Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (1. Kammer) - 1 A 103/98

Gründe

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Die fristgemäß erhobene und auch sonst zulässige Klage ist begründet. Denn die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Er hat Anspruch auf die begehrte Neubescheidung.

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1. Dahinstehen kann, ob der Festsetzungsbescheid vom 21. September 1994 nebst Anlage tatsächlich so klar ist, wie das von der Beklagten angenommen wird:

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Unter „G“ der Berechnung sind unter Pkt. 3 als „Ruhegehaltfähige Stellenzulagen“ sowohl die Ausgleichszulage als auch die sog. Polizeizulage (gem. Vorb. Nr. 9 zur BBesO A u. B) ausgewiesen und beide Zulagen durch ein „u.“, also das Wort „und“, miteinander verknüpft worden. Die Höhe dieser (beiden) Zulagen ist mit (jeweils) 234,77 DM angegeben worden. Diese Angaben sind unklar und zeigen den tatsächlichen Zusammenhang, vor allem die zeitliche Befristung der Ausgleichszulage bis zum 31. Januar 1995, die - entgegen dem Erscheinungsbild des Bescheides - hier ausnahmsweise nicht zu den ruhegehaltfähigen Stellenzulagen gehörte (vgl. Schwegmann/Summer, Bundesbesoldungsgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung/Std: 1.3.2002, § 13 Rdn. 20), für einen versorgungsrechtlich unkundigen Empfänger des Bescheides nicht auf. Die zugehörige Auszahlungsanordnung weist denn auch beide Zulagen unter verschiedenen Schlüsseln nebeneinander als ruhegehaltfähig aus (zu 030), was unrichtig ist. Das Pensionsberechnungsblatt Nr. 003 v. 18.1.1995 (Zahlung ab1.2.95) führt daneben beide Zulagen mit gleichen Beträgen nebeneinander unter dem Schlüssel 011 und unter dem Schlüssel 086 auf und weist in der Sache unrichtige (überhöhte) Dienstbezüge aus, so wie das dem Kläger in den Bezügemitteilungen dann auch fortlaufend - wiederum unrichtig - mitgeteilt worden ist (vgl. Bl. 23 der VerwV und S. 2 des Schriftsatzes der Beklagten v. 2.11.1998). Unter diesen Umständen eines von Anfang an unklaren und mißverständlichen Festsetzungsbescheides vom 21. September 1994 mit unrichtigen Folgerungen mag auf sich beruhen, ob allein die Summierung unter Pkt 4 der Berechnung (Betrag: 3.408,01 DM) noch zu der nötigen Klarheit verhelfen konnte. Möglicherweise hätte es einer klarstellenden Neufestsetzung der Versorgungsbezüge bedurft, um aus der Sicht des Klägers sein Vertrauen auf eine korrekte Bearbeitung seines Ruhegehaltes sowie darauf, dass er eine Ausgleichszulage „und“ auch eine Stellenzulage erhalte, zu erschüttern.

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Zugunsten der Beklagten mag dabei jedoch davon ausgegangen werden, dass trotz der Unklarheiten des Bescheides sachlich eine Festsetzung nur in Höhe einer einzigen Zulage erfolgt ist und damit hinsichtlich der erfolgten Zahlungen ein Widerspruch zum Festsetzungsbescheid vom 21. September 1994 vorliegt.

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Demgemäß ist das dem Kläger tatsächlich gewährte Ruhegehalt hier „ zuviel gezahlt“ worden und nicht etwa aufgrund eines Festsetzungsbescheides, der nach wie vor noch für sich genommen Rechtsgrund für die erbrachten (überhöhten) Zahlungen sein könnte (vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 87 Anm. 3 b mwN.). Denn eine rechtswirksame Aufhebung oder Abänderung des maßgeblichen Festsetzungsbescheides vom 21. September 1994 liegt dann nicht mehr vor (vgl. dazu die nur interne Änderungsanordnung v. 18. Juni 1998 / Bl 28 der VerwV). Der Kläger konnte auf den ergangenen Festsetzungsbescheid mit seinen unklaren, jedenfalls mißverständlichen Angaben vertrauen, zumal er davon ausgehen konnte und kann, dass er nach entsprd. (fachkundiger) Prüfung der doch sachkundigen Oberfinanzdirektion ergangen ist.

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2. Hiervon abgesehen liegen aber die Voraussetzungen für eine Rückforderung gemäß § 52 Abs. 2 S. 2 BeamtVG iVm § 819 BGB nicht vor.

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Bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen kann ohne nähere Prüfung von einem Bereicherungswegfall dann ausgegangen werden, wenn die Überzahlung ca. 10 % der entsprd. Bezüge nicht übersteigt. Das ist hier der Fall.

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Eine verschärfte Haftung gemäß den §§ 818 Abs. 4, 819 BGB - trotz der auf Seiten des Klägers gegebenen Entreicherung - liegt hier nicht vor, da im Hinblick auf die komplizierten Zusammenhänge (vgl. dazu den informatorischen Entwurf der Verwaltungsvorschriften zu § 13 BBesG - BBesGVwV - v. 26.7.2000) für den Kläger nicht klar zutage lag, wieviele und vor allem für welche Zeiträume ihm welche Zulagen in welcher Höhe zustanden. Er konnte nach dem Bescheid davon ausgehen, dass er nach Prüfung der Oberfinanzdirektion eine Ausgleichszulage „und“ auch eine Polizeizulage erhalte, so wie das durch die Bezügemitteilungen dann noch fortlaufend bestätigt wurde. Mit Übersendung einer Durchschrift der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge vom 21. September 1994 war ihm zu Vergleichszwecken von der Beklagten noch die Lektüre der Bezügemitteilung anempfohlen worden, anhand derer er vergleichen sollte, ob „der ausgewiesene Überweisungsbetrag mit dem Ihrem Konto gutgeschriebenen Betrag“ übereinstimmt, das Ruhegehalt also in richtiger Höhe gezahlt werde. Das war auf der Grundlage des anempfohlenen Vergleichs der Fall, so dass wegen der Unrichtigkeit dieser Mitteilungen, in denen beide Zulagen ruhegehaltserhöhend aufgeführt waren, ein Vergleich mit den tatsächlichen Zahlungen keine Auffälligkeiten ergeben konnte: Die Zahlungen stimmten mit den Mitteilungen überein. Unstimmigkeiten konnten sich bei dieser Prüfung nicht ergeben.

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Wenn die Beklagte als sachkundige Behörde bei diesem Kenntnisstand und angesichts der Komplexität der Dinge zunächst selbst nicht erkannte, dass hier eine Zulage fortlaufend zuviel gezahlt wurde, so kann sie vom Kläger nicht erwarten, dass er einen weitergehenden Überblick hatte und - wegen angeblicher „Offensichtlichkeit“ der Zusammenhänge - hätte noch erkennen müssen, dass ihm das in Übereinstimmung mit den zugesandten Bezügemitteilungen tatsächlich ausbezahlte Ruhegehalt versorgungsrechtlich nicht in der gezahlten Höhe zustand. Hier erwartet die beklagte Oberfinanzdirektion vom Kläger einen viel zu weitgehenden Überblick über das Besoldungs- und Beamtenversorgungsrecht. Schließlich ist der Fehler nicht durch Mitarbeiter der Oberfinanzdirektion, sondern erst durch das Bundesamt für Finanzen und dessen fachkundige Prüfung aufgedeckt worden. Der Mangel des rechtlichen Grundes hätte aber derart offensichtlich sein müssen, dass er vom Kläger nur übersehen werden konnte, weil er die verkehrserforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer acht gelassen hatte (BVerwGE 24, 148; 4o, 212). Hierbei ist auf die individuellen Fähigkeiten des Beamten abzustellen, dem die Rückforderung angesonnen wird. Dem Kläger als ehemaligen Zollhauptsekretär musste sich jedoch nicht die Frage stellen, ob diese Zahlungen denn ihre Richtigkeit hätten. Ihm war die Ausgleichszulage fortlaufend (über seine Pensionierung Ende Oktober 1994 hinaus) gezahlt worden und er erhielt ab Februar 1995 noch eine ruhegehaltfähige Polizeizulage, die mit den ihm zugesandten Bezügemitteilungen jedoch im Einklang stand. Da die Ruhegehaltfähigkeit der Ausgleichszulage davon abhängt, ob sie den Wegfall ruhegehaltfähiger Dienstbezügebestandteile ausgleicht (§ 13 Abs. 1 und 2 BBesG), musste es für den Kläger nicht auf der Hand liegen, dass ihm hier zuviel ausbezahlt wird, zumal Ausgleichszulagen auch ruhegehaltfähig sein können (vgl. Schwegmann/Summer, Bundesbesoldungsgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung/Std: 1.3.2002, § 13 Rdn. 20 m.w.N.). Selbst ein Rückgriff auf den ja doch missverständlich formulierten Festsetzungsbescheid vom 21. September 1994 (s.o. Pkt. 1) musste nicht zwangsläufig zu Zweifeln an der Richtigkeit der Zahlungen führen. Dabei konnte der Kläger insgesamt darauf vertrauen, dass die Oberfinanzdirektion Hannover die Dinge eingehend geprüft und die Bewilligung und Auszahlung des Ruhegehaltes in Übereinstimmung mit der Rechtslage vorgenommen habe.

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Das gilt hier besonders deshalb, weil die Beklagte selbst dem Kläger noch anempfohlen hatte, einen Vergleich seiner tatsächlichen Zahlungen mit den Bezügemitteilungen vorzunehmen, nicht aber einen Vergleich mit dem (jedoch unklaren) Festsetzungsbescheid v. 21. September 1994. Die Beklagte selbst hat daher Vergleichstatbestände zueinander in Beziehung gesetzt, die sachlich übereinstimmten und bei deren Vergleich keine Auffälligkeiten feststellbar waren. Eine Pflichtwidrigkeit ist dem Kläger unter diesen Umständen nicht vorzuwerfen. Er hat das getan, was die Beklagte von ihm erwartete und was von jedem anderen Beamten in seinem Falle auch zu verlangen war, nämlich anhand der Informationen seines Dienstherrn eine Prüfung vorzunehmen. Bei dieser Prüfung konnte ihm jedoch nichts auffallen. Wenn er die Dinge nicht noch intensiver als die Oberfinanzdirektion selbst geprüft und im einzelnen nachgerechnet hat, so kann ihm deshalb keineswegs eine Sorgfaltspflichtverletzung in ungewöhnlich hohem Maße vorgeworfen werden. An der gesetzlich geforderten Offensichtlichkeit fehlt es damit.

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Aber selbst dann, wenn man - entgegen obigen Ausführungen - von einer Offensichtlichkeit des rechtlichen Mangels der Zahlungen und damit von einer groben Fahrlässigkeit auf Seiten des Klägers ausgehen wollte, könnten die ergangenen Bescheide keinen Bestand haben, weil die nach Lage der Dinge gebotene Ermessensentscheidung der Beklagten keinen Bestand hat (s. nachfolgend Pkt. 3).

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3. Rechtswidrig sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten nämlich - abgesehen vom Fehlen der Offensichtlichkeit (s.o. Pkt. 2) - auch deshalb, weil die Beklagte eine Billigkeitsentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG nicht im hinreichenden Maße getroffen hat, obwohl das bei Rückforderungsbescheiden stets erforderlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwGE 11, 283/289; BVerwG, RiA 1964, 12 / 14; BVerwG, Urt. v. 15.12.1993 - 1o A 1.91 -). Eine Billigkeitsentscheidung durfte auch nicht deshalb unterbleiben, weil Stundung, Erlass oder Ratenzahlung noch in einem späteren Verfahrensstadium nach haushaltsrechtlichen Vorschriften gewährt werden können. Die entsprd. Entscheidung ist vielmehr zwingend noch vor der Rückforderung zu treffen (BVerwG, aaO.; OVG Münster, Urt. v. 17.1o.1983 - I A 21o3/81 -).

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Die von der Beklagten unter ausdrücklicher Anerkennung einer „Mitschuld“ (S. 3 des angef. Bescheides v. 18. Juni 1998) getroffene Billigkeitsentscheidung, dem Kläger eine (nur) ratenweise Tilgung zu gewähren, was nach dem Widerspruchsbescheid (S. 4) durch die lange Laufzeit bis zur endgültigen Tilgung einem „Teilerlaß“ gleichkomme, stellt unter den gegebenen Umständen eine fehlerfreie Ermessensausübung nicht mehr dar. Denn die Beklagte hat damit an der Rückforderung der Überzahlung uneingeschränkt festgehalten, ohne den Anlass und Grund dieser Überzahlung in ihre Ermessensbetätigung einzubeziehen und gebührend zu berücksichtigen, so wie das erforderlich gewesen wäre. Sie hat damit ihr Ermessen nur zu einem Teil fehlerfrei ausgeübt und nicht mehr - wie es nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes geboten ist - dem Umstand hinreichend Rechnung getragen, dass sie selbst in einem ganz erheblichen, ja doch weit überwiegenden Maße zunächst die Überzahlung verursacht und sodann eine eingehendere Prüfung durch den Kläger mit unzutreffenden Mitteilungen verhindert hat (s.o. Pkt. 2; vgl. dazu auch S. 2 vorletzter Absatz des Vermerks v. 18.6.1998, Bl. 26 der VerwV). Die Beklagte hätte vielmehr ihre eigenen Ursachenbeiträge (falsche Auszahlungsanordnungen, missverständlicher Festsetzungsbescheid, Empfehlen eines Vergleichs der tatsächlichen Zahlungen mit unrichtigen Bezügemitteilungen) über die Bewilligung von Ratenzahlungen hinaus zum Anlass nehmen müssen, eine angemessene, der Billigkeit entsprechende Herabsetzung des Rückforderungsbetrages vorzunehmen (vgl. dazu u.a. auch Haas, VBlBW 1982, S. 278). Denn es ist nicht so, dass sich der Kläger unter den von der Beklagten geschaffenen bzw. mitverursachten Voraussetzungen etwa pflichtwidrig verhalten hätte. Zumindest kann das als offen eingeschätzt werden (s.o. Pkt. 2).

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Die Beklagte hat somit - abgesehen davon, dass es an einer Offensichtlichkeit des Mangels schon fehlt, oben Pkt. 2 - zumindest eine neue Billigkeitsentscheidung zu treffen, die ihren eigenen Verursachungsanteilen billigerweise gebührend Rechnung trägt.

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Die ergangenen Bescheide konnten demgemäß keinen Bestand haben. Die Beklagte war vielmehr zur beantragten Neubescheidung zu verpflichten, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.

 


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