Urteil vom Verwaltungsgericht Minden - 2 K 3602/96
Tenor
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,-- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Mit Bescheid vom 13.3.1996 ordnete der Beklagte die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers für die Zwecke des Erkennungsdienstes an und lud ihn zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung für den 20.3.1996 vor. Seinerzeit war ein Ermittlungsverfahren (6 Js 388/96 StA E. ) gegen den Kläger wegen des Verdachts der versuchten mittelbaren Falschbeurkundung - Vorlage einer gefälschten Führerscheinkopie beim Straßenverkehrsamt - anhängig, das am 5.8.1996 mit einer entsprechenden Verurteilung durch das AG E. zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen endete; mit Beschluß vom 7.10.1996 bildete das AG E. aus dieser Strafe und einer weiteren Geldstrafe (Strafbefehl des AG C1. wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr) eine Gesamtgeldstrafe von 45 Tagessätzen. Der Beklagte begründete seinen Bescheid neben dem Hinweis auf das vorgenannte Verfahren außerdem damit, daß noch das Ermittlungsverfahren 3 Js 42/95 StA E. (Verdacht einer vorsätzlichen Brandstiftung und eines versuchten Versicherungsbetrugs) gegen den Kläger anhängig sei, er in den zurückliegenden Jahren wiederholt kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten sei - aus dieser Zeit seien drei Verurteilungen bekannt - und mit seinem weiteren polizeirelevanten Auftreten gerechnet werden müsse.
3Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, das Verfahren 3 Js 42/95 sei bereits im Mai 1995 eingestellt worden und es fehle an sachlichen Gründen für erkennungsdienstliche Maßnahmen. Die Bezirksregierung E. wies den Widerspruch durch Bescheid vom 8.7.1996 zurück mit der Begründung, trotz der Einstellung des Verfahrens 3 Js 42/95 sei die erkennungsdienstliche Behandlung notwendig, da wegen der vier rechtskräftigen Strafverurteilungen des Klägers zwischen 1983 und 1986 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls, fortgesetzter exhibitionistischer Handlungen, gemeinschaftlichen schweren Diebstahls, Hehlerei, Urkundenfälschung und fortgesetzter Untreue sowie wegen weiterer Ermittlungsverfahren die Besorgnis bestehe, daß er künftig als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden Straftat einbezogen werden müsse und die gewonnenen Unterlagen dann die Ermittlungen fördern könnten.
4Am 5.8.1996 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung meint er, allein die Strafverurteilung vom 5.8.1996 rechtfertige keine erkennungsdienstliche Behandlung, da seine im Widerspruchsbescheid erwähnten Straftaten die Zeit bis 1986 beträfen, Eintragungen im Bundeszentralregister über ihn nicht vorhanden seien und das Vorhaben des Beklagten deshalb unverhältnismäßig sei. Die Auflistung weiterer Ermittlungsverfahren besage nichts; nur deren jeweiliger Ausgang könne erheblich sein. Zwischen 1986 und 1996 sei er aber nie verurteilt worden.
5Der Kläger beantragt,
6den Bescheid des Beklagten vom 13.3.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E. vom 8.7.1996 aufzuheben.
7Der Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Er verweist auf weitere Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, u.a. 4 Js 461/95 StA E. (Verdacht einer Gewässerverunreinigung) und 2 Js 485/96 StA E. (Verdacht der Beihilfe zum Sozialbetrug).
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die ebenfalls beigezogenen Akten 3 Js 42/95, 4 Js 461/95, 6 Js 388/96 und 2 Js 485/96 StA E. verwiesen.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
12Die Klage ist unbegründet, soweit sie sich gegen die im Bescheid des Beklagten vom 13.3.1996 verfügte Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers richtet. Insoweit ist der Bescheid in der jetzt maßgebenden Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.7.1996 rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
13Entgegen der Überschrift des Bescheides ist nicht nur eine Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung, sondern - wie sich aus dem Inhalt des Bescheides und der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung ergibt - auch deren Anordnung Gegenstand der getroffenen Regelung. Der Beklagte durfte beide Verwaltungsakte miteinander verbinden.
14Vgl. OVG NW, Beschluß vom 16.11.1981 - 4 B 1078/81 -, DVBl. 1982, 658 = DÖV 1982, 553 = NVwZ 1982, 447; VG Minden, Beschlüsse vom 16.12.1987 - 2 L 991/87 - und vom 17.7.1991 - 2 L 1104/91 -.
15Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung beruht zutreffend auf § 81 b 2. Alt. StPO. Hingegen ist § 14 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW nicht einschlägig, weil gegen den Kläger zum insoweit maßgebenden Zeitpunkt des Ergehens der Anordnung
16BVerwG, Urteil vom 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 = NJW 1983, 772 = DÖV 1983, 378
17- hier bei Erlaß sowohl des Ausgangs- als auch des Widerspruchsbescheides - ein Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig war. Insoweit geht § 81 b 2. Alt. StPO der Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW vor.
18Vgl. OVG NW, Urteil vom 14.7.1982 - 4 A 2493/81 -, OVGE 36, 145 = DÖV 1983, 603 = NJW 1983, 1340, zum entsprechenden § 10 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW a.F.; VG Minden, Beschlüsse vom 16.12.1987 - 2 L 991/87 - und vom 17.7.1991 - 2 L 1104/91 -.
19Nach § 81 b 2. Alt. StPO dürfen, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. Da nach der gegebenen Sachlage nur solche Maßnahmen in Betracht kamen, war deren Umfang und damit die streitige Anordnung selbst hinreichend bestimmt.
20BVerwG, Urteil vom 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, a.a.O., und Beschluß vom 13.5.1988 - 1 B 7.88 - .
21Eine erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers erscheint zum insoweit maßgebenden jetzigen Zeitpunkt als dem der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz
22BVerwG, Urteil vom 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, a.a.O.
23notwendig. Der - jedenfalls auch - anläßlich des Verfahrens 6 Js 388/96 StA E. festgestellte Sachverhalt bietet nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere von Art, Schwere und Begehungsweise der Straftaten, die Gegenstand von Ermittlungsverfahren gegen den Kläger waren, seiner Persönlichkeit sowie des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme, daß er künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und daß die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - ihn schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten.
24BVerwG, Urteile vom 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, a.a.O., und - 1 C 114.79 -, BVerwGE 66, 202 = NJW 1983, 1338 = DÖV 1983, 381; Beschlüsse vom 6.7.1988 - 1 B 61.88 -, NJW 1989, 2640 = Buchholz 306 § 81 b StPO Nr. 1, und vom 12.7.1989 - 1 B 85.89 -, DÖV 1990, 117 = Buchholz a.a.O. Nr. 2; OVG NW, z.B. Beschlüsse vom 14.6.1994 - 5 B 2693/93 - und vom 5.2.1996 - 5 A 1406/93 -.
25Diese Feststellung ergibt sich aufgrund der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potentieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist. Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere danach zu differenzieren, in welchem Umfang noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen. Falls die für das (bzw. die) Ermittlungsverfahren bestimmenden Verdachtsmomente ausgeräumt sind, ist eine Anfertigung und spätere Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen nicht notwendig i.S.d. § 81 b 2. Alt. StPO. Anderenfalls kommt es entscheidend darauf an, welcher Art das Delikt ist, auf das sich die verbliebenen Verdachtsmomente beziehen. Je schwerer ein Delikt wiegt, je höher der Schaden für die geschützten Rechtsgüter und die Allgemeinheit zu veranschlagen ist und je größer die Schwierigkeiten einer Aufklärung sind, desto mehr Gewicht erlangt das oben beschriebene öffentliche Interesse. Dabei stellt die Verwertung verbliebener Verdachtsmomente in Verfahren, die zu keiner Strafverurteilung des Betroffenen geführt haben, keinen Verstoß gegen die im Rechtsstaatsprinzip begründete und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK zum Ausdruck kommende Unschuldsvermutung dar.
26Vgl. z.B. OVG NW, Beschluß vom 5.2.1996 - 5 A 1406/93 -, m.w.N.; zur Abgrenzung BVerfG, Beschlüsse vom 26.3.1987 - 2 BvR 589/79 u.a. -, BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427, und vom 29.5.1990 - 2 BvR 254, 1343/88 -, NJW 1990, 2741.
27Nach diesen Grundsätzen besteht im Falle des Klägers derzeit - ebenso wie bei Erlaß des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheides - ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Das Anlaßverfahren 6 Js 388/96 StA E. hat zur rechtskräftigen Strafverurteilung des Klägers wegen versuchter mittelbarer Falschbeurkundung geführt. Das Ermittlungsverfahren 3 Js 42/95 wurde zwar am 15.5.1995 gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt, jedoch waren ausweislich der Einstellungsverfügung und ihrer Begründung nicht unerhebliche Verdachtsgründe gegen den Kläger für eine vorsätzliche Brandstiftung sowie einen versuchten Versicherungsbetrug und nur geringe Zweifel an seiner Täterschaft verblieben; diese Sachverhaltsauswertung durch die Staatsanwaltschaft erscheint der Kammer nach Durchsicht der Ermittlungsakte zutreffend. Auch das Verfahren 4 Js 461/95 (Gewässerverunreinigung) wurde zwar am 20.11.1995 nach § 170 StPO eingestellt, jedoch war in diesem Verfahren der gegen den Kläger bestehende Verdacht ebenfalls nicht ausgeräumt worden, sondern es war lediglich nicht auszuschließen, daß außer ihm eine bislang unbekannte Person als Täter in Betracht kam. Die Verdachtsmomente gegen den Kläger im Verfahren 2 Js 485/96, das - nur noch - den Vorwurf der Beihilfe zu von einem Dritten begangenen Betrügereien zum Gegenstand hat (vgl. Bl. 72 der Ermittlungsakte), sind schließlich alles andere als unerheblich (vgl. z.B. die den Dritten betreffende, in Bezug genommene Anklageschrift vom 30.9.1996, Bl. 57 der Ermittlungsakte).
28Die in den genannten Verfahren betroffenen Rechtsgüter und die verursachten Schäden zu Lasten der Allgemeinheit sind außerdem von erheblichem Gewicht. Daß zwischen 1989 und 1995, soweit bekannt, kein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger anhängig geworden ist, vermag nicht entscheidend zu seinen Gunsten zu sprechen; die Einleitung gleich mehrerer Ermittlungsverfahren seither, von denen bislang - abgesehen von dem zusätzlichen Trunkenheitsdelikt - eines zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt hat, schlägt vielmehr ganz erheblich zu seinem Nachteil aus. Bei zusätzlicher Berücksichtigung der Tatsache, daß in den 80-er Jahren zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen ihn durchgeführt werden mußten, die mehrere erhebliche Straftaten, u.a. wiederholt Vermögens- und Eigentumsdelikte und auch schon einmal ein Brandstiftungsdelikt, zum Gegenstand hatten und mehrfach zu beachtlichen Strafverurteilungen führten, erweist sich seine erkennungsdienstliche Behandlung jetzt als notwendig. Denn angesichts all dieser Umstände spricht eine sogar ganz erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß er künftig erneut einer strafbaren Handlung verdächtigt werden kann.
29Die Klage ist bereits unzulässig, soweit sie die Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung zum Gegenstand hat. Insoweit fehlt es dem Kläger am erforderlichen Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Überprüfung, denn die streitige Vorladung ist gegenstandslos.
30Zwar ist auch die Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung ein Verwaltungsakt - die Rechtsbehelfsbelehrung zum streitigen Bescheid ist insoweit unzureichend -, der seine Ermächtigungsgrundlage ebenso wie die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung in § 81 b 2. Alt. StPO hat.
31Vgl. OVG NW, Beschluß vom 17.3.1988 - 5 B 3805/87 -.
32§ 10 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW (= § 11 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW a.F.) ist hingegen nicht einschlägig, weil diese Regelung sich nur auf Maßnahmen nach § 14 PolG NW (= § 10 PolG NW a.F.) bezieht.
33Vgl. VG Minden, Beschluß vom 17.7.1991 - 2 L 1104/91 -; ebenso schon zum PolG NW a.F.: Beschluß vom 16.12.1987 - 2 L 991/87 -; vgl. auch Heise, PolG NW, 5. Aufl., Rdnr. 8 zu § 11 a.F.
34Nach dem maßgebenden Aufbau und der inhaltlichen Ausgestaltung
35vgl. BVerwG, Beschluß vom 13.5.1988 - 1 B 7.88 -
36des streitigen, als vervollständigter Vordruck ergangenen Bescheides waren ungeachtet seiner mißverständlichen Überschrift die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung und die Vorladung zu ihrer Durchführung dergestalt miteinander verbunden, daß die Anordnung auf jeden Fall wirksam werden sollte und die Vorladung als Konsequenz dieser Anordnung einen bestimmten Termin zu ihrer Durchführung bestimmte, dessen ggf. fruchtloses Verstreichen die Wirksamkeit der Anordnung unberührt ließ. Die Vorladung indes hat dadurch, daß der gesetzte Termin bereits seit langem verstrichen ist, ihre Bedeutung verloren. Würde sie nämlich jetzt noch als rechtmäßig bestätigt, wäre vollkommen unklar, zu welchem Termin der Kläger sie zu befolgen hätte - ebenso wie gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 PolG NW hat auch eine Vorladung nach § 81 b 2. Alt. StPO bei der Terminsbestimmung auf persönliche Umstände des Betroffenen Rücksicht zu nehmen - und wann sie bei Mißachtung des maßgeblichen Termins zwangsweise vollstreckt werden könnte, wobei die Vollstreckung - entgegen den "Allgemeinen Hinweisen" im streitigen Bescheidvordruck - nicht im Wege der zwangsweisen Vorführung aufgrund amtsrichterlicher Anordnung, sondern nach §§ 55 VwVG NW zu erfolgen hätte.
37OVG NW, Beschluß vom 17.3.1988 - 5 B 3805/87 -; vgl. auch Beschluß vom 16.11.1981, a.a.O.
38Eine (ggf. zwangsweise) Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers macht daher eine neue Vorladung nach Maßgabe der obigen Darlegungen erforderlich.
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Anordnungen zu ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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