Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 22 L 1202/22.A
Tenor
1. |
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. |
2. |
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller. |
1
Gründe
2I.
3Der Antragsteller besitzt die Staatsangehörigkeit der Republik Aserbaidschan. Er verließ sein Heimatland unter Verwendung seines Reisepasses und eines von der Deutschen Botschaft in Baku am 19. Dezember 2013 ausgestellten Visum am 23. Dezember 2013 und reiste über Österreich am 24. Dezember 2013 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 3. Januar 2014 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung trug der Antragsteller im Wesentlichen vor: Er habe einen eigenen Laden im Handelszentrum C. besessen. Die Leiterin dieses Handelszentrums habe eines Tages die Miete drastisch erhöht. Deswegen habe er sich an einen Journalisten der Zeitung B. gewandt, der anschließend auch darüber berichtet habe. Die Zeitung habe wegen dieser Berichterstattung eine Strafe zahlen müssen. Irgendjemand müsse dann verraten haben, dass er die Information an den Journalisten weitergegeben habe, denn die Leiterin des Handelszentrums habe daraufhin ihre Leute und später auch die Polizei zu ihm geschickt, um ihn einzuschüchtern. Die Leiterin habe seinen Laden schließlich versiegelt. Später sei der Laden sogar angezündet worden. Er habe sich deswegen an das Innenministerium und andere öffentliche Stellen, unter anderem die Ehefrau des Präsidenten, gewandt, aber keine Antwort erhalten. Er sei seit 2012 Mitglied der Aserbaidschanischen Volksfront. Er habe an Demonstrationen teilgenommen und für die zur Volksfront gehörenden Zeitung B. Geld gesammelt. Dies sei sowohl der Polizei als auch der Leiterin des Handelszentrums bekannt gewesen. Damit hätten sie ihn unter Druck gesetzt. Daraufhin habe er den Entschluss gefasst, Aserbaidschan zu verlassen.
4Den Asylantrag des Antragstellers lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 21. August 2014 zum Geschäftszeichen 0000000-000 als offensichtlich unbegründet ab. Der Vortrag des Antragstellers sei unglaubhaft, weil er lückenhaft und widersprüchlich sei. Hiergegen erhob der Antragsteller am 29. August 2014 beim Verwaltungsgericht Münster Klage, die das Aktenzeichen 2 K 1867/14.A hatte.
5Am 8. Juni 2015 versuchte die zuständige Ausländerbehörde des Kreises Warendorf, den Antragsteller nach Aserbaidschan abzuschieben. Während er auf dem Flughafen Frankfurt/Main in einem Zimmer warten musste, versuchte er, sich mit seinem Gürtel zu strangulieren. Mit Beschluss vom 9. Juni 2015 ordnete das Amtsgericht Warendorf die Sicherungshaft gegen den Antragsteller bis zur möglichen Abschiebung, längstens jedoch bis zum 9. September 2015 an. Mit Beschluss vom 17. Juni 2015 ordnete das Verwaltungsgericht Münster unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 2 L 815/15.A die aufschiebende Wirkung der gegen die Abschiebungsandrohung erhobenen Klage 2 K 1867/14.A an.
6Im Klageverfahren beim Verwaltungsgericht Münster reichte der Antragsteller Bescheinigungen über seine Mitgliedschaft in der Volksfront-Partei zur Gerichtsakte. Er trug ergänzend vor, exilpolitisch aktiv zu sein. Auch in Deutschland habe er an Demonstrationen teilgenommen. In Aserbaidschan sei mittlerweile ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet und ein Untersuchungshaftbefehl durch die Ermittlungsbehörde für Schwerverbrechen erlassen worden. Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. September 2016 wies das Verwaltungsgericht Münster die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen des Antragstellers insgesamt unglaubhaft sei. Der Vortrag im Klageverfahren sei von Steigerungen des bisherigen Vorbringens gekennzeichnet. Bei der Anhörung durch das Bundesamt habe noch ein geschäftlicher Streit des Antragstellers mit der Leiterin des Handelszentrums im Zentrum des geschilderten Verfolgungsschicksals gestanden. In der mündlichen Verhandlung habe der Antragsteller dann sein langjähriges politisches Engagement als einzige Grundlage für das Vorgehen sowohl der Leiterin des Handelszentrums als auch der Polizei hingestellt.
7Am 16. Februar 2017 beantragte der Antragsteller beim Bundesamt festzustellen, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote bezogen auf die Republik Aserbaidschan vorliegen. Mit Schreiben vom 10. März 2017 teilte der Kreis Warendorf dem Bundesamt mit, dass, nachdem die Reisefähigkeit des Antragstellers amtsärztlich bestätigt worden sei, beabsichtigt sei, den Antragsteller Anfang Mai 2017 nach Aserbaidschan abzuschieben. Die Abschiebung nach Aserbaidschan erfolgte dann am 15. Mai 2017. Mit Bescheid vom 25. September 2019 lehnte das Bundesamt unter dem Geschäftszeichen 0000000-000 den Antrag des Antragstellers auf Feststellung von Abschiebungsverboten ab. Rechtsmittel hiergegen legte der Antragsteller nicht ein.
8Am 13. April 2022 beantragte der Antragsteller persönlich bei der Außenstelle im Ankunftszentrum Bonn die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. In seiner schriftlichen Begründung führte er im Wesentlichen aus: Nach seiner Abschiebung habe er sich für etwa 20 Tage in Aserbaidschan aufgehalten und sei dann in die Ukraine gegangen. Dort habe er viereinhalb Jahre gelebt. Er sei die ganze Zeit in sozialen Netzwerken als politischer Aktivist tätig gewesen. Im Jahr 2019 habe es – soweit er wüsste – eine Vorladung der Polizei seines Heimatortes, in dem er noch immer gemeldet sei, gegeben. Diese bzw. eine Kopie könne er, soweit erforderlich, nachreichen. Deshalb habe er Angst, nach Aserbaidschan zurückzukehren. Nachdem in der Ukraine der Krieg ausgebrochen sei, sei er nach Deutschland gekommen. Nach Beendigung der Kriegshandlungen sei er bereit, wieder in die Ukraine zurückzukehren. Neue Beweismittel habe er nicht. Er könne aber Zeugen benennen, die für ihn aussagen könnten.
9Mit Bescheid vom 30. Mai 2022 (Gesch.-Z.: 0000000-000), dem Antragsteller am 30. Juni 2022 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt, lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig (Ziffer 1) sowie den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 25. September 2019 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Ziffer 2). Es drohte die Abschiebung nach Aserbaidschan an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Die vorgebrachten exilpolitischen Aktivitäten seien bereits im Asylerstverfahren sowie im anschließenden Klageverfahren gewürdigt worden. Auch einen Zusammenhang zwischen den angeblichen exilpolitischen Aktivitäten und der behaupteten polizeilichen Vorladung habe der Antragsteller nicht schlüssig darlegen können. Hinzu komme, dass dem Antragsteller die Existenz einer polizeilichen Vorladung als vermeintlich neuer Sachverhalt bereits seit 2019 bekannt sei, so dass der Folgeantrag auch aus diesem Grund unzulässig sei.
10Der Antragsteller hat am 4. Juli 2022 beim Verwaltungsgericht Aachen Klage erhoben und den vorliegenden Eilantrag gestellt. Mit Beschluss vom 19. Juli 2022 hat sich das Verwaltungsgericht Aachen für örtlich unzuständig erklärt und sowohl das Klage- als auch das vorliegende Eilverfahren an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen.
11Zur Begründung nimmt der Antragsteller Bezug auf „die Angaben in der Anhörung“. Eine darüber hinausgehende Antragsbegründung erfolgte nicht.
12Der Antragsteller beantragt,
13die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 4266/22.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Mai 2022 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
14Die Antragsgegnerin beantragt,
15den Antrag abzulehnen.
16Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 22 K 4266/22.A sowie der in beiden Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
18II.
191.
20Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend unter 2. genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
21Ein ausdrücklicher PKH-Antrag befindet sich in der Antragsschrift zwar nicht. Allerdings wird darin ausgeführt, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsschrift – was zutrifft – beilägen und dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestreite. Darin dürfte zumindest ein konkludenter PKH-Antrag zu sehen sein.
222.
23Der zulässige, insbesondere fristgemäß, weil innerhalb der Wochenfrist der §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellte Antrag ist unbegründet.
24Bei der vom Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit gemäß § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entscheidung der Antragsgegnerin anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung abzuwägen, wobei allerdings gemäß § 36 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AsylG, der gemäß § 71 Abs. 4 AsylG entsprechend anzuwenden ist, eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheides in Betracht kommt. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Bundesamts einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält.
25Ausgehend von diesen Maßstäben fällt die Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids vom 30. Mai 2022 und dem Öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung zu Lasten des Antragstellers aus. Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Das Bundesamt ist nach summarischer Prüfung in seinem Bescheid nämlich zu Recht davon ausgegangen, dass insoweit die Voraussetzungen des § 34 AsylG vorliegen. Denn der Folgeantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig, da die besonderen Zulässigkeitsanforderungen der § 71 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG nicht vorliegen (dazu a). Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich (dazu b)
26a)
27Die besonderen Zulässigkeitsanforderungen des § 71 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG verlangen, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Ein Asylfolgeantrag ist ferner nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen, § 51 Abs. 2 VwVfG. Die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für asylrechtliche Folgeanträge indes nicht mehr anzuwenden. Denn Art. 40 der RL 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) sieht solche Fristen nicht vor und ermächtigt auch die Mitgliedstaaten nicht dazu, solche Fristen vorzusehen. Ausschlussfristen für die Stellung eines Asylfolgeantrags sind nach der aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts vorrangig zu berücksichtigenden Richtlinie vielmehr ausgeschlossen.
28Vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-18/20 –, juris, Rn. 55; siehe auch VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 3. August 2022 – 12a K 4352/21.A –, juris, Rn. 17 m. w. N.
29Für die Bejahung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Asylverfahrens wegen nachträglicher Änderung der Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist – neben dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 VwVfG – notwendig, dass der Folgeantragsteller eine Änderung im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt; er muss substantiiert die Umstände darlegen, die sich nach Abschluss des früheren Verfahrens geändert haben sollen. Außerdem ist die Geeignetheit der neuen Tatsachen für eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung schlüssig darzutun. Es genügt nicht, dass lediglich pauschale Behauptungen aufgestellt werden. Die Darlegungen des Folgeantragstellers müssen eine günstigere Entscheidung zumindest als möglich erscheinen lassen.
30Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2000 – 2 BvR 39/98 –, juris, Rn. 32; VG Stuttgart, Urteil vom 14. März 2017 – A 11 K 7407/16 –, juris, Rn. 36.
31Ausgehend von diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor und ist ein weiteres Asylverfahren daher nicht durchzuführen, § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Ausführungen des Antragstellers in seiner schriftlichen Begründung des Folgeantrags stellen lediglich pauschale Behauptungen dar, die durch nichts belegt sind. Der bloße Hinweis darauf, dass er Zeugen benennen könne, genügt ersichtlich nicht, seine pauschalen Behauptungen zu substantiieren. Im Übrigen widerspricht sich der Antragsteller selbst, wenn er einerseits angibt, ggf. eine Kopie der polizeilichen Vorladung nachreichen zu können, andererseits aber vorträgt, keine Beweismittel vorlegen, sondern lediglich Zeugen benennen zu können.
32Aber auch ungeachtet dessen lässt sich den pauschalen Behauptungen des Antragstellers – diese als wahr unterstellt – nicht entnehmen, inwiefern sich die Umstände nach Abschluss des Asylerstverfahrens in flüchtlingsrelevanter Weise geändert haben sollen. Das Bundesamt weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die vom Antragsteller behaupteten oppositionellen sowie exilpolitischen Aktivitäten bereits Gegenstand des ursprünglichen Asylerstverfahrens gewesen und auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beim Verwaltungsgericht Münster gewürdigt worden sind. Dass sich die Aktivitäten des Antragstellers während der letzten Jahre qualitativ oder auch nur quantitativ geändert hätten, trägt der Antragsteller nicht vor. Dem Bundesamt ist schließlich auch insoweit Recht zu geben, als nicht ersichtlich ist, inwieweit die vermeintliche polizeiliche Vorladung aus dem Jahr 2019 mit den exilpolitischen Aktivitäten des Antragstellers im Zusammenhang steht. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller von der polizeilichen Vorladung nur vom Hörensagen weiß und daher selbst nicht sicher sein kann, in welchem Zusammenhang diese, sollte es sie tatsächlich geben, ergangen ist.
33Nicht zu folgen ist dem Bundesamt indes in der Einschätzung, dass der Folgeantrag auch deshalb unzulässig sei, weil die Existenz der polizeilichen Vorladung als vorgeblich neuer Sachverhalt bereits seit 2019 bekannt sei. Dieses Argument dürfte mit Blick auf die oben erwähnte Rechtsprechung des EuGH, wonach Ausschlussfristen für Folgeanträge europarechtlich ausgeschlossen seien, rechtlich unzulässig sein. Es dürfte demgegenüber nur darauf ankommen, dass solche Umstände vorgetragen werden, die sich nach dem Abschluss des Asylerstverfahrens ereignet haben. Diese Voraussetzung wäre hier erfüllt gewesen, weil das Asylerstverfahren bereits im Jahr 2016 abgeschlossen war. Auch ist es vor dem Hintergrund, dass sich der Antragsteller nach seinem Vortrag in den letzten Jahren in der Ukraine aufgehalten habe, nachvollziehbar, dass er diesen Sachverhalt dem Bundesamt nicht bereits im Jahr 2019 vorgetragen hat. Diese abweichende rechtliche Einschätzung wirkt sich jedoch angesichts der obigen Ausführungen hier nicht entscheidungserheblich aus.
34Der Antragsteller ist den im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht entgegengetreten. Eine substantiierte Antragsbegründung hat der Antragsteller ohnehin nicht vorgelegt bzw. durch seine Prozessbevollmächtigte vorlegen lassen. Soweit in der Antragsschrift auf „die Angaben in der Anhörung“ Bezug genommen wird, erschließt sich bereits nicht, was genau damit gemeint sein soll. Im Asylfolgeverfahren fand eine Anhörung des Antragstellers nicht statt. Sollte auf die Anhörung im Asylerstverfahren Bezug genommen werden, so ist dies wegen § 51 Abs. 1 VwVfG von vornherein nicht geeignet, einen Asylfolgeantrag zu begründen.
35b)
36Es bestehen ferner auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 30. Mai 2022.
37Dabei kann hier dahinstehen, ob über Abschiebungsverbote in einem Asylfolgeverfahren nur zu entscheiden ist, wenn – wovon das Bundesamt in ständiger Verwaltungspraxis ausgeht – auch insoweit die Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 bzw. § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG erfüllt sind oder – wofür einiges spricht – deren Vorliegen in jedem Fall (erneut) zu prüfen ist. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt in Fällen unzulässiger Asylanträge i. S. d. § 29 Abs. 1 AsylG fest, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
38Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 –, juris, Rn. 18, 20, und Beschlüsse vom 27. April 2017 – 1 B 6.17 –, juris, Rn. 5, und vom 3. April 2017 – 1 C 9.16 –, juris, Rn. 9.
39Zu den unzulässigen Asylanträgen i. S. d. § 29 Abs. 1 AsylG gehört nach Ziffer 5 der Norm auch der Folgeantrag. Nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung des Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 ist deshalb auch die Entscheidung über Folgeanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG entgegen der bis zum 5. August 2016 geltenden Rechtslage unabhängig davon, ob ein Grund nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegt oder die bestandskräftige frühere Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gemäß § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zurückzunehmen oder zu widerrufen ist, mit der Feststellung zu verbinden, ob die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots erfüllt sind. Insoweit werden in der hierzu ergangenen Rechtsprechung allerdings Bedenken vorgebracht, ob diese voraussetzungslose Überwindung der Bestandskraft der vorangegangenen Entscheidung von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers umfasst war. Die Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. Bundestags-Drucksache 18/8615, Seite 18 und 52) weist die Neufassung nur als eine Folgeänderung aus, ohne den Willen einer sachlichen Änderung erkennen zu lassen. Vorliegend kann dahinstehen, ob ein offensichtliches Versehen des Gesetzesgebers anzunehmen und § 31 Abs. 3 AsylG einschränkend dahin auszulegen ist, dass eine Prüfungs- und Entscheidungspflicht des Bundesamts für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Folgeanträgen nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG besteht.
40So aber VG Aachen, Beschluss vom 23. April 2021 – 10 L 164/21.A –, juris, Rn. 26 ff.; VG Hamburg, Urteil vom 12. Juni 2020 – 8 A 486/17 –, juris, Rn. 37 ff., und Beschluss vom 16. März 2020 – 17 AE 1084/20 –, juris, Rn. 26 ff.; VG Trier, Urteil vom 21. Januar 2020 – 1 K 3689/18.TR –, juris, Rn. 16, jeweils m. w. N. Offen lassend OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 – 13 A 3930/18.A –, juris, Rn. 25 ff.
41Der hier zur Entscheidung berufene Einzelrichter hält eine einschränkende Auslegung der Vorschrift nicht für geboten. Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG setzt voraus, dass durch die Abschiebung entweder elementare, in der EMRK niedergelegte Rechten verletzt werden, oder dass von der Abschiebung für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgeht. Es erscheint daher angesichts der hier in Rede stehenden Rechtsgüter ohne weiteres sachlich gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber vom Bundesamt anlässlich einer Entscheidung über Folgeanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG eine (erneute) Prüfung von Abschiebungsverboten verlangt, die nicht den Einschränkungen der §§ 51, 48, 49 VwVfG unterworfen ist.
42Die Frage bedarf hier jedoch letztlich keiner abschließenden Entscheidung, weil der Antragsteller jedenfalls in der Sache keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hat. Insoweit wird auf die – in der Sache zutreffenden – Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts Bezug genommen.
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
44Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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