Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (5. Kammer) - 5 A 190/16

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Zuerkennung internationalen Schutzes sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten.

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Der am D. 1987 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger, persischer Volkszugehörigkeit und nach eigenem Vorbringen christlichen Glaubens. Er reiste am 11. März 2015 auf dem Luftweg von Brasilien nach Frankfurt und stellte am 19. März 2015 einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland. In seiner persönlichen Anhörung am gleichen Tag begründete er die Flucht aus seinem Heimatland in erster Linie mit seinem Übertritt zum christlichen Glauben. Er sei deshalb im Iran in Gefahr. Er habe ab April 2014 einmal wöchentlich eine Hauskirche besucht. Ende Juli 2014 sei er mit einem Neuling zu Fuß auf dem Weg zu dieser Hauskirche gewesen. Vor Ort hätten sie festgestellt, dass vor der Hauskirche zwei Polizeiautos und ein Soldat gewesen seien. Sie hätten sich deshalb wieder entfernt und noch versucht, den Priester telefonisch zu erreichen. In der Folge habe er sich für vier Tage im Garten eines Freundes außerhalb der Stadt versteckt gehalten, nachdem sein Bruder ihm mitgeteilt habe, dass die Polizei bei ihm Zuhause nach ihm gefragt habe. Über seinen Bruder habe er die folgende Ausreise in die Türkei durch einen Schleuser organisieren können. Der Schleuser habe in der Folge auch seine Ausreise aus der Türkei nach Brasilien sowie die weitere Reise mit einem gefälschten italienischen Pass nach Frankfurt organisiert.

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Am 21. Februar 2016 wurde der Kläger in der Freien evangelischen Gemeinde A-Stadt-Hittfeld getauft.

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Mit Bescheid vom 21. März 2016, zugestellt am 7. Juli 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Antrag auf Asylerkennung ab und stellte fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung in den Iran aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Verfahrens zu verlassen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die vorgetragene Verfolgungsgeschichte des Klägers sei im Ergebnis nicht glaubhaft. Bereits seine Schilderungen zum angeblich fluchtauslösenden Vorfall begegneten erheblichen Zweifeln, da die Schilderung des Klägers nicht durch einen lebensnahen, detaillierten und ausführlichen, mithin erlebnisgeprägten, Sachvortrag zu überzeugen vermögen. Die Schilderung sei auffällig gedrängt gehalten, zudem wenig anschaulich, farblos und arm an Details. Zudem sei das Vorbringen teilweise nicht nachvollziehbar, da zum Beispiel eine Erklärung dafür fehle, wie die Polizei eine Verbindung von der Hauskirche zum Kläger hätte herstellen können. Insbesondere ein Vergleich mit der sehr detaillierten Schilderung der Reiseroute zeige deutliche Unterschiede in der Erzählstruktur mit der angeblichen Verfolgungsgeschichte auf. Zudem habe er teilweise widersprüchliche bzw. nicht nachvollziehbare Angaben gemacht, zum Beispiel hinsichtlich des Besorgens einer neuen SIM-Karte. Es falle auf, dass es auch mit Blick auf den Glaubenswechsel als Kernelement der Verfolgungsgeschichte an spontanen, lebendigen oder gefühlsbetonten Angaben fehle. Dies gehe zulasten des Klägers, da er das Vorliegen der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen glaubhaft zu machen habe.

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Der Kläger hat am 20. Juli 2016 Klage erhoben.

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Er trägt vor, dass bereits durch die Lektüre der Anhörungsniederschrift die Einschätzung widerlegt werde, sein Vortrag sei vage, oberflächlich und detailarm. Er habe die Gründe für seine Flucht detailreich und nachvollziehbar dargestellt. Ihm sei vom Anhörenden erklärt worden, dass er die wesentlichen Gründe für seine Flucht aus dem Iran darstellen solle, wobei er sich auf das „fluchtauslösende Ereignis“ habe konzentrieren sollen. Er habe schildern sollen, weshalb er den Entschluss gefasst habe, den Iran zu verlassen. Der Einzelentscheider habe ihm, insbesondere auch zu seinen Hauskirchenbesuchen und deren Inhalte, keinerlei Fragen gestellt. Darüber hinaus sei die Entscheidung über das Asylbegehren nicht von demjenigen getroffen worden, der ihn angehört habe. Wie sich der Entscheider vor diesem Hintergrund überhaupt einen Eindruck über seine Person, die Persönlichkeit und das Aussageverhalten habe machen können, sei nicht nachvollziehbar. Er habe sich bereits im Iran dem christlichen Glauben zugewandt und sich im Rahmen einer Hauskirche über diesen informiert. In der Bundesrepublik Deutschland habe er seinen Glaubensweg fortgesetzt und sich einer Kirchengemeinde angeschlossen. Er habe an Gottesdiensten und am Glaubensunterricht teilgenommen und sei schließlich auf das Bekenntnis seines Glaubens an Jesus Christus getauft worden. Für ihn sei es undenkbar auf seinen christlichen Glauben und die öffentliche Glaubensausübung zu verzichten.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung ihres Bescheides vom 21. März 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs.1 AsylG zuzuerkennen,

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hilfsweise,

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die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung ihres Bescheides zu verpflichten, ihn als subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 4 AsylG anzuerkennen,

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hilfsweise,

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die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung ihres Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung und trägt ergänzend vor, dass sich weder aus dem Gesetz noch aus der Rechtsprechung ergebe, dass es einer sachgerechten, auf das Anhörungsergebnis gestützten, Entscheidung über das Asylbegehren widerspreche, wenn es keine Identität zwischen Anhörer und Entscheider gebe.

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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung am 25. April 2018 informatorisch angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.

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Das Gericht ist trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht gehindert, den Rechtsstreit zu entscheiden, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Ladung der Beklagten nicht gemäß § 56 VwGO zugestellt worden ist, da diese in ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 hierauf verzichtet hat.

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Maßgeblich ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Sach- und Rechtslage, somit das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780), und das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I, S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. März 2018 (BGBl. I S. 342).

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Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Als Verfolgung gelten gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 GFK keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe sind die in § 3 b AsylG aufgeführten Besonderheiten zu beachten. Danach umfasst gemäß § 3 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die potentiellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3 b Abs. 2 AsylG). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3 c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, ihm Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

22

Nach § 3 a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG und § 3 b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

23

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 (938)). Ob eine Verfolgung droht, das heißt der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris, m. w. N.). Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat am Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.10 -, Urt. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 -; OVG NRW, Urt. v. 17.08.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Urt. v. 01.03.2012 - 10 C 7.11 -, Vorlagebeschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, Urt. v. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, jeweils zitiert nach juris).

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Konvertiten, die vom Islam abfallen, ihren neuen Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen, müssen im Iran ernstlich mit schwerer Verfolgung wegen ihrer Religion rechnen (vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 -; VG Würzburg, Urt. v. 26.02.2018 - W 8 K 17.32575 -; VG Augsburg, Urt. v. 15.02.2018 - Au 5 K 17.35336 -; VG Stade, Urt. v. 19.01.2018 - 1 A 97/16 -; VG Braunschweig, Urt. v. 11.01.2013 - 2 A 176/11 -; VG Dresden, Urt. v. 09.03.2012 - A 6 K 568/10 -; VG Düsseldorf, Urt. v. 11.04.2012 - 22 K 6259/1.A -; VG Frankfurt, Urt. v. 18.01.2012 - 7 K 3164/11.F.A.-; VG Minden, Urt. v. 06.02.2013 - 7 K 2825/12.A -; VG Stuttgart, Urt. v. 19.02.2013 - A 11 K 1230/12 -; VG Trier, Urt. v. 19.01.2012 - 2 K 892/11.TR -; jeweils zitiert nach juris). Nach dem im Iran mittelbar anwendbaren Scharia-Recht besteht die Möglichkeit der Ahndung der Apostasie mit der Todesstrafe. Gegenwärtig drohen Konvertiten im Iran Verfolgung und hohe Strafen. Zudem ist ihre Glaubensausübung stark eingeschränkt. Christlichen Gemeinden, die Konvertiten aufnehmen, droht die Schließung. Die Ausübung der Religion wird restriktiv ausgelegt und schließt jede missionierende Tätigkeit aus. Missionierende Christen werden verfolgt und hart bestraft, ihnen kann als „Kämpfer gegen Gott“ („Moharebeh“) sogar eine Verurteilung zum Tode drohen. Im Jahr 2017 kam es vermehrt zu Verhaftungen von Christen muslimischer Herkunft und zur Verurteilung von Christen zu Haftstrafen von zehn und mehr Jahren. (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.03.2018, S. 11 f.).

25

Für die Annahme einer Verfolgungsgefahr aufgrund eines Glaubenswechsels ist erforderlich, dass dieser, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern Ausdruck einer echten Glaubensüberzeugung ist (vgl. HessVGH, Urt. v. 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A - juris, Rn. 20 ff.; OVG NRW, Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 1999/07.A -, juris, Rn. 37 ff.; VG Würzburg, Urt. v. 19.12.2014 - W 1 K 12.30183 -, juris, Rn. 32), der die Identität des Schutzsuchenden nunmehr prägt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 30). Denn nur in einem solchen Fall kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzsuchende im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland seinen neuen Glauben in einer Art und Weise ausleben und praktizieren würde, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde (vgl. VG Stade, Urt. v. 19.01.2018 - 1 A 97/16 -, juris). Wann dies anzunehmen ist, lässt sich nicht allgemein beschreiben, denn es hängt auch von der jeweiligen Persönlichkeit und der intellektuellen Disposition des Einzelnen ab; im Regelfall genügt es nicht, dass der Schutzsuchende lediglich formal zum Christentum übergetreten ist, indem er getauft wurde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, juris, Rn. 9 ff.; OVG NRW, Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 1999/07.A -, juris, Rn. 39; VG Ansbach, Urt. v. 28.04.2015 - AN 1 K 14.30761 -, juris, Rn. 89 f.).Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 (940); VG Würzburg, Urt. v. 19.12.2014 - W 1 K 12.30183 -, juris, Rn. 27). Ob der von einem Asylbewerber behauptete Glaubensübertritt auf einer ernsthaften und innerlich gefestigten Überzeugung beruht, ist höchstpersönlicher Natur und kann bzw. muss allein vom Asylbewerber glaubhaft gemacht werden; hierbei kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit der Person des Asylbewerbers an, die das Gericht zu überprüfen und tatrichterlich zu würdigen hat (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 10.02.2017 - 13 A 2648/16.A - juris, Rn. 11 m.w.N.). Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf dabei im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist (vgl. VG Ansbach, Urt. v. 05.11.2014 - AN 1 K 14.30650, AN 1 K 14.30651, AN 1 K 14.30652 -, juris, Rn. 98). Das erkennende Gericht ist nicht daran gehindert, eine eigenständige Einschätzung über die Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu treffen. An die Ausstellung eines Taufscheins sowie die Einschätzung der Glaubensüberzeugung eines Konvertiten durch eine Kirchengemeinde bzw. einen Pastor ist das Gericht nicht gebunden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, juris, Rn. 10 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris, Rn. 34; Bay. VGH, Beschl. v. 09.04.2015 - 14 ZB 14.30444 - juris, Rn. 5).

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe droht dem Kläger im Falle der Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch staatliche Akteure wegen seines Übertritts zum christlichen Glauben.

27

Der Kläger wurde, nachgewiesen durch Vorlage seiner Taufurkunde, am 21. Februar 2016 getauft, wodurch er das formelle Kriterium für den Glaubenswechsel erfüllt hat. Darüber hinaus hat sich der Kläger unter Würdigung aller Umstände und insbesondere nach dem Gesamteindruck, den der Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung am 25. April 2018 gewonnen hat, ernsthaft und aufgrund einer inneren Überzeugung zum Übertritt zur christlichen Religion entschieden. Der Kläger vermochte den innerlichen Prozess seiner Konversion im Rahmen der mündlichen Verhandlung detailliert zu schildern und zu begründen. Er stellte glaubhaft dar, warum er sich, obwohl er als Moslem geboren ist, vom Islam entfernt hat. Die von ihm gezogene Verbindung zwischen seinem eindrucksvoll geschilderten Erlebnis, dass er während seiner Militärzeit einer Hinrichtung beiwohnen musste, und der Religion erscheint nachvollziehbar, zumal bei der Hinrichtung auch ein Mullah anwesend war. Dass er dies nicht bereits in der Anhörung beim Bundesamt dargestellt hat, konnte er überzeugend damit begründen, dass sich die Fragen dort lediglich mit den fluchtauslösenden Ereignissen, nicht hingegen mit der Abkehr vom Islam beschäftigten. Er hat plausibel gemacht, dass nach seinen Erfahrungen im Iran eine Entfremdung mit dem Islam stattgefunden hat, die sich durch Gespräche mit Freunden und dem folgenden Besuch der Hauskirche fortgesetzt hat. Seine Schilderungen zum Besuch der Hauskirche und dem fluchtauslösenden Ereignis - die von ihm beobachtete Durchsuchung der Hauskirche - erscheinen dabei glaubhaft, da er diese Erfahrungen lebendig und detailreich schildern konnte und sie zudem übereinstimmten mit den in der Anhörung beim Bundesamt gemachten Angaben. Gleiches gilt für die Angaben des Klägers zur Reaktion seiner Mutter auf die Konversion, die ihn weiterhin bei Telefonaten zur Einhaltung der muslimischen Glaubensregeln auffordert. Dies zeigt, dass er den christlichen Glauben nicht nur für sich angenommen hat, sondern diesen auch gegenüber familiären Widerständen verteidigt.

28

Darüber hinaus ist es nach dem Eindruck des Einzelrichters vom Kläger für diesen von elementarer Bedeutung, den neuen Glauben in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter ausleben zu können, und zwar in einer Weise, die es ihm nicht möglich macht, hierauf zu verzichten. Dies zeigt sich auch an seinen regelmäßigen Kirchenbesuchen und seinen weiteren kirchlichen Aktivitäten sowie an der Bedeutung, die er der gegenseitigen Hilfe unter den Gläubigen beimisst. Gegen eine rein asyltaktische Taufe spricht, dass er glaubhaft vorgetragen hat, zunächst die Veranstaltungen in persischer Sprache besucht zu haben, nach der Verbesserung seiner Deutschkenntnisse aber den deutschsprachigen Gottesdienst am Sonntag aufgesucht zu haben. Wenn es dem Kläger um eine Konversion aus asyltaktischen Gründen gegangen wäre, wäre es naheliegend gewesen, weiterhin in erster Linie die Veranstaltungen innerhalb der persischen Gemeinschaf zu besuchen und nicht den zusätzlichen Aufwand des deutschsprachigen Gottesdienstes auf sich zu nehmen.

29

Der Kläger ist auch mit den Grundzügen der christlichen Religion vertraut und konnte auf Vorhalt des Einzelrichters zu Bibelinhalten das Thema Rache betreffend mit anderen Bibelzitaten kenntnisreich antworten.

30

Der Gesamteindruck aus der mündlichen Verhandlung führt zu dem Schluss, dass der Kläger seinen Glauben auch im Falle einer Rückkehr in den Iran gemeinschaftlich mit anderen praktizieren und sich hierdurch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung aus religiösen Gründen aussetzen würde.

31

Die Abschiebungsandrohung ist aufzuheben, da eine solche nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur erlassen werden darf, wenn dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen ist.

32

Einer Entscheidung über die Hilfsanträge bedarf es nicht, da der Kläger mit dem Hauptantrag Erfolg hat.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

 


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