Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (4. Kammer) - 4 A 36/17

Tatbestand

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Der Kläger begehrt aufstockenden Flüchtlingsschutz, nachdem ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: BAMF) nur subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat.

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Der – nach eigenem Bekunden homosexuelle – Kläger ist am D. 1983 in Damaskus geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er hat zuletzt in Damaskus gelebt und auf dem Bau und als Koch gearbeitet. Er ist im Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat um Asyl nachgesucht.

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In der Anhörung vor dem BAMF hat er im Wesentlichen angegeben, sein Bruder sei auf dem Weg zur Arbeit von Unbekannten erschossen worden. Ein paar Tage später habe die Syrische Freie Armee auf Facebook gepostet, der Held und Märtyrer sei tot. Es sei der Verdacht entstanden, dass die Familie A. zur Freien Syrischen Armee gehöre. Sein anderer Bruder sei an einen Kontrollpunkt vom Regime festgenommen und zu Tode gefoltert worden. Vor seiner Ausreise sei er von der Freien Syrischen Armee bedroht worden, weil er sich geweigert habe mit ihnen zu kämpfen und den Tod des Bruders zu rächen. Man habe ihm gedroht, ihn zu zerstückeln. Wegen seiner Homosexualität habe er soziale Einschränkungen hinnehmen müssen.

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Politische Aktivitäten wurden verneint.

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Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 18.01.2017 (zugestellt am 20.01.2017) subsidiären Schutz zu (Ziff. 1), lehnte aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziff. 2).

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Hiergegen hat der Kläger am 25.01.2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Der Kläger ist der Ansicht, ihm sei Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und verweist auf verschiedene Rechtsprechung.

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In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger u.a.:

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„Meine beiden Brüder wurden getötet. Ein Bruder war Taxifahrer. Er wurde 2013 von einem Scharfschützen mit einem Kopfschuss getötet. Ich weiß nicht von wem und warum. Das war in einem Gebiet, dass unter Kontrolle des syrischen Regimes stand. Danach wurde auf Facebook von der Syrischen freien Armee das Bild meines Bruders veröffentlicht und er wurde dort als Held und Märtyrer gefeiert. Soweit ich weiß, war mein Bruder nicht bei der Freien Syrischen Armee. Nach diesem Vorfall wurde mein anderer Bruder an einem Kontrollpunkt von Geheimdienstleuten des syrischen Regimes festgenommen. (…) Als ich bereits drei Monate in Deutschland war, habe ich erfahren, dass mein Bruder unter Folter getötet worden ist. Bevor ich Syrien verlassen habe, bin ich von der Freien Syrischen Armee angesprochen worden, ob ich für die kämpfen wolle. Ich wollte aber nicht. Nachdem ich Syrien verlassen hatte habe ich von meinem Onkel erfahren, dass mich das syrische Regime sucht. Mein Onkel trägt den gleichen Vor- und Nachnamen wie ich. Er wurde befragt. Ich schließe daraus, dass man mich sucht. Meine Eltern leben auch noch in Syrien. Beide heißen mit Nachnamen A.. Meinen Eltern ist bis heute nichts passiert. (…) Meine Homosexualität habe ich geheim gehalten. Meine Familie weiß nichts davon. (…) Offizielle Stellen wussten nichts von meiner Homosexualität. Ich bin wegen meiner Homosexualität nicht bedroht worden.“

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Der Kläger beantragt,

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Ziffer 2 des Bescheides vom 18.01.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) besteht keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

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Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 – 10 C 23.12 –). Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Nr. 1 und 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grupp) und der Verfolgungshandlung muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Die gefürchtete Verfolgungshandlung muss zudem nach § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG ein besonderes Gewicht haben bzw. einen gewissen „Schwellenwert“ überschreiten. Sie muss nämlich so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG) oder dem wirkungsäquivalent sein (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG).

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Für die vom Gericht zu treffende Verfolgungsprognose gilt beim Flüchtlingsschutz ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, ohne dass es auf eine Differenzierung, ob der Asylsuchende vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist, ankommt (OVG Lüneburg, Urteil v. 27.06.2017, 2 LB 91/17, veröffentlicht in JURIS). Einem Vorverfolgten kommt jedoch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zugute: Danach besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann jedoch durch stichhaltige Gründe widerlegt werden (BVerwG, Urteil v. 01.06.2011, 10 C 25.10). Sein individuelles Verfolgungsschicksal muss der Asylsuchende glaubhaft – insbesondere in sich schlüssig und detailreich – zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen. Hinsichtlich der Frage, ob wegen der allgemeinen (politischen) Verhältnisse dem Asylsuchenden im Herkunftsland Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG droht, ist das Gericht gehalten, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsland aufzuklären und darauf aufbauend eine besonders rational begründete Prognose zu treffen (OVG Lüneburg a.a.O.).

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Kann das Gericht die notwendige Überzeugung nicht gewinnen, trägt die materielle Beweislast für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft letztlich der Schutzsuchende. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in dem Urteil vom 27.06.2017 ausgeführt: „Allgemein gilt, dass die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ gebietet (…) Das gilt erst recht, wenn es – wie vorliegend – allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus, nicht aber um das Ob der Schutzgewährung geht.“

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Ob die Verhältnisse in Syrien, die durch einen seit Jahren andauernden Bürgerkrieg gekennzeichnet sind, politische Verfolgung und damit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG allein wegen der illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung im westlichen Ausland, des längeren Auslandsaufenthaltes, der Gefahr des Einzugs zum Militärdienst sowie der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, der Religionszugehörigkeit und/oder des Herkunftsortes rechtfertigen, sind für den hiesigen Gerichtsbezirk seit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 27.06.2017 hinreichend geklärt. An dieser Einschätzung hält das Oberverwaltungsgericht nunmehr in ständiger Rechtsprechung fest (vgl. etwa Beschlüsse v. v. 05.09.2017, 2 LB 186/17 und v. 12.9.2017, 2 LB 750/17 beide veröffentlicht in JURIS, v. 12.10.2017, 2 LB 1510/17, v. 19.01.2018, 2 LA 91/18 unveröffentlicht). Nach der (von anderen Gerichten zwar nicht geteilten, hier aber maßgeblichen) Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg droht aus Syrien stammenden Personen – auch im Hinblick auf die unklare, mosaikartige Erkenntnislage zu den allgemeinen politischen Verhältnissen – bei einer Rückkehr nach Syrien allein aus den zuvor genannten Umständen keine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

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Der Einzelrichter schließt sich der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg an und verweist auf diese, insbesondere hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs, der Anforderungen an den Vortrag der klagenden Partei und der Auswertung der Erkenntnismittel.

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In der zusammenfassenden Bewertung der Umstände kommt der Einzelrichter hier zu folgender Überzeugung:

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Der Kläger ist kein Flüchtling. Der Bürgerkriegssituation trägt § 4 Abs. 1 AsylG Rechnung, wonach u.a. bei einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sowie bei unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung „subsidiärer Schutz“ - wie im Falle des Klägers auch geschehen - zu gewähren ist. Der Einzelrichter verkennt hierbei nicht, dass er gehalten ist, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsland aufzuklären und darauf aufbauend eine besonders rational begründete Prognose zu treffen. Der Einzelrichter weist allerdings darauf hin, dass die Auskunftslage a priori unvollständig und unklar ist, da keine unmittelbaren Erkenntnisse zum betroffenen Herkunftsstaat vorliegen. Die vom Einzelrichter hier getroffene Bewertung steht daher auf einem Fundament, dass systembedingt von Erkenntnisungenauigkeit geprägt ist.

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Der Kläger ist weder vorverfolgt ausgereist noch ist der Einzelrichter im Falle einer Rückkehr davon überzeugt, dass erstmalig eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

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Ein individuelles Vorverfolgungsgeschehen i.S.d. Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie hat er nicht zur Überzeugung des Einzelrichters vorgetragen.

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Eine konkret erlittene Verfolgungshandlung bzw. einen erlittenen ernsthaften Schaden hat der Kläger nicht vorgetragen.

26

Eine konkrete Bedrohung der körperlichen Integrität wegen seiner Homosexualität, die er eigenem Bekunden nach nur heimlich ausgelebt hat, hat es von keiner Seite zu keinem Zeitpunkt gegeben. Vom Kläger empfundene soziale Einschränkungen reichen hierfür keinesfalls aus.

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Soweit der Kläger behauptet hat, ihm sei seitens der Freien Syrischen Armee in einem Telefonat gedroht worden, dass man ihn zerstückeln werde, weil er sich der Sache der Freien Syrischen Armee nicht anschließen wollte, fehlt es an der (raum-zeitlichen) Unmittelbarkeit einer befürchteten Verfolgungshandlung bzw. eines Schadenseintritts. Hilfsweise: Selbst wenn man hierin bereits eine Vorverfolgung sehen würde, wäre jedoch die tatsächliche Vermutung, dass sich diese bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird durch stichhaltige Gründe widerlegt: Die (hypothetische) Rückführung würde nämlich über Flughäfen erfolgen, die unter Kontrolle der syrischen Machthaber – jedenfalls nicht der Freien Syrischen Armee – stünden.

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Es liegt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass dem Kläger im Hinblick darauf, dass seine Brüder getötet worden sind unter dem Gesichtspunkt von Sippenhaft, Verfolgung durch die syrischen Machthaber droht. Soweit ein Bruder durch einen Scharfschützen getötet worden sein soll, fehlt es an einem erkennbaren Verfolgungsgrund und auch an einer Zuordnung der Tötung durch Regimekräfte. Selbst wenn aufgrund der behaupteten Facebook-Veröffentlichung der Eindruck entstanden sein könnte, dass der erschossene Bruder für die Sache der Freien Syrischen Armee gekämpft habe, ist der Einzelrichter nicht davon überzeugt, dass das syrische Regime auch den Kläger als Verräter ansehen und verfolgen wird. Zwar hat der Kläger behauptet, der zweite Bruder sei vom Regime verhaftet und unter Folter getötet worden. Jedoch bleibt der Grund hierfür rein spekulativ. Gegen eine pauschale Verfolgung von Angehörigen der Familie A. spricht nämlich die Tatsache, dass der namensidentische Onkel des Klägers zwar angeblich von Regimekräften befragt worden sein soll, aber sonst nicht weiter verfolgt oder gar geschädigt worden ist. Auch die Eltern des Klägers, die beide den Nachnamen A. tragen, sind nicht verfolgt worden. Warum das syrische Regime von der Familie A. ausschließlich den Kläger und nicht auch weitere Familienangehörige in Sippenhaft nehmen sollte, ist nicht plausibel. Gerade die Nichtverfolgung anderer Familienmitglieder lässt in Bezug auf den Kläger die Annahme zu, dass auch diesem keine Verfolgung droht.

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Es liegt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass dem Kläger allein aufgrund seiner Homosexualität, Verfolgung durch die syrischen Machthaber droht.

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Als Verfolgungsgrund kommt wegen der homosexuellen Orientierung des Klägers dessen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach §§ 3 Abs.1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG in Betracht.

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Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 AsylG durch zwei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, definiert. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem Herkunftsland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

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Ohne Zweifel ist die sexuelle Ausrichtung einer Person für deren Identität so bedeutsam, dass sie nicht gezwungen werden sollte, hierauf zu verzichten. So bestimmt § 3b Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AsylG, dass als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine solche gelten kann, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Allerdings ist fraglich, ob in Syrien Homosexuelle vom Rest der Gesellschaft deutlich abgegrenzt werden. Die Kriminalisierung homosexueller Handlungen kann hierfür als Indiz herangezogen werden. Sofern strafrechtlicher Bestimmungen vorhanden sind, die spezifisch Homosexuelle bzw. homosexuelle Handlungen betreffen, erlaubt dies die Feststellung, dass solche Personen in dem Herkunftsland vom Rest der Gesellschaft deutlich abgegrenzt werden (EuGH, Urteil v. 07.11.2013, C-199/12 bis C-201/12, veröffentlicht in JURIS, zur Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Richtlinie 2004/83/EG, gleichlautend mit § 3 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 AsylG).

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So liegt es im Falle Syriens, denn nach dem Wortlaut von Artikel 520 des syrischen Strafgesetzbuches von 1949 (das Strafgesetzbuch ist im Internet abrufbar unter http://www.wipo.int/wipolex/en/text.jsp?file_id=243237) wird „jede wider(un-)natürliche sexuelle Tätigkeit mit bis zu die Jahren Gefängnis bestraft“. Die syrische Rechtsprechung definiert widernatürlichen Geschlechtsverkehr“ als gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2010).

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Jedoch ist keine asylerheblichen Verfolgungshandlungen durch die syrischen Machthaber erkennbar.

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Als taugliche Verfolgungshandlung käme allenfalls eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG in Betracht. Allerdings stellt der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen strafbewehrt sind, als solcher (noch) keine Verfolgungshandlung im Sinne der vorgenannten Vorschrift dar; dies ist erst dann der Fall, wenn Freiheitsstrafen für homosexuelle Handlungen in dem Herkunftsstaat auch tatsächlich verhängt werden (EuGH a.a.O., zur Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c Richtlinie 2004/83/EG, gleichlautend mit § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG; so im Ergebnis unter Verweis darauf, dass kein Fall einer verhängten Freiheitsstrafe bekannt sei: VG Düsseldorf, Urteil v. 05.05.2017, 17 K 7257/16.A, veröffentlicht in JURIS). Nach eingeschränkter Ansicht wird auf die Schwere der abstrakten Strafandrohung abgestellt, so dass eine Verfolgungshandlung erst dann angenommen wird, wenn die homosexuelle Handlung mit einer schweren Leibes-, Todesstrafe oder mit Zwangsarbeit geahndet wird (VG Augsburg, Urteil v. 11.04.2011, 6 K 09.30189; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil v. 16. Dezember 1996, 9 K 2122/95.NW, beide veröffentlicht in JURIS; beide Entscheidungen gehen zusätzlich davon aus, dass eine Verfolgungshandlung auch deswegen nicht vorliege, weil nicht eine bestimmte sexuelle Orientierung als solche sondern nur bestimmte sexuelle Praktiken zum Schutz der öffentlichen Moral strafbar seien).

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Nach Auswertung der Erkenntnismittel für Syrien kann der Einzelrichter nicht die sichere Überzeugung gewinnen, dass in Syrien Haftstrafen für homosexuelle Handlungen tatsächlich verhängt werden.

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Es ist kein belastbarer Fall belegt, dass es aufgrund von Art. 520 syrisches Strafgesetzbuch tatsächlich zu einer Verurteilung gekommen ist (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2010; Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vom 10.07.2017 unter Hinweis auf das strafbewährte Verbot gleichgeschlechtlicher Sexualbeziehungen, hier allerdings mit der Einschränkung, dass kein Fall bekannt sei, dass ein Europäer aufgrund dieser Vorschrift strafrechtlich verfolgt worden ist. In die gleiche Richtung gehen der Bericht des UNHCR 11/2017 und der Syria 2016 Human Rights Report des US Außenministeriums. In dem Bericht des UNHCR 11/2017 heißt es: „Allthough no prosecutions under Article 520 have been reported in recent years, courts have reportedly prosecuted gay men and lesbians in an discriminatory manner based on vague charges such as abusing social values; selling, buying or consuming illegal drugs; and organizing and promoting „obscene“ parties.“

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Zwar ist demgegenüber in den Medien vereinzelt von Haftstrafen oder gar Folter wegen Homosexualität berichtet worden (vgl. etwa http://www.Zeit.de/2014/18/homosexualitaet-bauchtaenzer-syrien oder http://www.Zeit.de/politik/ausland/2016-06/homosexualitaet-syrien-verfolgung). Der Einzelrichter sieht die dort wiedergegebenen Angaben jedoch als nicht ausreichend belastbar an, zumal teilweise von 5-jährigen Gefängnisstrafen berichtet wird, das syrische Strafgesetzbuch aber maximal nur 3 Jahre Freiheitsstrafe zulässt.

39

Im Falle des Klägers kommt außerdem hinzu, dass nicht ersichtlich ist, dass seine sexuelle Orientierung dem syrischen Regime überhaupt bekannt geworden ist oder er deswegen jemals im Fokus öffentlicher Stellen gestanden hat. Beides hat der Kläger ausdrücklich in Abrede gestellt, so dass auch unter diesem individuellen Gesichtspunkt eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden kann.

40

Eine Verfolgung Klägers allein wegen seiner Homosexualität durch islamistische Extremisten ist ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar wird diesbezüglich über Folter und Exekution durch islamistische Extremisten in Syrien (ISIS, Jabhat Fatah All-Sham) allgemein berichtet (UNHCR-Bericht 11/2017; Syrien: Erneut Mann wegen angeblicher Homosexualität hingerichtet, http://www.queer.de/detail.php?article_id=23313). Jedoch hat der Kläger bis zu seiner Ausreise wegen seiner sexuellen Orientierung keinerlei Einschränkungen hinnehmen müssen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass ihm im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr gerade dann Verfolgung durch islamistische Extremisten bevorstehen soll. Die (hypothetische) Rückführung würde ohnehin nur über Flughäfen erfolgen, die unter Kontrolle der syrischen Machthaber – jedenfalls nicht der islamistischen Extremisten – stünden.

41

Es liegt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass dem Kläger allein aufgrund der Religionszugehörigkeit Verfolgung droht. Die Mehrheit der Bevölkerung ist sunnitischen Glaubens (vgl. hierzu https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html). Es sind keine zureichend konkreten Verfolgungsfälle, die an die Religionszugehörigkeit anknüpfen, für das syrische Regime bekannt, und nur in deren Gebiet könnte eine Rückführung erfolgen. Soweit im UNHCR-Bericht 4/2017 Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen, Jesiden als Risikogruppen benannt werden ist dies ohne Aussagekraft. Zum einen wird damit nahezu jede in Syrien vertreten Religion erfasst. Zum anderen werden auch Religionszugehörigkeiten erfasst, die im syrischen Machtapparat selbst vertreten sind, wie folgende Beispiele belegen: Syriens Staatsoberhaupt Bashar al-Assad hängt selbst der Glaubensgemeinschaft der Alawiten an. Der syrische General Zahreddine (mittlerweile verstorben, siehe https://de.news-front.info/2017/10/20/syrischer-general-issam-zahreddine-wurde-in-as-suwaida-begraben-video/) gilt nach einer Wikipedia-Eintragung zu seiner Person als eines der bekanntesten und höchstrangigen Mitglieder der drusischen Volksgruppe; er steht aber als Druse ersichtlich auf Seiten der Täter, nicht der Opfer (OVG Lüneburg, Beschluss v. 29.09 2017, 2 LA 23). Nach Auskunft des Deutschen Orient Institutes vom 29.11.2017 entstammen viele Militärangehörige der Syrischen Republikanischen Garde der religiösen Minderheit der Alawiten, andere entstammen Minderheiten wie der der Drusen. Ferner – so das Deutsche Orientalische Institut – bestärke die zunehmende Konfessionalisierung des Konfliktes den Drang religiöser oder ethnischer Minderheiten, die Regierung Assads zu unterstützen. Die Religionszugehörigkeit ist daher für sich genommen im vorliegenden Fall kein geeignetes Kriterium, um eine Verfolgungswahrscheinlichkeit durch das syrische Regime zu begründen.

42

Konkret drohende Verfolgungshandlungen wegen der drusischen Religionszugehörigkeit durch regimefeindliche Rebellentruppen sind ebenfalls nicht ersichtlich.

43

Nach Auswertung der splitterhaften Erkenntnislage kann der Einzelrichter auch nicht die Überzeugung gewinnen, dass die syrischen Machthaber gezielt und systematisch den Plan verfolgen, die sunnitische Mehrheitsbevölkerung zu vernichten und insoweit Gruppenverfolgung betreiben.

44

Es liegt auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass dem Kläger allein wegen des Herkunftsorts Verfolgung droht. Da sich Bürgerkriegsflüchtlinge bei realitätsnaher Betrachtung gerade dem Konflikt entziehen wollen und daher keine Bedrohung für das syrische Regime darstellen, stellt der Herkunftsort an sich generell kein taugliches Anknüpfmerkmal für eine Verfolgung dar.

45

Es liegt auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass dem Kläger aufgrund von Wehrdienstentziehung (unterstellt eine Einberufung liegt vor oder würde konkret drohen) Verfolgung droht. Das grundsätzliche Unterworfensein von syrischen Männern unter eine nicht verlässlich eingrenzbare Dienstpflicht ist flüchtlingsrechtlich nicht relevant. Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung sind in der Staatenpraxis üblich. Selbst wenn darüber hinaus Verfolgungshandlungen erfolgen sollten, wären diese nicht an eine vermeintliche politische Haltung der sich der Wehrpflicht entziehenden Person geknüpft. Bei vernünftiger Betrachtung kann davon ausgegangen werden, dass auch den syrischen Machthabern bewusst ist, dass die mit einem Kriegseinsatz naturgemäß verbundenen Gefahren zwar einen erheblichen Fluchtanreiz bieten, der jedoch nicht politischen Ursprungs ist. Dass der etwaig zu leistende Militärdienst konkret Verbrechen, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen würde (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG), ist nicht erkennbar.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

 


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