Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (6. Kammer) - 6 A 99/18

Tatbestand

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Der Kläger, somalischer Staatsangehöriger, begehrt die Aufhebung der Ablehnung eines Folgeasylantrags und hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen.

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Der Kläger reiste am 07.10.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein am 09.10.2013 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes (Bundesamt) vom 04.11.2013 abgelehnt und die Abschiebung in die Italienische Republik angedroht. Das Verfahren aus der gegen den Bescheid gerichteten Klage wurde durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe wegen Nichtbetreibens eingestellt. Am 15.04.2014 wurde der Kläger in die Italienische Republik überstellt.

3

Der Kläger reiste erneut in das Bundesgebiet ein. Ein Wiederaufnahmeersuchen der Beklagten wies die Dublin-Einheit beim italienischen Ministerium des Inneren mit Schreiben vom 09.06.2015 zurück, da der Kläger zwischenzeitlich als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde ("refugee status").

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Am 11.06.2015 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, den das Bundesamt mit Bescheid vom 24.06.2015 als unzulässig ablehnte. Der Bescheid wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 04.02.2016 – 8 A 47/16 MD – aufgehoben. Eine Zulassung der Berufung der Beklagten hiergegen lehnte das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt durch Beschluss vom 27.04.2016 – 4 L 42/16 – ab.

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Mit Bescheid vom 20.12.2016 entschied das Bundesamt erneut über den Antrag des Klägers vom 11.06.2015, lehnte den Antrag als unzulässig ab und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen würden. Den hiergegen gerichteten Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht Magdeburg am 12.01.2017 – 8 B 34/17 MD – ab und die Klage wies es am 25.04.2017 – 8 A 35/17 MD – ab. Die Ablehnung des Asylantrags wurde am 13.05.2017 bestandskräftig.

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Am 25.02.2018 stellte der Kläger einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung gab er auf dem Beiblatt der Niederschrift an, seine Schwester sei bei der Explosion in Mogadishu am 14.10.2017 gestorben; sonst hätten sich seine Gründe nicht verändert. Mit Bescheid vom 30.01.2018, den der Kläger am 02.02.2018 erhielt, lehnte das Bundesamt den Antrag ab.

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Der Kläger hat am 16.02.2018 Klage erhoben. Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in der Italienischen Republik würden systemische Mängel aufweisen und der Kläger dort Gefahr laufen, einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung ausgesetzt zu werden. Dort gebe es für 55.000 Asylbewerber nur etwa 16.000 Plätze. Daher würden Flüchtlinge auf der Straße leben müssen, was auch bei abgeschlossenen Asylverfahren gelte. Es bestünden Anhaltspunkte für das Vorliegen von Engpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer. Der Kläger selbst habe nach seiner Rückkehr in die Italienische Republik im Jahr 2014 zunächst am Flughafen drei Tage in Haft verbracht und in den folgenden sechs bis acht Monaten in Rom und an verschiedenen Orten gelebt.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 30.01.2018 aufzuheben,

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hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Akten der Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 4 L 42/16 und vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg 8 A 47/16 MD (vormals 5 A 348/15 MD), 8 B 34/17 MD und 8 A 35/17 MD sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klage hat keinen Erfolg.

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1. Auf den zulässigen Hauptantrag des Klägers war der Bescheid des Bundesamts vom 30.01.2018 nicht aufzuheben, denn er ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

16

a) Der Antrag des Klägers wurde zurecht als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 und § 71 AsylG abgelehnt.

17

Aufgrund der vorausgehenden Ablehnung des durch den Kläger in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags vom 11.06.2015 mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 20.12.2016 handelt es sich um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylG. Das Bundesamt hatte kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, da die Voraussetzungen für das Wiederaufgreifen eines Verfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG und § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen.

18

Der Bescheid des Bundesamts vom 20.12.2016 beruht darauf, dass der Kläger bereits als Flüchtling in der Italienischen Republik anerkannt worden ist. Diese Sachlage hat sich nicht verändert. Der Kläger kann nach wie vor durch ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland keinen günstigeren Status erlangen als der ihm bereits nach der Genfer Flüchtlingskonvention in der Italienischen Republik zuerkannte. Dass nach dem Vortrag des Klägers zwischenzeitlich seine Schwester bei einer Explosion in Mogadishu umgekommen sei, ändert nichts an dem bereits dem Kläger zuerkannten internationalen Schutzstatus.

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b) Neben der Ablehnung des Antrags als unzulässig hat das Bundesamt zurecht zum Ausdruck gebracht, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG beim Kläger vorliegen.

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Zugleich mit der eigenständig in § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG geregelten Unzulässigkeitsentscheidung hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden, wie es der Verweis des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf unzulässige Asylanträge und damit auch auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG vorschreibt. Es darf sich nicht mit der Prüfung begnügen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen in Bezug auf die getroffene Feststellung nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4/16 –, juris, Rn. 18).

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Zwar weist der Tenor in der Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 30.01.2018 darauf hin, dass nicht das Nichtvorliegen von Abschiebungsgründen, sondern die Nichtabänderung der Feststellung aus der Ziffer zu 2. des Bescheids vom 20.12.2016 entschieden werden sollte. Die Entscheidung kann aber nach § 47 VwVfG in eine Entscheidung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG umgedeutet werden, da sie inhaltlich auf das gleiche Ziel gerichtet ist, vom Bundesamt gerade in diesem Verfahren an dieser Stelle zu treffen gewesen wäre und das Ergebnis der Nichtabänderung die gleichen weiteren Rechtsfolgen zeitigt wie die Nichtfeststellung von nationalen Abschiebungshindernissen. Insbesondere widerspräche diese Umdeutung auch nicht der erkennbaren Absicht des Bundesamtes. Dieses hat sich in der Prüfung der Abänderung nicht auf das Vorliegen der Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 VwVfG beschränkt, sondern über die Begründung hinaus, warum keine Wiederaufgreifensgründe vorliegen, ausgeführt, dass die Feststellung inhaltsgleich erneut zu ergehen hätte.

22

In der Sache ist das Bundesamt zurecht davon ausgegangen, dass der Kläger weder abschiebungsschutzberechtigt nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch abschiebungsschutzbegünstigt nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist.

23

aa) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Unzulässig ist die Abschiebung, wenn es dem Kläger droht, in der Italienischen Republik einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden.

24

Die Frage, ob einem in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, die ein Abschiebungsverbot auslöst, erfordert – vergleichbar wie im Falle einer Prüfung der Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem – eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.04.2016 – 2 BvR 273/16 –, juris, Rn. 11). Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu. In Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung solcher möglicherweise gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen muss daher, jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.05.2017 – 2 BvR 157/17 –, juris, Rn. 16).

25

Bei einer Gesamtwürdigung der zur Italienischen Republik vorliegenden Berichte und Stellungnahmen besteht zurzeit für die besondere Situation des Klägers keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.

26

Für die Auslegung von Art. 3 EMRK ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen, der auch für die Dimension der grundgesetzlichen Grundrechtsgarantien im Zusammenhang mit § 60 Abs. 5 AufenthG eine faktische Orientierungs- und Leitfunktion zukommt, die auch über den konkret vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Einzelfall hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 62). Nach dieser Rechtsprechung können sich auch die – staatlich verantworteten – allgemeinen Lebensverhältnisse als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, reicht für sich aber nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Art. 3 EMRK kann nicht so ausgelegt werden, dass er die Konventionsstaaten verpflichte, jeder Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen, da Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung vorsieht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen, der nicht signifikant reduziert werden dürfte (EGMR, Beschluss vom 02.04.2013 – 27725/10, hudoc, Rn. 71). Die Schwelle der unmenschlichen Behandlung ist aber erreicht, wenn der vollständig von staatlicher Unterstützung Abhängige behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09, hudoc, Rn. 253 im Anschluss an den Beschluss vom 18.06.2009 – 45603/05; Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12, hudoc, Rn. 98). Bei als Flüchtling Anerkannten und zuerkannt subsidiär Schutzberechtigten handelt es sich wie bei Antragstellern für diesen Status um eine besonders verletzliche Gruppe, die zumindest in einer Übergangszeit der staatlichen Hilfe bei ihrer Integration angewiesen ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.05.2017 – 2 BvR 157/17 –, juris, Rn. 21). Fern des formalen Arguments einer gewährleisteten Inländergleichbehandlung stellen sich die Fragen nach der Unterbringung, Zugang zu sanitären Einrichtungen, der Versorgung mit Lebensmitteln und dem Zugang zu Sozialleistungen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.05.2017 – 2 BvR 157/17 –, juris, Rn. 20 ff.).

27

Nach dem Bild der jüngeren Rechtsprechung stellt sich die Einschätzung als Ergebnis der Prüfung der Lage in der Italienischen Republik anhand der Erkenntnisquellen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich dar.

28

Teilweise wird wegen geringer Unterbringungsquoten von 20 Prozent trotz rückläufiger Flüchtlingszahlen in der Italienischen Republik generell eine erniedrigende Behandlung für rückkehrende Schutzberechtigte angenommen (VG Berlin, Urteil vom 31.01.2018 – 28 K 452.17 A –, juris, Rn. 46), gerade auch für alleinstehende erwachsene Personen (VG Hannover, Urteil vom 12.10.2017 – 3 A 4622/17 –, juris, Rn. 25 f.). Eine solche Behandlung wird auch aus dem fehlenden tatsächlichen Zugang zu Sozialleistungen und der fehlenden Unterstützung bei der Eigensuche nach einer Unterbringung gefolgert (VG Minden, Urteil vom 29.11.2017 – 10 K 1823/15.A –, juris, Rn. 125; tendenziell anderer Ansicht für die Notfallversorgung fern des staatlichen Sozialnetzes VG Freiburg [Breisgau], Beschluss vom 24.11.2017 – A 2 K 7807/17 –, juris, Rn. 37). Teilweise wird zwischen dem Vorliegen systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und der Frage nach einer erniedrigen Behandlung von anerkannten Flüchtlingen unterschieden (VG München, Urteil vom 26.09.2016 – M 24 K 16.50512 –, juris, Rn. 57). Teilweise wird auf die prinzipielle Funktionsfähigkeit des italienischen Asylsystems abgestellt, das trotz einzelner Unzulänglichkeiten Gewähr für ein die Konventionsrechte achtendes Verfahren biete (OVG Niedersachsen, Urteil vom 25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, juris, Rn. 50 ff.) – insbesondere wegen Erhöhung der Kapazitäten der Unterbringungssysteme (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 – 13 A 990/13.A –, juris, Rn. 82 ff.).

29

Nach Auswertung der aktuell verfügbaren Erkenntnismittel stellt sich für die Kammer die Lage in der Italienischen Republik wie folgt dar.

30

In Rom werden Rückkehrer derzeit am Flughafen Fiumicino von der NGO „Gruppo Umana" betreut und beraten. Diese Organisation kann bei der Suche nach einer Unterkunft behilflich sein. Dort wird den Rückkehrern mitgeteilt, welche Quästur für sie zuständig ist und wohin sie sich begeben müssen. Bei der Quästur kann dann ein Antrag auf Unterkunft innerhalb des Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati (SPRAR) gestellt werden (vgl. zum Prozess das Schreiben des Auswärtigen Amtes an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016). Rückkehrer mit Schutzstatus, die zuvor in einem Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo (CARA) untergebracht waren, haben kein Recht (mehr) auf dortige Unterbringung – außer es sind dort ausnahmsweise Plätze frei (vgl. Bundesamt für Flüchtlinge und Migration, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.04.2016, zuletzt aktualisiert am 16.03.2017, S. 46). Insofern ist die Situation mit in der Italienischen Republik verbliebenen Anerkannten vergleichbar, die nach Gewährung des Schutzstatus das CARA verlassen und warten, bis ein Platz im SPRAR frei wird, was Monate dauern kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 48). Das italienische System geht für Anerkannte stets davon aus, dass man ab Gewährung des Schutzstatus arbeiten und für sich selbst sorgen kann (vgl. Bundesamt für Flüchtlinge und Migration, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.04.2016, zuletzt aktualisiert am 16.03.2017, S. 46). Die Anerkannten bleiben, soweit sie nicht im SPRAR sind, sich selbst überlassen (vgl. Europarat, Report of the fact-finding missions to Italy by Ambassador Tomáš Bocek vom 02.03.2017, S. 25 f.). In dieser Situation können Anerkannte zwar von Hilfsorganisationen Unterstützung bekommen. Grundsätzlich müssen sie aber in eigener Verantwortung eine Wohnung und einen Arbeitsplatz suchen (vgl. BAMF, Leitfaden für Italien, Oktober 2014, S. 21). Die Wartezeit für Sozialwohnungen beträgt mehrere Jahre und anmelden kann man sich nach einer mindestens fünfjährigen Aufenthaltszeit in der Italienischen Republik (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 50). Aufgrund mangelnder Kapazitäten im offiziellen Aufnahmesystem lebten im Jahr 2016 in verschiedenen Städten der Italienischen Republik Asylsuchende und Schutzberechtigte in besetzten Häusern oder Hüttensiedlungen, meistens unter inakzeptablen Bedingungen – in Rom schätzungsweise zwischen 2.250 und 2.880 Frauen, Männer und Kinder (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 44).

31

Zur Einordnung dieser für das Jahr 2016 berichteten Fälle fehlender Unterbringungs- und Wohnmöglichkeiten in die heutige Gesamtsituation in der Italienischen Republik zieht die Kammer die aktuelle Statistik über Aufnahmen und Unterbringungen von Ausländern und Schutzberechtigten heran.

32

Die Anzahl der in Italien aufgenommenen Ausländer ist von 2016 (181.436) über 2017 (119.369) rückläufig (vgl. statistisches Dashboard der Abteilung für bürgerliche Freiheiten und Immigration des italienischen Ministeriums des Inneren vom 28.02.2017, S. 3, abrufbar unter http://www.libertaciviliimmigrazione.dlci.interno.gov.it/it/documentazione/ statistica/cruscotto-statistico-giornaliero). Im Monatsvergleich zum Vorjahr sind die Zahlen ab Juli 2017 fast um ein Drittel geringer als im Vorjahr. Im Januar 2018 ist das Bild zwar nicht so eindeutig, aber auch hier sind die Zahlen mit 4.081 Personen rückläufig (2017: 4.468 und 2016: 5.273). Demgegenüber sind sowohl die Anzahl der im Netzwerk SPRAR verfügbaren und angenommen Plätze gestiegen (vgl. Jahresbericht 2017 über den internationalen Schutz des ANCI, der italienischen Caritas, von Cittalia, der Migrantenstiftung, vom zentralen Dienst des SPRAR und in Zusammenarbeit mit dem UNHCR, S. 137, 139, abrufbar unter http://www.sprar.it/pubblicazioni/rapporto-sulla-protezione-internazionale-in-italia-2017). Bei den verfügbaren Plätzen waren es im Jahr 2014 22.961, 2015 29.698 und 2016 bereits 34.039 Plätze. Davon wurden angenommen im Jahr 2014 20.752, 2015 21.613 und 2016 schließlich 26.012, von denen 9,6 Prozent anerkannte Flüchtlinge und 14,8 Prozent anerkannte subsidiär Schutzberechtigte waren.

33

Im Gegensatz zur äußerst angespannten Situation im Jahr 2016 kann eine Entspannung der Gesamtsituation einerseits aus den signifikant gesunkenen Aufnahmezahlen und andererseits aus der gleichzeitigen Steigerung der Unterbringungsmöglichkeit im SPRAR abgelesen werden, das für zurückkehrende anerkannte Flüchtlinge zur Verfügung steht. Die Kammer verkennt nicht, dass dies nicht bedeutet, dass es im Einzelfall und bei Beachtung der besonderen Situation von rückkehrenden anerkannten Flüchtlingen nicht zu einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung kommen kann, der dann unter Analyse des jeweiligen Einzelfalls Rechnung getragen werden muss. Insgesamt aber stellt sich die Situation nicht so dar, dass für sich genommen stets eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Situation gegeben wäre oder nach überwiegender Wahrscheinlichkeit so gravierende systemische Mängel in der Unterbringung zurückkehrender Anerkannter bestünden, dass eine weitere Aufklärung zur Einordnung der Mängel geboten wäre. Vielmehr ist die Grundannahme für die Italienischen Republik zurzeit dahingehend positiv, dass auch für zurückkehrende Flüchtlinge grundsätzlich die mit italienischen Staatsangehörigen vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen Gewähr auch für eine Unterbringungschance bieten (für die Situation im Jahr 2017 vgl. VG Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 25.04.2017 – 8 A 35/17 –, juris).

34

Der vorstehende Befund einer nach wie vor zwar nicht einfachen Lage in der Italienischen Republik, die aber generell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Schluss auf ein Art. 3 EMRK verletzendes System zulässt, deckt sich mit der Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der sogar während der noch angespannteren Lage im Jahr 2015 klargestellt hat, dass nicht die generelle Situation in der Italienischen Republik so bewertet werden könne, dass das dortige Asyl- und Unterbringungssystem per se zu Verstößen gegen Art. 3 EMRK führe, sondern im Fall eines alleinstehenden erwachsenden jungen Mannes angenommen werden könne, dass dieser in der Lage sei, aus den verfügbaren Ressourcen in der Italienischen Republik Nutzen ziehen zu können, und der nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen hat, dass die italienischen Behörden in einer angemessen Weise reagieren (EGMR, Beschluss vom 13.01.2015 – 51428/10 –, hudoc, Rn. 34 bis 36). Die Kammer kommt zu einer gleich lautenden Einschätzung für die derzeitige Sachlage. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung alleinstehender, erwachsender und zugleich nicht wegen Behinderung, Alters oder Gesundheit ernsthaft eingeschränkter Personen liegt grundsätzlich nicht vor. Umgekehrt besteht bei besonderen Situationen von rückkehrenden anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12, hudoc, Rn. 105) oder im Falle des Vorliegens besonderer Merkmale in ihrer Person (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12 –, juris, Rn. 25) Anlass, die Prüfung einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung anhand der Gesamtsituation im Einzelfall zu vertiefen. Letzteres betrifft beispielsweise die Frage nach individuellen Garantien bei der Rückführung von Familien mit Kindern (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12, hudoc, Rn. 99) – insbesondere bei der Rückführung neugeborener Kinder oder von Kleinstkindern (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris, Rn. 16; Beschluss vom 17.04.2015 – 2 BvR 602/15 –, juris, Rn. 5).

35

Im Falle des Klägers kann keine solche besondere Situation des Einzelfalls und auch kein besonderes Merkmal in seiner Person erkannt werden, die auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit schließen lassen würden, ihm drohe bei einer Rückkehr in die Italienische Republik eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Solche Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger ist alleinstehend. Er ist 23 Jahre alt. Gesundheitliche Beeinträchtigungen sind für ihn nicht erkennbar.

36

bb) Darüber hinaus besteht kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

37

Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Eine solche Gefahr ist vorliegend weder vom Kläger dargelegt noch anderweitig ersichtlich.

38

Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.

39

c) Nach den Feststellungen, dass dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei seiner Rückkehr als anerkannter Flüchtling in die Italienische Republik droht (vgl. b] aa]), kann die Beklagte vorliegend auch nicht unionsrechtlich daran gehindert sein, den Antrag des Klägers vom 25.02.2018 nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abzulehnen, nachdem der Antrag vom 11.06.2015 gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt worden war.

40

Auf die sich für anerkannte Flüchtlinge gleichermaßen stellende Frage, ob für subsidiär Schutzberechtigte entweder erneut ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zur nochmaligen Zuerkennung des Schutzstatus durchzuführen sei, wenn Verstöße gegen Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK oder Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU in einem dem Schutzstatus gewährenden Mitgliedstaat vorliegen, oder sie dann im Bundesgebiet wie im Falle einer Zuerkennung des Schutzstatus ohne neues Verfahren zu behandeln seien (vgl. zu den Alternativen BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23.03.2017 – 1 C 17/16 –, juris, Rn. 33 ff. zur Vorlagefrage 3b mit Parallelen zu VGH Hessen, Urteil vom 04.11.2016 – 3 A 1322/16.A –, juris), kommt es hier aus tatsächlichen Gründen damit nicht an.

41

2. Der hilfsweise gestellte Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei dem Kläger vorliegen, ist zwar zulässig.

42

In Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, kann diese Feststellung – zusätzlich zu einer Anfechtungsklage gegen die Entscheidung über den Folgeasylantrag als unzulässig – hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4/16 –, juris, Rn. 20 a. E.).

43

Der Antrag ist jedoch aus den unter der Ziffer zu 1. b) dargestellten Gründen, auf die Bezug genommen wird, unbegründet.

44

II. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Nach § 83b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.

45

III. Das Urteil war nach Maßgabe von § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. mit § 708 Nr. 11 Alt. 2 und § 711 ZPO wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


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