Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (4. Kammer) - 4 A 8/18

Tatbestand

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Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste auf dem Landweg, der unter anderem durch Bulgarien führte, am 19.11.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Da das Bundesamt von einem Aufenthalt des Klägers in Bulgarien ausging, richtete es am 19.12.2017 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-Verordnung an Bulgarien. Mit Schreiben vom 20.12.2017, am selben Tag zugegangen, erklärte Bulgarien die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO. Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags im Hinblick auf die mögliche Zuständigkeit Bulgariens erklärte der Kläger: Er könne nicht nach Bulgarien zurück. Die Flüchtlingsheime seien unkontrolliert. Er sei im Gefängnis gewesen. Dort habe es Schlägereien gegeben. Die Lebensmittel seien schlecht gewesen. In Bulgarien bekämen Iraker kein Asyl. Er habe eine Niere verloren, sei deswegen aber nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente.

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Mit Bescheid vom 22.12.2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führt die Behörde aus: Der Asylantrag sei unzulässig, da Bulgarien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Bulgarien führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Hinsichtlich der vorgetragenen Erkrankung sei der Kläger im Bedarfsfall an das bulgarische Gesundheitssystem zu verweisen. Die medizinische Grundversorgung sei in allen Aufnahmeeinrichtungen gewährleistet. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Asylbewerber von den bulgarischen Behörden rechtswidrig festgenommen und inhaftiert würden. Die Versorgung der nötigsten Bedürfnisse erfolge entsprechend der gesetzlichen Vorschriften und vorhandenen Mittel. Der Hauptmangel betreffe die Sprachmittlung. Der UNHCR bemühe sich um eine Verbesserung der Situation. Außerdem erlaube das bulgarische Recht Inhaftierungen bei illegaler Einreise, unerlaubtem Aufenthalt und fehlenden Ausweisdokumenten. Die durchschnittliche Haftdauer liege bei 12 bis 14 Tagen. Sozialmediatoren des Roten Kreuzes und NGOs unterstützten die Asylbehörden bei der Betreuung von Personen mit speziellen Bedürfnissen. Das bulgarische Asylsystem sei frei von systemischen Mängeln. Die Situation habe sich in den letzten Jahren verbessert, jedoch sei sie für unbegleitete Minderjährige und vulnerable Personen weiterhin verbesserungswürdig. Bulgarien habe die rechtlichen Regelungen des Asyl- und Flüchtlingsrechts der EU im Wesentlichen umgesetzt und sei weiterhin um eine Verbesserung bemüht. Für Dublin-Rückkehrer werde ein ausgesetztes Verfahren wiedereröffnet und in der Sache geprüft. Sie hätten die gleichen Ansprüche wie andere Asylsuchende. Inhaftierung drohe nur, wenn der Antrag in Abwesenheit negativ beschieden worden sei. Dann werde der betreffende Asylbewerber als endgültig abgelehnt behandelt und in ein Abschiebezentrum transportiert. Falls noch keine Anhörung stattgefunden habe, werde diese nach Rückkehr nachgeholt, da nach bulgarischem Recht keine Entscheidung ohne Anhörung ergehen könne.

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Am 04.01.2018 hat der Kläger Klage erhoben. Mit Beschluss vom 24.01.2018 – 4 B 9/18 MD - hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet. Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor: Bulgarien gewähre faktisch keinen Schutz. Ein Asylsuchender erhalte weder Obdach noch medizinische Versorgung. Er habe keine Aussicht auf einen zeitnahen Abschluss des Verfahrens. Das Bundesamt habe nicht geprüft, ob Bulgarien durch eine plötzliche massenweise Anwendung der Dublin-Regeln überfordert und deshalb eine Rückführung nicht möglich sei. Zudem sei die Überstellungsfrist am 24.07.2018 abgelaufen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes vom 22.12.2017 aufzuheben,

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hilfsweise: festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Bulgarien vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.

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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 22.12.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

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Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG abgelehnt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31; sog. Dublin-III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach diesen Kriterien ist Bulgarien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Das Gericht nimmt insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug, denen es folgt.

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Die Zuständigkeit Bulgariens ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen. Denn der Kläger hat am 04.01.2018 – vor Ablauf der Überstellungsfrist - einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, der die Überstellungsfrist unterbrochen hat. Diese Unterbrechung dauert an, weil das Gericht mit Beschluss vom 24.01.2018 (4 B 9/18 MD) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat. Die Unterbrechung endet erst mit der rechtskräftigen Entscheidung über die Klage (vgl. Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin-III-VO), und beginnt dann von Neuem zu laufen (BVerwG, Urteil vom 26.05.2016 – 1 C 15.15 –, juris).

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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO zuständig geworden. Die Überstellung nach Bulgarien erweist sich nicht als unmöglich. Es ist nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GRCh mit sich bringen. In diesem Fall wäre die Überstellung mit der genannten Bestimmung unvereinbar (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, Rs. C–411/10).

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Dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt zudem die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 83/389 vom 30. März 2010), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198)) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - zukommt. Die dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10 -, juris, und vom 14.11.2013 - C-4/11 -, juris) und dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 u. 2315/93 -, juris) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedstaaten „nicht unbekannt sein kann“, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem zuständigen Mitgliedstaat grundlegende, systemische Mängel anhaften.

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Derartige systemische Mängel bestehen hinsichtlich Bulgariens nicht. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahmebedingungen oder die Praxis bei der Durchführung der Asylverfahren in Bulgarien systemische Mängel aufweisen, die zu einer erniedrigenden Behandlung der Flüchtlinge führen, liegen nicht vor (ebenso die überwiegende aktuelle Rechtsprechung: VG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2018 – A 13 K 15354/17 -, juris; VG Trier, Urteil vom 29.06.2018 – 9 K 11011/17.TR -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 17.05.2018 – 22 L 5756/17.A -, juris; VG Greifswald, Beschluss vom 28.11.2017 – 6 B 2336/17 As HGW -, juris; VG Bayreuth, Beschluss vom 08.11.2017 – B 5 S 17.51125 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 26.10.2017 – 3 L 736.17 A -, juris; a. A. für eine Familie mit vier minderjährigen Kindern: VG Chemnitz, Beschluss vom 22.06.2018 – 3 L 97/18.A -, juris, und für eine Familie mit drei minderjährigen Kindern: VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.02.2018 – 22 L 3744/17.A – juris).

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Nach Auskünften des Auswärtigen Amts (vom 29.07.2016 an das VG Göttingen, 27.01.2016 an das VG Aachen) reichen die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen in Bulgarien für alle im Anerkennungsverfahren befindlichen Schutzsuchenden aus. Die Situation in den Aufnahmezentren habe sich nach dem Eindruck der Botschaft Sofia immer weiter verbessert und könne als akzeptabel bewertet werden. Die EU habe beträchtliche zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, um umfassende Renovierungsarbeiten in allen Flüchtlingszentren zu Ende zu bringen. Auch die Öffnung weiterer Flüchtlingszentren sei geplant. Die Versorgung der nötigsten körperlichen und psychischen Bedürfnisse erfolge von staatlicher Seite entsprechend den geltenden Gesetzen und Verfahren sowie gemäß der vorhandenen Mittel. Die Bedingungen seien je nach Einrichtung unterschiedlich. Der am häufigsten anzutreffende Mangel beziehe sich auf das Fehlen verlässlicher, ständiger und effizienter Sprachmittlung, worunter die direkte Verständigung zwischen den Flüchtlingen und den Behörden leide. Der UNHCR in Bulgarien bemühe sich mit seinen Partnern um die Verbesserung dieser Situation, wie diese Institutionen auch die Zentren beobachteten und die Flüchtlinge mit Informationen, auch in Form mehrsprachiger Broschüren, sowie durch Einzel- oder Gruppenberatungen. Die Verpflegung sei gesichert. Medizinische Grundversorgung sei in allen Zentren gewährleistet.

18

Laut aktuellem Länderbericht der Asylum Information Database, aida (Country Report: Bulgaria, 2018 Update, Januar 2019) werden mittellose Asylsuchende vorrangig den Aufnahmezentren zugewiesen. Sie erhalten eine Registrierungskarte als Grundvoraussetzung für den Zugang zu allen Rechten wie dem Aufenthalt im Staatsgebiet, dem Zugang zu Versorgung und sozialer Hilfe (zu gleichen Bedingungen wie bulgarische Staatsangehörige), Krankenversicherung, Gesundheitsversorgung, psychologischer Hilfe und Ausbildung. Ende 2017 waren die Kapazitäten der Aufnahmezentren bei weitem nicht ausgeschöpft. Seit Ende 2015 werden während des Asylverfahrens in der Praxis nur Unterkunft, Nahrung und medizinische Grundversorgung sichergestellt. Seit 2017 werden in allen Zentren zwei Mahlzeiten pro Tag angeboten, unbegleiteten Kindern jedoch drei Mahlzeiten. Qualität und Quantität des Essens werden jedoch von Asylbewerbern häufig bemängelt. Asylsuchende haben Zugang zu verfügbaren Gesundheitsdiensten, stehen aber wegen der allgemeinen Probleme des Gesundheitssystems vor den gleichen Schwierigkeiten wie bulgarische Staatsangehörige. Sonderbehandlungen für Folteropfer oder psychisch Kranke sind daher nicht verfügbar.

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Insgesamt kann nach Auswertung der Erkenntnisquellen trotz schwieriger Aufnahmebedingungen in Bulgarien nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht. Es ist nicht anzunehmen, dass die Zustände, die der Kläger über seinen viertägigen Aufenthalt in der Asylbewerberunterkunft beschrieben hat, repräsentativ sind. Im Übrigen ergibt sich aus der Beschreibung des Klägers, dass es eine Versorgung mit Lebensmitteln und ärztliche Betreuung gab. Aus den viertägigen Erfahrungen lässt sich nicht darauf schließen, dass generell und dauerhaft auf religiöse Ernährungsgebote keine Rücksicht genommen wird. Entsprechendes gilt für die ärztliche Betreuung. Immerhin ergibt sich aus der Schilderung des Klägers, dass die Unterkunft in dem kurzen Zeitraum von vier Tagen von einem Allgemeinmediziner aufgesucht wurde. Es gibt keinen Anlass für die Annahme, dass eine gebotene fachärztliche Untersuchung oder Behandlung verweigert worden wäre.

20

Der Umstand, dass die Situation in Bulgarien deutlich schlechter ist als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel. Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht dazu, Schutzberechtigte finanziell zu unterstützen, um ihnen einen gewissen Lebensstandard einschließlich bestimmter Standards medizinischer Versorgung zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 -).

21

Der Kläger gehört als fast 25-jähriger Mann kurdischer Volkszugehörigkeit auch nicht zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe und ist deshalb nicht mit den Fällen zu vergleichen, in denen in der aktuellen Rechtsprechung von systemischen Mängeln ausgegangen wurde (vgl. VG Chemnitz, Beschluss vom 22.06.2018 – 3 L 97/18.A -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.02.2018 – 22 L 3744/17.A – juris). Aktuelle gesundheitliche Probleme hat der Kläger nicht vorgetragen. Eine Behandlungsbedürftigkeit wegen des Fehlens einer Niere ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat nicht erklärt, dass er aktuell auf therapeutische oder medikamentöse Behandlung außer einer halbjährlichen Kontrolle der Nierenfunktion angewiesen ist. Bescheinigungen über bestehende Krankheiten hat der Kläger nicht vorgelegt. Hinsichtlich der medizinischen Versorgung in Bulgarien wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG ergänzend auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt. Es bestehen keine Zweifel daran, dass auch in Bulgarien Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden können.

22

Auf die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers in Bulgarien kann auch nicht aufgrund seiner Inhaftierung geschlossen werden. Die Inhaftierung mag darauf beruhen, dass die bulgarischen Polizeibeamten (zunächst) von einer illegalen Einreise oder einem unerlaubten Aufenthalt des Klägers ausgegangen sind. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein solcher Vorfall wiederholt, da der Kläger gezielt als Dublin-Rückkehrer überstellt würde.

23

Ferner gibt es keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Kläger als Dublin-Rückkehrer eine Fortführung oder Wiedereröffnung des Verfahrens verwehrt würde. Nach der Auskunftslage (aida, a. a. O., S. 28) haben Asylsuchende, die aus anderen Mitgliedstaaten zurückgeschickt werden, bei ihrer Rückkehr grundsätzlich keine Hindernisse beim Zugang zum Asylverfahren in Bulgarien. Üblicherweise wird das Asylverfahren ausgesetzt, wenn ein Asylbewerber Bulgarien verlassen hat, bevor das Verfahren abgeschlossen ist. Die Überführung in Hafteinrichtungen zur Abschiebung ist dagegen vorgesehen, wenn der Asylantrag mit einer bestandskräftigen Entscheidung abgelehnt worden ist, bevor der Antragsteller Bulgarien verlassen hat, oder über den Asylantrag in Abwesenheit negativ entschieden wurde und die Entscheidung bestandskräftig geworden ist. In diesen Fällen ist das Abschiebungsverbot nicht mehr anwendbar (vgl. aida, a. a. O.; UNHCR, Auskunft vom 29.01.2016 an das VG Aachen; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 27.01.2016 an das VG Aachen). Aida (a. a. O.) stellt fest, dass die Wiedereröffnung der Verfahren seit 2015 explizit vorgesehen sei, die Praxis dem Gesetz folge und der Wiedereröffnung keinen grundsätzlichen Hindernissen entgegenstünde.

24

Vor diesem Hintergrund ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger nach einer Überführung nach Bulgarien inhaftiert und abgeschoben werden könnte. Die bulgarischen Behörden haben ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme des Verfahrens auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO erklärt. Sie sind also davon ausgegangen, dass der Kläger – wie es der Tatbestand vorsieht – „seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat“. In diesem Fall wurde weder eine bestandskräftige Ablehnung vor dem Verlassen Bulgariens noch eine bestandskräftige Entscheidung in Abwesenheit getroffen. Auch nach der Erkenntnislage wird der Asylbewerber in den Fällen des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO der staatlichen Flüchtlingsagentur SAR übergeben, und das Verfahren wird fortgeführt (aida, a. a. O.). Abweichend wird verfahren, wenn der Asylantrag mit einer abschließenden Entscheidung zurückgewiesen wurde, bevor der Antragsteller Bulgarien verlassen hat oder die Entscheidung in Abwesenheit getroffen wurde und deshalb abschließend geworden ist. Hierbei handelt es sich um die Fälle, in denen die Wiederaufnahme nach Art. 18 Abs. 1 Buchst d und Abs. 2 Dublin III-VO erfolgt (aida, a. a. O., S. 28). Soweit teilweise aus dem Regelungszusammenhang, insbesondere aus § 77 Abs. 4 des Gesetzes über Asyl und Flüchtlinge, geschlossen wird, dass die Fortführung des Verfahrens schon aufgrund des Zeitablaufs unmöglich werde, wird dies von den Erkenntnismitteln nicht bestätigt. Nach den gesetzlichen Regelungen gilt, dass ein Asylverfahren suspendiert wird, wenn der Asylsuchende nach einer Aufforderung innerhalb von 10 Tagen bestimmte Mitwirkungspflichten verletzt, insbesondere nicht zur Anhörung erscheint oder seine Anschrift ändert (§ 14 des Gesetzes über Asyl und Flüchtlinge). Erscheint der Asylsuchende nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Einstellung des Verfahrens, insbesondere um triftige Gründe für das Nichtbetreiben bzw. Fernbleiben vorzutragen, wird das Verfahren beendet (§ 15 Abs. 7 des Gesetzes). § 77 Abs. 4, in Kraft getreten am 22.12.2015, regelt, dass das Verfahren innerhalb von sechs Monaten wiederaufzunehmen ist, wenn der Ausländer triftige Gründe angibt (Dr. Ilareva, Gutachten an das OVG Nordrh.-Westf. vom 17.07.2017, Bulgarian Helsiniki Committee, Annual Report on Status Determination Procedure in Bulgaria 2016 vom 31.01.2017; aida, a. a. O.). Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 13.10.2017 (11 A 78/17.A -, juris) die Auffassung vertreten, dass ungewiss sei, ob es Dublin-Rückkehrern, die in Bulgarien vor dem 22.12.2015 einen Asylantrag gestellt haben, möglich sei, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen, eine Entscheidung zu erwirken und diese im Falle eines negativen Ausgangs anzufechten. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen aufgehoben, da das OVG die Entscheidung nicht auf eine tragfähige Tatsachengrundlage gestützt habe (BVerwG, Beschluss vom 05.03.2018 – 1 B 155/17 -, juris). Nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel ist die Kammer überzeugt, dass in der bulgarischen Praxis eine Wiederaufnahme der Erstverfahren von Dublin-Rückkehrern erfolgt. Bulgarian Helsinki Committee, Annual Report on Status Determination Procedure in Bulgaria 2016 vom 31.01.2017, S. 15 f. berichtet, dass seit 2016 die Verfahren der im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückkehrenden Asylbewerber ohne besondere Hindernisse oder ernsthafte Verzögerungen wieder aufgenommen worden seien. Abweichend sei man nur bei Rückkehrern verfahren, bei denen eine endgültig ablehnende Entscheidung ergangen sei. Dies entspricht der Beschreibung des Verfahrens bei aida (a. a. O., S. 29). Demnach ist auch im vorliegenden Fall hinreichend verlässlich mit einer Fortführung des Verfahren zu rechnen, denn eine endgültige ablehnende Entscheidung kann nicht vorliegen, wenn Bulgarien selbst erklärt hat, dass sich die die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO ergebe.

25

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Dublin-Rückkehrer in Fällen wie dem Vorliegenden die Möglichkeit haben, ihr Verfahren wieder aufzunehmen und ihr Asylantrag sachlich geprüft wird (ebenso: VG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2018 – A 13 K 15354/17 -, juris). Darüber hinaus ist es dem Kläger zumutbar, sein Recht auf Fortsetzung des Asylverfahrens oder korrespondierende Rechte in Bulgarien notfalls mit Hilfe eines bulgarischen Rechtsbeistandes vor den dortigen Gerichten durchzusetzen (vgl. VG B-Stadt, Beschluss vom 06.07.2017 – 1 L 326/17.A –, juris).

26

Es spricht auch nichts dafür, dass der Kläger (wieder) inhaftiert werden könnte, denn - wie oben ausgeführt – ist für Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren nicht bereits negativ beschieden wurde, eine Inhaftierung nicht vorgesehen (vgl. VG B-Stadt, a. a. O.). Die Möglichkeit, dass Asylbewerber nach bestandskräftiger Ablehnung ihres Asylgesuchs in Abschiebungshaft genommen werden, stellt zudem für sich genommen noch keinen systemischen Mangel des bulgarischen Asylsystems dar. Denn mit einer Anordnung von Abschiebungshaft wird das zulässige Ziel verfolgt, den Zugriff auf einen Ausländer sicherzustellen, dessen Abschiebung ohne Inhaftnahme ansonsten erschwert oder gar vereitelt würde. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f) EMRK lässt ausdrücklich zu, dass die Freiheit einer Person beschränkt wird, wenn gegen sie ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist (VG Bayreuth, Beschluss vom 08.11.2017 – B 5 S 17.51125 –, juris).

27

Ob – wie der Kläger behauptet – Asylanträge von irakischen Antragstellern in der Regel abgelehnt werden, spielt für die Frage, ob das Asylverfahren in Bulgarien systemische Mängel aufweist, keine Rolle.

28

Auch aufgrund der in Bulgarien vorhandenen Defizite im Bereich der Dolmetscherversorgung ist nicht von systemischen Mängeln im bulgarischen Asylsystem auszugehen. Im aktuellen Länderbericht von aida (a. a. O., S. 20) wird allerdings die Übersetzung in Asylverfahren als gravierendes und ungelöstes Problem dargestellt. Als gesichert wird der Dolmetschereinsatz nur für Englisch, Französisch und Arabisch angesehen, und zwar hauptsächlich in den Aufnahmezentren der Stadt Sofia. Dolmetscher anderer Sprachen, darunter auch Kurdisch, sind weitgehend nicht verfügbar, so dass der Entscheider die Sprache auswählt. Wie bereits ausgeführt, bemüht sich UNHCR mit seinen Partnern um eine Verbesserung der Situation. Das bulgarische Recht schreibt eine mündliche Anhörung zu Tatsachen und Umständen vor. In der Praxis werden solche Anhörungen auch durchgeführt. Im Länderbericht aida (S. 20) heißt es, dass in 63 % der überprüften gerichtlichen Anhörungen ein Dolmetscher tatsächlich anwesend war. Zudem erfolgte in 97 % der überprüften Fälle eine Aufzeichnung der Anhörung auf einen Tonträger. Ferner wurde von der technischen Möglichkeit der Videokonferenz in Fällen Gebrauch gemacht, in denen die Anhörung außerhalb Sofias stattfand und vor Ort kein geeigneter Dolmetscher zur Verfügung stand.

29

Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dem Kläger bleibe es verwehrt, seine Asylgründe gegenüber den bulgarischen Behörden darzustellen. Auch wenn der Kläger in erster Linie kurdisch spricht, reichen seine arabischen Sprachkenntnisse aus, die Fluchtgründe auf Arabisch verständlich vorzutragen. In der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger keine Schwierigkeiten, sich mit dem anwesenden Dolmetscher in arabischer Sprache zu verständigen.

30

Einer Überstellung nach Bulgarien gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entgegenstehende Gründe hat der Kläger nicht vorgetragen. Insbesondere gibt es – wie oben ausgeführt – keine Gründe für die Annahme, der Kläger könne an behandlungsbedürftigen Krankheiten leiden, die seiner Reisefähigkeit entgegenstehen oder in Bulgarien nicht behandlungsfähig wären.

31

Die Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG sind erfüllt.

32

Die Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot beruht auf §§ 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 75 Nr. 12 AufenthG. Ermessensfehler sind nicht erkennbar, insbesondere ist das Ermessen erkannt und dem Gesetzeszweck entsprechend ausgeübt worden (§ 114 Abs. 1 VwGO).

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b Abs. 1 AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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