Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (8. Kammer) - 8 A 352/17

Tatbestand

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Der Kläger begehrt als früherer Soldat der Bundeswehr die Neufestsetzung seines Ruhegehaltes unter doppelter Anrechnung von Zeiten seiner besonderen Auslandsverwendung im Jahr 1997 im 3. Kontingent SFOR für insgesamt 143 Tage und im Jahr 1999 im 2. Kontingent KFOR für insgesamt 173 Tage (§§ 63 c Abs. 1; 25 Abs. 2 Satz 3 Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und Hinterbliebenen [SVG]) .

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Mit Ablauf des 31.10.2016 wurde der Kläger in den Ruhestand versetzt. Seine Versorgungsbezüge wurden mit bestandskräftigem Bescheid vom 21.09.2016 durch die Generalzolldirektion festgesetzt.

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Durch Artikel 1 Ziff. 5 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz – EinsatzVVerbG) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. BGBl. I S. 2458) wurde § 25 Abs. 2 des Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. September 2009 (BGBl. I S. 3054), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 14. November 2011 (BGBl. I S. 2219) geändert worden war, um folgenden Satz 3 erweitert:

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"Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Absatz 1 können bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben.“

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Gemäß Art. 9 Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz – EinsatzVVerbG trat das Gesetz am Tag nach der Verkündung, welche am 12.12.2011 im Bundesgesetzblatt erfolgte, in Kraft; also am 13.12.2011.

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Unter dem 01.11.2016 (Eingang: 03.11.2016) beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des VG Karlsruhe vom 13.09.2016 (6 K 4811/15) die Neufestsetzung seines Ruhegehaltes unter doppelter Berücksichtigung der Auslandseinsatzzeiten.

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Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 08.06.2017 lehnte die Generalzolldirektion den Antrag ab. Wiederaufgreifensgründe und eine Änderung der Rechtslage nach § 51 VwVfG seien nicht gegeben.

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Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Generalzolldirektion mit dem hier streitbefangenen Widerspruchsbescheid vom 07.07.2017 unter vertiefter Begründung des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück. Die zu der Thematik der Doppelanrechnung nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG ergangene Entscheidung des VG Karlsruhe stelle keine Änderung der Rechtslage dar. Durch die gerichtliche Entscheidung werde lediglich die bisherige Rechtslage auf eine andere Art und Weise erkannt, aber nicht im Sinn des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geändert. Mit Verweis auf die Entscheidung des VG Sigmaringen vom 13.09.2016 (3 K 417/14) sei festzustellen, dass eine doppelte Anrechnung von Auslandszeiten nur für Zeiten ab dem 01.12.2002 in Betracht komme. Selbst bei Unterstellung der Rechtswidrigkeit des Festsetzungsbescheides scheide ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 48 VwVfG aus. Die erforderliche Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null liege nicht vor. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt sei nicht "schlechthin unerträglich". Ein Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben sei nicht erkennbar. Mangels eigelegter Rechtsbehelfe seien die negativen Folgen der ursprünglichen Festsetzung allein auf das klägerische Verhalten zurückzuführen. Zudem seien fiskalische Aspekte bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.

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Mit der fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Der Bescheid über die Festsetzung der Versorgungsbezüge sei als Dauerverwaltungsakt rechtswidrig geworden, nachdem § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in Kraft getreten sei. Diese Norm finde auf den Kläger Anwendung und erfasse – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht lediglich Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung, die nach dem 30.11.2002 erfolgt sei. Eine solche Beschränkung habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 08.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 07.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Ruhegehaltssatz des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verteidigt die in den Bescheiden vorgenommenen rechtlichen Ausführungen.

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Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die durch den Einzelrichter (§ 6 VwGO) ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden konnte, ist unbegründet. Die Ablehnung der begehrten Neubescheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seine Rechten; ihm steht der entsprechende Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht zu (§§ 113 Abs. 5; 114 VwGO).

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Das Gericht teil zunächst die Auffassung des Klägers, dass auch seine Auslandseinsatzzeiten nach § 63 c Abs. 1; § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG bis zum Doppelten als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten berücksichtigungsfähig sind. Denn § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG erfasst auch Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, die vor dem 01.12.2002 geleistet wurden (vgl. VG Kassel, Urteil v. 29.01.2018, 1 K 6770/17.KS; VG Karlsruhe, Urteil v. 13.09.2016, 6 K 4811/15; beck-online; VGH Baden-Württemberg, Beschuss v. 14.02.2017, 4 S 2079/16; juris). Dementsprechend hätten diese Zeiten bei dem Kläger im Festsetzungsbescheid vom 21.09.2016 berücksichtigt werden müssen; der Verwaltungsakt ist somit rechtswidrig.

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Gleichwohl hat der Kläger diesen Festsetzungsbescheid nicht angefochten und damit bestandskräftig werden lassen. Über die Möglichkeit des Widerspruchs wurde der Kläger ordnungsgemäß belehrt. An dieser Tatsache der Bestandskraft ändert nichts, dass der Kläger erst kurz nach dem Ablauf der Widerspruchsfrist - wahrscheinlich durch Kenntniserlangung in den Medien oder durch Interessenvertretungen - von dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Kenntnis erlangte und mit Bezug darauf die doppelte Berücksichtigung der Einsatzzeiten unter dem 01.11.2011 (Eingang: 03.11.2016) begehrte. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§ 60 VwGO) war damit nicht begründet und wurde auch nicht begehrt.

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Zutreffend hat die Generalzolldirektion das klägerische Begehren als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG gewertet und die Gründe nach § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG abgelehnt. Die fehlende Prüfung des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG hat die Generalzolldirektion im streitbefangenen Widerspruchsbescheid vom 07.07.2017 in zulässiger Weise nachgeholt und ebenfalls abgelehnt.

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Diese - hier streitentscheidende - Entscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Behörde hat ihr entsprechendes Ermessen erkannt und beanstandungsfrei ausgeübt; auch eine Ermessensreduzierung auf Null ist nicht erkennbar. Eine Rechtswidrigkeit des Ursprungsverwaltungsakts – für sich betrachtet – reduziert das Ermessen der Behörde, das Verfahren im weiteren Sinne wieder aufzugreifen, nicht auf Null. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit hingegen nur, wenn die Aufrechterhaltung des Erstbescheids schlechthin unerträglich wäre, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Befugnis das Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 21.06.2017, 6 C 43.16; Urteil v. 13.12.2011, 5 C 9.11; Urteil v. 20.03.2008, 1 C 33.07; VG Augsburg, Urteil v. 08.02.2018, Au 2 K 17.206; alle juris).

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Diese Voraussetzungen liegen trotz der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides nicht vor. Dem Gericht ist nicht bekannt und es wird auch nicht vorgetragen, dass die Behörde ihr entsprechendes Rücknahmeermessen in den hier vergleichbaren Fällen etwa unterschiedlich ausgeübt habe; also ansonsten stets die bestandskräftigen Feststellungsbescheide dieser Konstellation aufhebt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, was die ausführliche Begründung im Widerspruchsbescheid belegt und zudem geht die Behörde von der fehlenden Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides aus. Soweit dem Gericht aus anderen Verfahren in der Kammer (z.B. 8 A 401/17 MD) bekannt ist, das der selbe Prozessbevollmächtigte des Klägers vorträgt, die Beklagte habe in der Vergangenheit ihr Ermessen dahingehend gebunden, die Ausgangsbescheide aufzuheben, ändert dies nichts an der hiesigen Bewertung. Einmal liegt dort eine andere Sachverhaltskonstellation vor. Denn der dortige Kläger ist bereits mit Ablauf des 30.06.2010 in den Ruhestand getreten und die Versorgungsbezüge wurden mit bestandkräftigen Bescheid vom 01.07.2010 - also vor der Gesetzesänderung - festgesetzt. Weiter war den vom Prozessbevollmächtigten genannten Fällen gemein, dass sie von der damaligen Wehrbereichsverwaltung Süd im Ausgangs- wie im Abänderungsverfahren entschieden wurden. Von einer sogenannten Selbstbindung der nunmehr in dem hier streitbefangenen Verfahren zuständigen Behörde, der Generalzolldirektion oder dem federführenden Bundesfinanzministerium etwa durch Verwaltungsvorschriften, kann nach dem gesamten Vortrag der Beteiligten demnach nicht ausgegangen werden und es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, wonach das Gericht dem aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes nachgehen müsste. Insoweit folgt das Gericht auch nicht den Ausführungen des VG Kassel (Urteil v. 29.01.2018, 1 K 6770/17.KS; juris), wo die Ermessensreduzierung auf Null mit "gleichmäßigen Verwaltungsentscheidungen" begründet wird, ohne dass sich dies aber aus dem Sachverhalt ergibt. Nach Auskunft der Beklagten ist dieses Urteil zudem im Zuständigkeitsbereich der Generalzolldirektion Düsseldorf ergangen und Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt worden.

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Auch aus sonstigen Gründen des Einzelfalls erscheint die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Festsetzung nicht als "schier unerträglich". Denn ausweislich der Ausführungen im Widerspruchsbescheid, denen sich das Gericht insoweit anschließt und darauf verweisen darf (§ 117 Abs. 5 VwGO), liegt kein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, die guten Sitten oder eine besondere Härtesituation vor. Insoweit überwiegt das öffentliche Interesse an der Bestandskraft des Ausgangsbescheides dem privaten Interesse des Klägers auf Abänderung.

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Daran ändert auch nichts, dass der Festsetzungsbescheid als Dauerverwaltungsakt (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.10.2012, 2 C 59.11; juris) die regelmäßig wiederkehrenden Versorgungsbezüge bemisst und eine Abänderung nur für die Zukunft begehrt wird. Zwar weisen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung die Besonderheit auf, dass die Verwirklichung der ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern während eines bestimmten Zeitraums eintritt und damit nicht abgeschlossen ist (allgemein hierzu BVerwG, Beschluss vom 13.06.1995, 6 B 15.95; juris). Daher ist die Rechtmäßigkeit eines Dauerverwaltungsaktes regelmäßig nach der Sach- und Rechtslage zu beurteilen, wie sie im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung besteht (vgl. für eine Anfechtungssituation BVerwG, Beschluss vom 01.06.2011; 8 C 2.10; juris m. w. N.). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn – wie hier mit § 15 Abs. 1 Satz 1 SVG – eine abweichende gesetzliche Bestimmung vorliegt, die die Rechtslage zu einem bestimmten Zeitpunkt – hier dem Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand – für maßgeblich erklärt (vgl. zu § 4 Abs. 2 BeamtVG OVG C-Stadt-Brandenburg Urteil vom 29.06.2012, OVG 4 B 2.10, BeckRS 2012, 53555, beck-online). Denn der Kläger erhält weiter die ihm zustehende am Fürsorgegrundsatz und der Alimentation orientierten Versorgungsbezüge. Die begehrte Doppelanrechnung der Auslandseinsätze wird ausweislich des angegebenen Streitwertes nicht spürbar ins Gewicht fallen.


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