Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (3. Kammer) - 3 A 93/16

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Gewährung internationalen Schutzes und der Feststellung von Abschiebungsverboten durch die Beklagte.

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Die 16-jährige Klägerin ist afghanische Staatsangehörige, hazarischer Volkszugehörigkeit und schiitischer Religionszugehörigkeit. Nach ihren eigenen Angaben verließ sie im Juni 2014 mit ihren Eltern und ihren beiden Brüder das Heimatdorf ihres Vaters in der Region G. in Afghanistan und reiste am 30. Juli 2014 zusammen mit ihrem Vater in das Gebiet der beklagten Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie und ihr Vater am 17. September 2014 ihre Asylanträge stellten.

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Mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 wurden die Anträge der Klägerin sowie ihres Vaters zunächst als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Ungarn angeordnet. Hiergegen hatten sie jeweils erfolgreich vor dem hiesigen Gericht einen Antrag auf Eilrechtsschutz gestellt und Klage erhoben, mit dem Ziel der Durchführung eines Asylverfahrens durch die Beklagte (Az. 6 B 263/14, 6 A 446/14). In dem dortigen Verfahren hatten die Klägerin und ihr Vater einen Befundbericht einer Ärztin vom 23. Oktober 2014 vorgelegt, in dem bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird. Mit einem weiteren Attest eines Facharztes unter anderem für Psychiatrie und Psychotherapie vom 17. Juni 2015 wird bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine mittelschwere depressive Episode diagnostiziert. Die stattgebenden Entscheidungen wurden im Ergebnis unter Bezugnahme auf die vorgelegten Atteste damit begründet, dass bei der Klägerin psychische Erkrankungen vorlägen, die auch auf Erlebnisse in Ungarn zurückzuführen seien und eine Abschiebung nach Ungarn zu einer Schädigung der Klägerin führen würde.

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Bei der Anhörung des Vaters der Klägerin am 26. Oktober 2015 gab er an, dass seine Mutter zusammen mit einem Onkel in der Provinz G. lebe. Er habe auch noch einen Onkel väterlicherseits sowie zwei Schwestern. In Afghanistan habe er von seinen Ersparnissen aus dem Iran gelebt. Er sei vom Iran nach Afghanistan gereist, weil seine Mutter alt geworden sei und er sich um sie habe kümmern sollen. In Afghanistan habe er bei einem Besuch seines Onkels väterlicherseits dessen drogensüchtigen Sohn kennengelernt und gegenüber dem Onkel geäußert, dass er alles tun würde, um zu helfen. Dieser habe dann gesagt, dass es seinem Sohn helfen würde, wenn er - der Vater der Klägerin - ihm seine Tochter zur Frau geben würde. Auf seinen Hinweis, dass seine Tochter erst 13 Jahre alt sei, habe der Onkel geantwortet, dass dies in Afghanistan kein Problem sei. Auch seine Ehefrau und Tochter seien gegen die Hochzeit gewesen. Als er dies seinem Onkel erzählt habe, habe dieser ihn und seine Familie beschimpft, auch habe er ihm vorgehalten, ob er denn kein Mann sei und zuhause nichts zu sagen habe. Sein Onkel habe daraufhin auch die Mutter der Klägerin verprügelt. Er habe ohnehin Probleme mit seinem Onkel gehabt, weil er - der Vater der Klägerin -  die rituellen Waschungen falsch gemacht habe und Fragen zum Islam nicht richtig beantworten habe können. Sein Onkel meinte daraufhin, dass er gesteinigt werden müsste und drohte ihm auch, dass er den Leuten im Dorf erzählen würde, dass er ein Ungläubiger und Abtrünniger sei. Einige Zeit später sei der Onkel dann mit mehreren Personen gekommen und habe ein großes Tuch, einen Verlobungsring sowie Schokolade und ein Zuckerstück mitgebracht. Bei der Versammlung sei beschlossen worden, dass seine Tochter den Sohn des Onkels heiraten würde und es sei ein Brautgeld festgelegt worden. Er habe zustimmen müssen, sonst hätte sein Onkel ihn umgebracht. Nach der Hochzeit habe sein Onkel für ihn Papiere besorgen wollen. Der Onkel sei ein mächtiger wohlhabender H. und ehemaliger Kommandant der I. mit mehreren Bodyguards. Er und seine Leute hätten ihn - den Vater der Klägerin - überall finden können. Als der Vater der Klägerin mit seiner Frau zum Arzt habe gehen wollen, habe sein Onkel ihm das nicht erlaubt, sondern sie zu einem Schrein geschickt. Stattdessen seien sie dann zunächst nach G. gegangen und hätten von dort aus Afghanistan verlassen.

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Die Klägerin gab in ihrer Anhörung am 26. Oktober 2015 an, dass sie nicht wolle, dass ihr Vater an der Anhörung teilnehme. Weiter erklärte sie, dass der Onkel ihres Vaters gewollt habe, dass sie seinen drogensüchtigen Sohn heirate. Sie sei damals 13 Jahre alt gewesen. Der Onkel sei ein einflussreicher Scheich. Ihr Vater kenne sich mit religiösen Sachen nicht gut aus. Ihr Vater habe dem Onkel Hilfe für seinen Sohn angeboten, was der Onkel wohl falsch verstanden habe. Nachdem ihr Vater Fragen zum Islam nicht richtig habe beantworten können, habe der Onkel ihm Angst gemacht, indem er ihm gesagt habe, dass die Leute im Dorf ihn steinigen würden, wenn sie davon erfahren würden. Der Onkel habe ihm aber helfen wollen und auch Papiere besorgen, wenn ihr Vater sie dem Sohn des Onkels zur Braut geben würde. Ihr Vater habe sich schließlich einverstanden erklärt. Der Onkel sei dann später zusammen mit anderen zu ihnen gekommen und sie sei verlobt worden. Bei einem Streit zwischen ihrer Mutter und dem Onkel habe er ihre Mutter die Treppe runtergeschubst. Der Onkel habe einige Zeit später nicht erlaubt, dass ihr Vater ihre Mutter zum Arzt bringt, sondern meinte, dass ein Besuch eines Schreins ausreichend wäre.

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Mit beim Bundesamt eingereichtem Attest vom 11. November 2015 wird der Klägerin durch eine Ärztin das Weiterbestehen der psychischen Erkrankungen bestätigt.

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Zwischenzeitlich sind auch die Mutter sowie die Brüder der Klägerin im Alter von neun bzw. zwölf Jahren in das Gebiet der Beklagten eingereist.

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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 7. Juni 2016, am 10. Juni 2016 zur Post gegeben, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, forderte die Klägerin unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Bereits nach dem Vortrag der Klägerin und ihres Vaters würde es an einem Verfolgungsgrund fehlen. Zudem würde eine innerstaatliche Schutzalternative bestehen.

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Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 23. Juni  2016 Klage erhoben.

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Mit weiterem Attest vom 16. März 2017 werden bei der Klägerin eine weiter bestehende Posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Mittelschwere depressive Episode befundet. In dem dazugehörigen Befundbericht wird ausgeführt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan möglicherweise einem Suizid den Vorzug gegenüber einer Zwangsehe geben werde.

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In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht das Klageverfahren des Vaters der Klägerin von dem zunächst gemeinsam geführten Verfahren mit der Klägerin abgetrennt.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juni 2016 die Flüchtlingseigenschaft den Klägern zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des AufenthG in der Person der Kläger festzustellen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Abwesenheit der Beklagten bzw. eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist, soweit er die Klägerin betrifft, rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG, so dass die Beklagte insoweit wie tenoriert zu verpflichten war, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Aufgrund des Anspruchs der Klägerin war auch die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist sowie die Bestimmung der Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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1. Gem. § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Gem. § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a)) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (b)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

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Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gem. §  3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Dabei muss zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den in § 3a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat (oder die vorgenannten Parteien und Organisationen) einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

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Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der voraussetzt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen - es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris, S. 7 f. m.w.N.; Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30 m.w.N.). Es ist Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen und das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Schutzbegehrenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris, S. 8; vgl. auch bereits BVerwG, Urt. v. 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 16.04.1985 - 9 C 109/84 -, juris Rn. 16). Dabei greift zugunsten eines Betroffenen eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Nds. OVG, Urt. v. 23.11.2015 - 9 LB 106/15 -, juris, S. 8 m.w.N.; Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30 m.w.N.), ohne dass hierdurch jedoch der Wahrscheinlichkeitsmaßstab geändert würde (BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 - 10 C 11/09 -, juris Rn. 14 f.; Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 19 f., 22 f.). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt, beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal einer ernsthaften Schädigung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 21). Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 23).

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a) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe befindet sich die Klägerin aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihres Geschlechts außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und dessen Schutz sie nicht in Anspruch nehmen kann, § 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a) AsylG, so dass ihr die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG zuzuerkennen ist.

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Die Furcht der Klägerin vor Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG ist begründet, weil sie in Afghanistan gegen ihren Willen den Sohn des Onkels ihres Vaters heiraten soll, was eine (ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende) Verfolgung im Sinne des §§ 3, 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 6 AsylG darstellt. Die Erzwingung einer Heirat ist eine das Selbstbestimmungsrecht der Frau verletzende, verwerfliche Handlung und erniedrigende Behandlung - auch im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG -, die gegen internationale Konventionen verstößt und in Deutschland mit § 237 StGB strafbewehrt ist (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 17.03.2016 - 13a B 15.30241 -, juris Rn. 18, 20 f.). Zudem droht der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer erzwungenen Heirat auch sexuelle Gewalt, im Falle der Verweigerung der Zwangsheirat auch physische Gewalt.

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Für das Gericht bestehen nach den Angaben des Klägerin und dem persönlichen Eindruck, den das Gericht von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, keine durchgreifenden Zweifel daran, dass sich die von der Klägerin dargestellte Umstände, wonach ihr eine Verheiratung gegen ihren Willen droht, so wie geschildert zugetragen haben. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung zusammenhängend und flüssig, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie äußerst anschaulich und angemessen emotional geschildert, wie es zu der Verlobung gegen ihren Willen gekommen ist und dass sie sich der bevorstehenden Heirat in Afghanistan nicht hätte entziehen können.

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So schilderte sie die Schwierigkeiten ihres Vaters bei der Beschaffung von Personaldokumenten, die religiösen Zwänge im Heimatdorf des Vaters, denen er sich unterordnete und wie der Onkel des Vaters sein Hilfsangebot als Druckmittel für eine Hergabe seiner Tochter - der Klägerin - eingesetzt hat. Sie beschrieb anschaulich die Fassungslosigkeit ihres Vaters ob ihres Alters sowie die beschwichtigende Reaktion des Onkels und auch ihr eigenes Unverständnis über die Forderungen des Onkels hinsichtlich einer von ihr zu tragenden Burka und der ihr obliegenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Umso näher sie in ihrem Bericht einer drohenden Heirat kam, desto mehr merkte man ihr eine Brüchigkeit der Stimme an und sie wurde in angemessener, nicht übertriebener Weise emotionaler. Auch wirkte sie in einigen Momenten, in denen sie in ihrer Erzählung hin zu einer drohenden Heirat kam, kurz gedanklich abwesend und in sich gekehrt, als wenn ihr die Emotionalität der Erinnerung ihre Aufmerksamkeit bzw. Konzentration rauben würde. Auch den Ablauf der Verlobungsfeier schilderte sie detailliert und schlüssig, so etwa wie der Onkel und dessen Sohn zusammen mit ihrem Vater gekommen seien und Geschirr sowie Schokolade und einen Schleier dabei gehabt hätten, die Frau des Onkels ihr den Schleier auf den Kopf gesetzt und der Onkel aus dem Koran vorgelesen habe, bevor er schließlich gesagt habe, dass sein Sohn und sie sich jetzt versprochen seien. Dabei mitbeschriebene Nebensächlichkeiten, die für die Glaubhaftigkeit der Erzählung oder deren Schlüssigkeit nicht notwendig wären, so etwa, dass der Vater der Klägerin den Onkel und dessen Sohn begleitet habe, als diese zur Verlobungsfeier gekommen seien, sprechen ebenfalls für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Dies gilt ebenso für die Genese ihrer Angaben zu dem Verhalten des Sohnes des Onkels ihr gegenüber bei der Anhörung durch das Bundesamt und der damit verbundenen auch in der mündlichen Verhandlung deutlich erkennbaren emotionalen Schwierigkeiten, über dieses Geschehen zu reden.

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Die inhaltlichen, auch zeitlichen Sprünge sprechen ebenfalls für die Glaubhaftigkeit ihrer Ausführungen und gegen eine zurechtgelegte Geschichte mit einem festgelegten Ablauf, dessen Schilderung dann ebenso strukturiert zu erwarten gewesen wäre. So berichtete sie etwa von der ihr drohenden Verheiratung und davon, dass auch ihr Vater dagegen gewesen sei. Dann erläuterte sie losgelöst von der drohenden Verheiratung, dass ihr Vater sich nicht habe gegen den Onkel erheben dürfen und er dies auch gewusst habe. Dem Vater sei klar gewesen, dass der Onkel sie - die Klägerin - zur Heirat zwingen kann und ihn - den Vater der Klägerin - gegebenenfalls auch töten können würde. Sodann kehrte sie zurück zu der zeitlichen Entwicklung hin zur Verlobung.

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Ihre Angaben zu dem Verlassen des Heimatdorfes ihres Vaters und letztlich auch Afghanistans waren detailliert, schlüssig sowie anschaulich und stimmten mit denen ihres Vaters in der Anhörung durch das Bundesamt überein. Auch dabei fielen wieder inhaltliche Sprünge auf, etwa als sie weg von dem eigentlichen Sachverhalt ihre inneren Gedanken zum Ausdruck brachte und sagte, dass sie zuvor von Verheiratungen junger Mädchen gehört hatte, aber nie gedacht hätte, dass ihr das mal passieren würde, wobei auch ihre Verwunderung hierüber bzw. Fassungslosigkeit zum Ausdruck kam. Daran anschließend setzte sie ihre Erzählung fort.

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Die Klägerin vermochte auch ihre eigenen Emotionen in bestimmten Situationen anschaulich zu schildern und zum Ausdruck zu bringen. So berichtete sie von ihrer Freude, als ihre Eltern ihr davon erzählten, dass sie mit ihr Afghanistan verlassen wollen würden, damit sie der Heirat entgehen würde. Diese Freude kam bei ihren Ausführungen auch zum Ausdruck. Für die Glaubhaftigkeit sprechen auch ihre geschilderten Alternativüberlegungen, so etwa, was sie hätte machen wollen, wenn ihre Eltern nicht mit ihr flüchten hätten wollen. Auch beschrieb sie anschaulich und nachvollziehbar welche Befürchtungen sie vor der Flucht mit ihren Eltern gehabt habe und warum sie dies nicht davon abgehalten habe. So habe sie eine Steinigung erwartet, für den Fall, dass der Onkel sie erwischen würde. Schließlich sei sie eine Frau und mit dessen Sohn verlobt. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan würde sie bestenfalls zur Heirat mit dem Sohn gezwungen, wahrscheinlicher sei aber, dass sie getötet werden würde, weil sie Schande über die Familie des Onkels gebracht habe, indem sie als dessen Sohn versprochene Ehefrau weggelaufen sei.

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Für die Glaubhaftigkeit der Angaben sprechen auch die Ausführungen in den von der Klägerin vorgelegten Attesten bzw. Befundberichten, die auf das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin hindeuten, was wiederum ein auslösendes Ereignis voraussetzen würde, das die Umstände der drohenden Zwangsverheiratung zu begründen vermögen könnten.

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Auch die Tränen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, als sie von der damals gefühlten Ausweglosigkeit sprach, erschienen echt. Ebenso ihre Einschätzung, dass  ihre Mitschüler ihr eine solche Geschichte nicht glauben würden, weil das größte Problem ihrer Klassenkameradinnen sei, neben wem sie in der Schule würden sitzen müssen.

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Die Angaben, weshalb sie vom Iran aus überhaupt wieder nach Afghanistan zurückgekehrt sind, waren ebenfalls schlüssig und nachvollziehbar.

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Die Angaben der Klägerin sind auch unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel glaubhaft. Danach sind Zwangsverheiratungen, insbesondere von jungen Mädchen, wie auch Gewalt gegen Frauen, in Afghanistan keine Seltenheit (vgl. auch Bay. VGH, Urt. v. 17.03.2016 - 13a B 15.30241 -, juris Rn. 20; VG Hamburg, Urt. v. 10.09.2014 - 10 A 477/13 -, juris Rn. 43 ff.), sondern weit verbreitet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12). Dabei spielt allerdings auch eine Rolle, aus welcher sozialen Schicht das Kind stammt (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 81). 50 % der Mädchen in Afghanistan werden unter 16 Jahren verheiratet und 60 bis 80 % aller Ehen kommen in Afghanistan aus Zwang zustande (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 70 Fn. 391, 392: 15 % der Mädchen werden im Alter von 15 Jahren verheiratet, 46 % zwischen 16 und 18 Jahren), teilweise auch im Alter von neun bis elf Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71 Fn. 398). Kinderheiraten erfolgen regelmäßig aus wirtschaftlichen Erwägungen, um Überlebensmöglichkeiten für die Kinder und die Familien zu schaffen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71). In 80 % der von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission registrierten Fälle sexueller Übergriffe waren die Opfer jugendliche Mädchen unter 18 Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77 Fn. 430). Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist weit verbreitet und bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Es wird geschätzt, dass mehr als 87 % aller afghanischen Frauen bereits körperliche, sexuelle, psychische Gewalt oder eine Zwangsheirat erfahren mussten, mehr als 60 % der afghanischen Frauen sind mehreren Formen der auch äußerst brutalen Gewalt ausgesetzt (vgl. Nds. OVG Lüneburg, Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 33). Das afghanische Gesundheitsministerium verzeichnete von März 2014 bis Juni 2015 mehr als 9.000 Fälle von versuchtem Selbstmord (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 18). Geschlechtsspezifische Gewalt gehört zu den häufigsten Gründen für Selbstmord und Selbstverbrennung bei Frauen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 68 Fn. 380).

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Auch der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommene Vater der Klägerin bestätigte insoweit glaubhaft die von der Klägerin geschilderten Umstände, die auf eine drohende Zwangsverheiratung schließen lassen.

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Eine Wiederholung dieser Verfolgung droht der Klägerin im Falle einer Rückkehr in das Heimatdorf ihres Vaters nach der Überzeugung des Gerichts auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Sie ist vorverfolgt ausgereist, so dass bereits deshalb zu vermuten ist, dass ihr bei einer Rückkehr weiter Verfolgung im Sinne einer Zwangsverheiratung oder Tötung droht. Dies ergibt sich für das Gericht aber auch bereits aus dem von der Klägerin geschilderten Geschehen selbst. Für das Gericht sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Onkel des Vaters der Klägerin von seinem Vorhaben ihrer Verheiratung mit seinem Sohn Abstand genommen oder ihr ihr Weglaufen verziehen haben könnte, zumal das Verhalten der Klägerin die Familienehre des Onkels beschädigt hat und eine Absehen von Sühne zu einem Gesichts- und Machtverlust des Onkels führen dürfte.

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Die drohende Verfolgung knüpft auch - entgegen der Auffassung des Bundesamtes - an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG an, § 3a Abs. 3 AsylG, an ihr Geschlecht (vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 21.01.2014 - 9 LA 60/13 -, juris Rn. 5; VG Schwerin, Urt. v. 20.11.2015 - 15 A 1524/13 As -, juris Rn. 47; VG Hamburg, Urt. v. 10.09.2014 - 10 A 477/13 -, juris Rn. 37; Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 3b Rn. 2). Die Klägerin wird als Zugehörige zu der sozialen Gruppe der Frauen verfolgt.

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b) Die Gefahr geht insoweit gem. § 3c Ziff. 3 AsylG von einem nichtstaatlichen Akteur aus, ohne dass der Staat oder eine sonstige Organisation in der Lage wäre, die Klägerin wirksam und dauerhaft zu beschützen im Sinne des § 3d Abs. 1, Abs. 2 AsylG.

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Weder der Staat noch sonstige Stellen im Sinne des § 3d Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind in der Lage, der Klägerin Schutz gem. § 3d Abs. 1, Abs. 2 AsylG zu bieten (so auch bereits VG Hamburg, Urt. v. 10.09.2014 - 10 A 477/13 -, juris Rn. 57). Das Justizsystem funktioniert in Afghanistan nur sehr eingeschränkt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 5). Es herrscht ein Klima der Straflosigkeit (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 28; SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). Der Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierte Moralvorstellungen, Einflussnahmemöglichkeiten durch Verfahrensbeteiligte und Unbeteiligte sowie Zahlungen von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 12). Auch innerhalb der Polizei ist Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). Regierungsfeindliche Kräfte haben staatliche Stellen infiltriert (vgl. Dr. M. D., Antwort an das Nds. OVG v. 30.04.2013, S. 5). Zudem ist das Justizwesen unterfinanziert und personell unterbesetzt (SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). So findet etwa auch eine polizeiliche Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Jugendlichen und Kindern nicht statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 13) und auch die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen und Mädchen bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66), ein staatlicher Schutz ist für Frauen im Regelfall nicht zu erlangen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69; BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Dies gelte auch für internen Schutz (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter „moralischer Vergehen“ bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs („zina“) oder des „von zu Hause Weglaufens“ (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69). Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69). Auch auf lokale Machthaber ohne staatliche Befugnisse hat die Zentralregierung kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen und verurteilen, so dass Sanktionen häufig ausbleiben (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 17; vgl. auch SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). Reiche Geschäftsleute leisten sich private Sicherheitsleute zur Verhinderung von Entführungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 17). Eine parallele Rechtsprechung einschließlich der damit verbundenen Strafsanktionen bis hin zu Exekutionen wird kaum bis gar nicht verfolgt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 21; vgl. auch SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15 f.; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). Auch Angst vor Strafaktionen von religiösen Extremisten führt zu polizeilicher Zurückhaltung (ACCORD, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, v. 06.2016, S. 13 f.). Täter von Menschenrechtsverletzungen werden selten zur Rechenschaft gezogen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). In ländlichen Gebieten zeigen sich dabei deutlich mehr Schwächen als in städtischen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 28; SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15; ACCORD, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, v. 06.2016, S. 17).

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Die mangelnde Fähigkeit des afghanischen Staates zum Schutz wird auch in der allgemeinen derzeitigen Sicherheitssituation in Afghanistan deutlich. Anfang Januar 2017 wurden bei zwei Bombenanschlägen vor dem Parlament in Kabul mehr als 20 Personen getötet worden (www.morgenpost.de, Bis zu 50 Tote bei drei Anschlägen in Afghanistan, v. 10.01.2017), bei einer weiteren Bombenexplosion gab es keine Verletzten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). In Logar explodierte eine Bombe und in Nangarhar wurden bei einem Bombenanschlag acht Menschen verletzt sowie ein Arzt niedergeschossen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). In Kunduz wurden ein Vertreter der Sikhs und der Hindus erschossen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Anfang Januar 2017 griffen Taliban in der Provinz Badakhshan einen Sicherheitskonvoi an (www.trt.net.tr, Taliban-Terror in Afghanistan v. 04.01.2017) und beschossen einen Bundeswehrhubschrauber (www.spiegel.de, Hubschrauber der Bundeswehr beschossen, v. 05.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). In Faryab erschlugen Taliban einen Mann, in Logar wurde ein Anschlag auf einen Distriktspolizeichef verübt, in Ghazni wurde ein Mitarbeiter der Schulbehörde erschossen und in Helmand eine Polizistin; in Baghlan wurden Minenarbeiter getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Weitere Bombenanschläge gab es in Jalalabad, Parwan und in Faryab (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Bei einer Explosion im Haus des Gouverneurs der Provinz Kandahar starben 11 Menschen (www.morgenpost.de, Bis zu 50 Tote bei drei Anschlägen in Afghanistan, v. 10.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017), bei einem Anschlag auf ein Gästehaus der Sicherheitskräfte in Lashkar Gah (Helmand) starben sechs Personen (de.sputniknews.com, Afghanistan: Selbstmord-Anschlag auf Militärobjekt - Tote und Verletzte, v. 10.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). In Herat wurde ein Mitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens von den Taliban getötet und in Ferat zwei Frauen durch eine Explosion einer Bombe am Straßenrand (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). Mitte Januar wurden in Nangarhar durch einen am Straßenrand versteckten Sprengsatz mehrere Zivilpersonen getötet (www.zeit.de, Sieben Zivilisten sterben durch Sprengsatz in Ost-Afghanistan, v. 15.01.2017), im Distrikt Kot wurde ein Polizist und elf Studenten getötet sowie 65 Häuser von IS-Kämpfern in Brand gesetzt und in Baghlan ein Regierungsmitarbeiter bei einem Anschlag verletzt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). Bei einem Häuserkampf zwischen den Taliban und US-Truppen in der Provinz Kunduz starben 33 Zivilpersonen (www.handelsblatt.de, 33 Zivilisten bei Gefecht mit Taliban getötet, v. 12.01.2017). Am 16. Januar 2017 setzten IS-Kämpfer in Kot (Nangarhar) weitere 20 Häuser in Brand (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Weiter starben in Kabul zwei Polizisten bei einem Bombenanschlag und in Farah zwei Kinder (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Ende Januar 2017 griffen Taliban das Polizeihauptquartier und das Bezirkszentrum von Sangin in der Provinz Helmand an (www.handelsblatt.de, Taliban stürmen berüchtigtes Bezirkszentrum, v. 30.01.2017), in Lashkar Gah starb ein Zivilist bei einem Raketenangriff und in Zabul starben bei einem Bombenanschlag 30 Militärangehörige (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). In Ghazni explodierte eine Bombe, tötete einen Zivilisten und verletzte zwei weitere Personen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 30.01.2017). In Helmand wurde eine Klinik in Brand gesteckt und in Kandahar kam es zu einem Zwischenfall an der Grenze zu Pakistan (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 30.01.2017). In Logar wurde ein 19-jähriger von den Taliban enthauptet und in Zabul starben zwei Kinder bei der Explosion eines Blindgängers (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 30.01.2017). Am 1. Februar meldete Khaama Press einen Raketenangriff der Taliban auf die Verkehrsbehörde in Lashkar Gah und Angriffe auf Sicherheitsposten in Sangin (www.khaarma.com, Taliban attack Lashkar Gah with rockets following Abdullah’s visit). Die US-Streitkräfte flogen daraufhin eine Serie von Luftangriffen auf die Taliban in Helmand (www.handelsblatt.de, USA verstärken Luftangriffe auf Taliban v. 01.02.2017). Dabei soll es auch zu Opfern unter der Zivilbevölkerung gekommen sein (www.taz.de, Haben US-Soldaten Zivilisten getötet?, v. 10.02.2017). Dennoch eroberten die Taliban schließlich Ende März Sangin (derstandard.at, Taliban erobern strategisch wichtigen Bezirk Afghanistans, v. 23.03.2017). Im Distrikt Rodat in der Provinz Nangarhar liefern sich Einwohner Kämpfe mit dem IS und in Khost City starben fünf Polizisten sowie drei Schüler bei Bombenanschlägen; der Gouverneur von Kunar überlebte einen Angriff der Taliban (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Anfang Februar 2017 tötete ein Polizist im Norden Afghanistans acht Kollegen (www.zeit.de, Afghanischer Polizist tötet acht Kollegen, v. 03.02.2017). Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul wurden 22 Zivilpersonen getötet und 41 verletzt (www.handelsblatt.com, Mindestens 22 Tote bei Anschlag vor Gericht in Kabul, v. 07.02.2017) und in der Provinz Dschausdschan wurden sechs Mitarbeiter des Roten Kreuzes erschossen, zwei entführt (www.n-tv.de, Sechs Tote bei Überfall in Afghanistan IS soll Rot-Kreuz-Mitarbeiter ermordet haben, v. 08.02.2017). Bei einem Autobombenanschlag in Lashkar Gah sind mehr als 20 Soldaten verletzt oder getötet worden (www.orf.at, Tote und Verletzte bei Attentat in Afghanistan, v. 11.02.2017). Mitte Februar griffen Taliban in der Provinz Faryab das Dorf Gorsad an (www.merkur.de, Afghanistan: Zehn Tote bei Gefechten mit Taliban, v. 15.02.2017). In der Provinz Nangarhar starben bei einem Angriff auf einen Armeeposten im Bezirk Deh Bala 18 Soldaten und 40 IS-Kämpfer (www.n-tv.de, Gefechte im Osten Afghanistans IS-Kämpfer töten 18 Soldaten, v. 17.02.2017). Am 20. Februar 2017 wurde ein Wohnhaus in Laghman angegriffen und zehn Mitglieder einer Familie, darunter auch Frauen und Kinder, getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). Einen Tag später wurde der Sohn eines Polizeichefs und ein Polizist in Faryab erschossen; in Ghazni und Sar-e-Pul konnten hingegen Anschläge verhindert werden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). In der Provinz Paktika wurden bei einem Bombenanschlag vier Menschen und in Laghman zwei Schüler durch eine Rakete, die eine Schule traf, getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). Am 24. Februar 2017 wurden neun Mitglieder der Lokalpolizei, ein Kommandeur und seine Frau getötet, als sie eine Moschee verließen bzw. zum Anschlagsort hineilten (www.handelsblatt.com, Mindestens 13 Tote bei Angriffen von Extremisten, v. 25.02.2017). Ende Februar starteten die Taliban einen Angriff auf ein Bezirkszentrum in der Provinz Baghlan und überfielen einen Sicherheitsposten in der Provinz Helmand (www.nzz.ch, Taliban greifen Stadt Talawa Barfak an, v. 28.02.2017). Am 28. Februar 2017 wurden zwei Stammesälteste in Jalalabad ermordet, in der Provinz Nangarhar wurden acht Menschen, darunter zwei Kinder, bei einem Bombenanschlag verletzt und in Helmand auf dem Kandahar-Helmand Highway wurde ein Polizist durch eine Sprengfalle getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). In Kabul wurden zwei Anschläge verübt und in Laghman bei einem Angriff auf das Haus eines Polizeikommandeurs mindestens drei Personen getötet (derstandard.at, Taliban stürmen Bezirkszentrum in Nordafghanistan, v. 01.03.2017). Ziele der Angriffe in Kabul waren eine Polizeistation und ein Haus des Geheimdienstes (www.nwzonline.de, Serie von Talibanangriffen erschüttert Afghanistan, v. 02.03.2017). Dabei wurden 16 Personen getötet und 104 verletzt, darunter Frauen und Kinder (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Auf dem Paktia-Ghazni Highway haben Taliban Checkpoints errichtet und fordern Zoll (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Am 4. März wurde in Kandahar ein Parlamentsabgeordneter angeschossen und in der Provinz Farah starben mindestens acht Zivilpersonen, als ihr Wagen auf eine Bombe fuhr (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Anfang März kamen bei einem Angriff des IS auf ein Militärkrankenhaus 50 Menschen ums Leben (www.tagesspiegel.de, Schwere Explosion in Kabul, v. 13.03.2017). Wenige Tage später wurde der Militärflughafen in Khost angegriffen (de.sputniknews.com, Afghanistan: Bewaffnete stürmen Militärflughafen - Kämpfe dauern an, v. 11.03.2017). In der Provinz Sabl im Bezirk Naschwar wurden acht Polizisten von Kollegen getötet (www.zeit.de, Acht afghanische Polizisten bei sogenannter Insider-Attacke getötet, v. 11.03.2017). Am 13. März wurden bei der Explosion eines Kleinbusses acht Menschen getötet (www.tagesspiegel.de, Schwere Explosion in Kabul, v. 13.03.2017). Am 22. März tötete ein Polizist neun seiner Kollegen (derstandard.at, Taliban erobern strategisch wichtigen Bezirk Afghanistans, v. 23.03.2017). Bei einem Autobombenanschlag auf eine Wache in Helmand wurden sechs Sicherheitskräfte getötet und weitere verletzt (www.trt.net.tr, Selbstmordanschlag in Afghanistan, v. 21.03.2017). In Farah starben acht Polizisten bei einem Angriff der Taliban auf einen Wachposten (www.trt.net.tr, Taliban-Angriff in Afghanistan, v. 27.03.2017). Auch kommt es immer wieder zu Exekutionen durch nicht-staatliche Akteure, vor allem auch durch Aufständische, die sich auf traditionelles Recht berufen und die Vollstreckung der Todesstrafe mit dem Islam legitimieren, für ein aus ihrer Sicht fehlerhaftes Verhalten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 20). So richteten Taliban am 19. Dezember 2016 eine Frau hin, weil sie nach dem Weggang ihres Mannes in den Iran einen anderen Mann geheiratet hatte und sich ihr früherer Ehemann an die Taliban gewandt hatte (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 19.19.2016). Im ersten Halbjahr 2016 wurden durch die UNAMA 26 Fälle dokumentiert, vor allem in den Provinzen Farah und Badghis (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 4), die Vereinten Nationen dokumentierten im Jahr 2016 41 Bestrafungsaktionen, bei denen 38 Menschen starben (www.spiegel.de, Taliban hacken vermeintlichem Dieb Hand und Fuß ab, v. 14.03.2017). Anfang des Jahres 2017 wurden sechs Männer in Ghazni durch die Taliban für Diebstahl bzw. Ehebruch mit Peitschenhieben bestraft (www.spiegel.de, 39 Peitschenhiebe - Taliban bestrafen mehrere Männer v. 03.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Auch gibt es Berichte über Gefängnisse von Aufständischen in der Provinz Kunduz (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Im Februar 2017 wurde im Osten Afghanistans ein junges Paar wegen einer außerehelichen Beziehung getötet (www.zeit.de, Wütende Menge tötet junges Paar in Afghanistan wegen außerehelicher Beziehung, v. 12.02.2017). Im März hackten die Taliban einem vermeintlichen Dieb eine Hand und einen Fuß ab (www.spiegel.de, Taliban hacken vermeintlichem Dieb Hand und Fuß ab, v. 14.03.2017).

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c) Die Klägerin ist auch nicht als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit anzusehen (§ 3 Abs. 4 Halbsatz 2 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 AufenthG). Gleichsam liegen die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG nicht vor.

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d) Letztlich besteht für die Klägerin in Afghanistan auch keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG. In allen Teilen ihres Herkunftslandes - die für die Klägerin bzw. ihre Familie in zumutbarer Weise in Betracht kommen würden - wäre ihre Furcht vor Verfolgung begründet und hätte sie keinen Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Das Gericht hat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Onkel ihres Vaters sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch an anderen Orten in Afghanistan, an denen es der Klägerin und ihrer Familie als Zugehörige des Volkes der Hazara zumutbar wäre, sich niederzulassen, finden würde.

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Die Klägerin schilderte glaubhaft, dass der Onkel ihres Vaters ein sehr einflussreicher Mann in dem Heimatdorf ihres Vaters sei. So beschrieb sie ihn als eine Person, die immer in die Moschee gegangen sei und strenggläubige Ansichten vertreten habe. Auch habe er sich um die Belange des Dorfes gekümmert. Habe jemand Rat benötigt oder Heiraten wollen, sei er zu ihm gegangen. Ihr Vater habe ihr gesagt, dass ihr Onkel jemand sei, der wenn die Taliban gekommen wären, er mit ihnen gearbeitet habe und wenn die Regierung die Oberhand gehabt hätte, er für sie gearbeitet habe. Er würde den größtmöglichen Vorteil für sich herausholen und möglichst viel Einfluss und Macht haben wollen.

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Der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommene Vater der Klägerin ergänzte insoweit glaubhaft, dass sein Onkel väterlicherseits seit seiner Jugend für Sicherheit verantwortlich gewesen sei. Er sei später auch als von der afghanischen Regierung eingesetzter Kommandant für die Sicherheit des gesamten Gebietes, in dem sich sein - des Zeugen - Heimatdorf befindet, zuständig gewesen. Sein Onkel kenne deswegen auch viele Menschen die für die Regierung tätig sind und habe dadurch viel Einfluss. Er habe auch Fotos und Videos von ihnen, die er für eine Suche verwenden könne. Das Gericht hat an diesen weitgehend schlüssigen Ausführungen bereits deshalb keine durchgreifenden Zweifel, weil der Zeuge bei seiner Vernehmung nicht ansatzweise versucht hatte, Umstände für ihn bzw. seine Tochter negativer darzustellen, als sie (aus seiner Sicht) tatsächlich waren und so das Verfahren für sie positiv zu beeinflussen. So hat er etwa freimütig ausgeführt, dass er und seine Familie auch durchaus im Iran hätten bleiben können und sie letztlich nur deshalb weiter nach Europa gegangen seien, weil sie Leute getroffen hätten, die sie mit in die Türkei bzw. nach Griechenland genommen hätten. Weder ihre konkrete Lage im Iran, noch ihre Sicherheit dort hätte einem weiteren Aufenthalt entgegengestanden. Ebenso freimütig - und im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zum Bleiberecht für Familien mit minderjährigen Kindern (Bay. VGH, Beschl. v. 11.01.2017 - 13a ZB 16.30878 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 04.08.2015 - 13a ZB 15.30032 -, juris Rn. 8; Urt. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 15) auch schädlich für ein mögliches Abschiebungsverbot - erklärte er auf Nachfrage des Gerichts, ob er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nachdem er nach eigenen Angaben die letzten 27 oder 28 Jahre im Iran gelebt und dort 22 Jahre als Handwerker gearbeitet habe und nicht zurück in sein Heimatdorf zu seinem Haus könne, seine Frau und seine drei Kindern ausreichend versorgen könne, dass dies für ihn zu 100 % möglich wäre. Er würde auf jeden Fall Arbeit finden und ausreichend Geld verdienen können. Auf weitere Nachfrage des Gerichts hierzu, wie er denn konkret Arbeitsstellen zu finden gedenke, gab er an, dass es sowohl in Kabul, als auch in Mazar-e Scharif und in Ghazni, wo jeweils eine seiner Schwestern lebe, konkrete Arbeitsmöglichkeiten, auch für ihn, gegeben habe.

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Auch an der Richtigkeit der weiteren Äußerung des Zeugen, dass er in Afghanistan geblieben wäre, wenn es gegangen wäre, weil er es satt habe, Einwanderer zu sein, hat das Gericht nach dem persönlichen Eindruck, den es von dem Zeugen in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, keine durchgreifenden Zweifel.

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Aus den Angaben des Zeugen zieht das Gericht den Schluss, dass der Onkel des Zeugen aufgrund seiner Kontakte und seines Einflusses die Möglichkeit hat, die Klägerin in Afghanistan zu finden, zumal die Mitglieder der Bevölkerungsgruppe der Hazara sich in bestimmten Teilen Afghanistans bzw. Stadtteilen aufhalten. Angehörige der Hazara stellen ungefähr 10 % der Bevölkerung dar und sind vor allem in den Provinzen Bamiyan, Daikundi und Ghazni in Zentralafghanistan vertreten (Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, v. 21.01.2016, Stand: 05.10.2016, S. 163 f.; vgl. auch zu weiteren Distrikten ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara v. 02.09.2016, S. 17). Auch in der Provinz Wardak gibt es Distrikte mit Hazara Mehrheiten (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara v. 02.09.2016, S. 10). In Bamiyan besteht die Bevölkerung zu 67 % aus Hazara (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara v. 27.06.2016, S. 2). Die meisten Hazara in Kabul leben in dem Gebiet Dasht-e Barchi (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 87 f. Fn. 492). Die Chancen von Rückkehrern hängen auch von ihren familiären und sozialen Netzwerken ab (Dr. K. L., Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 10, 14) bzw. von einer Vermittlung durch Stammes- oder Clanangehörige (Dr. K. L., Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 11, 14), was ein völliges Abtauchen in der Anonymität jedenfalls erschwert. Auch geht das Gericht davon aus, dass der Onkel des Zeugen aufgrund der Ehrverletzung durch das Weglaufen der Klägerin vor einer Heirat mit seinem Sohn auch ein für eine solche Suche nach der Klägerin erforderliches gesteigertes Interesse hat.

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Hierfür sprechen auch die weiteren Angaben des Zeugen, der insoweit von sich aus, schlüssig und anschaulich berichtet hat, dass sein Onkel seine - des Zeugen - Mutter aus dem Haus des Zeugen geworfen und ihr gesagt habe, dass er ihr eines Tages ihren Sohn tot zurückbringen werde und der Onkel bereits in Mazar-e Scharif und Ghazni nach ihnen gesucht und dabei auch die Schwestern des Zeugen aufgesucht habe.

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 


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