Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 20 K 699/14
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 22.01.2014 rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d:
2Mit Verfügung des Beklagten vom 22.01.2014 wurde dem Kläger gemäß § 34 Abs. 2 PolG NRW untersagt, sich am 01.02.2014 in der Zeit von 7.00 bis 22.00 Uhr in einzelnen näher beschriebenen Bereichen in Köln-Müngersdorf/-Junkersdorf (um das Rhein-Energie Stadion), entlang der Aachener Straße bis zum Rudolfplatz, um den Bahnhof Köln-Ehrenfeld sowie der Innenstadt aufzuhalten. Für jeden Fall der Nichtbefolgung der Verfügung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht. Des Weiteren wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass am 01.02.2014 in Rhein-Energie Stadion eine Fußballbegegnung zwischen dem 1. FC Köln und Austria Wien stattfinde. Fußballspiele würden seit Jahren von gewalttätigen und gewaltbereiten Fußballstörern (Problemfans) häufig dazu genutzt, anlasstypische Straftaten zu begehen oder daran mitzuwirken. Dabei komme es insbesondere zu körperlichen Auseinandersetzungen. Daneben gebe das Auftreten von „Ultras“ in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Grund zum polizeilichen Einschreiten. Insbesondere das Verhältnis zwischen den Problemfangruppen des 1. FC Köln und von Austria Wien werde aus polizeilicher Sicht als feindschaftlich eingestuft. Die Gefahrenprognose verschärfe sich dadurch, dass die Problemfans von Austria Wien Unterstützung durch Problemfans von Rot-Weiß Essen erhielten, deren Verhältnis zu Problemfangruppen des 1. FC Köln ebenfalls als feindschaftlich eingestuft werde. Es sei geboten, das Aufeinandertreffen verfeindeter Problemfangruppen zu verhindern. Der Kläger selbst habe durch sein Verhalten in der Vergangenheit zu anlassbezogenen Störungen der öffentlichen Sicherheit beigetragen. Insoweit wird eine Strafanzeige vom 18.01.2014 benannt: Anlässlich eines Freundschaftsspiels zwischen dem 1. FC Köln und Schalke 04 seien im Bereich des Rudolfplatzes ca. 200 bis 300 Personen der gegnerischen Fangruppierungen gewaltsam aufeinander gestoßen. Im Verlauf der tumultartigen Auseinandersetzungen sei ein vierzigjähriger Anhänger des Vereins Schalke 04 schwer verletzt worden und habe notoperiert werden müssen. Durch Einsatzkräfte hätten 50 Personen vorläufig festgenommen werden können. Unter diesen Personen habe sich der Kläger befunden.
3Dagegen hat der Kläger am 06.02.2014 Klage erhoben mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der verhängten Maßnahme. Es liege keine wirksame Anhörung vor, denn im Zeitpunkt des Schreibens vom 16.11.2013 hätten die dem Bescheid zugrunde liegenden Tatsachen noch gar nicht vorgelegen. Die Ermessenserwägungen genügten nicht dem Begründungserfordernis. Es gebe seitenlange Ausführungen zur abstrakten Gefahrenlage bei Fußballspielen im Allgemeinen und bzgl. einzelner Fangruppen im Besonderen. Hinsichtlich des Klägers werde aber nur ausgeführt, dass er sich unter 50 vorläufig festgenommenen Personen befunden habe. Es gebe keine Darlegung, warum die vorläufige Festnahme am 18.01.2014 kausal für eine Gefährlichkeit des Klägers am 01.02.2014 sein solle.
4Für die Prognose (Begehung von Straftaten) würden keine einzelfallbezogenen Gründe angeführt. Der Kläger sei tatsächlich nicht in Tatortnähe des Rudolfplatzes vorläufig festgenommen worden, sondern erst einige Stunden später in dem Vereinsheim der „Boyz Köln“ in Köln Weidenpesch. An den Krawallen sei er nicht beteiligt gewesen. Die räumliche Ausdehnung des Aufenthaltsverbotes sein unverhältnismäßig groß gewesen. Die zeitliche Ausdehnung (7 bis 22 Uhr) ebenfalls, da das Spiel um 14 Uhr stattgefunden habe. Daraus ergebe sich auch die Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes sei zudem unverhältnismäßig hoch.
5Es habe nur eine Putativgefahr vorgelegen, der Kläger sei tatsächlich – wie sich aus einem Vermerk vom 21.03.2014 ergebe – den szenekundigen Beamten nicht aus diversen Einsatztaten bekannt gewesen. Der Kläger sei weder Mitglied noch Unterstützer der „Boyz“. Er sei nur vereinzelt über die „Boyz“ zu Auswärtsspielen des 1. FC Köln gereist, weil dort ein besonders kostengünstiger Transport angeboten worden sei. Was die Anwesenheit des Klägers in Räumen der „Boyz“ betreffe, seien diese Räume nicht nur einem internen Kreis der Gruppe zugänglich. Vielmehr könnten diese durch den Schankraum der Gaststätte „Stüffgen“ grundsätzlich von Jedermann betreten werden. Man habe bei ihm keine gefährlichen Gegenstände gefunden, die auf eine Gewaltbereitschaft oder Mitgliedschaft in einer gewaltbereiten Gruppierung schließen lassen könnten. Auf dem ausgelesenen Mobiltelefon des Klägers seien keine anlassbezogenen Daten gefunden worden. Man habe auch keine Verletzungen beim Kläger festgestellt, die auf eine Beteiligung an der Schlägerei schließen ließen.
6Der Kläger beantragt,
7festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 22.01.2014 rechtswidrig war.
8Der Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Eine (erneute) schriftliche Anhörung des Klägers sei im Hinblick auf die Kürze der Zeit bis zum Risikospiel am 01.02.2014 nicht mehr möglich gewesen. Dies sei durch die Gelegenheit zur Äußerung im gerichtlichen Verfahren geheilt worden. Zur individuellen Gefahrenprognose werde auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Insoweit sei nicht relevant, ob das entsprechende Ermittlungsverfahren (Staatsanwaltschaft Köln, 120 Js 18/14) eventuell gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werde. Außerdem kämen Erkenntnisse der szenekundigen Beamten hinzu, denen der Kläger ebenfalls als Fußballstörer durch diverse Einsatzanlässe bekannt sei. Die räumliche Ausdehnung des Aufenthaltsverbotes basiere auf Erfahrungen im Zusammenhang mit früheren Ausschreitungen bei Fußballspielen. Der zeitliche Rahmen resultiere daraus, dass Problemfans weit vor Spielbeginn anreisten und sich dort auch noch einige Zeit nach Spielende aufhielten.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs und der Unterlagen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Köln 120 Js 18/14 Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
14In prozessualer Hinsicht geht das Gericht davon aus, dass nach der Klarstellung im Schriftsatz des Klägers vom 06.08.2015 Gegenstand des Verfahrens ausschließlich die Polizeiverfügung vom 22.01.2014 als solche sein soll.
15Diese Verfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten.
16Gemäß 34 Abs. 2 PolG NRW kann einer Person für eine bestimmte Zeit verboten werden, einen bestimmten örtlichen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Dabei kann örtlicher Bereich auch ein Gebietsteil innerhalb einer Gemeinde sein (§ 34 Abs. 2 S. 2 PolG NRW). Die Maßnahme ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken (§ 34 Abs. 2 S. 3 PolG NRW). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.
17Da es sich bei einem Aufenthaltsverbot um eine Ermessensentscheidung handelt, ist auszugehen von dem Sachverhalt, der von der Behörde zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht worden ist. Die Verfügung wird darauf gestützt, dass der Kläger durch sein Verhalten in der Vergangenheit zu anlassbezogenen Störungen der öffentlichen Sicherheit beigetragen habe. Konkret wird dazu auf eine Strafanzeige vom 18.01.2014 verwiesen. Danach trafen am 18.01.2014 anlässlich eines Freundschaftsspiels zwischen dem 1.FC Köln und Schalke 04 ca. 200 – 300 Personen der gegnerischen Fangruppierungen im Bereich Rudolfplatz gegen 14.39 Uhr gewaltsam aufeinander. Im Verlauf der Auseinandersetzung wurde ein Anhänger von Schalke 04 schwer verletzt und musste notoperiert werden. Die Einsatzkräfte hätten 50 Personen vorläufig festnehmen können, der Kläger hätte sich unter diesen Personen befunden.
18Diese Begründung impliziert die Annahme, dass die betreffenden 50 Personen unter äußeren Umständen festgenommen worden sind, die auf ihre Beteiligung an diesen gewaltsamen Auseinandersetzungen schließen ließen. Welche Umstände dies konkret sind, wird nicht ausgeführt. Es dürfte allerdings die Annahme naheliegen, dass die fraglichen 50 Personen in unmittelbarer örtlicher/ zeitlicher Nähe zum Tatort/ Tatgeschehen angetroffen wurden.
19Diese dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Annahme trifft jedenfalls in Bezug auf den Kläger nicht zu. Denn dieser ist (erst) um 17.15 Uhr im Vereinsheim der „Boyz Köln“ in der Neusser Str. angetroffen und vorläufig festgenommen worden. Allein daraus kann nicht auf eine Beteiligung an den gewaltsamen Auseinandersetzungen geschlossen werden.
20Auch ansonsten gibt es keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Klägers an den Auseinandersetzungen vom 18.01.2014 (unbeschadet der Frage, ob weitere Umstände überhaupt herangezogen werden könnten, wenn sie in der maßgeblichen Ermessensentscheidung keinen Niederschlag gefunden haben). Selbst wenn man aus dem Antreffen des Klägers im Vereinsheim der „Boyz Köln“ auf die Mitgliedschaft des Klägers in dieser Gruppierung schließen könnte (was immerhin erwägenswert erscheint, hier aber keiner weiteren Prüfung bedarf), lässt sich auch daraus noch kein Anhaltspunkt für eine Beteiligung an den o.g. Geschehnissen vom 18.01.2014 ableiten.
21im Übrigen sprechen die sonstigen Umstände ebenfalls nicht für eine Beteiligung des Klägers an dem genannten Vorfall. So ist dieser bislang nicht „szenetypisch“ in Erscheinung getreten und war den szenekundigen Beamten nicht bekannt (vgl. Vermerk zur Personenakte 31.1 des KK 0 –MK I. - vom 21.03.2014). Die Auswertung der Handy-Kommunikation hat ebenfalls keine derartigen Anhaltspunkte ergeben. Weder aus der örtlichen Lage der Funkzellen, in denen das Handy des Klägers eingeloggt war, noch aus den ausgelesenen Daten seines Handys bzw. der WhatsApps anderer Personen ergeben sich Hinweise auf eine Anwesenheit des Klägers am Tatort zur fraglichen Zeit.
22Damit war zugleich die Annexmaßnahme rechtswidrig.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
24Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
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