Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 3705/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die am 00.00.0000 (00.00.0000, im Aufnahmeantrag des Ehemannes auch 00.00.0000) in Barnaul/Russland UdSSR geborene Klägerin reiste am 19.04.1996 als in den Aufnahmebescheid ihres Ehemannes, Herrn B. F. (*00.00.0000) einbezogene Person mit den Kindern O. und T1. nach Deutschland ein. Die Registrierung der Klägerin nach § 7 Abs. 2 BVFG datiert vom 22.04.1996. Eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG wurde am 30.10.1996 ausgestellt.
3Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.02.2015 an das BVA begehrte die Klägerin sinngemäß unter Hinweis auf das 10. BVFG-Änderungsgesetz die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG.
4Diesen Antrag lehnte das BVA mit Bescheid vom 04.04.2018 ab. Die Behörde verwies auf die Urteile des BVerwG vom 28.05.2015. Maßgebend für den Status als Spätaussiedler sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Einreise. Die Neuregelungen des 10. BVFG-Änderungsgesetzes fänden auf die Klägerin daher keine Anwendung.
5Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und verwies auf die ihres Erachtens bestehende ungerechtfertigte Ungleichbehandlung mit solchen Aufnahmebewerbern, die ihren Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten noch nicht aufgegeben hätten.
6Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2018 wies das BVA den Widerspruch als unbegründet zurück und wiederholte die Begründung des Ablehnungsbescheides.
7Die Klägerin hat am 17.05.2018 Klage erhoben. Sie vertieft ihre Ausführungen zur maß-geblichen Rechtslage, insbesondere unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG.
8Sie beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BVA vom 04.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2018 zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des BVA Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Klage ist nicht begründet.
16Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG.
17Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet abzustellen,
18vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 - 1 C 30.14 und 1 C 29.14 -, vgl. nunmehr auch Urteile vom 20.11.2018 - 1 C 23.17 u.a. - mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des BVerwG.
19Die Erleichterungen für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit, die der Gesetzgeber für noch im Aussiedlungsgebiet wohnende Antragsteller mit dem 10. Änderungsgesetz eingeführt hat, haben deshalb keine Geltung für Bewerber, die – wie die Klägerin – vor dem Inkrafttreten des Gesetzes im September 2013 in das Bundesgebiet übergesiedelt sind.
20Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 -.
21Diese setzte eine Rückwirkung der Rechtsänderung voraus, die dem 10. BVFG-Änderungsgesetz mangels Übergangsvorschrift gerade nicht zukommt.
22Die Neureglungen des 10. BVFG-Änderungsgesetzes adressieren den Aufnahmebewerber und dessen Volkszugehörigkeit. Dieser soll in Bezug auf das bisherige Merkmal familiärer Vermittlung der deutschen Sprache und in Bezug auf das Volkstumsbekenntnis besser gestellt werden. Die familiäre Sprachvermittlung wurde als bekenntnisrelevanter Umstand nicht mehr als zeitgemäß empfunden und sollte durch die Möglichkeit des Nachweises anderweitig erworbener Sprachfertigkeiten ergänzt werden. Das Erfordernis habe in der Praxis immer häufiger zu unbilligen Ablehnungsentscheidungen geführt, wenn die Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen, das Bekenntnis zum deutschen Volkstum und deutsche Sprachkenntnisse hätten nachgewiesen werden können und es lediglich noch an der familiären Vermittlung der Sprachkenntnisse gemangelt habe. Es sei zu bedenken, dass eine deutschstämmige Person auch durch das Erlernen der deutschen Sprache außerhalb der Familie mit Sprache und Kultur auseinandersetzen und zu ihrem Deutschsein bekennen könne.
23Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 17/13937 vom 12.06.2013.
24Damit nahm der Gesetzgeber auf den unbestreitbar bestehenden Umstand Rücksicht, dass mit dem Rückgang der deutschstämmigen Bevölkerung in den Aussiedlungsgebieten nach Abschluss der großen Ausreisewellen die Möglichkeiten familiärer Sprachvermittlung in einer fremdsprachigen Umgebung naturgemäß zunehmend schwanden. Für jüngere Aufnahmebewerber wurde es damit trotz deutscher Abstammung schwerer, die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zu erfüllen. Es galt daher, der besonderen Situation heutiger Aufnahmebewerber durch Erleichterungen in Bezug auf die Merkmale „Bekenntnis“ und „Sprache“ Rechnung zu tragen. Nicht erfasst wurden bereits eingereiste Personen, die an den Veränderungen der gesellschaftlichen Realität in den Herkunftsgebieten nicht teilhatten. In der hiermit verbundenen Privilegierung der in den Aussiedlungsgebieten verbliebenen Deutschstämmigen liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Gesetzgebers, bereits übergesiedelte Personen an der Lockerung der rechtlichen Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit nicht teilhaben zu lassen, beruht auf einem sachlichen Grund. Bezweckt war die Erleichterung der Übersiedlung und nicht des Zugangs bereits in Deutschland lebender Personen zu den mit dem Spätaussiedlerstatus verbundenen Vergünstigungen, namentlich zu den Ansprüchen nach dem Fremdrentengesetz.
25BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 -
26Die Voraussetzungen des hiernach anzuwendenden § 6 Abs. 2 BVFG 1993 erfüllt die Klägerin nicht. Nach Satz 1 der Vorschrift war deutscher Volkszugehöriger, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammte (Nr. 1), wem seine Eltern bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur vermittelt hatten (Nr. 2) und wer sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hatte oder nach dem Recht des Herkunftsstaats zur deutschen Nationalität gehörte (Nr. 3). Jedenfalls für die unter Nr. 3 bezeichnete Tatbestandsvoraussetzung ist nichts ersichtlich, da die Klägerin in ihrem sowjetischen Inlandspass mit russischer Nationalität geführt wurde und auch in den Geburtsurkunden ihrer beiden Kinder mit russischer Nationalität verzeichnet ist.
27Ob der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG dessen ungeachtet bereits § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG entgegensteht, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben. Nach dieser durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) eingefügten und am 01.01.2005 in Kraft getretenen Vorschrift kann eine Spätaussiedlerbescheinigung nur ausgestellt werden, wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt und nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden ist. An dieser negativen Voraussetzung könnte es fehlen, weil die Klägerin 1993 keinen eigenen Aufnahmeantrag gestellt, sondern sich von vornherein auf den Status als Ehegattin eines Spätaussiedlers beschränkt hat. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG findet grundsätzlich auch auf Personen Anwendung, die – wie der Klägerin – vor Inkrafttreten der Vorschrift in das Bundesgebiet eingereist sind,
28vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 1 C 21.16 -.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
30Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
31Rechtsmittelbelehrung
32Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
40Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
41Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
42Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
43Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
44Beschluss
45Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
465.000,00 €
47festgesetzt.
48Gründe
49Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG).
50Rechtsmittelbelehrung
51Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
52Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
53Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
54Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
55Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- BVFG § 6 Volkszugehörigkeit 1x
- BVFG § 4 Spätaussiedler 1x
- BVFG § 15 Bescheinigungen 6x
- BVFG § 7 Grundsatz 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 55a 1x