Urteil vom Verwaltungsgericht Mainz (1. Kammer) - 1 K 806/02.MZ


Tatbestand

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Die Parteien streiten um die Anwendung der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG im Rahmen der Kostenerstattung unter Sozialhilfeträgern.

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Der Kläger leistet Sozialhilfe für die 1964 in Mainz geborene Frau .... und ihren 1991 geborenen Sohn ..... Frau .... und ihr Sohn kehrten 1992 aus den Vereinigten Staaten in die Bundesrepublik Deutschland zurück und begründeten ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

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Der Kläger gewährte Frau .... und ihrem Sohn ab dem 12. August 1992 Hilfe zum Lebensunterhalt und meldete gleichzeitig seinen Anspruch auf Kostenerstattung bei dem Beklagten an. Mit Schreiben vom 17. Februar 1993 erkannte der Beklagte seine Kostenerstattungspflicht ab dem 12. August 1992 für die Folgezeit an, sofern nicht die Bagatellgrenze unterschritten werde. In den folgenden Jahren leistete der Beklagte jeweils nach schriftlicher Rechnungslegung des Klägers an diesen Kostenerstattung.

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Mit Schreiben vom 15. Februar 2002 forderte der Kläger von dem Beklagten Kostenerstattung für die Zeit von Januar bis Oktober 2001 in Höhe von 3.766,42 DM (= 1.925,43 €).

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Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 20. Februar 2002 die Kostenerstattung ab, da die nunmehr geltende Bagatellgrenze von 5.000,-- DM (= 2.560 €) in einem Zeitraum von 12 Monaten nicht überschritten worden sei.

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Mit Schreiben vom 23. April 2002 forderte der Kläger abermals die Kostenerstattung an und verwies auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2000, wonach es nur darauf ankomme, dass die Bagatellgrenze einmal überschritten sein müsse und nachfolgende Unterschreitungen der Bagatellgrenze unerheblich seien.

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Der Kläger hat am 15. Juli 2002 Klage erhoben, zu deren Begründung er ergänzend vorträgt, dass die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 BSHG vorliegend nicht anwendbar sei, da der Kläger vor dem 01. Januar 2002 stets Kostenerstattung geleistet habe. Die Zahlungsverweigerung sei auch rechtsmissbräuchlich, da das Gebot der engen Zusammenarbeit verletzt worden sei.

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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

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den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.925,42 € nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, dass ein Erstattungsanspruch wegen Nichterreichens der Bagatellgrenze in einem Zeitraum von 12 Monaten ausscheide. Die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe einen Fall nach § 107 BSHG, wonach längstens eine Kostenerstattung für zwei Jahre in Betracht komme. Dies sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

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Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten der Beteiligten, die vorlagen und Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, weil die Beteiligten hierauf gemäß § 101 Abs. 2 VwGO übereinstimmend verzichtet haben, hat keinen Erfolg, da dem vom Kläger geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch aus § 108 BSHG die Vorschrift des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG entgegensteht.

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Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG sind Kosten unter 2.560,-- €, bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung von bis zu 12 Monaten, außer in den Fällen einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG nicht zu erstatten. Die Bedeutung der Formulierung in § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG „Kosten unter 5.000,-- DM (= 2.560,-- €) sind ... nicht zu erstatten“ erschließt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut (so ausdrücklich das von dem Kläger in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2000 -  5 C 30/99 -, NVwZ-RR 2001, 314 und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. Juni 2000, Az.: 12 A 10403/00.OVG – zitiert nach JURIS -). Nach dem mit der Neuregelung des § 111 Abs. 2 BSHG verfolgten Gesetzeszweck (vgl. BT Druck s 12/4401 S. 84 zu Nr. 17) sollen mit der Neuregelung die Tatbestände der Kostenerstattung, die erhebliche Verwaltungskosten verursachen, reduziert sowie eine Vereinfachung der gebliebenen Kostenerstattung erreicht werden. Gleichzeitig soll eine schnelle Entscheidung über die Hilfe sichergestellt und die bisherigen zahlreichen Konfliktfälle zwischen Trägern der Sozialhilfe verringert werden. Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat daher die Bagatellgrenzenregelung als eine „entweder-oder-Regelung“ interpretiert und hieraus gefolgert, dass beim Erreichen des Betrages der Bagatellgrenze immer der gesamte Kostenbetrag voll zu erstatten ist, da nur hiermit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel einer Vereinfachung des Kostenerstattungsverfahrens und dem Erfordernis normativer Klarheit und Vorhersehbarkeit entsprochen wird. Diese Überlegungen, die das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Vorschrift des § 107 BSHG – der gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG eine Kostenerstattungspflicht von längstens zwei Jahren vorsieht - getroffen hat, sind nach Auffassung der Kammer nicht auf den vorliegenden Fall, der eine Kostenerstattung nach § 108 BSHG betrifft, übertragbar. Diese Vorschrift kennt grundsätzlich keine Beschränkung der Dauer der Kostenerstattungspflicht, sofern nicht der Sozialhilfebezug für die Dauer von drei Monaten unterbrochen wird (§ 108 Abs. 5 GSHG). Da § 108 BSHG bei einem aus dem Ausland zurückgekehrten Hilfeempfänger faktisch zu einer „lebenslänglichen“ Kostenerstattungspflicht führen kann, würde es dem Gesetzeszweck des § 111 Abs. 2 BSHG zuwiderlaufen, wenn man eine einmalige Überschreitung der Bagatellgrenze als ausreichend erachten würde, um damit für die Folgezeit ohne Rücksicht auf die Bagatellgrenze eine Kostenerstattung zulassen würde. Dabei ist zu sehen, dass gerade bei Hilfeempfängern, die aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren, in der Regel typischerweise eine höhere Bedarfslage besteht, als bei Hilfeempfängern, die bereits im Gebiet der Bundesrepublik ansässig sind und innerhalb dieses Gebietes umziehen. Die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 von 2.560,-- € beträgt auf den Monat bezogen 213,33 €. Dieser Betrag liegt bereits unter den derzeit geltenden Regelsätzen, so dass bei einem aus dem Ausland zurückkehrenden Hilfeempfänger allein schon durch die Gewährung von Regelsätzen – ohne Kosten der Unterkunft und etwaiger Einrichtungsbeihilfen – im ersten Jahr der Hilfegewährung die Bagatellgrenze überschritten werden kann. Hiermit würde zwangsläufig – ohne Rücksicht auf § 111 Abs. 2 BSHG – eine fortlaufende Kostenerstattungspflicht begründet. Dies widerspräche jedoch eindeutig dem auch vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Gesetzeszweck. Daher ist der Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz (a.a.O.) zu folgen, dass in den Fällen des § 108 BSHG der Bezugszeitraum des § 111 Abs. 2 BSHG ein Abrechnungszeitraum ist, nach dessen Ende ein neuer Abrechnungszeitraum beginnt, für den dieselben Voraussetzungen hinsichtlich des Überschreitens der Bagatellgrenze gelten (OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., m.w.N.). Dabei ist gleichzeitig auf die Vorschrift des § 111 SGB X zu verweisen, der eine Ausschlussfrist von 12 Monaten bestimmt, die ihrerseits vom Abrechnungszeitraum von 12 Monaten des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu trennen ist. Hierdurch wird jedoch sichergestellt, dass zwischen der Leistungserbringung und der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs in keinem Fall mehr als 24 Monate vergehen. Da die Beteiligten vorliegend die Kostenerstattung für die Hilfeempfänger jährlich abgerechnet hatten, begann am 01. Januar 2001 ein neuer Abrechnungszeitraum, den der Beklagte bis zum Oktober 2001 erstreckt hatte, da absehbar war, dass für den Rest des Jahres 2001 wegen der Einkünfte von Frau XXXXXX keine Sozialhilfe zu gewähren sein wird. Mithin steht fest, dass für das Jahr 2001 die Bagatellgrenze betragsmäßig nicht erreicht wurde, was zwischen den Parteien auch unstreitig ist.

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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da es sich um einen Kostenerstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträgern handelt, entfällt gemäß § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO die ansonsten geltende Gerichtskostenfreiheit für Sozialhilfestreitigkeiten.

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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Sonstiger Langtext

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B e s c h l u s s

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der  1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 20. Februar 2003

21

Der Streitwert wird auf 1.925,42 EUR festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG).

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