Urteil vom Verwaltungsgericht Minden - 1 K 3255/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Klägerin begehrt Einsicht in einen Teil der über sie beim sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten geführten Akte.
3Anfang März 2018 schrieb Frau Dr. L. , Amtsärztin beim Fachbereich Gesundheit des Beklagten, die Klägerin an und teilte ihr mit, dass Hinweise eingegangen seien, dass sie, die Klägerin, eventuell Schwierigkeiten oder psychische Probleme haben könne. Außerdem bot Frau Dr. L. der Klägerin einen Hausbesuch an.
4Wenige Tage später beantragte die Klägerin Akteneinsicht, um ggf. eine Strafanzeige wegen Verleumdung stellen zu können. Mit Bescheid vom 27. Juli 2018 wies der Beklagte den Antrag zurück: Die Akte enthalte Schilderungen besorgter Personen, die sich auf die Klägerin bezögen und damit auch auf personenbezogene Daten dieser Personen. Die betroffenen Personen hätten auf schriftliche Nachfrage mitgeteilt, dass sie nicht mit einer Einsichtnahme durch die Klägerin einverstanden seien. Eine Abtrennung der personenbezogenen Daten oder eine Schwärzung komme nicht in Betracht, da auf jeden Fall Rückschlüsse auf die Personen, deren Daten geschützt werden sollen, möglich seien. Die Interessen dieser Personen am Schutz ihrer persönlichen Daten überwögen das Interesse der Klägerin an deren Offenlegung. Das Interesse an der Geheimhaltung persönlicher Daten sei grundrechtlich geschützt. Zudem sei davon auszugehen, dass die betroffenen Personen darauf vertraut hätten, dass Angaben gegenüber einer Amtsärztin vertraulich behandelt würden. Im Rahmen der Abwägung sei zudem zu beachten, dass das Gesundheitsamt auf Hinweise Dritter angewiesen sei. Demgegenüber begehre die Klägerin die Offenlegung der persönlichen Daten, um einen Strafantrag stellen zu können. Es sei jedoch nicht offenkundig, dass ein Fall der Verleumdung vorliege. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Verleumdung um ein Privatklagedelikt handele.
5Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 14. August 2018 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Akteneinsicht erforderlich sei, um ihre rechtlichen Interessen gegenüber Denunzianten zu verfolgen. Es gehe nicht an, dass diese Personen unter dem Deckmantel des Datenschutzes geschützt würden. Dass sie denunziert worden sei, ergebe sich aus einer als Anlage beigefügten Zusammenfassung der betreffenden Ereignisse. Die Interessenabwägung des Beklagten sei fehlerhaft: In die Abwägung dürften nur die Interessen der Klägerin und der Personen, deren personenbezogene Daten geschützt werden sollten, nicht aber die Interessen des Beklagten selbst eingestellt werden. Zudem sei nicht ersichtlich, dass den betroffenen Personen tatsächlich Vertraulichkeit zugesagt worden sei oder diese darauf vertraut hätten, dass ihre Angaben vertraulich behandelt würden. Außerdem sei unberücksichtigt geblieben, dass der Klägerin die Namen der Personen, die sich an den Beklagten gewandt hätten, bekannt seien, so dass der Schutz personenbezogener Daten entfalle.
6Die Klägerin hat zunächst sinngemäß beantragt,
7den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Juli 2018 zu verpflichten, ihr Einsicht in die sie betreffenden Unterlagen des Gesundheitsamts zu gewähren.
8In der mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2020 hat die Klägerin ihren Antrag dahingehend präzisiert, dass sie beantragt,
9den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Juli 2018 zu verpflichten, ihr Kopien von Blatt 1-14 sowie eine ungeschwärzte Kopie von Blatt 16 der sie betreffenden Akte beim sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten zu überlassen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen,
12und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
13Mit Beschluss vom 9. Dezember 2019 hat die Kammer das Verfahren dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
14Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
16Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
17Die Klage ist zulässig. Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedurfte es nicht (§§ 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO, 110 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 JustG NRW). Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 110 Abs. 2 bis 4 JustG NRW ausnahmsweise ein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist, liegen nicht vor. Die einmonatige Klagefrist (§ 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 VwGO) ist eingehalten.
18Die Klage ist jedoch unbegründet. Der geltend gemachte Anspruch steht der Klägerin weder nach dem Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Gesundheitswesen (GDSG NRW) noch gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW zu.
19I. Das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Gesundheitswesen räumt der Klägerin keinen Anspruch auf Einsicht in die von ihrem Antrag erfassten Unterlagen ein. Zwar findet § 9 Abs. 1 Satz 2 GDSG NRW, wonach Patienten auf Wunsch Einsicht in die über sie geführten Akten zu gewähren ist, hier Anwendung (1.). Jedoch liegen die Voraussetzungen dieser Norm nicht vor (2.).
201. § 9 Abs. 1 Satz 2 GDSG NRW ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Diese Norm räumt "Patienten" einen Anspruch auf Einsicht in die über sie geführten Akten ein. Die Klägerin ist Patientin im Sinne dieser Norm, obwohl sie sich nicht beim Gesundheitsamt des Beklagten in Behandlung befunden hat. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 GDSG NRW. Danach gilt dieses Gesetz auch für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten von Personen, die vom Gesundheitsamt untersucht oder von dessen Maßnahmen betroffen werden. Letzteres ist hier der Fall: Die Klägerin war von den Maßnahmen des Gesundheitsamts des Beklagten schon deshalb betroffen, weil Frau Dr. L. sich mit Schreiben vom 7. März 2018 an sie gewandt und ihr einen Hausbesuch angeboten hat.
212. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 2 GDSG NRW liegen nicht vor. Der durch diese Norm gewährte Anspruch auf Akteneinsicht unterliegt mehreren Einschränkungen: Erstens gilt dieser Anspruch gemäß § 9 Abs. 2 GDSG NRW nur für Aufzeichnungen über objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen, während subjektive Daten und Aufzeichnungen im Rahmen der Behandlung gemäß § 9 Abs. 3 GDSG NRW nach ärztlichem Ermessen zurückgehalten werden können. Und zweitens ist Akteneinsicht gemäß § 9 Abs. 4 GDSG NRW ausgeschlossen, soweit berechtigte Geheimhaltungsinteressen Dritter, deren Daten zusammen mit denen des Patienten aufgezeichnet wurden, überwiegen.
22a. Bei den vom Antrag der Klägerin erfassten Unterlagen handelt es sich nicht um objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen i.S.d. § 9 Abs. 2 GDSG NRW, sondern um subjektive Daten und Aufzeichnungen im Rahmen der Behandlung gemäß § 9 Abs. 3 GDSG NRW. Dementsprechend steht der Klägerin schon deshalb kein unbedingter Anspruch auf Akteneinsicht, sondern grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf Akteneinsicht zu.
23b. Auf § 9 Abs. 3 GDSG NRW kann die Klägerin den geltend gemachten Anspruch ebenfalls nicht stützen. Allerdings lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen, dass der Beklagte eine auf diese Norm gestützte Ermessensentscheidung getroffen hat. Aus dem Bescheid geht weder hervor, dass sein Verfasser erkannt hat, dass ihm Ermessen eingeräumt ist, noch dass er Ermessen ausgeübt hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass der angefochtene Bescheid nicht auf § 9 GDSG NRW, sondern auf das Informationsfreiheitsgesetz NRW gestützt ist, und letzteres dem Beklagten kein Ermessen einräumt. Der geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht ist jedoch bereits gemäß § 9 Abs. 4 GDSG NRW ausgeschlossen. Diese Norm schließt nicht nur einen Anspruch nach § 9 Abs. 2 GDSG NRW, sondern auch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 9 Abs. 3 GDSG NRW aus.
24aa. Im vorliegenden Fall stehen berechtigte Geheimhaltungsinteressen der beiden Personen, die sich an das Gesundheitsamt des Beklagten gewendet haben (im Folgenden: Informanten), einer Einsicht der Klägerin in die von ihrem Antrag erfassten Unterlagen entgegen. Derartige Angaben erfolgen in der Regel in der Annahme, dass sie vertraulich behandelt werden. Auch die beiden Informanten sind hiervon ausgegangen. Dies folgt schon daraus, dass sie ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen auf Nachfrage des Beklagten einer Einsicht der Klägerin in die von ihnen gemachten Angaben nicht zugestimmt haben. Diese Erwartungshaltung ist als wesentliche Grundlage für das Handeln der beiden Informanten schutzwürdig und überwiegt grundsätzlich das Interesse der Klägerin, Kenntnis von den über sie gemachten Angaben zu erlangen. Unabhängig davon können sich die beiden Informanten auch auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten berufen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Klägerin die Namen der beiden Informanten bekannt sind oder nicht.
25Sollten die Namen der beiden Informanten der Klägerin - wie von ihr vorgetragen - bekannt sein, stünde einer Einsicht in die vom Antrag der Klägerin erfassten Unterlagen gleichwohl die Erwartung der beiden Informanten entgegen, das ihre Angaben zur Sache vertraulich behandelt werden. Dasselbe gilt für den Schutz ihrer personenbezogenen Daten. Allerdings definiert das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Gesundheitswesen nicht, was unter personenbezogenen Daten zu verstehen ist. Jedoch bestimmt § 3 Satz 1 GDSG NRW, dass, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, das Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen in der jeweils geltenden Fassung (ergänzend) gilt. Zwar enthält auch dieses Gesetz, das gemäß seines § 5 auch für Gemeindeverbände gilt, ebenfalls keine Definition des Begriffs "personenbezogene Daten". Aus diesem Grund ist auf die in Art. 4 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 (ABl. L 119, S. 1, sog. Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: VO 2016/679) enthaltene Definition "personenbezogene Daten" zurückzugreifen.
26Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Februar 2019 - 15 E 1026/18 -, juris Rn. 29, zu § 9 Abs. 1 IFG NRW.
27Art. 4 Nr. 1 VO 2016/679 definiert personenbezogene Daten als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Dies trifft auch auf die Angaben der beiden Informanten gegenüber dem Gesundheitsamt des Beklagten zu.
28Etwas anderes ergäbe sich auch dann nicht, wenn die Namen der beiden Informanten der Klägerin nicht bekannt wären. Zwar ließen sich in diesem Fall die Angaben der beiden Informanten nicht unmittelbar einer bestimmten natürlichen Person zuordnen. Jedoch ließe sich aufgrund dieser Angaben darauf schließen, wer die beiden Informanten sind ("identifizierbare Person"). Davon ist das Gericht aufgrund dessen, dass die Informanten umfangreiche Angaben zu der Klägerin gemacht haben und somit aus deren persönlichem Umfeld stammen, überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
29bb. Das Geheimhaltungsinteresse der beiden Informanten würde das Informationsinteresse der Klägerin dann nicht überwiegen, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie ihre Angaben wider besseres Wissen oder in der Absicht, den Ruf der Klägerin zu schädigen, gemacht haben oder sie dem Beklagten leichtfertig falsche Informationen übermittelt haben. Diese zum Informationsfreiheitsgesetz NRW ergangene Rechtsprechung
30- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2008 - 8 E 1124/07 -, juris Rn. 5 zum IFG NRW; VG Düsseldorf, Urteil vom 30. April 2014 - 26 K 7968/13 -, juris Rn. 48 zu § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. e) IFG NRW -
31ist auf § 9 Abs. 4 GDSG NRW zu übertragen, da in derartigen Fällen das Vertrauensinteresse von Informanten auch im Rahmen von § 9 GDSG NRW regelmäßig nicht schutzwürdig ist. Jedoch fehlt es an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die beiden Informanten den sozialpsychiatrischen Dienst der Beklagten wider besseres Wissen, in der Absicht, den Ruf der Klägerin zu schädigen, oder leichtfertig falsch informiert haben. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin beschränkt sich auf Vermutungen, die vor allem darauf beruhen, dass die Klägerin zwei bestimmte Personen verdächtigt, Angaben gegenüber dem Beklagten gemacht zu haben. Dies reicht auch vor dem Hintergrund des von der Klägerin geschilderten Nachbarstreits, in dessen Folge es auch bereits zu wechselseitigen Strafanzeigen gekommen ist, nicht aus, um das Gericht von einem bösgläubigen oder leichtfertigen Vorgehen der beiden Informanten zu überzeugen.
32Eine weitere Aufklärung der Frage, ob die beiden Informanten den sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten wider besseres Wissen, in der Absicht, den Ruf der Klägerin zu schädigen, oder leichtfertig falsch informiert haben, ist nicht möglich. Dazu müssten die Namen der Informanten bekannt sein, um aufgrund deren Identität weitere Schlüsse zu ziehen oder diese zu ihren Beweggründen zu befragen. Jedoch gehören die Namen der beiden Informanten zu den durch § 9 GDSG NRW geschützten Daten. Davon, dass der Klägerin die Namen der beiden Informanten bekannt sind, ist das Gericht nicht überzeugt. Die Klägerin konnte in der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2020 nicht - wie von ihr behauptet - demonstrieren, dass die Namen der beiden Informanten auf Bl. 29 und 30 der Beiakte 1 so unzureichend geschwärzt wurden, dass sie mit technischen Hilfsmitteln (Lupe und Lichtquelle) zu lesen sind. Die in dieser mündlichen Verhandlung gehörten Zeugen konnten das Gericht auch nicht davon überzeugen, dass Dr. L. - wie von der Klägerin behauptet - ihr die Namen der beiden Informanten genannt hat. Zwar hat der Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge X. , die Angaben der Klägerin bestätigt. Jedoch hat die Zeugin Dr. L. ausgesagt, dass sie die Namen der beiden Informanten nicht genannt habe, so dass Aussage gegen Aussage steht. Wer von den beiden Zeugen das im März 2018 geführte Telefonat zutreffend wiedergegeben hat, vermag das Gericht nicht zu sagen; beide Aussagen sind in sich plausibel. Da die Klägerin aus der Kenntnis der Namen der beiden Informanten für sie günstige Rechtsfolgen ableitet, geht die Nichterweislichkeit dieser von ihr behaupteten Tatsache zu ihren Lasten.
33II. Der geltend gemachte Anspruch auf Informationszugang lässt sich auch nicht auf § 4 Abs. 1 IFG stützen. Dem steht schon § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW entgegen (1.) Im Übrigen liegen aber auch die Voraussetzungen, unter denen § 4 Abs. 1 IFG NRW einen Anspruch auf Informationszugang gewährt, nicht vor (2).
341. Ein Anspruch gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW ist schon gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen. Nach dieser Norm gehen besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht dem Informationsfreiheitsgesetz NRW vor. Unter einer "besonderen Rechtsvorschrift" sind bereichsspezifische Gesetze des Bundes oder des Landes zu verstehen, die einen Informationsanspruch regeln.
35Vgl. LT-Drs. 13/1311, S. 11.
36Wie das Tatbestandsmerkmal "soweit" zeigt, sind nur solche Vorschriften als vorrangig in Betracht zu ziehen, die denselben Sachverhalt abschließend - sei es identisch, sei es abweichend - regeln. Konkurrenzfragen sind in jedem konkreten Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären. Um die Bestimmung des Verhältnisses verschiedener Informationszugangsrechte untereinander vornehmen zu können, müssen vor allem deren jeweilige Regelungsmaterien berücksichtigt werden. Eine Vorrangigkeit im Sinne einer Ausschließlichkeit ist nur dort anzunehmen, wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und/oder identische Zielgruppen erfassen. Eine besondere Rechtsvorschrift i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW liegt daher nur dann vor, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Informationen, die der Rechtsvorschrift unterfallen, und/oder in persönlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Personen, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist. Wenn spezialgesetzliche Regelungen für einen gesonderten Sachbereich oder für bestimmte Personengruppen einen begrenzten Informationsanspruch vorsehen, ist deshalb im Einzelfall zu untersuchen, ob diese Grenzen auch für den Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW bindend sind. Dies ist anzunehmen, wenn ein umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwider laufen würde. Lässt sich derartiges nicht feststellen, gelangt der Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW zur Anwendung.
37Vgl. OVG NRW, Urteile vom 24. November 2015 - 8 A 1073/14 -, juris Rn. 32 ff., und vom 14. September 2017 - 15 A 29/17 -, juris Rn. 51.
38Ausgehend davon ist § 9 GDSG NRW eine besondere Rechtsvorschriften i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW.
39Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 1. Oktober 2003 - 7 K 1821/01 -, juris Rn. 30.
40§ 9 GDSG NRW regelt den Informationszugang zu Patientendaten und damit im Zusammenhang stehenden personenbezogenen Daten abschließend. Bei diesen Daten handelt es sich um besonders schutzbedürftige Daten, zu denen aus diesem Grund nur unter besonders restriktiven Voraussetzungen Zugang gewährt werden soll. Dies ergibt sich insbesondere auch aus § 1 GDSG NRW, wonach dieses Gesetz das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Bereich des Gesundheitswesens gewährleisten soll. Dementsprechend liefe ein umfassender Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW dem Schutzzweck des § 9 GDSG NRW zuwider.
412. Im Übrigen liegen aber auch die Voraussetzungen, unter denen § 4 Abs. 1 IFG NRW einen Anspruch auf Informationszugang gewährt, nicht vor.
42a. § 4 Abs. 1 IFG NRW bestimmt, dass jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei dieser Stelle vorhandenen amtlichen Informationen hat. Zwar ist der Beklagte eine öffentliche Stelle i.S.d. § 2 IFG NRW und handelt es sich bei den vom Antrag der Klägerin erfassten Unterlagen um amtliche Informationen i. S. d. §§ 4 Abs. 1, 3 Satz 1 IFG NRW. Der Einsicht in diese Unterlagen stehen jedoch sowohl § 6 Satz 1 lit. a) IFG NRW (b.) als auch § 9 Abs. 1 Halbsatz 1 IFG NRW (c.) entgegen.
43b. § 6 Satz 1 lit. a) IFG NRW schließt den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch aus, weil die beiden Informanten - wie bereits dargelegt - der Einsicht in die von ihrem Antrag erfassten Unterlagen nicht zugestimmt haben und keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten wider besseres Wissen, in der Absicht, den Ruf der Klägerin zu schädigen, oder leichtfertig falsch informiert haben.
44§ 6 Satz 1 lit a) IFG NRW bestimmt, dass ein Antrag auf Informationszugang abzulehnen ist, soweit und solange das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere die Tätigkeit der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften oder der Behörden des Straf- und Maßregelvollzugs einschließlich ihrer Aufsichtsbehörden beeinträchtigen würde. Schutzgut der öffentlichen Sicherheit sind neben den Rechtsgütern des Einzelnen und der Unversehrtheit der Rechtsordnung auch die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen. Zu letzteren gehören alle Behörden und Gerichte. Soweit § 6 Satz 1 lit. a) IFG NRW die Tätigkeit der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften oder der Behörden des Straf- und Maßregelvollzugs einschließlich ihrer Aufsichtsbehörden besonders erwähnt, ist diese Aufzählung nicht abschließend ("insbesondere"). Sie hat auch nicht zur Folge, dass der Begriff der öffentlichen Sicherheit im vorliegenden Zusammenhang enger zu verstehen wäre als im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht.
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Mai 2015 - 8 A 1943/13 -, NWVBl. 2015, 382 (juris Rn. 61 ff.) m.w.N.
46An eine "Beeinträchtigung" der öffentlichen Sicherheit sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Im Unterschied zu § 6 Satz 1 lit. b) IFG NRW setzt der hier einschlägige lit. a) keine erhebliche Beeinträchtigung voraus, sondern lässt eine "einfache" Beeinträchtigung genügen. Eine solche liegt vor, wenn nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgut konkret zu erwarten sind.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Mai 2015 - 8 A 1943/13 -, NWVBl. 2015, 382 (juris Rn. 70) m.w.N.
48Dies gilt erst Recht, wenn die behördliche Tätigkeit dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter - wie im vorliegenden Fall - dem Schutz der (psychischen) Gesundheit der Bevölkerung dient. Dabei ist nicht erforderlich, dass der sozialpsychiatrische Dienst des Beklagten seiner Funktion überhaupt nicht mehr gerecht werden könnte, also die Arbeit in diesem Bereich im Ganzen "lahm gelegt" würde. Nachteilige Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit staatlicher Stellen sind vielmehr schon dann gegeben, wenn deren Tätigkeit erschwert wird.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Mai 2015 - 8 A 1943/13 -, NWVBl. 2015, 382 (juris Rn. 72) m.w.N.
50Die beiden Informanten haben dem sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten Hinweise gegeben, die für die dort tätigen Personen für die von ihnen ausgeübte Beratungstätigkeit von Belang waren. Der sozialpsychiatrische Dienst des Beklagten ist - wie viele andere im Bereich der Gefahrenabwehr tätige Behörden - auf sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um seine Aufgaben effektiv wahrnehmen zu können. Derartige Hinweise erhöhen die Effektivität behördlicher Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, indem sie die behördliche Aufmerksamkeit auf Verdachtsfälle lenken. Mit solchen anlassbezogenen Kontrollen lassen sich psychisch gefährdete Personen besser schützen als ohne sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung. Solche Hinweise erfolgen in der Regel in der Annahme, dass die gemachten Angaben vertraulich bleiben. Dies zeigt sich auch im vorliegenden Fall, da die beiden Informanten - wie bereits dargelegt - auf Nachfrage des Beklagten der Einsicht der Klägerin in die von deren Antrag erfassten Unterlagen nicht zugestimmt haben. Die Offenlegung der im Rahmen solcher Hinweise gemachten Angaben gegenüber der betroffenen Person ohne Zustimmung des Informanten ist geeignet, die Tätigkeit des sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten spürbar zu beeinträchtigen, weil weniger Personen bereit wären, entsprechende Hinweise zu geben, wenn ihre Anonymität nicht mehr gewährleistet wäre.
51Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 -, BVerwGE 137, 318, Rn. 11 f. (Luftsicherheit); vom 3. August 2011 - 20 F 23.10 -, juris Rn. 9 (Lebensmittelüberwachung), sowie vom 15. März 2019 - 20 F 7.17 -, juris Rn. 8 (sozialpsychiatrischer Dienst), jeweils zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO; OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2008 - 8 E 1124/07 -, juris Rn. 9 (Schutz von Kindern und Jugendlichen) zum IFG NRW.
52Dementsprechend steht § 6 Satz 1 lit a) IFG NRW der Offenlegung der Angaben eines Informanten, der sich hiermit nicht einverstanden erklärt hat, grundsätzlich entgegen. Dies gilt unabhängig davon, ob ausdrücklich um Vertraulichkeit gebeten oder Vertraulichkeit ausdrücklich zugesichert wurde
53- vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 -, BVerwGE 137, 318, Rn. 10; vom 3. August 2011 - 20 F 23.10 -, juris Rn. 8, sowie vom 1. Dezember 2015 - 20 F 9.15 -, juris Rn. 8, jeweils zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO -,
54und grundsätzlich auch unabhängig vom Wahrheitsgehalt der in einem Hinweis enthaltenen Angaben. Behörden sind aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet, allen vom Ansatz her sachlich begründeten Hinweisen nachzugehen. Daher muss die Vertraulichkeit der Angaben des Informanten auch dann gewahrt bleiben, wenn sich ein Hinweis nach Abschluss der behördlichen Ermittlungen als unzutreffend herausstellen sollte. Der Vertraulichkeitsschutz entfällt nur dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant die Behörde wider besseres Wissen, in rufschädigender Absicht oder leichtfertig falsch informiert hat.
55Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 -, BVerwGE 137, 318, Rn. 13, vom 3. August 2011 - 20 F 23.10 -, juris Rn. 10, sowie vom 1. Dezember 2015 - 20 F 9.15 -, juris Rn. 8, jeweils zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO; OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2008 - 8 E 1124/07 -, juris Rn. 5 zum IFG NRW.
56Diese Voraussetzungen liegen hier - wie bereits unter I. dargelegt - nicht vor.
57c. § 9 Abs. 1 Halbsatz 1 IFG NRW steht der Einsicht in die vom Antrag der Klägerin erfassten Unterlagen ebenfalls entgegen.
58aa. § 9 Abs. 1 Halbsatz 1 IFG NRW bestimmt, dass ein Antrag auf Informationszugang abzulehnen ist, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor; sowohl bei den Namen der beiden Informanten als auch bei den von ihnen gemachten Angaben handelt es sich - wie bereits unter I. dargelegt - um personenbezogene Daten.
59bb. Die Voraussetzungen unter denen § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. a) bis e) IFG NRW ausnahmsweise die Offenlegung personenbezogener Daten zulassen, liegen nicht vor.
60(1) Dies gilt zunächst für § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. a) IFG NRW. Danach können personenbezogene Daten offenbart werden, wenn die betroffene Person eingewilligt hat. Dies ist hier - wie bereits dargelegt - nicht der Fall.
61(2) Ein Anspruch auf Offenlegung der streitgegenständlichen personenbezogenen Daten folgt auch nicht aus § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. b) IFG NRW. Nach dieser Norm ist dies zulässig, wenn es durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt ist. Ein solches Gesetz hat die Klägerin weder benannt noch ist ein solches Gesetz ersichtlich.
62(3) Der Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht auf § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. c) und d) IFG NRW stützen. Weder ist die Offenlegung der vom Antrag der Klägerin umfassten Unterlagen zur Abwehr der in lit. c) benannten Nachteile oder Gefahren geboten, noch liegt die Offenlegung der darin enthaltenen Angaben im Interesse der beiden Informanten (lit. d).
63(4) Schließlich folgt ein Anspruch auf Einsicht in die vom Antrag der Klägerin erfassten Unterlagen auch nicht aus § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. e) IFG NRW. Diese Norm bestimmt, dass personenbezogene Daten zu offenbaren sind, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis dieser Daten geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil überwiegende schutzwürdige Belange der Informanten den geltend gemachten rechtlichen Interessen der Klägerin (rechtliches Vorgehen gegen Denunzianten) entgegen stehen. Sachdienliche Hinweise an Behörden erfolgen - wie bereits dargelegt - in der Regel und auch im vorliegenden Fall - in der Annahme, dass diese Angaben vertraulich behandelt werden. Diese Erwartungshaltung ist als wesentliche Grundlage für das Handeln des Informanten schutzwürdig und überwiegt grundsätzlich ein geltend gemachtes rechtliches Interesse an der Offenlegung seines Namens und/oder seiner Angaben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant die Behörde wider besseres Wissen, in rufschädigender Absicht oder leichtfertig falsch informiert hat.
64Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2008 - 8 E 1124/07 -, juris Rn. 5 zum IFG NRW; VG Düsseldorf, Urteil vom 30. April 2014 - 26 K 7968/13 -, juris Rn. 48 zu § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. e) IFG NRW.
65Dass dies hier nicht der Fall ist, wurde bereits unter I. dargelegt.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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