Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 5 K 4036/96
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Der am 0 geborene Kläger ist geistig behindert. Er lebt seit 0 im Haus Früchting, einem Wohn- und Pflegeheim der Brüdergemeinschaft der Canisianer. Seit 0 ist er in der Werkstatt für Behinderte dieser Einrichtung beschäftigt. Der Beklagte bewilligte ihm durch Bescheid vom 13. September 1989 für diese Beschäftigung Eingliederungshilfe nach § 40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG).
3Nach Anhörung des Klägers stellte der Beklagte durch Bescheid vom 27. Juni 1996 die Bewilligung von Eingliederungshilfe für die Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte mit Wirkung vom 1. Mai 1996 mit der Begründung ein, daß der Kläger nach Vollendung seines 65. Lebensjahres vergleichbar wie erwerbstätige Arbeitnehmer behandelt werden müsse und deshalb nicht mehr beanspruchen können, daß seine Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte im Rahmen der Eingliederungshilfe finanziert werde.
4Der Kläger legte am 16. Juli 1996 Widerspruch ein und verwies darauf, daß es eine Altersgrenze für die Beschäftigung von Behinderten in Werkstätten für Behinderte nicht gebe und daß deshalb in jedem Einzelfall entschieden werden müsse, ob ein Behinderter auch nach der Vollendung seines 65. Lebensjahres auf die Bewilligung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte angewiesen sei; diese Einzelfallprüfung habe der Beklagte nicht vorgenommen; für ihn, den Kläger, sei es weiterhin sinnvoll, auch nach Vollendung seines 65. Lebensjahres in einer Werkstatt für Behinderte tätig zu sein.
5Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1996 zurück mit der Begründung, daß im Falle des Klägers keine Verpflichtung bestehe, ihm aus Mitteln der Eingliederungshilfe die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte nach der Vollendung seines 65. Lebensjahres zu ermöglichen.
6Der Kläger hat am 24. Dezember 1996 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und beantragt,
7den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 27. Juni 1996 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 1996 zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten seiner Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte von I für die Zeit vom 1. Mai 1996 bis zum 31. Dezember 1996 zu gewähren.
8Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe seines Widerspruchsbescheides,
9die Klage abzuweisen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
12Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Juni 1996 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 1996 ist rechtmäßig, denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß ihm der Beklagte Eingliederungshilfe bewilligt, indem er die Kosten seiner Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte für die Zeit vom 1. Mai 1996 bis zum 31. Dezember 1996 aus Mitteln der Sozialhilfe übernimmt.
13Eingliederungshilfe wird gemäß § 39 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, daß die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 BSHG u. a., eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört gemäß § 39 Abs. 3 Satz 2 BSHG vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Behinderten, bei denen wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen mit dem Ziel der Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht kommen, soll nach § 40 Abs. 2 BSHG in der bis zum 31. Juli 1996 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994, BGBl. I S. 646 nach Möglichkeit Gelegenheit zur Ausübung einer der Behinderung entsprechenden Beschäftigung, insbesondere in einer Werkstatt für Behinderte, gegeben werden. Anstelle dieser Regelung sieht § 41 in der seit dem 1. August 1996 geltenden Fassung von Artikel 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996, BGBl. I S. 1088 vor, daß Behinderten, bei denen wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen mit dem Ziel der Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht kommen, die aber die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte erfüllen (Aufnahmevoraussetzungen), Hilfe zur Beschäftigung in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte gewährt wird. § 54 Abs. 1 des Schwerbehindertengesetzes sieht vor, daß eine Werkstatt für Behinderte eine Einrichtung zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben ist.
14Aus dem Zusammenhang der vorgenannten Vorschriften ergibt sich, daß die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte Eingliederungshilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ist und daß diese Eingliederungshilfe an die Stelle arbeits- und berufsfördernder Maßnahmen tritt, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung des Hilfeempfängers noch nicht oder nicht mehr durchgeführt werden können. Aufgabe der Eingliederungshilfe bei der Beschäftigung von Behinderten in Werkstätten für Behinderte ist es demgemäß, die vorhandene Behinderung und deren Folgen zu beseitigen oder jedenfalls zu mildern, wie dies vergleichsweise bei einem Hilfesuchenden erreicht werden kann, der am Arbeitsleben teilnimmt. Diese Zielsetzung schließt es in der Regel aus, die Ziele der Eingliederungshilfe nach Vollendung des 65. Lebensjahres zu erreichen, weil dies die Altersgrenze für im Erwerbsleben Beschäftigte ist (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 1991 - 6 S 888/90 -, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte - FEVS - 43, 467). Allerdings gibt es für behinderte Beschäftigte in Werkstätten für Behinderte, die nicht am Arbeitsleben teilnehmen können, keine starre Altersgrenze. Vielmehr ist nach der Besonderheit des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden (Schellhorn-Jirasek-Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 15. Auflage 1997, § 39 Randziffer 45 und Meusinger in Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 1999, § 39 Randziffer 44). Im Fall des Klägers hat sich der Beklagte unter Berücksichtigung seines besonderen Lebensschicksals zutreffend dafür entschieden, die Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr mit Mitteln der Eingliederungshilfe zu fördern. Den Entwicklungsberichten des Hauses Früchting über den Kläger aus den Jahren 1988, 1991 und 1994 ist zu entnehmen, daß die Leistungsbereitschaft und die Leistungsfähigkeit des Klägers im Laufe der Jahre ständig abgenommen haben. Auf dieser Grundlage ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, daß bei dem Kläger die Aufgabe der ihm gewährten Eingliederungshilfe, ihn am Leben in der Gemeinschaft durch Ausübung einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte teilnehmen zu lassen, nicht mehr dadurch erreicht werden kann, daß er weiterhin in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt ist. Vielmehr reichte es bei dem Kläger aus, wenn er - insoweit vergleichbar mit einem erwerbstätigen Hilfeempfänger - in der Einrichtung weiterhin betreut wird, ohne Arbeiten" zu gehen.
15Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 188 Satz 2, 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.