Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 6 K 842/89
Tenor
Der Leistungsbescheid des Beklagten vom 5. Dezember 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten Münster vom 3. Mai 1989 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger die Kosten für die Beseitigung eines Kraftfahrzeuges als Abfall zu zahlen hat, welches im öffentlichen Verkehrsraum ohne gültiges Kennzeichen abgestellt worden war.
3Bei einer Kontrolle am 25. Juli 1988 stellten Bedienstete des Beklagten fest, dass auf dem der Öffentlichkeit zugänglichen Parkdeck Brüningheide 69 bis 73 in Münster ein Kraftfahrzeug - Typ Volkswagen Käfer, Baujahr 1971 - ohne gültiges Kennzeichen abgestellt worden war. Der Kläger hatte das Kennzeichen zum Zweck einer vorübergehenden Stillegung des Fahrzeuges entfernt. Diese Stillegung erfolgte am 2. August 1988.
4Als das Fahrzeug auch am 13. September 1988 noch auf dem Parkdeck vorgefunden wurde, ließ der Beklagte einen Aufkleber nach § 5 Abs. 2 des Abfallgesetztes anbringen. Dieser Aufkleber enthielt die Aufforderung, das Fahrzeug bis zum 12. Oktober 1988 zu entfernen. Andernfalls gelte es als Abfall, der ordnungsgemäß entsorgt werden müsse. Die Behörde könne auch auf Kosten des Pflichtigen das Fahrzeug beseitigen oder beseitigen lassen. Bei einer weiteren Kontrolle am 3. November 1988 wurde festgestellt, dass der Wagen vom Parkdeck herunter auf einen in der Nähe gelegenen Parkstreifen der öffentlichen Straße verbracht worden war. Der Aufkleber war von der Frontscheibe entfernt und im Inneren des Wagens angebracht worden. Daraufhin ließ der Beklagte am 24. November 1988 das Fahrzeug durch eine von ihm beauftragtes Unternehmen abschleppen und verschrotten.
5Mit Leistungsbescheid vom 5. Dezember 1988 forderte der Beklagte den Kläger, der sich zwischenzeitlich telefonisch gemeldet hatte, auf, die Kosten der Maßnahme in Höhe von 76.03 DM zu erstatten. Die vom Beklagten als Widerspruch behandelte Eingabe des Klägers, mit der er sich gegen die Behandlung des Wagens als Abfall mit der Begründung wandte, das Fahrzeug sei noch bis März 1999 TÜV- abgenommen" gewesen und habe einschließlich eines eingebauten Kassettenradios im Wert von ca. 200,-- DM einen Verkaufswert von noch 1.000,-- DM besessen, wies der Regierungspräsident Münster mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1989 als unbegründet zurück.
6Daraufhin hat der Kläger am 26. Mai 1989 Klage erhoben, mit der er seine Auffassung vertieft, die Beseitigung des verkehrstauglichen Fahrzeuges sei zu Unrecht erfolgt. Eine Kostenerstattung für die Beseitigung des Fahrzeuges komme damit nicht in Betracht.
7Der Kläger beantragt,
8den Leistungsbescheid des Beklagten vom 5. Dezember 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten Münster vom 3. Mai 1989 aufzuheben. Der Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen. Er hält den angefochtenen Leistungsbescheid für rechtmäßig.
10Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
12Die Klage hat Erfolg.
13Der angefochtene Leistungsbescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger ist nicht verpflichtet, die mit diesem Bescheid geltend gemachten Kosten der Beseitigung des in Rede stehenden Fahrzeuges zu erstatten.
14Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden und vom Beklagten auch herangezogenen Rechtsgrundlage des § 11 Abs. 2 Nr. 7 der Kostenordnung zum Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (KostO NW) liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind der Vollstreckungs- bzw. Vollzugsbehörde vom Pflichtigen unter anderem solche Beträge zu erstatten, die bei der Ersatzvornehme an Beauftragte zu zahlen sind. Voraussetzung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs ist eine rechtmäßige Durchführung der Ersatzvornahme. Daran fehlt es hier.
15Die Ersatzvornahme ist unter Beauftragung des Abschleppdienstes Mahnke ohne eine vorausgegangene, auf eine Beseitigung des Fahrzeuges als Abfall durch den Pflichtigen selbst abzielende sogenannte Grundverfügung im Wege des sofortigen Vollzuges nach § 55 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG) durchgeführt worden. Damit mussten zur Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme die besonderen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG vorliegen. Das ist nicht der Fall.
16Nach § 55 Abs. 2 VwVG kann der Verwaltungszwang - auch in der Form einer Ersatzvornahme - ausnahmsweise ohne vorausgehenden, dem Pflichtigen das geforderte Verhalten aufgebende, Verwaltungsakt unter anderem dann angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt. Die Notwendigkeit zu einem Vorgehen im Wege des sofortigen Vollzuges im Sinne des § 55 Abs. 2 VwVG setzt eine Lage voraus, in der die Abwendung der Gefahr nicht auf dem für den Regelfall vorgesehenen Weg - im sogenannten gestreckten Vollzug - möglich ist. In einer solchen Lage befindet sich die Vollzugsbehörde dann, wenn die mit dem normalen Weg des Einschreitens verbundenen Verzögerungen Abwehrmaßnahmen unwirksam werden ließen oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der sofortige Vollzug geeignet ist, die gegenwärtige Gefahr abzuwenden.
17Vgl. etwa: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NW), Urteil vom 16. Dezember 1988 - 20 A 2659/87 - , S. 11; Urteil vom 26. März 1984 - 20 A 1242/83 - , S. 7, jeweils m.n.N. Innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnis handelt die Behörde, wenn sie für das Einschreiten zuständig ist und die Durchführung der getroffenen Maßnahme von dem in Anspruch Genommenen hätte verlangen können.
18In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Vorgehen des Beklagten als fehlerhaft. Dabei ist bereits fraglich, ob der Beklagte vom Kläger gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 Abfallgesetz (AbfG) die - dann im Wege des sofortigen Vollzuges durch Ersatzvornahme verwirklichte - Beseitigung des in Rede stehenden Fahrzeuges als Abfall hätte verlangen können. Die Qualifizierung des Fahrzeuges Als Abfall unterliegt erheblichen Bedenken. Die Annahme, es handele sich bei dem Fahrzeug um einen Gegenstand, dessen sich der Besitzer habe entledigen wollen (sog. subjektiver Abfallbegriff, § 1 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative AbfG), scheidet von vornherein aus. Davon, dass sich das Fahrzeug im Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens in einem Zustand befunden hätte, der es als geboten hätte erscheinen lassen, es zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit als Abfall zu entsorgen (sog. objektiver Abfallbegriff, § 1 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative AbfG), geht der Beklagte, wie auch seine Vorgehen nach § 5 Abs. 2 AbfG zeigt, selbst nicht aus. Hiergegen ist angesichts des Eindrucks, den das Fahrzeug auf dem der Kammer vorliegenden Lichtbild vom 13. September 1988 vermittelt, nichts zu erinnern. Hiernach hat es sich um ein zwar älteres, aber äußerlich in gut erhaltenem und durchaus gepflegtem Zustand befindliches Fahrzeug gehandelt. Auch der Umstand, dass der Wagen, wie sich später herausgestellt hat, erst im März 1990 zur nächsten Hauptuntersuchung anstand, bestätigt diese Einschätzung. Von einem nicht mehr fahrbereiten und sinnvollerweise nicht mehr reparaturfähigen Autowrack, dessen Ablagerung im öffentlichen Verkehrsraum zu einer Beeinträchtigung abfallrechtlich relevanter Schutzgüter führen könnte, konnte nach alledem keine Rede sein. Soweit ein längerfristiges Abstellen eines nicht zugelassenen Kraftfahrzeuges möglicherweise als Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Bestimmungen aufzufassen wäre, würde dies die vom Beklagten vollzogene Entsorgung des Fahrzeuges als Abfall ohnehin nicht rechtfertigen können. In Betracht kämen insoweit allenfalls straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen, die der Beklagte hier jedoch nicht ergriffen hat.
19Vgl. etwa: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, § 1 Rdner. 27. Soweit der Beklagte die Abfalleigenschaft des Fahrzeuges auf der Grundlage des § 5 Abs. 2 AbfG angenommen hat, begegnet dies ebenfalls erheblichen Bedenken. Nach dieser Bestimmung, die als gesetzliche Vermutungsregelung die Abfalleigenschaft fingiert, gelten Kraftfahrzeuge (oder Anhänger) ohne gültige amtliche Kennzeichen. die auf öffentlichen Flächen abgestellt sind, als Abfall, wenn 1. keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass sie noch bestimmungsgemäß genutzt werden oder dass sie entwendet wurden, und 2. wenn sie nicht innerhalb eines Monats nach einer am Fahrzeug angebrachten, deutlich sichtbaren Aufforderung entfernt worden sind. Zwar war das Fahrzeug vom Kläger für längere Zeit ohne gültiges amtliches Kennzeichen auf einer öffentlichen Fläche im Sinne der Vorschrift abgestellt worden; auch wurde es trotz der vom Beklagten angebrachten Aufforderung nach § 5 Abs. 2 AbfG nicht innerhalb der genannten Frist von der öffentlichen Fläche entfernt. Das bloße Umsetzen von dem Parkdeck auf die nur wenig entfernt gelegene Parkbucht stellt in diesem Zusammenhang kein Entfernen" im Sinne des § 5 Abs. 2 AbfG dar. Zweifelhaft ist aber, ob der Beklagte auch davon ausgehen durfte, das Fahrzeug werde nicht mehr bestimmungsgemäß genutzt. Nach dem Gesamteindruck. den das Fahrzeug nach Zustand und Abstellort vermittelte, konnte jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine Nutzung als Fahrzeug nicht mehr möglich bzw. gewollt war. In diesem Zusammenhang könnte auch der Umstand Bedeutung zukommen, dass der Wagen nach dem 13. September 1988 auf einen Parkstreifen für Kraftfahrzeuge umgesetzt und die Aufforderung des Beklagten von der Frontscheibe entfernt wurde. Hierin könnte ein Anhalspunkt dafür gesehen werden, dass das Fahrzeug seinerzeit jedenfalls noch betriebsfähig war und weiterhin bestimmungsgemäß genutzt werden sollte.
20Alle diese Gesichtspunkte bedürfen jedoch keiner abschließenden Beurteilung. Auch braucht die Kammer dem Vorbringen des Klägers nicht nachzugehen, im Wagen sei eine Mitteilung angebracht gewesen, wonach er - der Kläger - nur vorübergehend ortsabwesend war. Denn wenn auch unterstellt wird, dass Fahrzeug sein nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 AbfG als Abfall zu behandeln, so lagen jedenfalls die besonderen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG nicht vor. Von dem Fahrzeug, welches im Zeitpunkt der Entfernung durch den Beklagten (24. November 1988) auf einem zur öffentlichen Straße gehörenden Parkstreifen (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen) abgestellt war, ging eine den Sofortvollzug rechtfertigende gegenwärtige Gefahrenlage nicht aus. Der - hier unterstellte - bloße Verstoß gegen die einen Abfallbesitzer nach § 3 Abs. 4 AbfG treffende Entsorgungspflicht begründet die Notwendigkeit eines sofortigen Eingreifens allein nicht. Dies würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen. Notwendig ist vielmehr - wie oben bereits dargelegt - eine über einen bloßen Rechtsverstoß hinausgehende besondere Gefahrenlage, die die sofortige Beseitigung der Störung gebietet. Dafür fehlen jedoch jegliche konkreten Anhaltspunkte. Daß das Fahrzeug etwa Öl oder sonstige Betriebsstoffe verloren hätte, ist vom Beklagten nicht festgestellt worden. Der Wagen war äußerlich unbeschädigt und stellte auch in sonstiger Hinsicht - etwa in Hinblick auf spielende Kinder oder andere Verkehrsteilnehmer - keine Gefahrenquelle dar. Dies wird durch das Vorgehen des Beklagten selbst unterstrichen. So hat er nämlich, ohne dass zwischenzeitlich besondere Umstände hinzugetreten wären, auch nach Ablauf der Frist des § 5 Abs. 2 AbfG noch über einen Monat mit der Beseitigung des Fahrzeuges zugewartet. Die Annahme einer Dringlichkeit wäre hiermit nicht vereinbar. Daran ändert nicht, dass das Fahrzeug wegen der fehlenden amtlichen Kennzeichen nicht ohne weiteres einem bestimmten Pflichtigen, dem die Entsorgung als Abfall hätte aufgegeben werden können, zuzuordnen war. Ein Vorgehen im Wege des Sofortvollzugs war gleichwohl nicht geboten. Denn der Beklagte konnte ohne Schwierigkeiten mit Hilfe der vorhandenen Fahrzeug-Identitäts-Nummer beim Kraftfahrt-Bundesamt den letzten Halter ermitteln und diesen - gegebenenfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und mit kurzer Frist - in Anspruch nehmen. Eine solche Halteranfrage hat der Beklagte auch nach der Verschrottung des Fahrzeuges beim Kraftfahrt-Bundesamt erfolgreich angebracht. Soweit zur Feststellung der Identitäts-Nummer ein Öffnen des Fahrzeuges mit Hilfe eines Nachschlüssels oder in Anwendung ähnlicher Maßnahmen notwendig gewesen wäre, hätte dies angesichts der gegebenen Umstände dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen. Eine relevante Verzögerung bzw. Beeinträchtigung von gebotenen Abwehrmaßnahmen hätte ein solches Vorgehen nicht bewirkt.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, deren vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.
22Die Berufung ist gemäß Artikel 2 § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Entlastungsgesetzes (EntlG) nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des Art. 2 § 4 Abs. 2 EntlG i.V.m. § 131 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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