Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 9 K 1473/00
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
T a t b e s t a n d
2Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der Beklagte gemäß § 89 d SGB VIII vepflichtet ist, die Kosten für die Hilfemaßnahme betreffend die am 0 in Äthiopien geborene b, heute b in der Zeit vom 0 bis 0 zu erstatten.
3Die Hilfeempfängerin reiste am 23. August 1991 ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten über den Flughafen Frankfurt am Main in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurde von Mitarbeitern der Clearingstelle des Jugendamtes der Stadt Frankfurt am Main am 0 im Aufnahmeheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge der Arbeiterwohlfahrt I in Kronberg untergebracht.
4Durch Beschluss des Amtsgerichts Bad Vilbel wurde das Jugendamt der Stadt Frankfurt zum Vormund bestellt. Nachdem die Hilfeempfängerin einen Asylantrag gestellt hatte, wurde sie durch Bescheid der zentralen Aufnahmestelle des Landes Hessen vom 0 der Stadt Frankfurt am Main zugewiesen. Daraufhin stellte die hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge Schwalbach die bis dahin erfolgte Kostenerstattung der monatlichen Heim- und Pflegekosten mit Wirkung vom 0 ein. Ab diesem Zeitpunkt war Kostenträger gegenüber dem Heim das Jugendamt der Stadt Frankfurt.
5Am 15. Oktober 1991 und am 6. Februar 1992 erfolgten umfassende Bestandsaufnahmen unter Befragung der Hilfeempfängerin. Am 20. Dezember 1991 wurde die Hilfeempfängerin in das Jugendwohnheim der Arbeiterwohlfahrt in L verlegt, wo sie seitdem lebte. In einem Entwicklungsbericht des Heimes vom 10. Juni 1992 wird die Hilfeempfängerin als lebensfrohes und durchsetzungsfähiges Mädchen beschrieben, die ihre anfallenden Dienste in der Wohngruppe gewissenhaft und ordentlich erledigt, im Vergleich zu den anderen drei Mädchen der Wohngruppe jedoch noch ein bisschen unselbstständig und nicht so selbstbewusst sei. In einem weiteren Entwicklungsbericht vom 5. März 1993 wird nicht von Entwicklungsverzögerungen berichtet. Probleme bereitet der Hilfeempfängerin danach das Erlernen der deutschen Sprache und damit zusammenhängend ihre berufliche Ausbildung. Als wichtigstes Ziel der Erziehungsplanung wird der Erwerb eines Hauptschulabschlusses beschrieben. In einem weiteren Entwicklungsbericht vom 31. Mai 1993 wird berichtet, dass die Hilfeempfängerin nun alleine in einem Zimmer lebe und nach anfänglichen Problemen damit inzwischen ihren ganz privaten Bereich genieße und sich sehr wohl fühle. Bei der Erfüllung der hausinternen Pflichten (Küchendienst, Tischdienst, Sauberkeit) gebe es keine Probleme. Die Hilfeempfängerin gestalte ihre Freizeit selbstständig und pflege Kontakt zu ihrem Onkel in T und zu einer in G lebenden Cousine. Weiterhin sei wichtigstes Ziel, die Hilfeempfängerin bei der sprachlichen und schulischen Entwicklung zu fördern und an einer realistischen Selbsteinschätzung zu arbeiten.
6Nachdem die Hilfeempfängerin auf Grund einer Änderung der Zuweisungsentscheidung durch den Regierungspräsidenten Darmstadt vom 0 dem Landkreis Wetterau zugewiesen wurde, gab die Klägerin gegenüber der AWO am 0 eine Kostenzusage ab dem 0 ab. Mit Wirkung vom 0 übernahm das Jugendamt der Klägerin sodann die Vormundschaft für die Hilfeempfängerin.
7Im Hinblick auf die am 0 eintretende Volljährigkeit der Hilfeempfängerin beantragte diese am 10. November 1993 die Fortsetzung der Maßnahme über ihre Volljährigkeit hinaus. Hierzu fertigte das Jugendamt der Klägerin einen Vermerk, in dem die Hilfeempfängerin als junge Frau mit eventueller Minderbegabung und Antriebsschwäche geschildert wird, deren Bemühungen um einen Hauptschulabschluss fraglich seien. Der Antrag auf Hilfe wurde zunächst befristet bis Juni 1994 befürwortet. Ebenso befürwortete das Heim die Fortsetzung der Jugendhilfemaßnahme und begründete dies damit, dass es für notwendig erachtet werde, dass die Hilfeempfängerin eine Hilfe zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung erhalte. Die Hilfeempfängerin müsse weiterhin bei ihren Hausaufgaben und dem zusätzlichen Nachhilfeunterricht in Deutsch unterstützt werden. Für die Hilfeempfängerin sei es sehr wichtig, den Hauptschulabschluss zu erhalten und deshalb sei es wichtig, dass sich jemand um die Ausbildung kümmere. Außerdem sei für die Hilfeempfängerin eine konsequente Anleitung im Umgang mit Behörde, auch im Hinblick auf ihr Asylverfahren, von zentraler Bedeutung. Das Protokoll über das Hilfeplangespräch am 17. Dezember 1993 weist unter der Problembeschreibung auf Schul- und Sprachschwierigkeiten hin und hält zur Erreichen des Hauptschulabschlusses die Weitergewährung der Hilfe nach § 41 KJHG zunächst befristet bis Juli 1994 für erforderlich. Daraufhin wurde die Hilfe gemäß § 41 SGB VIII weiter gewährt. Ein entsprechender Bescheid erging unter dem 4. Februar 1994. Im Januar bzw. März 1994 äußerte die Hilfeempfängerin den Wunsch, ihre Ferien nicht mehr mit der Gruppe, sondern eigenständig (mit ihrem Freund) zu verbringen. Am 11. Juli 1994 schloss sie einen Vertrag zur Ausbildung als Hauswirtschafterin ab und zog am 1. November 1994 in eine eigene Wohnung. Im Hilfeplan vom 27. September 1994 wird ausgeführt, dass sich die Deutschkenntnisse der Hilfeempfängerin in den zurückliegenden Monaten und Wochen in erstaunlichem Maße verbessert hätten und die Hilfeempfängerin in allen Belangen ihrer Lebensbewältigung relativ selbstständig sei. Nach dem Umzug in eine eigene Wohnung wurde die Hilfe für junge Volljährige in Form des betreuten Wohnens weiter gewährt. Am 0 heiratete die Hilfeempfängerin, ohne dies dem Kläger jedoch mitzuteilen. Nachdem dieser davon am 21. März 1996 Kenntnis erhielt, stellte er die Jugendhilfe rückwirkend zum 18. Oktober 1995 ein.
8Nachdem das Bundesverwaltungsamt den Beklagten durch Verfügung vom 13. Dezember 1994 zum überörtlichen Träger der Jugendhilfe bestimmt hatte, machte der Kläger gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 15. Dezember 1994 einen Anspruch gemäß § 89 d SGB VIII auf Erstattung der Kosten der Hilfemaßnahme für die Zeit ab dem 1. Dezember 1994 geltend. Mit Schreiben vom 2. Februar 1995 lehnte der Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89 d SGB VIII nicht gegeben sei, da das Asylverfahrensgesetz vorrangig Anwendung finde. Der Kläger hat am 0 Klage erhoben und beantragt sinngemäß,
9den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die für B gemäß § 41 SGB VIII entstandenen Kosten für die Zeit vom 1. Dezember 1994 bis zum 18. Oktober 1995 zu erstatten.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung führt er aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung, da der Hilfeempfängerin nicht innerhalb eines Monats nach Einreise Jugendhilfe gewährt worden sei. Vielmehr seien die Kosten für die Unterbringung von der hessischen Gemeinschaftsunterkunft Schwalbach übernommen worden. Damit seien nicht nur die Zahlungsstrukturen", sondern auch die Entscheidungsstrukturen" verändert worden. Das Jugendamt der Stadt Frankfurt habe weder über eine Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII entschieden, noch eine entsprechende Leistung erbracht.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge (3 Hefte) ergänzend Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zu.
16Als Rechtsgrundlage kommt allein § 89 d SGB VIII in der Fassung des 1. Gesetzes zur Änderung des 8. Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993 (BGBl. I S. 239) in Betracht. Die durch das 2. Gesetz zur Änderung des 11. Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) und anderer Gesetze vom 29. Mai 1998 (BGBl. I S. 1188) in Kraft getretene Neufassung des § 89 d SGB VIII ist für den streitbefangenen Erstattungsanspruch nicht einschlägig. Nach der in Art. 2 Nr. 11 des Änderungsgesetzes enthaltenen Übergangsbestimmung sind Kosten, für deren Erstattung das Bundesverwaltungsamt vor dem 1. Juli 1998 einen erstattungspflichtigen überörtlichen Träger bestimmt hat, nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften zu erstatten. In dem vorliegenden Fall ist die Bestimmung des Beklagten zum erstattungspflichtigen überörtlichen Träger vor dem 1. Juli 1998 erfolgt.
17Gemäß § 89 d SGB VIII in der hier anzuwendenden Fassung setzt der dort geregelte Erstattungsanspruch voraus, dass einem jungen Menschen, der im Inland keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Jugendhilfe gewährt wird und dafür Kosten aufgewendet werden. Im Übrigen muss die Erfüllung der Aufgaben gemäß § 89 f Abs. 1 SGB VIII den Vorschriften des SGB VIII entsprechen. Diese letztgenannte Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die im fraglichen Zeitraum geleistete Hilfe stellt angesichts der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin eine Hilfeleistung an eine junge Volljährige dar, ohne dass die Voraussetzungen der insoweit einschlägigen Vorschrift des § 41 SGB VIII gegeben sind. Gemäß § 41 Abs. 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und so lange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung der Hilfeempfängerin und ihrer Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung sind jedoch nicht feststellbar. Vielmehr ergibt sich aus den Berichten des Heimes und den Hilfeplanprotokollen, dass die Probleme der Hilfeempfängerin mit dem Erlernen der deutschen Sprache und dem Erreichen eines Schulabschlusses bzw. einer Berufsausbildung bei der Befürwortung weiterer Jugendhilfe im Vordergrund standen. In keinem dieser Berichte, Vermerke oder Protokolle wird von Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung berichtet. Soweit die Stellungnahme der betreuenden Stellen vom 10. November 1993 die Fortsetzung der Jugendhilfemaßnahme befürwortet und für notwendig erachtet, dass die Hilfeempfängerin Hilfe zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung und konsequente Anleitung im Umgang mit Behörde erhält, ist diese Befürwortung zur Annahme eines entsprechenden Defizits bei der Hilfeempfängerin nicht ausreichend, weil auch in dieser Stellungnahme nicht von entsprechenden Defiziten und Problemen der Hilfeempfängerin berichtet wird. Vielmehr heißt es in den Berichten, dass die Hilfeempfängerin die ihr übertragenen Aufgaben ordentlich und pflichtbewusst erledigt und sie auch das Wohnen in einem eigenen Zimmer genieße. Auch hat die Hilfeempfängerin selbst durch ihren Anfang 1994 geäußerten Wunsch, nicht mit der Gruppe, sondern allein (mit ihrem Freund) Ferien zu machen, zum Ausdruck gebracht, dass sie sich dazu selbstständig genug fühlte. Hinzu kommt, dass die Hilfeempfängerin über ihre Kontakte im Heim hinaus regelmäßig Kontakt zu einem Onkel in T und einer Cousine in G hatte. Auch diese sozialen Kontakte der Hilfeempfängerin begünstigten in ihrer Gesamtheit einen Übergang in die Selbstständigkeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres.
18Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO.
19
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.