Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 22 L 913/22.A
Tenor
1.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller.
1
Gründe
2I.
3Der am 00.00.0000 in J. geborene Antragsteller besitzt die Staatsangehörigkeit der Republik Türkei. Er verließ mit einem von der Republik Polen am 13. Dezember 2021 ausgestellten und vom 24. Dezember 2021 bis zum 15. Januar 2022 gültigen Schengen-Visum nach eigenen Angaben am 28. Dezember 2021 die Türkei. Er flog zunächst von Istanbul nach Warschau. Am Flughafen in Warschau wurden dem Antragsteller von den polnischen Behörden Fingerabdrücke abgenommen. Anschließend flog er weiter nach Düsseldorf. Von dort aus fuhr er mit dem Zug nach Paris, wo er sich etwa 20 Tage aufhielt. Er reiste dann nach Belgien und anschließend weiter nach Amsterdam. Am 10. März 2022 reiste er schließlich in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte bei der Landeserstaufnahmeeinrichtung NRW in Bochum ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am 12. März 2022 schriftlich Kenntnis erlangte.
4Das Bundesamt hörte den Antragsteller am 2. Mai 2022 an. Der Antragsteller trug hierbei im Wesentlichen vor, dass sein eigentliches Ziel Deutschland gewesen sei. Hier lebten ein Onkel sowie einige Bekannte. Wie er gehört habe, hasse man in Polen Ausländer. Außerdem gebe es dort Diskriminierung. Am 3. Mai 2022 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an die Republik Polen, welches diese mit Schreiben vom 17. Mai 2022 annahm.
5Mit Bescheid vom 18. Mai 2022 (Gesch.-Z.: 0000000-000), dem Antragsteller am 25. Mai 2022 ausgehändigt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2). Es ordnete die Abschiebung nach Polen an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Wegen des von der Republik Polen ausgestellten Schengen-Visums sei diese für den Asylantrag des Antragstellers zuständig. Ein Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland wegen systemischer Mängel des polnischen Asylsystems sei nicht gegeben. Der Zugang zu einem funktionierenden Asylverfahren und adäquater Versorgung sei in Polen auch für Dublin-Rückkehrer gewährleistet. Zudem sei nach den Erkenntnissen des Bundesamtes die medizinische Versorgung von Asylbewerbern sichergestellt. Dass ein Onkel des Antragstellers in Deutschland lebe, rechtfertige nicht die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, da es sich bei diesem nicht um einen Familienangehörigen im Sinne der Dublin-III-Verordnung handle.
6Der Antragsteller hat am 27. Mai 2022 Klage erhoben und den vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.
7Zur Begründung seines Eilantrags führt er im Wesentlichen aus: Angesichts der aktuellen Situation in Polen sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das polnische Asylsystem den europarechtlichen Mindestanforderungen nicht entspreche.
8Der Antragsteller beantragt,
9die aufschiebende Wirkung der gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Mai 2022 gerichteten Anfechtungsklage 22 K 3240/22.A anzuordnen.
10Die Antragsgegnerin beantragt,
11den Antrag abzulehnen.
12Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den angefochtenen Bescheid. Darüber hinaus trägt sie im Wesentlichen vor: Es stehe fest, dass die Überstellung durchgeführt werden könne. Zwar habe die Republik Polen am 25. Februar 2022 vorsorglich erklärt, dass Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung zunächst nicht mehr entgegengenommen würden. Unter dem 23. Juni 2022 habe sie jedoch mitgeteilt, dass Überstellungen ab dem 1. August 2022 wieder angenommen würden. Darüber hinaus sei nach derzeitigem Sachstand nicht davon auszugehen, dass sich durch die bereits erfolgten und noch zu erwartenden Flüchtlingsbewegungen die Aufnahme und die Lebensbedingungen für Dublin-Rückkehrende in der Republik Polen so weitreichend verändern und verschlechtern würden, dass von einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen sei.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 22 K 3240/22.A sowie des im Klageverfahren beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts verwiesen.
14II.
15Der zulässige, insbesondere fristgemäß gestellte Antrag ist unbegründet.
16Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat nach den allgemeinen Grundsätzen zu § 80 Abs. 5 VwGO bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem sich aus der Regelung des § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids und dem Interesse der jeweiligen Antragstellerin bzw. des jeweiligen Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung ihres bzw. seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin bzw. des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als voraussichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
17Hiervon ausgehend hat die gegen Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes gerichtete Anfechtungsklage des Antragstellers unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage voraussichtlich keinen Erfolg. Denn diese erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Daher überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
18Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG), an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier mit hoher Wahrscheinlichkeit vor.
19Das Bundesamt ist zutreffend von der Zuständigkeit der Republik Polen für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers ausgegangen. Diese ergibt sich vorliegend aus Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO, denn die Republik Polen hat dem Antragsteller am 13. Dezember 2021 ein vom 24. Dezember 2021 bis zum 15. Januar 2022 gültiges Schengen-Visum ausgestellt. Das Bundesamt hat auch nach Maßgabe von Art. 21 Dublin-III-VO rechtzeitig ein Aufnahmegesuch an die Republik Polen gerichtet. Polen wiederum hat auch rechtzeitig innerhalb von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO auf das Aufnahmegesuch geantwortet und sich für zuständig erklärt.
20Die Zuständigkeit ist auch entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Danach setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
21In Bezug auf Polen liegen derzeit keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in der Situation des Antragstellers systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Hierzu hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf im Beschluss vom 10. August 2022 – 12 L 1303/22.A – folgendes ausgeführt (juris, Rn. 47 bis 106):
22„Das Gemeinsame Europäische Asylsystem geht auf der Grundlage des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten davon aus, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie der EU-Grundrechtecharta finden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Antragsteller oder Schutzberechtigte bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. [...] Die Überstellung eines Antragstellers oder Schutzberechtigten in einen Mitgliedstaat ist in all jenen Situationen ausgeschlossen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt ist, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zu erfahren. [...] Dabei ist es für die Anwendung von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta gleichgültig, ob das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss besteht. [...] Insoweit ist das zuständige Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Derartige Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 der EU-Grundrechtecharta, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist. [...] Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs können systemische Mängel in diesem Sinne erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch, vorliegen. Diese müssen aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein, ihm also nicht unbekannt sein können. [...] Große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person reichen nicht aus, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Das Fehlen familiärer Solidarität ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für einen Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta nicht aus. Schließlich kann der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise zuständigen Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung tatsächlich der Gefahr ausgesetzt ist, eine gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta verstoßende Behandlung zu erfahren. [...] Ein Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta liegt daher erst vor, wenn die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen (‚Bett, Brot, Seife‘). [...] Der Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta muss dabei unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen. Er liegt mithin nicht vor, wenn der Betroffene nicht den Versuch unternimmt, sich unter Zuhilfenahme der bescheidenen Möglichkeiten und gegebenenfalls unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine Existenz aufzubauen. [...] Nach diesen Vorgaben ist in Bezug auf Polen nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Überstellung in dieses Land mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im eben beschriebenen Sinne droht. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass in Polen für Dublin-Rückkehrer in der Situation des Antragstellers systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen. [...] Der Antragsteller wird in Polen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Zugang zum Asylverfahren haben. Ungeachtet der Frage, ob gegenüber Ausländern, die nicht über amtliche Grenzübergänge ins Land gekommen sind, an der belarussisch-polnischen Grenze illegale Pushbacks stattfinden, [...] liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen dem in Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 3 EMRK verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulement-Verbot) ohne eine Entscheidung über ihren Asylantrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, können bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. Eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird der Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. [...] Für Asylbewerber besteht ab dem Zeitpunkt der Registrierung (nach Antragstellung) in einem der Erstaufnahmezentren ein Recht auf Versorgung während des gesamten Verfahrens, inklusive einer ersten Beschwerde. Asylbewerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, Mahlzeiten, Taschengeld, Geld für Hygieneartikel und eine Einmalzahlung für Bekleidung. Asylbewerber, die außerhalb der Aufnahmezentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe. Beide Gruppen erhalten einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder, Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. [...] Eine andere Bewertung der Situation für Asylsuchende in Polen ist auch nicht im Hinblick auf einen aktuellen Bericht von ProAsyl geboten.
23Vgl. ProAsyl, "Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden", vom 28. Juli 2022, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/news.
24Darin wird zwar argumentiert, Schutzsuchende, die von Polen nach Deutschland weitergeflohen seien, dürften nicht nach Polen zurückgeschoben werden, weil sie dort absehbar systematisch inhaftiert würden und die Haftbedingungen für Geflüchtete in Polen menschenunwürdig und erniedrigend sein könnten. Dies lässt sich der angegebenen Quelle in dieser Allgemeinheit aber nicht entnehmen. Nach dem AIDA-Bericht Polen 2021, Update May 2022, ist eine Inhaftierung zwar in allen Asylverfahren möglich, besonders im Falle eines illegalen Grenzübertritts und auch im Falle eines Transfers unter dem Dublin-Regime.
25Vgl. AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 91, abrufbar unter: https://asylumineurope.org.
26Nach den weiteren Ausführungen des Berichts betreffen Inhaftierungen aber in erster Linie Personen nach ihrer illegalen Einreise über die polnisch-belarussische Grenze.
27Vgl. AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 88, abrufbar unter: https://asylumineurope.org.
28Die Ausführungen des Berichts lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass auch Dublin-Rückkehrer systematisch inhaftiert und unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Es kann folglich nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller im Falle einer Überstellung nach Polen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit inhaftiert werden wird.
29Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und der zum Zeitpunkt der Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen ist zudem davon auszugehen, dass dem Antragsteller auch für den Fall, dass er in Polen internationalen Schutz erhalten sollte, keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta droht. Die Situation anerkannter Schutzberechtigter im zuständigen Mitgliedstaat ist auch bei sogenannten Dublin-Rückkehrern bereits in den Blick zu nehmen. [...] Die Lebensverhältnisse für international Schutzberechtigte in Polen stellen sich nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK dar. Ein vom Willen der Schutzberechtigten unabhängiger ‚Automatismus der Verelendung‘ lässt sich nicht feststellen. [...] Anerkannten Schutzberechtigten droht in Polen nicht automatisch die Obdachlosigkeit. Sie haben das Recht, sich noch für maximal zwei Monate nach der endgültigen Entscheidung über ihren Asylantrag in den Aufnahmezentren aufzuhalten. Der polnische Staat stellt Schutzberechtigten keine Wohnung zur Verfügung und es herrscht generell ein Mangel an Sozialwohnungen, sowohl für polnische Staatsbürger als auch für Schutzberechtigte. Einige Gemeinden bieten jedes Jahr Wohnungen speziell für Schutzberechtigte an. Berichten zufolge vermieten aber viele Vermieter nicht gerne an Flüchtlinge bzw. verlangen höhere Mieten. Viele NGOs meine, Flüchtlinge würden sich in Polen Obdachlosigkeit und Armut gegenüber sehen. Hierzu gibt es aber keine belastbaren Zahlen. [...] Schutzberechtigte haben wie polnische Bürger zwar vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, in der Praxis sind jedoch fehlende Sprachkompetenz und Qualifikation der Flüchtlinge sowie Diskriminierung ein Problem. Schutzberechtigte können binnen 60 Tagen ab Statuszuerkennung die Teilnahme an einem speziellen Individual Integration Program (IPI), das von den Poviat Family Support Centers (PCPR) angeboten wird, beantragen. Integrationshilfe wird für 12 Monate gewährt. Sie umfasst unter anderem eine Beihilfe für Polnisch-Kurse, Übernahme der Krankenversicherung und Sozialberatung. Abhängig von der Haushaltsgröße erhalten die Teilnehmer zwischen 158 und 317 Euro pro Person in den ersten sechs Monaten und zwischen 149 und 288 Euro pro Person in den zweiten sechs Monaten. Die Teilnehmer werden auch bei der Arbeitssuche und bei der Suche nach Wohnraum unterstützt, gegebenenfalls wird eine Beihilfe für das Mieten einer Wohnung gezahlt. [...] Schutzberechtigte haben wie polnische Bürger Zugang zum allgemeinen polnischen Sozialsystem und können Sozialhilfe erhalten, wenn sie eine gewisse Einkommensgrenze nicht überschreiten. Sie haben ebenfalls Zugang zu verschiedenen Familienbeihilfen. In der Praxis bestehen aber auch hier oft Zugangsprobleme aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen, mangelndem Wissen über ihre Rechte und administrative Hürden. [...] International Schutzberechtigte haben ein Recht auf medizinische Versorgung wie polnische Staatsbürger, was bedeutet, dass sie grundsätzlich eine Krankenversicherung haben müssen. Während sie eine Integrationshilfe beziehen, müssen sie sich arbeitslos melden und werden von der öffentlichen Hand krankenversichert. Nach Ende der Integrationshilfe muss die Krankenversicherung entweder von einem etwaigen Arbeitgeber, dem zuständigen Arbeitsamt (wenn der Betreffende arbeitslos gemeldet ist) oder vom Schutzberechtigten selbst übernommen werden. Die administrativen Hürden für den Zugang zu medizinischer Versorgung in Polen gelten als hoch und langwierig. [...] Selbst wenn sich danach die Situation für Dublin-Rückkehrende bzw. für anerkannt Schutzberechtigte in Polen schwieriger darstellt als in Deutschland, ergibt sich hieraus keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK. Es ist zu berücksichtigen, dass Dublin-Rückkehrer bzw. Schutzberechtigte nicht grundsätzlich schlechter gestellt sind als polnische Staatsbürger. Ein vom eigenen Willen des Asylsuchenden bzw. Schutzberechtigten unabhängiger Automatismus der Verelendung bei einer Rückkehr nach Polen lässt sich nach dem Vorstehenden jedenfalls nicht feststellen. Eine möglicherweise zu besorgende Verschlechterung auch der wirtschaftlichen Situation in Polen im Gegensatz zur Situation in Deutschland ist dem Antragsteller angesichts der oben aufgezeigten hohen Hürden für die Annahme systemischer Mängel zumutbar und rechtlich tolerierbar.
30Eine andere Bewertung ist auch nicht im Hinblick auf den derzeit fortdauernden Ukrainekrieg und die sich hieraus ergebenden Flüchtlingsbewegungen nach Polen geboten. Zwar sind nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 ca. 4,8 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Polen geflohen, die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine, die für vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzsysteme in Polen registriert sind, beträgt (Stand: 18. Juli 2022) indes ‚nur‘ 1.235.000.
31Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.
32Ferner ist festzustellen, dass zwischen dem 27. Februar 2022 und 9. März 2022 täglich noch zwischen 100.000 und (in der Spitze) 140.000 Menschen zum Schutz vor dem Krieg nach Polen eingereist sind, die täglichen Einreisezahlen seit Mitte März 2022 aber deutlich gesunken sind. Sie lagen seit dem 28. März 2022 bei täglich zwischen 9.000 und 28.000 Personen und zuletzt nur zwischen 16.000 und 21.000 Personen pro Tag.
33Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.
34Zuletzt ist auch eine verstärkte Rückkehr der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in ihr Herkunftsland zu verzeichnen. So haben in der Zeit vom 10. Mai 2022 bis zum 19. Juli 2022 täglich zwischen 20.000 und 30.000 Grenzübertritte in die Ukraine stattgefunden.
35Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.
36Zu berücksichtigen ist ferner, dass Schutzsuchende aus der Ukraine aufgrund des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes nicht das üblicherweise vorgesehene Asylverfahren durchlaufen müssen, sondern in einem vereinfachten Verfahren einen europaweit gültigen vorübergehenden Schutz mit entsprechendem Zugang zum Arbeitsmarkt und etwaigen Sozialleistungen erhalten (können). Die Aktivierung der Richtlinie 2001/55/EG vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (Massenzustrom-Richtlinie) soll eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten fördern.
37Vgl. Art. 1 der Richtlinie 2001/55/EG (Massenzustrom-Richtlinie); ferner Erwägungsgründe 16 und 20 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 vom 4. März 2022.
38Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Schutzsuchenden aus der Ukraine zu einem beachtlichen Teil in privat organisierten Unterkünften untergebracht werden oder weiterreisen, was im März 2022 dazu führte, dass die von lokalen polnischen Behörden eingerichteten Unterkunftszentren mit einer Kapazität für ca. 280.000 Menschen weitgehend unbewohnt geblieben sind.
39Vgl. UNHCR, Situation in der Ukraine: Flash-Update Nr. 1 vom 8. März 2022, S. 4, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/documents/details/91208, Stand: 26. Juli 2022; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 –, juris, S. 8 f. des Urteilabdrucks.
40Dem Gericht liegen keine Berichte oder andere Erkenntnismittel vor, wonach es derzeit zu einer Überforderung des polnischen Asylsystems kommen soll, etwa durch Engpässe bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung. [...] Der Antragsteller hat keine aktuellen Erkenntnisse benannt, die die vorstehenden Ausführungen zu den Lebensbedingungen von Asylbewerbern und Personen mit internationalem Schutzstatus in Polen in Frage stellen könnten. Individuelle, in der Person des Antragstellers liegende besondere Gründe, die im Falle der Rückkehr nach Polen als Asylbewerber oder der Zuerkennung internationalen Schutzes hinsichtlich der dann zu erwartenden Lebensverhältnisse auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK schließen lassen könnten, liegen nicht vor.“
41Dieser Einschätzung schließt sich der hier zur Entscheidung berufene Einzelrichter nach eingehender Auswertung der vom VG Düsseldorf herangezogenen Erkenntnismittel, insbesondere des auch im vorliegenden Verfahren vom Antragsteller vorgelegten Berichts von ProAsyl sowie des „AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022“, vollumfänglich an. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass die benannten Berichte durchaus geeignet sind, Zweifel in Bezug auf die Europarechtskonformität des polnischen Asylsystems zu wecken. Insgesamt liegen jedoch keine hinreichend belastbaren Zahlen und/oder Fakten vor, auf deren Grundlage ein Abweichen vom Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt werden könnte.
42Ein Zuständigkeitsübergang ergibt sich auch nicht aus Art. 17 Dublin-III-VO. Die Antragsgegnerin hat von ihrem in dieser Vorschrift geregelten Selbsteintrittsrechts ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht. Zwar erweist sich die im angefochtenen Bescheid enthaltene Begründung insoweit als ermessensfehlerhaft. Nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung). Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts steht im Ermessen der Antragsgegnerin. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. So liegt der Fall hier. Ausgehend von der in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Ermessensfehlerlehre
43(vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwGO (Stand: Februar 2022), VwGO § 114, Rn. 56 ff. m. w. N.)
44liegt hier ein Fall des sogenannten Ermessensfehlgebrauchs vor. Das Bundesamt hat zwar innerhalb der von Art. 17 Dublin-III-VO vorgegebenen Grenzen sein Ermessen ausgeübt. Die Entscheidungsfindung, konkret die Entscheidung, vom Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch zu machen, erweist sich jedoch als ermessensfehlerhaft, weil sie den Zweck der Ermächtigung verfehlt. Der Zweck der Ermächtigung ergibt sich unter anderem aus Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach kann der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Zwar betrifft diese Vorschrift die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO dem Wortlaut nach nicht unmittelbar; der darin ausdrücklich angesprochene humanitäre Grund der Zusammenführung von Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung stellt aber bei systematischer Auslegung von Art. 17 Dublin-III-VO sowie unter Berücksichtigung des 17. Erwägungsgrundes der Dublin-III-VO auch bei der Ausübung des Selbsteintrittsrechts einen maßgeblichen und relevanten Gesetzeszweck dar, den es bei der Ausübung des Selbsteintrittsrechts zu beachten gilt. Hiervon geht im Übrigen auch das Bundesamt selbst aus, wenn es auf Seite 9 des angefochtenen Bescheids den Sachvortrag des Antragstellers, wonach dessen Onkel in Deutschland lebe, im Rahmen der Ausübung des Selbsteintrittsrechts prüft. Die entsprechenden Ausführungen des Bundesamts sind aber insofern ermessensfehlerhaft, als es die Ausübung des Selbsteintrittsrechts mit der Begründung ablehnt, dass es sich bei dem in Deutschland lebenden Onkel des Antragstellers nicht um einen Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 lit. g) Dublin-III-VO handele. Wie oben bereits dargestellt, zielt Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO jedoch auf die Zusammenführung von Personen „jeder verwandtschaftlichen Beziehung“ ab. Hier war also nicht auf den Begriff „Familienangehöriger“ im Sinne von Art. 2 lit. g) Dublin-III-VO, sondern auf den Begriff „Verwandter“ im Sinne von Art. 2 lit. h) Dublin-III-VO abzustellen. Danach meint der Begriff „Verwandter“ u.a. den volljährigen Onkel des Antragstellers. Das Bundesamt hat also verkannt, dass auch der Umstand eines in Deutschland lebenden Onkels des Antragstellers im Rahmen der Ausübung des Selbsteintrittsrechts hätte berücksichtigt werden müssen.
45Dies führt im Ergebnis jedoch nicht zur Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Dem Antragsteller steht insoweit (lediglich) ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu, weil für eine Ermessensreduzierung auf null hier nichts ersichtlich. Mit Blick auf die Möglichkeit der Antragsgegnerin, im Hauptsacheverfahren die Ermessenserwägungen nach Maßgabe von § 114 Satz 2 VwGO zu ergänzen, wirkt sich der festgestellte Ermessensfehler im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht zugunsten des Antragstellers aus.
46Einer Überstellung des Antragstellers nach Polen stehen nach derzeitigem Kenntnisstand auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 5 AufenthG ist nach dem zuvor Gesagten nichts ersichtlich. Es liegt auch kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sein könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
47Gleiches gilt für ein der Abschiebung nach Polen entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre.
48Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen auch im Übrigen keine Bedenken, so dass die Abschiebung des Antragstellers nach Polen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann. Die Überstellung des Antragstellers nach Polen ist nach allem rechtlich zulässig und auch tatsächlich möglich. Polen hatte mit Rundschreiben vom 25. Februar 2022 zwar alle eingehenden Dublin-Transfers bis auf weiteres suspendiert. Inzwischen haben die zuständigen polnischen Behörden mit Rundschreiben vom 23. Juni 2022 aber mitgeteilt, ab dem 1. August 2022 Dublin-Transfers nach Polen wieder aufzunehmen. Ungeachtet dessen hatte die Republik Polen im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 17. Mai 2022 und damit nach dem Rundschreiben vom 25. Februar 2022 das Aufnahmegesuch vom 3. Mai 2022 ausdrücklich angenommen und der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt.
49Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
50Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Referenzen
- 22 K 3240/22 2x (nicht zugeordnet)
- 12 L 1303/22 1x (nicht zugeordnet)
- 5 B 31/22 1x (nicht zugeordnet)