Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (5. Kammer) - 5 A 332/08
Tatbestand
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Der Kläger war bis zum 29.02.2008 Ministerialbeamter im Land Sachsen-Anhalt und wendet sich gegen die von der Beklagten mit Bescheid vom 02.06.2008 vorgenommene Festsetzung der Versorgungsbezüge (Ruhegehalt).
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Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.09.2008 als unbegründet zurück und führte aus, dass dem Kläger Dienstzeiten von insgesamt 49 Jahren und 119 Tagen als ruhegehaltsfähig anerkannt worden seien. Hieraus errechne sich ein Ruhegehaltssatz von 92, 49 v. H., wobei dieser auf den gesetzlich festgelegten Höchstsatz von 75 v. H. nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) zu begrenzen sei. Nach § 3 Beamtenversorgungsübergangsverordnung (BeamtVÜV) sei die Dienstzeit für den Zeitraum vom 05.08.1991 bis 31.12.1995 doppelt berücksichtigt worden. Den ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen seien das Grundgehalt und der Familienzuschlag zugrunde zu legen. Die vom Kläger begehrte Berücksichtigung der oberstbehördlichen Stellenzulage nach Anlage 1 Nr. 7 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B könne nicht erfolgen.
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Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und rügt die offensichtliche Verfassungswidrigkeit der Nichtberücksichtigung der sogenannten „Ministerialzulage“. So seien z. B. zahlreiche Stellen/Verwendungszulagen nach den Vorbemerkungen des 5. Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 28.05.1990 für ruhegehaltsfähig erklärt worden, wie etwa:
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Zulage für flugzeugtechnisches Personal
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Zulage für Beamte im militärischen Flugsicherungsbetriebsdienst, im Radarführungsdienst oder Tiefflugüberwachungsdienst
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Zulage als Nachprüfer von Luftfahrgerät
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Zulage für Beamte bei Sicherungsdiensten
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Zulage für Beamte der Bundeswehr in der Nachrichtengewinnung durch Fernmelde- und elektronische Aufklärung
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Zulage für Beamte bei dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
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Zulage für Beamte bei dem Bundesausfuhramt
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Zulage für Beamte mit vollzugspolizeilichen Aufgaben
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Zulage im Marinebereich
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Zulage für Beamte bei Justizvollzugseinrichtungen und Psychiatrischen Krankenanstalten.
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Diese Ungleichbehandlung sei verfassungswidrig. Weiter werden Vergleiche zu den Versorgungsbezügen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages gezogen.
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Bei der Berechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit seien Zeiten vom 01.04.1962 bis 31.03.1963 und damit ein Bescheid der Wehrbereichsverwaltung III vom 13.05.1969 nicht berücksichtigt worden.
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Im Schriftsatz vom 25.02.2010 (Blatt 44 Gerichtsakte) äußert sich der Kläger weiter zum seiner Meinung nach bestehenden Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Die Bescheide seien ohne Beachtung der geltenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen (vorherige Anhörung des Antragstellers vor Erlass eines Bescheides) erlassen worden.
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Mit Schriftsatz vom 25.02.2010 (Blatt 44 Gerichtsakte) beantragt der anwaltlich vertretene Kläger wortwörtlich:
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„1. Klageantrag (insoweit Änderung des bisherigen Klageantrags)
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Unter Aufhebung des Erstbescheides der OFD D-Stadt vom 02.06.2008 i. d. F. des Widerspruchsbescheides der OFD D-Stadt vom 24.09.2008 wird die beklagte Behörde verpflichtet,
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- eine Neuberechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit des Klägers vorzunehmen und darüber hinaus dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen, da in der bisherigen Berechnung der Zeitraum 01.04.1962 bis 31.03.1963, der durch Bescheid der Wehrbereichsverwaltung III vom 13.05.1969 – III A 2.12 (6) als „ruhegehaltsfähige Dienstzeit“ gem. § 115 Abs. 1 BBG anerkannt wurde, unberücksichtigt geblieben ist.
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- bei der Festsetzung der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge die Zulage nach Nr. 7 der Anlage I zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), auch oberstbehördliche Stellenzulage und umgangssprachlich auch Ministerialzulage genannt, zu berücksichtigten, da der Kläger während seiner aktiven Dienstzeit diese mehr als zehn Jahre bezogen hat.
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Hilfsweise wird dazu Folgendes beantragt:
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Für den Fall, dass die Zulage nach Nr. 7 der Anlage I zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), auch oberstbehördliche Stellenzulage und umgangssprachlich auch Ministerialzulage genannt, nur bewilligt werden kann, wenn zuvor festgestellt wird, dass der bisherige Ausschluss der Ruhegehaltsfähigkeit dieser Stellenzulage auf einer verfassungswidrigen Regelung beruht, wird beantragt, dass das angerufene Gericht nach Art. 100 GG (Aussetzung des Verfahrens und Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht) verfährt.
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Weiterer Hilfsantrag:
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Da der angefochtene Bescheid (Erstbescheid bzw. Widerspruchsbescheid) ohne Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (VwVfG LSA) bzw. des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG) zustande gekommen ist, wird beantragt, die Aufhebung vorzunehmen und die beklagte Behörde zu verpflichten, einen neuen Bescheid hinsichtlich der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit bzw. der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge zu erlassen.“
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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und verteidigt die Bescheide und die darin geäußerte Rechtsauffassung. Die Verfassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung der „Ministerialzulage“ sei bereits obergerichtlich mit Verweis auf das Urteil des OVG NRW vom 27.11.1995, 1 A 718/94, entschieden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Trotz Ausbleibens des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten konnte ohne diese verhandelt und entschieden werden. Denn nach § 102 Abs. 2 VwGO wurde mit der Ladung darauf hingewiesen. Zudem besteht vorliegend die Besonderheit, dass der Kläger, nachdem er am Terminstage um 10.00 Uhr vor der Eröffnung der mündlichen Verhandlung Befangenheitsanträge gegen mehrere Richter des Gerichts und auch gegen den zuständigen Einzelrichter gestellt hatte, ausdrücklich und mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass noch am selben Tage nach Entscheidung über die Befangenheitsanträge verhandelt werden sollte. Bei Aufruf der Sache hat sich der Vorsitzende durch persönliche Nachschau in der Wartezone vor dem Sitzungssaal und dem angrenzenden Sanitärraum sowie der nahe gelegenen Bibliothek von der Abwesenheit des Klägers überzeugt.
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Die zulässige Klage ist mit allen Anträgen unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf eine andere bzw. höhere Festsetzung seiner Versorgungsbezüge (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Entscheidend ist vorliegend, dass der Kläger aufgrund seiner langjährigen Dienstzeiten von insgesamt 49 Jahren und 119 Tagen bereits weit über den gesetzlich festgelegten Höchstsatz von 75 v. H. verfügt. Dementsprechend wirkt sich die vom Kläger geltend gemachte weitere Berücksichtigung etwaiger Dienstzeiten für den Zeitraum vom 01.04.1962 bis 31.03.1963 überhaupt nicht aus. Dementsprechend kann ausdrücklich offen bleiben, ob diese Zeiten überhaupt in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis abgeleistet worden sind.
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Die weiter vom Kläger als klärungsbedürftig angesehene Frage, ob die sogenannte „Ministerialzulage“ bei der Berechnung der Versorgungsbezüge Anwendung finden muss, ist ebenfalls geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt mit dem Nichtannahmebeschluss vom 03.12.2000 (2 BvR 1501/96; juris) entschieden, dass aus dem Grundsatz amtsangemessener Alimentation kein Anspruch auf Ruhegehaltsfähigkeit aller Teile der Amtsbezüge hergeleitet werden kann. Auch der Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG lässt dem Gesetzgeber bei Regelungen des Besoldungsrechts, insbesondere bei der Regelung von Zulagen, eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit (BVerfG, Beschl. v. 06.10.1983, 2 BvL 22/80; juris). Das Bundesverfassungsgericht führt in der Entscheidung vom 03.12.2000 klar und eindeutig aus, dass an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben die gesetzgeberische Entscheidung, die Stellenzulage nach Nr. 7 der Vorbemerkungen zu den Besoldungsordnungen A und B von der Ruhegehaltsfähigkeit auszunehmen, nichts zu beanstanden ist. Ein der Bedeutung des von einem Beamten bekleideten Amtes angemessener Lebensunterhalt nach Eintritt in den Ruhestand wird nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sogar auf der Basis eines Grundgehaltes nach der BesGr. A 9 BBesO gewährt. Dies muss im Fall des Klägers aufgrund der letzten Besoldung nach der BesGr. B 2 BBesO erst recht gelten. Damit ist geklärt, dass Stellenzulagen nicht zum Kernbestand des alimentierten Amtes gehören; sie werden für nicht auf Dauer angelegte Funktionen gewährt und sind grundsätzlich widerruflich (§ 42 Abs. 4 BBesG).
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Das Bundesverfassungsgericht macht weitere Ausführungen zur Gestaltungsfreiheit der Regelungen des Besoldungsrechtes auch unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes. Die vielfältigen, bei der Gewährung von Gehaltszulagen vom Gesetzgeber zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind häufig nicht miteinander in Einklang zu bringen. Die sich dadurch ergebenden Unvollkommenheiten, Unebenheiten und Fiktionen sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen müssen hingenommen werden. Gesetzliche Vorschriften über die Abgrenzung von Zulagen verstoßen danach nur dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie sich als evident sachwidrig erweisen (BVerfG, Urt. v. 06.10.1983, 2 BvL 22/80; juris).
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Aufgrund dieser vollkommen eindeutigen und vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen geklärten Rechtslage – der sich das Gericht anschließt – kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob der Gesetzgeber zahlreiche andere vom Kläger aufgeführte Stellenzulagen ausgebracht und teilweise für ruhegehaltsfähig erklärt hat. Denn diese Stellenzulagen werden für die Wahrnehmung anderer herausgehobener Funktionen i. S. v. § 42 Abs. 3 Satz 1 BBesG gewährt und sind schon deshalb für Rückschlüsse auf die sogenannte „Ministerialzulage“ grundsätzlich nicht geeignet. Dies hat bereits das OVG NRW in seinem Urteil vom 27.11.1995 (1 A 718/94; juris) ausführlich und mit weiteren Nachweisen überzeugend dargelegt. Auch dieser Rechtsauffassung schließt sich das erkennende Gericht an und darf darauf verweisen.
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Diese gänzlich geklärte verfassungsrechtliche Lage verbietet die vom Kläger begehrte sogenannte Richtervorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht.
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Schließlich ist die Annahme und der diesbezügliche Antrag des Klägers, dass der Bescheid ohne Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt bzw. des Bundes ergangen sei nicht nachvollziehbar. Soweit damit anscheinend auf einen Gehörverstoß abgestellt werden soll, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein etwaiger Fehler – wie hier - gemäß §§ 45, 46 VwVfG i. V. m. § 1 VwVfG LSA geheilt werden kann Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.09.2007, 1 WDS-VR 7/07; juris; OVG LSA, Beschluss vom 23.02.2010, 1 L 12/10). Der Kläger hatte durch die Einlegung seines Widerspruches gegen den Ausgangsbescheid hinreichende Gelegenheit seine anderslautende Rechtsauffassung zu äußern. Ausweislich der Begründung des Widerspruchsbescheides wurden diese Ausführungen auch berücksichtigt und einer rechtlichen Überprüfung unterzogen. Demnach darf das Gericht zur weiteren Begründung auch darauf verweisen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert wird nach § 52 Abs. 1 GKG in Höhe der vorläufigen Festsetzung aufgrund der Schätzung des Klägers festgesetzt.
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Referenzen
- VwVfG § 45 Heilung von Verfahrens- und Formfehlern 1x
- VwVfG § 46 Folgen von Verfahrens- und Formfehlern 1x
- VwGO § 167 1x
- VwVfG § 1 Anwendungsbereich 1x
- § 115 Abs. 1 BBG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 102 1x
- VwGO § 113 1x
- BBesG § 42 Amtszulagen und Stellenzulagen 2x
- VwGO § 117 1x
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 718/94 2x (nicht zugeordnet)
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- 2 BvL 22/80 2x (nicht zugeordnet)
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