäusern,
27vgl. Heintz in Gädtke/Böckenförde/Temme/Heintz, Kommentar zur Bauordnung NRW, 9. Auflage 1998, § 46 Rn. 8,
28ist es trotz entsprechender Beschilderung nicht zu verhindern, dass verwertbare Stoffe wie Glas, Papier und Kunststoffverpackungen über vorhandene Abfallschächte entsorgt werden. Die Abfälle werden dadurch durchmischt und so stark verunreinigt, dass eine stoffliche Verwertung unwirtschaftlich ist. Das nachträgliche Aussortieren und Reinigen der verwertbaren Stoffe verursacht unvertretbar hohe Kosten,
29vgl. Czepuck in Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, Kommentar zur Bauordnung NRW, 12. Auflage 2011, § 46 Rn. 8.
30Dass diese Erfahrungen mit der Realität übereinstimmen, hat auch die Klägerin im Verwaltungsverfahren selbst eingeräumt. Denn in ihrem Antrag vom 9. Oktober 2003 an die Beklagte hat sie eingestanden, dass es zu Fehlwürfen von Wertstoffen über die Abfallschachtanlage auch in der Großwohnanlage N1. . 00 kommt, die allerdings durch die Gebrechlichkeit einzelner Bewohner der Anlage begründet seien. Wenn der Landtag Nordrhein-Westfalen aufgrund dieser praktischen Erfahrungen angenommen hat, die Existenz von Abfallschachtanlagen in Wohnanlagen, welche ohne besonderen zeitlichen Aufwand auf der jeweiligen Etage benutzt werden können, verleite die Abfallbesitzer dazu, sämtlichen Abfall auf diesem Wege zu entsorgen, was mit den Zielen der Kreislaufwirtschaft unvereinbar sei, ist dies für die Kammer nachvollziehbar und nicht, wie die Klägerin meint, bar jeder rationalen Erkenntnis.
31b) Entgegen der Ansicht der Klägerin (Blatt 19 - 35 des Gutachtens) sind § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW auch mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren.
32Das Gebot, Abfallschächte bis zum 31. Dezember 2003 außer Betrieb zu nehmen und dauerhaft zu verschließen, ist zunächst geeignet, um das gesetzgeberische Ziel zu fördern. Der Landesgesetzgeber zielt mit den von ihm getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen darauf ab, das Abfalltrennverhalten der Abfallbesitzer zu beeinflussen und so einen effektiven Beitrag zur Abfallvermeidung, dem primären Ziel der Kreislaufwirtschaft (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW/AbfG und § 6 Abs. 1 Nr. 1 KrWG), zu leisten. Der Gesetzgeber hat insoweit eine Einschätzungsprärogative. Ein Verfassungsverstoß liegt erst vor, wenn die von ihm gewählte Maßnahme schlechthin ungeeignet ist,
33Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Januar 1999 - 1 BvR 2161/94 -, BVerfGE 99, 341, 353.
34Von einer in jeder Hinsicht untauglichen Maßnahme kann hier nicht die Rede sein. Es widerspricht nämlich nicht allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Schließung von Abfallschächten dazu beiträgt, dass Personen, die bislang aus Bequemlichkeit Abfallfraktionen über Müllschächte entsorgt haben, ihr Verhalten ändern und den Abfall künftig getrennt entsorgen.
35Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die gesetzliche Pflicht zur Stilllegung und Verschließung von Abfallschächten auch erforderlich. Die Klägerin beruft sich auf mehrere Fallgestaltungen, die eine Ausnahmeregelung erforderlich machen sollen (Blatt 24 - 28 des Gutachtens vom 22. September 2011). Die von der Klägerin angeführten Fallkonstellationen wie das Verlangen nach einer Ausnahme bei getrennten Schächten oder bei einer Sicherstellung der Mülltrennung innerhalb des Hauses bei Weiterbetrieb bestehender Abfallschächte führen nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzgeberischen Regelungen. Die Klägerin verkennt, dass die Landesbauordnung insoweit kein striktes Verbot ohne jegliche Ausnahmemöglichkeit normiert. Eine spezifische Ausnahmeregelung ist zwar nicht in § 46 Abs. 1 BauO NRW enthalten. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen kann - und muss - im Einzelfall insoweit dann aber auf die allgemeine Abweichungsbestimmung des § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW zurückgegriffen werden. Diese Norm dient gerade dazu, die durch das materielle Bauordnungsrecht nur allgemein erfassbare Situation, den sogenannten Regelfall, unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Eigentumsschutzes und des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots im konkreten Einzelfall einer angemessenen und sachgerechten Lösung zuzuführen,
36dazu nur Johlen in Gädtke und andere, a. a. O., § 73 Rn. 1 c mit weiteren Nachweisen.
37Da in § 46 LBauO ausdrücklich nichts anderes bestimmt ist, können Abweichungen im Einzelfall auch von den Geboten aus § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW erteilt werden. Insoweit handelt es sich um eine Frage des sachgemäßen Verwaltungsvollzugs im konkreten Einzelfall, die generelle Verfassungsmäßigkeit von § 46 Abs. 1 Satz 2 bzw. Satz 3 BauO NRW ist unter diesem Blickwinkel hingegen nicht zweifelhaft.
38Schließlich sind § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW entgegen der Auffassung der Klägerin auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Bei Abwägung des gesetzlichen Ziels mit den widerstreitenden Belangen der betroffenen Grundstückseigentümer wird die Grenze der Zumutbarkeit für letztere noch nicht überschritten.
39Die Entscheidung des Landesgesetzgebers ist nicht offensichtlich fehlsam, sie steht im Gegenteil mit der Wertordnung des Grundgesetzes in Einklang. Insoweit ist auf Art. 20 a Grundgesetz hinzuweisen, wonach der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen inzwischen eine außerordentlich wichtige Staatsaufgabe ist. § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW dienen offensichtlich diesem Schutzzweck. Wenn der Landesgesetzgeber bei Abwägung der widerstreitenden Interessen diesem Ziel Vorrang gegenüber den Interessen der betroffenen Eigentümer einräumt, ist diese Abwägung nicht offensichtlich unhaltbar oder der Ordnung des Grundgesetzes widersprechend. Den Interessen der betroffenen Eigentümer wurde durch eine ausreichend bemessene Übergangsregelung von drei Jahren Rechnung getragen. Dass Eigentümern innerhalb dieses Zeitraums nicht möglich gewesen wäre, die Außerbetriebnahme einer Abfallschachtanlage zu bewerkstelligen, ist nicht erkennbar und wird von der Klägerin auch selbst nicht behauptet.
40Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW bestehen aus Sicht der Kammer nicht. Die Maßnahmen des Landesgesetzgebers bewirken keine Enteignung der betroffenen Eigentümer im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz mit der Folge, dass es auch keiner Entschädigungsregelung bedarf. Es handelt sich vielmehr um eine gesetzliche Inhaltsbestimmung auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz. In einer derartigen Konstellation fordert die Verfassung keine generelle Ausgleichspflicht bei nachteiligen Änderungen der baulichen Nutzbarkeit. Im Übrigen ist im konkreten Fall die bauliche Nutzbarkeit des Gebäudes N1. . 00 durch die Außerbetriebnahme des Abfallschachtes auch nur in geringem Maße betroffen. Die Wohn- und Büroeinheiten des Hochhauses sind auch ohne Abfallschächte weiterhin uneingeschränkt benutzbar. Die Außerbetriebnahme der Schächte führt nur zu einem geringeren Maß an "Komfort" für die Bewohner/Nutzer des Gebäudes, der dessen eigentlichem Nutzungszweck in keiner Weise zuwiderläuft.
41Liegen die Voraussetzungen für einen Einschreiten gegen die Klägerin auf der Grundlage von § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW nach allem vor, so hat die Beklagte die Außerbetriebnahme und Verschließung der im Gebäude N1. . 00 vorhandenden Abfallschächte gemessen an § 114 Satz VwGO auch frei von Ermessensfehlern angeordnet. Ihr Entschluss, im konkreten Fall bauaufsichtlich gegen die Klägerin einzuschreiten, ist nicht zu beanstanden, im Gegenteil sachgerecht. Das bauaufsichtliche Einschreiten bei Feststellung materieller Rechtsverstöße stellt nämlich den Regelfall dar, von dem nur im begründeten Ausnahmefällen abgesehen werden darf. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung auf der Grundlage von § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW steht der Klägerin nicht zu. Dazu bedürfte es in jedem Fall eines Nachweises von Seiten der Klägerin, dass die existenten Abfallschächte im Gebäude N1. . 00 den Anforderungen aus § 46 Abs. 2 bis 4 BauO NRW genügen. Entsprechende Nachweise hat die Klägerin jedoch nicht vorgelegt.
42Die Beklagte hat auch ihr Auswahlermessen frei von Rechtsfehlern ausgeübt. Sie hat die Klägerin zu Recht als Eigentümerin des Grundstücks N1. . 00 nach § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG für die Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes herangezogen.
43Sonstige Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Klägerin gegenüber anderen Betreibern von Abfallschächten in ihrem Hoheitsbereich entgegen Art. 3 Abs. 1 GG ohne sachlichen Grund ungleich behandelt. Dies macht auch die Klägerin selbst nicht geltend.
44Schließlich führt auch der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin unter Ziffer I. der Ordnungsverfügung vom 20. Juli 2010 eine Schließungsfrist von 3 Monaten nach Zustellung der Verfügung gesetzt hat, nicht zu deren Rechtswidrigkeit. Die Beklagte hat bei dieser Fristbestimmung zwar übersehen, dass die Klägerin diese Frist nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht einzuhalten braucht, weil sie die Ordnungsverfügung im Wege der Anfechtungsklage angegriffen hat. Dieser Mangel des Verwaltungsaktes wird allerdings von Gesetzes wegen durch § 63 Abs. 1 Satz 4 VwVG NRW geheilt. Danach tritt an die von der Beklagten als Fristbeginn bestimmte Zustellung der Ordnungsverfügung der Eintritt der Bestandskraft dieses Verwaltungsaktes.
45II.
46Die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR unter Ziffer II. der angefochtenen Ordnungsverfügung kann von der Klägerin ebenfalls nicht mit Erfolg angefochten werden. Insoweit kann offen bleiben, ob die bestimmte Höhe des Zwangsgeldes das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Nichtbefolgung der Ordnungsverfügung angemessen berücksichtigt (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW), oder ob es deutlich zu niedrig bemessen ist, wofür bei der Vielzahl der Wohneinheiten in einem 22-geschossigen Gebäude wie dem der Klägerin einiges spricht. Ein zu niedrig bemessenes Zwangsgeld verletzt die Klägerin in jedem Fall nicht im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in ihren subjektiven Rechten.
47Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
48Das Gericht hat die Berufung nach § 124 a Abs. 1 S. 1 VwGO zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Die entscheidungserhebliche Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 46 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BauO NRW ist über den vorliegenden Einzelfall hinaus bedeutsam und bedarf im Interesse der Rechtsunterworfenen der Klärung.
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