Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (1. Kammer) - 1 A 230/00

Tatbestand

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Der Kläger, der Justizvollzugsbeamter ist und im Dienst des Landes Niedersachsen steht, begehrt von der Beklagten Ersatz des auf dem Weg zur Dienstelle durch einen Wildunfall entstandenen Schadens an seinem PKW.

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Der Kläger wohnt im Ortsteil B.. Seinen Dienst hatte er im März 2000 bei der Justizvollzugsanstalt - JVA - in L. zu versehen. Die Entfernung zwischen Wohn - und Dienstort beträgt ca. 42 km Luftlinie.

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Am 6. März 2000 erlitt er auf dem Weg von seiner Wohnung zur JVA Lüneburg, bei der er um 7.00 Uhr seinen Dienst anzutreten hatte, um 6.30 Uhr mit seinem PKW einen Wildunfall. Den Schaden am PKW ersetzte seine Kaskoversicherung bis auf die vertraglich vereinbarte Selbstbeteiligung in Höhe von 300 DM. Für diesen offenen Schadensbetrag beantragte der Kläger mit Schreiben vom 15. März 2000 bei der JVA Lüneburg Ersatz.

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Den Antrag auf Sachschadensersatz lehnte die JVA Lüneburg durch Schreiben vom 27. März 2000 mit der Begründung ab, dass im Falle des Klägers der Weg von und nach der Dienststelle nach § 96 NBG nicht zum Dienst gehöre und damit ein Ersatz des Schadens nicht möglich sei.

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Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen an: Nach den Verwaltungsvorschriften zu § 96 NBG sei in seinem Falle Sachschadensersatz zu gewähren, da die Eigenart des Dienstes und die örtlichen Verhältnisse die Benutzung des eigenen PKW zur Erreichung der Dienststelle geboten hätten. Denn für einen Dienstbeginn um 7.00 Uhr in Lüneburg hätten von seinem Wohnort aus keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung gestanden, so dass er gezwungen gewesen sei, seinen PKW zu benutzen.

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Diesen Widerspruch wies die Justizvollzugsanstalt S. durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2000 (zugestellt am 3.8.2000) mit der Begründung zurück, die nach den Verwaltungsvorschriften für die Bewilligung einer Sachschadenserstattung erforderlichen schwerwiegenden dienstlichen oder persönlichen Gründe für die Benutzung eines PKW zur Dienststelle seien nicht gegeben, wenn - wie hier - der Wohnsitz mehr als 30 km vom Dienstort entfernt liege.

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Am 31. August 2000 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Ergänzend führt er aus, dass die Begrenzung der Sachschadenserstattung bei Wegeunfälle auf Wohnorte, die nicht weiter als 30 km vom Dienstort entfernt lägen, nicht im Einklang mit den Verwaltungsvorschriften stehe.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Justizvollzugsanstalt Lüneburg vom 27. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 14. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Sachschadensersatz in Höhe von 153,39 € (entspricht 300 DM) zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Der angefochtene Bescheid der Justizvollzugsanstalt Lüneburg vom 27. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 14. Juli 2000 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs.1 und Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Sachschadensersatz in Höhe von 153,39 € gemäß § 96 Abs. 1 NBG für den am 6. März 2000 eingetretenen Wildschaden an seinem PKW.

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Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Ersatzanspruch ist allein § 96 NBG. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG kann dem Beamten Ersatz geleistet werden, wenn bei Ausübung des Dienstes, ohne dass ein Dienstunfall eingetreten ist, Kleidungsstücke oder sonstige Gegenstände, die üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt werden, beschädigt oder zerstört worden oder abhanden gekommen sind. Der Weg von und nach der Dienststelle gehört nicht zum Dienst, es sei denn, nur diese Alternative kommt hier in Betracht, dass ein Beamter aus schwerwiegenden dienstlichen oder persönlichen Gründen, die vom Dienstherrn allgemein oder im Einzelfall anerkannt worden sind, gezwungen ist, sich auf dem Weg von und nach der Dienststelle erhöhten Gefahren auszusetzen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBG). Der Schadensersatz wird nicht gewährt, wenn der Beamte den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat; er kann von der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Behörde ganz oder teilweise versagt werden, wenn ein grob fahrlässiges Verhalten des Beamten zur Entstehung des Schadens beigetragen hat (§ 96 Abs. 2 NBG).

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Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Billigkeitsregelung, die in ihrem Grundgedanken der Fürsorgepflicht des Dienstherrn entspringt, und die dem Beamten lediglich einen Schadensersatzanspruch in Höhe einer angemessenen Entschädigung für erlittene Sachschäden vermittelt. In den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 96 NBG vom 25. November 1992 (Nds. MBl. 1993, 93/111), die das der Behörde eingeräumte Ermessen binden, ist für sog. Wegeunfälle in 7.1 Satz 2 Buchstabe c) bestimmt, dass schwerwiegende dienstliche oder persönliche Gründe im Sinne von § 96 Abs. 1 Satz 2 NBG sich ergeben können aus den örtlichen Verhältnissen (z. B. keine oder ungenügende Verkehrsverbindungen). Bei Vorliegen eines dieser (in a bis c genannten) Gründe stellt die Benutzung eines Kraftfahrzeuges auf dem Weg von und nach der Dienststelle generell eine erhöhte Gefahr im Sinne von § 96 Abs. 1 Satz 2 NBG dar (7.1 Satz 3). Die Erstattung ist auf höchstens 650 DM (bei Krafträdern und Zweirädern - auch mit Beiwagen - bis zum Betrag von 300 DM) begrenzt (7.1 Satz 4).

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Bei zutreffender Anwendung dieser Vorschriften ergibt sich, dass die Entscheidung der Beklagten, dem Kläger wegen der Entfernung seines Wohnortes zur Dienststelle eine Entschädigung für den Wildschaden an seinem PKW nicht zu gewähren, ermessensfehlerhaft ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Verwaltungsvorschrift 7.1 Satz 2 ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln für den Weg zwischen Wohnung und Dienststelle möglich ist. Wenn dies zu bejahen ist, ist weiter zu prüfen, ob diese Verkehrsverbindungen genügend sind. Dies ist nach Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer anschließt, dann nicht mehr der Fall, wenn der zeitliche Mehraufwand bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gegenüber der Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges für den Hin- und Rückweg zusammen über zwei Stunden beträgt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 7.9.1993 - 5 L 2735/91 -; Günther, ZBR 1990, 97/100). Im vorliegenden Fall waren nach Angabe des Klägers, denen die Beklagte nicht widersprochen hat, keine öffentlichen Verkehrsmittel vorhanden, um von C. aus bereits um 7.00 Uhr bei der Dienstelle in Lüneburg sein zu können. Damit liegen nach dem Wortlaut der Verwaltungsvorschrift schwerwiegende Gründe für die Benutzung eines eigenen PKW wegen örtlicher Verhältnisse vor und dessen Benutzung stellt generell eine erhöhte Gefahr im Sinne von § 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBG dar. Nach den Verwaltungsvorschriften ist dem Kläger damit eine Erstattung des PKW-Schadens in Höhe von 300 DM zu gewähren. Für ein grobfahrlässiges Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Wildunfall, das eine Versagung des Schadensersatzes ganz oder teilweise rechtfertigen könnte, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.

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Dem sich nach den Verwaltungsvorschriften ergebenden Anspruch kann die Beklagte nicht entgegenhalten, dass die Fürsorgepflicht es nicht gebiete, das erhöhte Unfall- und Schadensrisiko auch dann zu tragen, wenn der Beamte - wie hier - nicht mehr innerhalb des Einzugsbereiches der Dienststelle, das soll in Anlehnung an das Umzugskostenrecht ein Umkreis von 30 km sein, wohnt. Dieser Gesichtspunkt steht mit dem Wortlaut der Verwaltungsvorschriften zu § 96 NBG nicht im Einklang und entspricht auch nicht Sinn und Zweck dieser Bestimmungen. Auf diesen Gesichtspunkt stellt die Verwaltungsvorschrift nicht ab (ebenso Nds. OVG, Urt. v. 7.9.1993 - 5 L 2735/91 -, zur vergleichbaren Rechtslage des § 32 BeamtVG; Kümmel/Ritter, BeamtVG, § 32 Erl. 25). Er drängt sich auch nicht auf, wenn die schwerwiegenden Gründe darauf beruhen, dass - wie hier - für bestimmte Zeiten überhaupt keine Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Diese Situation kann auch innerhalb eines 30 km-Radius entstehen, ohne dass dies zum Ausschluss führen soll. Soweit das Verwaltungsgericht Hannover in einem Gerichtsbescheid vom 29. Mai 1996 (13 A 5961/95) die Auffassung vertreten hat, die Behörde dürfe diesen Gesichtspunkt in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen, wird dort verkannt, dass das Ermessen durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 96 NBG gebunden ist. Eine abweichende Ermessensentscheidung ist nicht mehr möglich, wenn - wie hier - nach den Verwaltungsvorschriften bereits ein Anspruch gegeben ist. Dieser Anspruch kann durch das Aufstellen zusätzlicher Anforderungen durch die Behörde, mögen diese auch nachvollziehbar sein, nicht wieder „entzogen“ werden (vgl. hierzu auch Nds. OVG, Urt. v. 7.9.1993 - 5 L 2735/91 -).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Gründe, die Berufung gem. § 124 a i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.

 


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