Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 2 K 86/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Der Kläger ist am 00.00.0000 in Kasachstan geboren. Er lebt mittlerweile in Odessa in der Ukraine. Die Mutter des Klägers, Frau N. L. , ist deutscher Nationalität und erhielt unter dem 19.04.2007 einen Aufnahmebescheid. Der Kläger wurde mit Einbeziehungsbescheid vom 10.03.2010 in den Aufnahmebescheid seiner Mutter einbezogen. Weder die Mutter noch der Kläger selbst sind nach Deutschland eingereist.
3Der erste und noch aktuelle Inlandspass des Klägers wurde am 19.02.2002 in der Ukraine ausgestellt.
4Am 13.01.2011 beantragte der Kläger, vertreten durch seine Bevollmächtigte, beim Bundesverwaltungsamt die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler. Hierzu gab er an, ab dem ersten Lebensjahr sei im Elternhaus Deutsch und Russisch gesprochen worden. Die deutsche Sprache habe er von der Mutter und der Großmutter erlernt sowie außerhalb des Elternhauses an der Universität. Von 1993 bis 2003 habe er in Odessa die Realschule besucht, von 2003 bis 2008 die Universität in Odessa.
5Der Kläger unterzog sich bei der Deutschen Botschaft in Kiew am 18.05.2011 einem Sprachtest. Zu seiner Person und zum Spracherwerb gab er an, im Elternhaus nur Russisch gelernt zu haben, und zwar vermittelt außerhalb des Elternhauses auf folgende Weise: "1.-10. Klasse; 3 Jahre Deutsch am Polytechnikum; Selbststudium seit dem 17., 18.Lebensjahr" (vgl. Bl. 50 der Beiakte 1). Die Richtigkeit der gemachten Angaben bestätigte der Kläger mit seiner Unterschrift. Im Rahmen des Sprachtests stellte der Sprachtester fest, dass mit dem Kläger ein Gespräch trotz einiger Mängel möglich war. Dialektkenntnisse waren nicht feststellbar. Der Kläger gab bei dem eigentlichen Sprachtest an, er wolle nach Deutschland, um dort mit Verwandten zu wohnen und dort zu arbeiten. Er sei von Beruf Ingenieur im Bereich Automatisierung, verdiene aber in der Ukraine zu wenig.
6Im Anschluss an den Sprachtest fand eine Zusatzbefragung auf Russisch statt. Die hier getätigten Aussagen wurden dem Kläger nochmals vorgelesen, er bestätigte sie mit seiner Unterschrift. Er gab an, bei seiner Einschreibung an der polytechnischen Universität in Odessa im Jahr 2003 auf einem Einschreibeformular seine Nationalität freiwillig mit Deutsch angegeben zu haben. Ferner sei er seit ca. 2004 Mitglied in der Vereinigung "Wiedergeburt" in Odessa. Seine Besuche der Veranstaltungen dort seien jedoch in letzter Zeit zurückgegangen. Auch die Gottesdienste des deutschen Pfarrers in der benachbarten Kirche habe er ein paar Mal besucht. Die Lieder seien wohl auf Latein gesungen worden. In Odessa gebe es auch ein sog. bayerisches Haus, dort leihe er sich gelegentlich Bücher und CDs aus, seine Mutter habe dort einen Sprachkurs belegt. Anschließend machte er Angaben zu seinen familiären Verhältnissen. Als er noch in Kasachstan gelebt habe, habe seine Familie zusammen mit der Großmutter mütterlicherseits - Frau T. T1. geb. I. - gewohnt. Auch die Geschwister der Mutter hätten sich in dem gleichen Dorf aufgehalten. Die Großmutter selbst sei 1999 nach Deutschland übergesiedelt. Wenn sich die Großmutter mit ihm unterhalten hatte, habe sie ihn auf Russisch angesprochen. Seine Mutter verstehe ganz gut Deutsch, sie habe auch den Sprachtest bestanden. Wenn sich die Geschwister seiner Mutter und seine Familie unterhalten hätten, sei dies meistens auf Russisch geschehen, wenngleich dies kein reines Russisch gewesen sei, da auch immer wieder deutsche Wörter darunter gewesen seien. Mit dem Kläger selbst hätten die Geschwister seiner Mutter Russisch gesprochen. Nach dem Umzug nach Odessa habe der Kläger schließlich seine Großmutter jeden Sommer für ca. 2-3 Wochen in Kasachstan besucht.
7Mit Bescheid vom 26.07.2011 (Az. IIIB5/SU-1391109) lehnte die Beklagte den Aufnahmeantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen der Anerkennung als Spätaussiedler. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum werde nicht in hinreichender Weise durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bestätigt. Das eigentliche Bekenntnis zum deutschen Volkstum könne genauso wie die deutsche Abstammung daher dahinstehen. Der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, dass ihm die deutsche Sprache innerhalb der Familie vermittelt worden sei. Nach der Anhörung vom 18.05.2011 habe festgestanden, dass der Kläger Hochdeutsch nur ohne mundartliche Färbung spreche, zudem sei aus seinen Angaben zu schließen, dass die Sprachvermittlung in der Schule und an der Hochschule stattgefunden habe.
8Unter dem 22.08.2011, eingegangen bei der Beklagten am 23.08.2011, erhob der Kläger, vertreten durch seine Großmutter - Frau T. T1. geb. I. - als Bevollmächtigte, Widerspruch. Die Bevollmächtigte führte zur Begründung des Widerspruchs aus, dem Anhörungsprotokoll vom 18.05.2011 und daher auch dem Ablehnungsbescheid vom 26.07.2011 lägen Missverständnisse zugrunde. Dem Kläger sei in der Anhörung nicht deutlich gemacht worden, dass die Frage nach der zu Hause erlernten Sprache auf die gesprochene Umgangssprache ziele. Er habe die Frage nur auf das schulische "Erlernen" bezogen. Ferner seien zwar während der Anhörung die Fragen auf Deutsch und Russisch wiederholt worden, nicht aber die Antworten des Klägers. Eine Möglichkeit zur Korrektur habe nicht bestanden. Der Kläger habe Deutsch zu Hause gelernt, und zwar hätten seine Mutter und die deutschen Familienangehörigen mit ihm Deutsch gesprochen. Er sei auch jeden Sommer in den Schulferien bei ihr zu Besuch gewesen. Zusätzliche Deutschkenntnisse habe er schulisch erworben. Der Umstand, dass die Mutter des Klägers 2007 einen Aufnahmebescheid erhalten habe, zeige, dass eine familiäre Sprachvermittlung stattgefunden habe.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2011, der Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 10.12.2011, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beklagte führte zur Begründung aus, ein wirksames Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum sei nicht glaubhaft gemacht. Da eine förmliche Nationalitäteneintragung für den Kläger nicht in Betracht gekommen sei, müsse auf ein Bekenntnis auf sonstige Weise abgestellt werden. Bei der Betrachtung dieses Bekenntnisbereichs sei jedoch nicht erkennbar, dass der Kläger dem deutschen Element Vorrang vor dem einer fremden Nationalität eingeräumt habe. Es seien keine überzeugenden Bestätigungsmerkmale für die Hinwendung allein zum deutschen Volkstum dargelegt. Da der Kläger einer ethnisch gemischten Ehe zwischen einem nichtdeutschen Vater und einer deutschen Mutter entstamme, spreche das Abstammungsmerkmal nicht eindeutig für ein deutsches Bekenntnis. Auch das Bestätigungsmerkmal des muttersprachlichen Beherrschens der deutschen Sprache sei nicht gegeben. Gleiches gelte für das Bestätigungsmerkmal der Erziehung. Schließlich fehle es auch an einer Hinwendung allein zur deutschen Volkskultur. Der Kläger sei zwar nach seinen Angaben Mitglied der Gesellschaft "Wiedergeburt", es gebe aber keine Anhaltspunkte für eine aktive Mitgliedschaft und Mitarbeit, die eine außenwirksame Dokumentation der Pflege deutscher Kultur belegen könnten.
10Der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger hat am 06.01.2012 Klage erhoben.
11Der Kläger sei schon seit seiner frühen Kindheit deutsch geprägt worden. Seine Mutter wie auch deren Eltern seien deutsch, so sei z.B. der Urgroßvater mütterlicherseits, Herr K. T1. , bereits 1944 eingebürgert worden, was sich aus der Einbürgerungsurkunde ergebe. Von dieser familiären Linie habe der Kläger eine starke Prägung erfahren. Er habe mit seiner Familie in Kasachstan bei der deutschen Großmutter - Frau T. T1. geb. I. , der Ehefrau von K1. T1. , des Sohns von K. T1. - gelebt, diese habe zu Hause ausschließlich Deutsch gesprochen. Die Großmutter habe mit allen kleinen Kindern im Haus, wozu auch der Kläger gezählt habe, Deutsch gesprochen und ihnen deutsche Werte vermittelt, wie beispielsweise durch deutsch gefeierte Familienfeiern oder kirchliche Feste. Im Jahr 1990 sei der Kläger mit seiner Familie in die Ukraine gezogen, der Kontakt zur Großmutter sei trotz der räumlichen Entfernung jedoch erhalten geblieben; er habe diese jährlich regelmäßig in den Sommerferien für jeweils 2-3 Wochen besucht, wobei hier ausschließlich Deutsch gesprochen worden sei. Die Mutter des Klägers habe am 19.04.2007 einen Aufnahmebescheid erhalten, nachdem in ihrer Person das Vorhandensein ausreichender Sprachkenntnisse festgestellt worden sei. Die Großmutter des Klägers sei im Jahr 1999 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe diese schon 1944 erhalten.
12Bei der Einschulung hätten sich die Eltern des Klägers im Bewusstsein der Deutschstämmigkeit dafür entschieden, den Kläger seit der ersten Klasse statt Englisch Deutsch lernen zu lassen. Daraus erkläre sich, warum der Kläger im wesentlichen Hochdeutsch und nicht mundartlich spreche. Das Sprechen von Hochdeutsch sei während der ganzen Schulzeit dort üblich gewesen. Der Kläger habe immer gute schulische Leistungen gezeigt. Es sei daher nicht verwunderlich, dass er beim Sprachtest Deutsch in schulisch gelernter Ausdrucksweise gesprochen habe. Die Angabe des Klägers in seinem Aufnahmeantrag, er habe die deutsche Sprache in der Schule gelernt, sei auf ein Missverständnis zurückzuführen, wie die damalig bevollmächtigte Großmutter bereits im Widerspruchsverfahren angemerkt habe.
13Bei seiner Immatrikulation an der Nationalen Polytechnischen Universität Odessa habe der Kläger in einem Antragsformular seine eigene Nationalität schon im Jahr 2003 als deutsch bezeichnet, was sich aus einem vorgelegten Antragsformular ergebe.
14Der Kläger sei aufgrund seines deutschen Bekenntnisses seit 2005 Mitglied in der Odessaer Deutschen National-Kulturellen Gebietsgesellschaft "Wiedergeburt", was durch eine entsprechende Bestätigung vom 27.02.2012 belegt werden könne. Zudem nehme der Kläger regelmäßig an den deutschen Gottesdiensten in seiner Gemeinde teil, was durch eine - nachzureichende - Bestätigung der Kirchengemeinde bestätigt werden könne.
15Der Kläger beantragt sinngemäß,
16die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 26.07.2011 und des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2011 zu verpflichten, ihm auf den Antrag vom 13.01.2011 einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die seitens des Klägers vorgebrachten Lebensumstände seien nicht geeignet, ein Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum auf eine der Nationalitätenerklärung vergleichbare Weise nachzuweisen. Zwar sei eine ausdrückliche Nationalitätenerklärung im Inlandspass für den Kläger nicht mehr vorgesehen gewesen, doch reichten auch die seitens des Klägers dargelegten Indizien nicht aus, eine der Nationalitätenerklärung vergleichbare Außenwirkung zu erzielen. So habe er im Rahmen der Anhörung angegeben, bei der Immatrikulation an der Universität in Odessa ein Formular ausgefüllt zu haben, in dem er sich als Deutscher bezeichnet habe. Ein solcher freiwilliger Eintrag auf einem Einschreibeformular reiche jedoch nicht aus, der Nationalitätenerklärung gleichgestellt zu werden. Denn jenes Dokument habe allenfalls im universitätsinternen Bereich Bedeutung, eine Außenwirkung gegenüber Behörden oder Dritten komme ihm nicht zu.
20Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum lasse sich auch nicht aus der Mitgliedschaft in der Stadt- und Gebietsgesellschaft "Wiedergeburt" in Odessa ableiten, da diese auch Angehörigen anderer Nationalität offen stehe.
21Zudem sei auch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache zu verneinen. Der Kläger habe vielmehr im Rahmen der Anhörung angegeben, die deutsche Sprache nicht im Elternhaus, sondern von der ersten bis zur zehnten Klasse in der Schule erlernt zu haben. Missverständnisse seien insofern ausgeschlossen, da diese Selbstauskunft im Rahmen des auf Russisch geführten Vorgesprächs getätigt worden sei und vom Kläger in der an den Sprachtest anschließenden Zusatzbefragung nochmals bestätigt worden sei. Diese Auskunft sei auf Russisch erfragt und auch auf Russisch abgegeben worden, das Protokoll sei nochmals verlesen und rückübersetzt worden. Zu den fraglichen Punkten der Sprachvermittlung habe der Kläger keine ergänzenden Anmerkungen machen wollen.
22Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO erklärt.
23Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
25Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis hiermit erklärt.
26Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 26.07.2011 und der Widerspruchsbescheid vom 08.12.2011 sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
27Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids.
28Anspruchsgrundlage ist § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Danach wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten ein Aufnahmebescheid erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthaltes im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31.12.1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor seit seiner Geburt seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte. Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG kann daher nur ein deutscher Volkszugehöriger sein. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer nach dem 31.12.1923 geboren worden ist, sofern er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG nur festgestellt, wenn der Betreffende im Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag auf Grund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann.
29Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Es mangelt an der Bestätigung des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG.
30Das Tatbestandsmerkmal der familiären Sprachvermittlung erfordert, dass der Kläger als Aufnahmebewerber die deutsche Sprache durch Vermittlung der Eltern, eines Elternteils oder anderer Verwandter und nicht außerhalb der Familie, etwa in der Schule, erlernt hat. Ihm muss die deutsche Sprache aufgrund des familiären Erziehungseinflusses nahe gebracht worden sein, der grundsätzlich mit dem Säuglingsalter beginnt und so lange andauert, bis der Betroffene das Sprachniveau erreicht hat, das ihn im Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag befähigt, ein einfaches Gespräch zu führen.
31Vgl. VG Köln, Urteil vom 13.12.2011 - 7 K 1205/10 -, juris; auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.02.2011 - 1 BvR 500/07 -, juris-Rz. 18f.
32Dabei muss die familiäre Sprachvermittlung nicht der alleinige Grund für die Fähigkeit sein, im maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Ausreichend ist, wenn die in der Prägephase familiär vermittelten Kenntnisse mitursächlich für die Sprachfähigkeit des Klägers sind. Die familiär vermittelten Kenntnisse müssen das Sprachfundament bilden, auf dem die für die Integration zu verlangenden Sprachanforderungen gründen. Dies setzt voraus, dass diese in der Kindheit mindestens das Niveau der Fähigkeit, ein einfaches Gespräch zu führen, erreicht haben.
33Vgl. VG Köln, Urteil vom 13.12.2011 - 7 K 1205/10 -, juris; BVerwG, Urteil vom 03.05.2007 - 5 C 23.06 -, NVwZ 2007, 1087.
34Gemessen an diesen Anforderungen bestehen durchgreifende Zweifel an der familiären Vermittlung. Dies begründet sich zunächst aus dem Umstand, dass der Kläger nach seiner Geburt nur vier Jahre mit seinen Eltern zusammen mit der Großmutter mütterlicherseits gelebt hat, denn im Jahr 1990 verzog der Kläger mitsamt seinen Eltern von Kasachstan in die Ukraine. Selbst wenn man die weiter unten dargelegten Umstände außer Acht lässt, erscheint es äußerst fraglich, ob ein solches vierjähriges Zusammenleben mit der Großmutter oder anderen Verwandten geeignet ist, eine hinreichende Prägewirkung für die deutsche Sprachentwicklung dergestalt auszuüben, dass damit die Basis für eine selbstständige Weiterentwicklung der deutschen Sprachkenntnisse gelegt wäre.
35Vgl. aber v. Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Stand März 2008, § 6 BVFG n.F., Kap. 3 d) aa), S. 38; BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.02.2011 - 1 BvR 500/07 -, juris-Rz. 19.
36Insbesondere besuchte der Kläger das großmütterliche Dorf anschließend nur in den Sommerferien für jeweils ca. 2-3 Wochen. Dass in dieser kurzen Zeit eine wesentliche Verwurzelung der deutschen Sprache beim Kläger stattgefunden haben soll, erscheint unwahrscheinlich. Auch eine alleinige Weitervermittlung der deutschen Sprache nach dem Umzug in die Ukraine durch die Mutter ist nicht naheliegend. Zum einen gab der Kläger im Rahmen der Zusatzbefragung am 18.05.2011 selbst an, dass die Mutter im "bayerischen Haus" in Odessa einen Sprachkurs belegt habe. Zum anderen gab er auf spätere Nachfrage, ob die Mutter Deutsch sprechen könne, an, dass sie "ganz gut Deutsch verstehen" könne (vgl. Bl. 55 der Beiakte 1). Eine für die familiäre Weitergabe von Grundzügen der deutschen Sprache erforderliche Sprachkenntnis der Mutter ist damit nicht dargetan.
37Dies kann jedoch letztlich dahinstehen. Denn der Kläger hat in seiner Anhörung vom 18.05.2011 selbst geäußert, dass die Sprachvermittlung nicht innerhalb seiner Familie stattgefunden hat. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts nach § 108 Abs. 1 VwGO fest. Bereits im einleitenden Anhörungsbogen, in dem Angaben zur Person und zum Spracherwerb zu machen sind, verneinte der Kläger die familiäre Vermittlung. Er gab ausdrücklich an, dass die Vermittlung außerhalb des Elternhauses durch Schulbildung und Selbststudium erfolgt sei (vgl. Bl. 50 der Beiakte 1). Die Befragung zu diesen Punkten erfolgte ausweislich des Protokolls auf Russisch. Der Kläger bestätigte die Richtigkeit seiner Angaben mit seiner Unterschrift. Im Rahmen der Zusatzbefragung äußerte der Kläger, dass beim Zusammenkommen der Verwandten im Dorf der Großmutter "meistens Russisch" gesprochen worden sei, wenngleich durchsetzt mit deutschen Vokabeln (vgl. Bl. 55 der Beiakte 1). Auf die Nachfrage, wie die Geschwister der Mutter ihn angesprochen hätten, antwortete der Kläger, dass dies auf Russisch geschehen sei. Auch die Großmutter habe "auf Russisch" mit ihm gesprochen. Das Zusatzprotokoll wurde auf Russisch verfasst, dem Kläger vorgelesen und zur Bestätigung durch - auch tatsächlich erfolgte - Unterschrift vorgelegt. Danach steht fest, dass der Kläger kein deutsches Sprachfundament im familiären Kreise gebildet haben kann. An der Richtigkeit der Angaben und des Anhörungsprotokolls zu zweifeln, hat das Gericht keinen Anlass. Vielmehr erbringt das Anhörungsprotokoll als öffentliche Urkunde gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 415 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson bekundeten Vorgangs - also der gestellten Fragen und der Äußerungen der befragten Person, nicht hingegen der Beurteilung der Sprachkenntnisse.
38OVG NRW, Beschluss vom 16.01.2007 - 12 A 2979/06 -, juris; vgl. auch zur Verwertbarkeit des Protokolls BVerwG, Beschluss vom 26.09.2007 - 5 B 6.07 -, juris; Beschluss vom 30.03.1999 - 5 B 4.99 -, juris.
39Es gibt zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass das Protokoll nicht verwertet werden kann, weil es nicht aussagekräftig ist oder nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist.
40Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 13.05.2008 - 12 A 888/08 -, juris.
41Dem Kläger kann ferner nicht der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Angaben gemäß § 98 i.V.m. § 415 Abs. 2 ZPO gelingen. Dies setzt voraus, dass die Beweiswirkung vollständig entkräftet wird und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben in der öffentlichen Urkunde richtig sein können.
42Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.01.2009 - 5 A 1162/07.A -, NJW 2009, 1623; Kothe/Redeker, Beweisantrag und Amtsermittlung im Verwaltungsprozess, Stuttgart 2012, S. 71.
43Die seitens des Klägers bzw. der Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Umstände erschüttern den Beweiswert des Protokolls nicht. Zunächst erscheint der Vortrag, die Angaben im einleitenden Bogen der Anhörung seien dahingehend missverstanden worden, dass es allein um das schulische Erlernen der deutschen Sprache gegangen sei, als Schutzbehauptung. Der Kläger hätte sonst auch nicht das Selbststudium seit dem 17. bzw. 18. Lebensjahr angegeben (vgl. Bl. 50 der Beiakte 1). Zudem ist der Vortrag des Klägers widersprüchlich und nicht überzeugend.
44Vgl. zur Widersprüchlichkeit des Vortrags zur familiären Vermittlung OVG NRW, Beschluss vom 19.05.2010 - 12 A 1023/09 -, juris.
45Sofern er sich dahin einlässt, dass ihm zwar die Fragen auf Deutsch und Russisch wiederholt worden seien, nicht aber seine Antworten, so dass er keine Gelegenheit gehabt habe, diese zu korrigieren, erscheint dies aus der Luft gegriffen. Der Kläger machte sämtliche Äußerungen, und zwar auch in der Zusatzbefragung, auf Russisch. Gleichwohl gab er mehrmals und unabhängig voneinander an, dass sowohl seine Großmutter als auch die weiteren Verwandten mütterlicherseits nur Russisch mit ihm gesprochen hätten. Ein Fehlverständnis der Fragen ist damit ausgeschlossen. Ferner bestätigte er schriftlich, dass ihm das vollständige Protokoll mitsamt seiner Antworten vorgelesen wurde. Vor allem jedoch war es ihm auch tatsächlich möglich, Korrekturen in seinen Antworten anzubringen. Auf Seite 3 des Zusatzprotokolls findet sich ein Zusatz, den der Kläger nach dem Verlesen des Protokolls (!) in einer seiner Antworten zum konkreten Datum der Übersiedlung der Großmutter nach Deutschland ergänzt hat (vgl. B. 55 der Beiakte 1). Daher bestehen keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der öffentlichen Urkunde.
46Sonstige Umstände wie gesteigerte Nervosität oder eine nicht belastungsfreie Gesprächsatmosphäre während der Anhörung,
47vgl. schon ablehnend zu diesen Merkmalen OVG NRW, Beschluss vom 21.04.2011 - 12 A 667/10 -, juris; VG Köln, Urteil vom 16.08.2011 - 7 K 2789/10 -, juris,
48sind noch nicht einmal vorgetragen.
49Ob es beim Kläger auch - wie die Beklagte meint - an dem gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG zwingend erforderlichen Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum mangelt, kann nach alledem offen bleiben. Gleichwohl dürfte der Kläger mit der im Klageverfahren erfolgten Vorlage des Antragsformulars für die Zulassung zu den Immatrikulationsprüfungen an der Nationalen Polytechnischen Universität Odessa ein wirksames Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgegeben haben. In dem Antrag füllte er im Juli 2003, d.h. mit 17 Jahren und damit ca. ein Jahr nach Eintritt in das bekenntnisfähige Alter, die in dem Formularantrag vorgesehene Angabe zur Nationalität mit "Deutscher" aus. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
50vgl. OVG NRW, Urteil vom 08.09.2011 - 11 A 2603/09 -, juris.
51kann eine derartige Erklärung gegenüber einer staatlichen Stelle, nämlich der Universität, für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum ausreichen.
52Die Nebenentscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
53Die Nebenentscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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