Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (2. Kammer) - 2 A 240/10

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm die Grundsteuer für die Jahre 2005 bis 2007 zu erlassen.

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Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Zweck insbesondere die Förderung des Natur- und Umweltschutzes sowie der Landschaftspflege ist. Mit Freistellungsbescheid vom 22. Januar 2007 stellte das Finanzamt B. fest, dass der Kläger für die Kalenderjahre 2003 und 2004 von der Körperschaftssteuer und der Gewerbesteuer befreit ist, weil er unmittelbar und ausschließlich steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken im sinne der §§5 1 ff AO dient. Für die Kalenderjahre 2005 bis 2009 traf das Finanzamt diese Feststellung jeweils in den Steuerbescheiden.

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Der Kläger war in den Jahren 2004 bis 2007 Eigentümer des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes „C.“, zu dem Flächen in verschiedenen Gemeinden in der Lüneburger Heide gehören, auch in den Mitgliedsgemeinden Hanstedt, Undeloh und Egestorf der Beklagten. Diese Flächen liegen zum größten Teil im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Im Jahr 2008 übertrug der Verein sein Vermögen der Stiftung A. Lüneburger Heide.

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Für das Jahr 2004 wurde keine Grundsteuer erhoben.

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Für diese Flächen setzte das Finanzamt B. zum 1. Januar 2005 den Grundsteuermessbetrag insgesamt auf 3.435,57 € fest und wies mit Zerlegungsbescheid vom 6.8.2009 den Flächen in Hanstedt einen Zerlegungsanteil von 229,90 €, in Undeloh von 346,21 € und in Egestorf von 467,24 € zu.

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Daraufhin setzte die Beklagte mit drei Steuerbescheiden vom 11. August 2009 die Grundsteuer A für die Jahre 2005 bis 2009 fest, und zwar für die Flächen in Hanstedt (Hebe-Nr. D.) auf jährlich 689,70 €, für die Flächen in Undeloh (Hebe-Nr. E.) auf jährlich 1038,63 € und für die Flächen in Egestorf (Hebe-Nr. F.) auf 1635,34 € jährlich.

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Am 22. September 2009 beantragte der Kläger die kosten- und zinsfreie Stundung der Grundsteuer A und kündigte einen Erlassantrag mit Nachweisen an.

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Die Beklagte erbat am 1. Oktober 2009 telefonisch eine Begründung des Antrages und hob schließlich am 3. Mai 2010 mangels Rückmeldung ihre Mahnsperre auf.

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Am 25. Mai 2010 beantragte der Kläger den Erlass der Grundsteuer A für die Jahre 2004 bis 2007 nach § 32 GrStG und legte Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 2004 bis 2007 vor.

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Mit Schreiben vom 21. Juni 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, Erlassvoraussetzungen nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG seien 1. dass die Erhaltung von Grundbesitz oder Teilen von Grundbesitz wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz im öffentlichen Interesse liege und 2., dass die erzielten Einnahmen und sonstigen Vorteile (Rohertrag) in der Regel unter den jährlichen Kosten lägen.

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Die Erlassvoraussetzungen zu 2. seien nachgewiesen, aber sie habe den vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen können, dass das betreffende Grundstück wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz im öffentlichen Interesse liege.

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Mit Schreiben vom 5. August 2010 übersandte das Finanzamt G. der Beklagten ein Urteil des BFH vom 16.10.1996 und erklärte, der Erlassantrag sei abzulehnen, da die eigentlichen Naturschutzflächen (Heide) als Geringstland keinerlei Einheitswert- und Messbetragsanteil hätten, für die Naturschutzflächen ein Zuschuss von der EU allein im Jahr 2009 von 992.840,32 und 163.407,76 € gezahlt worden sei und die Acker- und Grünflächen mit 250 €/Jahr pro ha Ackerfläche und 100 €/Jahr pro ha Grünlandfläche bezuschusst würden. Nach der Veröffentlichung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung seien im Jahr 2009 191.724,53 € Zuschüsse gezahlt worden.

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Mit Bescheid vom 6. September 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, für die eigentlichen Naturschutzflächen sei ohnehin kaum ein Messbetragsanteil ausgewiesen, während die Acker- und Grünlandflächen für ihre Nutzung von der EU bezuschusst würden; nach der Rechtsprechung des BFH sei eine Grundsteuerbefreiung ausgeschlossen bei jedweder landwirtschaftlicher oder forstwirtschaftlicher Nutzung des Grundbesitzes.

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Am 4. Oktober 2010 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er trägt vor, ihm werde im mehreren anderen Gemeinden regelmäßig die Grundsteuer erlassen. Die Entscheidung des BFH befasse sich nicht mit der maßgeblichen Regelung des § 32 GrStG. Es gehe um Flächen, die teilweise im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ und teilweise im LSG „H.“ lägen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 6. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Grundsteuer antragsgemäß zu erlassen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt ergänzend vor, die Regelung des § 32 GrStG sei ausschließlich grundstücks- und nicht personenbezogen. Es komme daher weder auf den Vereinszweck noch auf die Befreiung des Klägers von der Körperschaftssteuer an. Auch ein lediglich gemeinnützige Zwecke verfolgender Verein könne grundsteuerpflichtig sein, während umgekehrt eine Befreiung von der Grundsteuer auch nicht gemeinnützigen Körperschaften erteilt werden könne. Nach § 32 GrStG könne nicht die Gewinn- und Verlustrechnung des ganzen Vereins maßgebend sein, sondern nur eine objektbezogene Betrachtung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat zum Teil Erfolg.

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Nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, wenn die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist und die Sache noch nicht spruchreif ist.

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Das ist hier der Fall, denn die Ablehnung des Grundsteuererlasses im angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 6. September 2010 erweist sich als rechtswidrig, aber das Gericht vermag ohne weitere Aufklärung nicht abschließend über den Erlassantrag des Klägers zu entscheiden.

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Der Anspruch des Klägers auf Grundsteuererlass nach § 32 GrStG ist nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil nach der Entscheidung des BFH vom 16. Oktober 1982 (- II R 17/96 - in juris) jede tatsächliche landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung des für steuerbegünstigte Zwecke genutzten Grundstücks eine Grundsteuerbefreiung nach § 6 GrStG ausschließt. Vielmehr ist zu trennen zwischen einem schon im Bewertungsverfahren geltend zu machenden Anspruch auf Grundsteuerbefreiung - der hier nach der o.g. Entscheidung ausscheidet - und dem erst nach Bewertung des Grundstücks und Festsetzung der Grundsteuer zu beantragenden Erlass nach § 32 GrStG. Dazu hat der BFH in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt: „ Der Gesetzgeber aber hat den ihm erteilten Verfassungsauftrag bei der Besteuerung des Grundbesitzes bereits dadurch erfüllt, dass er den Schutz der Natur im Rahmen des § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG berücksichtigt hat. Da diese Regelung unabhängig von der Befreiungsvorschrift des § 3 GrStG besteht und infolgedessen auch nicht den Beschränkungen des § 6 unterliegt, kommt ein Anspruch auf Grundsteuererlass auch dann in Betracht, wenn eine Grundsteuerbefreiung wegen der (zugleich) land- und forstwirtschaftlichen Nutzung ausgeschlossen ist.“

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Anspruchsgrundlage für den hier streitigen Grundsteuererlass ist § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG. Nach dieser Vorschrift ist die Grundsteuer für Grundbesitz oder Teile von Grundbesitz zu erlassen, dessen Erhaltung wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz im öffentlichen Interesse liegt, wenn die erzielten Einnahmen und die sonstigen Vorteile (Rohertrag) in der Regel unter den jährlichen Kosten liegen.

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Diese Regelung hat drei Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Grundbesitzes hier wegen seiner Bedeutung für den Naturschutz (1), die Unrentierlichkeit des Grundstücks (2) sowie die Kausalität des öffentlichen Erhaltungsinteresses für die Unrentabilität (3).

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1. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG ist Voraussetzung für einen Grundsteuererlass zunächst, dass die Erhaltung des Grundbesitzes wegen seiner Bedeutung für den Naturschutz im öffentlichen Interesse liegt. In Betracht kommen hierfür Naturschutzgebiete, Natur- und Nationalparks sowie Naturdenkmale (vgl. Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 10. Aufl., § 32 Rn. 4 ).

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a) Grundbesitz in einem Naturschutzgebiet ist grundsätzlich nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG privilegiert, weil er einem allgemeinen Veränderungsverbot nach dem BNatSchG unterliegt (so Günther, Der Erlass der Grundsteuer nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG, KStZ 1992, 188; Bay.VGH, Urteil v. 20.10.1982 - 4 B 80 A.526 - KStZ 1983,55). Hier ergibt sich das besondere Interesse an der Erhaltung des Grundbesitzes aus der Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet ,,Lüneburger Heide" in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel vom 17. Juni 1993 (Amtsbl. Lbg. Nr. 13 v. 1. Juli 1993, die in § 3 „Schutzzweck“ folgendes ausführt:

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„(1) Schutzzweck ist die Sicherung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnittes der Zentralheide mit der historisch gewachsenen Heidelandschaft und angrenzenden Wäldern.

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Das Gebiet ist besonders geprägt durch den Wilseder Moränenzug, durch Flugsand- und Dünenfelder, Bach- und Trockentäler. Es ist Quellgebiet für zahlreiche Bäche. Es hat eine herausragende Bedeutung für den Biotop- und Artenschutz.

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Die Heideflächen stellen die größten zusammenhängenden Heiden der nordwesteuropäischen Geest dar und sind daher national und international von besonderer Bedeutung.“

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Soweit die Flächen des Klägers in diesem Naturschutzgebiet liegen, ist daher von einer Privilegierung auszugehen.

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b) Anders stellt sich die Rechtslage bei Flächen in einem Landschaftsschutzgebiet dar. Liegt ein Grundbesitz im Landschaftsschutzgebiet nach § 26 BNatSchG, dann besteht kein allgemeines Veränderungsverbot. Vielmehr sind hier nach § 26 Abs. 2 BNatSchG nur alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwider laufen. Zudem sind die Voraussetzungen für die Unterschutzstellung wesentlich niedriger angesiedelt, als dies bei Naturschutzgebieten der Fall ist. Grundstücke in einem Landschaftsschutzgebiet sind daher nicht zu privilegieren, wenn nicht für das konkrete Grundstück im Einzelfall über das Merkmal der Lage in einem Landschaftsschutzgebiet hinaus zusätzlich eine besondere Wertigkeit für den Naturschutz nachgewiesen ist (vgl. Günther, a.a.O.).

35

Die Beklagte wird daher unter der gebotenen Mitwirkung des Klägers zu ermitteln haben, welche Teile des Grundbesitzes im Naturschutzgebiet und welche außerhalb oder in anderen Schutzgebieten liegen. Dies ist bislang nicht festgestellt worden.

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2. Weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf Grundsteuererlass ist nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG, dass in der Regel die jährlichen Einnahmen und Vorteile unter den jährlichen Kosten liegen. Bei dem Vergleich sind nur Einnahmen und Kosten zu berücksichtigen, die unmittelbar mit dem privilegierten Grundbesitz in wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Die vom Kläger in der Gewinn- und Verlustrechnung aufgelisteten Positionen sind zu verteilen auf die Flächen innerhalb des Naturschutzgebiets, denen als „Kerngebiet“ des Vereins die wesentlichen Kosten zuzurechnen sein dürften, während die Flächen außerhalb für sich genommen möglicherweise auch rentabel bewirtschaftet werden können. Auch Insoweit ist eine getrennte Betrachtung bislang nicht erfolgt.

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3. Schließlich muss zwischen dem öffentlichen Erhaltungsinteresse und der Unrentabilität des Grundbesitzes ein Kausalzusammenhang bestehen (vgl. Troll/Eisele, a.a.O., § 32 Rn. 5 a m.w.N. zur Rechtsprechung sowohl des BVerwG als auch des BFH). Nur dann besteht ein Bedürfnis, einen Ausgleich für die durch den Naturschutz begründete Last zu schaffen. Die im Rahmen der Prüfung nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG geforderte Kausalität zwischen dem Naturschutz und der Unrentabilität des Grundstücks besteht dann nicht, wenn unwirtschaftlicher Grundbesitz durch den Naturschutz noch unrentabler gemacht wird (vgl. Troll/Eisele, a.a.O., § 32 Rn. 5 a). Auch insoweit ist eine flächenbezogene Betrachtung anzustellen und zu prüfen, ob die im Naturschutzgebiet gelegenen Flächen gerade wegen der naturschutzrechtlichen Nutzungseinschränkungen und des damit verbundenen öffentlichen Erhaltungsinteresses nicht rentabel sind oder ob sie dies anderenfalls wären.

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So ist die Kausalität gegeben, wenn ohne den Naturschutz entweder von nahe liegenden Nutzungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht werden könnte, die einen höheren Ertrag abwerfen würden, und/oder Kosten eingespart werden könnten, und die sich hieraus ergebende Verbesserung der Ertragssituation einen Einnahmeüberschuss ergäbe (vgl. VG Halle, Urteil vom 10. März 2010 - 5 A 229/08 HAL - in juris).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

40

Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.

 


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