Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 5 K 2886/98
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 24. April 1998 verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 18. Mai 1998 auf Bewilligung einer Beihilfe für den Erwerb eines Kinderfahrrades unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Die am 21. Dezember 1987 geborene Klägerin lebt in Haushaltsgemeinschaft mit ihrer Mutter und ihrem 1991 geborenen Bruder. Im Zeitpunkt des im vorliegenden Verfahren zwischen den Beteiligten streitigen Antrages auf Bewilligung einer Beihilfe für den Erwerb eines Kinderfahrrades lebten die Eltern der Klägerin getrennt.
3Die Klägerin, ihre Mutter und ihr Bruder erhielten vom Beklagten seit 1995 Hilfe zum Lebensunterhalt. Bei der Berechnung der Leistungen an die Klägerin berücksichtigte das Sozialamt des Beklagten in der Zeit von Mai 1998 bis August 1998 Einkommen der Klägerin in Höhe von 314,04 DM, das sich aus Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 167 DM und aus Unterhaltszahlungen ihres Vaters in Höhe von 147,04 DM zusammensetzte.
4Die Klägerin beantragte am 18. Mai 1998 bei dem Sozialamt des Beklagten, ihr eine Beihilfe für ein Kinderfahrrad zu bewilligen.
5Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 4. Juni 1998 mit der Begründung ab, dass die Anschaffung eines Kinderfahrrades nicht zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes gehöre.
6Den Widerspruch der Klägerin wies die Landrätin des Kreises Steinfurt durch Widerspruchsbescheid vom 24. August 1998 zurück, und zwar im Wesentlichen mit folgender Begründung: Ein Kinderfahrrad diene in der Regel vorwiegend als Kinderspielzeug; dieser Bedarf müsse durch die laufenden Leistungen in Höhe der Regelsätze gedeckt werden; es sei der Klägerin zuzumuten, für größere Anschaffungen, wie etwa den Erwerb eines gebrauchten Kinderfahrrades, Geldbeträge aus den laufenden Leistungen anzusparen; für die Fahrt zur Schule benötige die Klägerin ein Fahrrad ebenfalls nicht, weil nach der Schülerfahrtkostenverordnung Schülern der Primarstufe zuzumuten sei, einen Schulweg von bis zu 2 km einfacher Entfernung und Schülern der Sekundarstufe I bis zu 3,5 km Entfernung zu Fuß zurückzulegen; dies sei auch der Klägerin zuzumuten.
7Die Klägerin hat am 25. September 1998 Klage erhoben und vorgetragen, dass sie das Fahrrad benötige, um zur Schule und zum Sport zu fahren und mit Freundinnen die Freizeit zu verbringen. Es müsse in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass ein Fahrrad heute zum selbstverständlichen Gebrauchsgegenstand von Kindern geworden sei.
8Die Klägerin beantragt sinngemäß,
9den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 24. August 1998 zu verpflichten, ihr eine Beihilfe für die Anschaffung eines Kinderfahrrades in angemessener Höhe zu gewähren.
10Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
11Der Beklagte ist der Ansicht und legt näher dar, dass für die Klägerin ein Fahrrad nicht erforderlich sei; auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Kinder im Alter von über 10 Jahren häufig mit Fahrrädern ausgestattet seien, stelle ein Fahrrad für die Klägerin kein Grundbedürfnis des menschlichen Lebens dar, ohne dessen Befriedigung sie unter das Existenzminimum abzusinken drohe; ein Kind könne regelmäßig auch ohne eigenes Fahrrad eine normale Entwicklung nehmen und ein menschenwürdiges Leben führen.
12Die Klägerin hat am 20. Mai 1999 ein Damenfahrrad - 24 Zoll, 36 cm - zum Preis von 565 DM erworben und mitgeteilt, dass sie das Geld von ihrer Großmutter als zinsloses Darlehen zur Verfügung gestellt bekommen und inzwischen zurückgezahlt habe.
13Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden entschieden wird.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
16Mit Einverständnis der Beteiligten wird über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter entschieden (§ 101 Abs. 2, § 87 a Abs. 2 VwGO).
17Die Klage hat nur insoweit Erfolg, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und der Beklagte zur erneuten Bescheidung des Antrages der Klägerin verpflichtet wird. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass ihr eine Beihilfe für den Erwerb eines Kindesfahrrades bewilligt wird. Über die Höhe der Beihilfe ist vom Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
18Der Klägerin stand in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 24. August 1998 ein Anspruch auf Bewilligung einer Beihilfe für den Erwerb eines Kinderfahrrades zu.
19Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, kann der Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Sozialhilfe den Hilfefall geregelt hat. Das ist regelmäßig der Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung, also bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides (BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, BVerwGE 99, 149 = FEVS 46, 221 = NJW 1996, 2588 = NDV-RD 1996, 46 = DVBl 1996, 305), und gilt grundsätzlich auch für einmalige Leistungen (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 - 5 C 15.90 -, BVerwGE 91, 254 = FEVS 43, 221 = NDV 1993, 284 = ZfSH/SGB 1993, 481). Dieser zeitliche Rahmen gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung durch die Zeit bis zum Erlass des letzten Behördenbescheides begrenzt ist, besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann, wenn die Behörde den Hilfefall statt für den dem Bescheid nächstliegenden Zeitraum für einen längeren Zeitraum geregelt hat (BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, a. a. O.). Ebenso wie sich eine Bewilligung von Leistungen über einen längeren Zeitraum über den Erlass des Widerspruchsbescheides hinaus erstrecken kann, kann auch die Ablehnung einer solchen Bewilligung einen längeren Zeitabschnitt erfassen. Der die Bewilligung oder Ablehnung betreffende Regelungszeitraum braucht nicht ausdrücklich benannt zu sein, sondern kann sich aus dem maßgeblichen Bescheid auch durch Auslegung ergeben (BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, a. a. O.).
20Hieran anknüpfend ergibt sich durch Auslegung des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 24. August 1998, dass über die Verpflichtung der Behörde zur Bewilligung einer Beihilfe für den Erwerb eines Kinderfahrrades im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides entschieden werden sollte. Zwar wird in dem Widerspruchsbescheid ausdrücklich kein Regelungszeitraum genannt. Der Begründung des Widerspruchsbescheides lässt sich jedoch aus der insoweit maßgeblichen Sicht der Klägerin entnehmen - für die Auslegung von Willenserklärungen der Verwaltung ist gemäß der auch im öffentlichen Recht geltenden Regel des § 133 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen kann (BVerwG, Urteil vom 26. April 1968 - VI C 113.67 -, BVerwGE 29, 310, 312; Beschluss vom 27. Februar 1981 - 6 B 19.81 -, DÖV 1981, 635) -, dass keine Entscheidung über den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hinaus getroffen werden sollte, weil die Landrätin des Kreises Steinfurt auf Seite 3 unten des Widerspruchsbescheides auf den gegenwärtigen Schulweg der Klägerin abstellt und u. a. diesen Gesichtspunkt anführt, um die beantragte Beihilfe abzulehnen.
21Da es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 24. August 1998 ankommt, ist es rechtlich unerheblich, dass die Klägerin ihren Bedarf während des Klageverfahrens durch den Erwerb eines Fahrrades im Mai 1999 mit Hilfe von geliehenem Geld ihrer Großmutter gedeckt hat. Der Gesichtspunkt der vorzeitigen Bedarfsdeckung durch den Hilfeempfänger ist nur dann bedeutsam, wenn diese Bedarfsdeckung vor dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt ist (vgl. dazu die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 1992 - 5 C 12.87 -, BVerwGE 90, 154 = FEVS 43, 59, vom 23. Juni 1994 - 5 C 26.92 -, BVerwGE 96, 152 = FEVS 45, 138 sowie vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, a. a. O.; weitere Nachweise bei Rothkegel, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, 1. Auflage 2000, S. 70 ff.).
22Der Klägerin stand im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 24. August 1998 ein Anspruch auf Bewilligung einer Beihilfe für den Erwerb eines Kinderfahrrades zu. Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Soweit minderjährige unverheiratete Kinder, die dem Haushalt eines Elternteiles angehören, den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht beschaffen können, sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG auch das Einkommen und das Vermögen des Elternteiles zu berücksichtigen. Weder die Klägerin noch ihre Mutter verfügten im maßgeblichen Zeitpunkt über ausreichendes Einkommen und Vermögen, um ein Kinderfahrrad zu erwerben, denn beide erhielten vom Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Entgegen der Ansicht des Beklagten gehört der Bedarf, der durch den Erwerb eines Kinderfahrrades gedeckt wird, zum notwendigen Lebensunterhalt der Klägerin.
23Der notwendige Lebensunterhalt umfasst gemäß § 12 Abs. 1 BSHG besonders persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört es auch, ein Kinderfahrrad zu benutzen, und zwar unabhängig davon, ob das Fahrrad als Spielzeug, als Sportgerät oder als Transportmittel eingesetzt wird (BVerwG, Urteil vom 5. November 1992 - 5 C 19.92 - und Urteil vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, BVerwGE 106, 99 = FEVS 48, 337 = NJW 1998, 1963 = NDV RD 1998, 72 = ZfSH/SGB 1998, 425 = info also 1998, 77).
24Der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf, ein Kinderfahrrad zu nutzen, wird entgegen der Ansicht der Landrätin des Kreises Steinfurt in ihrem Widerspruchsbescheid vom 24. August 1998 nicht dadurch gedeckt, dass der Klägerin durch den Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt worden ist. Seit dem Inkrafttreten von § 21 Abs. 1 a und 1 b BSHG durch Artikel 7 Nr. 6 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993, BGBl. 1 S. 944 am 27. Juni 1993 ist als Regelbedarf der ohne Besonderheiten des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehende, nicht nur einmalige Bedarf aus den in § 1 Abs. 1 der Regelsatzverordnung genannten Bedarfsgruppen und -posten, für den nicht nach § 21 Abs. 1 a BSHG einmalige Leistungen zu gewähren sind, anzusehen (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, a. a. O.). Für den hier geltend gemachten Bedarf sind einmalige Leistungen nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG zu bewilligen. Nach dieser Vorschrift werden einmalige Leistungen zur Beschaffung von Gebrauchsgütern von längerer Gebrauchsdauer und von höherem Anschaffungswert gewährt. Dazu zählt, wie sich den in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 - a. a. O. aufgeführten Beispielen entnehmen lässt, auch ein Fahrrad. Dies gilt für Kinder unter Berücksichtigung der Regelung in § 12 Abs. 2 BSHG, dass bei Kindern und Jugendlichen der notwendige Lebensunterhalt auch den besonderen, vor allem den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf umfasst.
25Entgegen der vom Beklagten in Kenntnis der Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, a. a. O. vertretenen Ansicht gehört die Benutzung eines Kinderfahrrades bei der Klägerin in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 24. August 1998 zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Fahrrad zur Erfüllung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich ist, muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens ihrem Wesen nach solche aus freier, selbstbestimmter und -gestalteter, eben persönlicher" Lebensführung sind (so schon BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1997 - 5 C 34.95 -, BVerwGE 105, 281 = FEVS 48, 193 = NJW 1999, 738 = NDV-RD 1998, 31 = ZfSH/SGB 1998, 212 = info also 1998, 24; so auch Urteil vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, a. a. O.). Das schließt es aus, einen konkreten Bedarf aus dieser Bedarfsgruppe als für alle Hilfeempfänger maßgeblich oder unmaßgeblich festzulegen. Da zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens, ungeachtet ihrer individuellen Ausgestaltung, nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt gehören und das Radfahren dem Einzelnen ermöglicht, seine Umwelt zu erfahren, kann Fahrrad fahren und damit gegenständlich ein Fahrrad ein persönliches Bedürfnis des täglichen Lebens sein. Allerdings sind Beziehungen zur Umwelt nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG nur in vertretbarem Umfange als sozialhilferechtlicher Bedarf anerkannt. Bereits aus der Wortbedeutung in vertretbarem Umfange" ergibt sich, dass damit nicht die Art und Weise der Beziehungen zur Umwelt angesprochen ist. Vielmehr steht es jedem Sozialhilfeempfänger frei, in welcher Art und Weise er seine Beziehungen zur Umwelt und damit seine Teilnahme an der Gesellschaft gestaltet. Mit dem Tatbestandsmerkmal in vertretbarem Umfange" ist das Ausmaß der sozialhilferechtlich beachtlichen Beziehungen zur Umwelt und zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht nach Häufigkeit oder zeitlicher Dauer eingegrenzt, sondern nur nach finanziellem Aufwand (so schon BVerwG, Urteil vom 13. September 1985 - 5 C 113.83 -, BVerwGE 72, 112 = FEVS 35, 17 = NDV 1986, 108; bestätigt durch das Urteil vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, a. a. O.). Daraus folgt, dass es dem Sozialhilfeträger verwehrt ist, die vom Hilfeempfänger gewählte Art und Weise der Beziehungen zur Umwelt daraufhin zu überprüfen, ob sie sinnvoll oder zweckmäßig ist. Vielmehr steht dem Sozialhilfeträger nur eine Entscheidung über den vertretbaren Umfang, also in Bezug auf den vertretbaren finanziellen Aufwand, zu. Dieser Rahmen kann im Einzelfall bereits durch vorangegangene gleichgerichtete einmalige Leistungen eingeschränkt sein. Abgesehen von diesen Einschränkungen liegt die Wahl des Bedarfsdeckungsgegenstandes grundsätzlich in der Entscheidung des Hilfebedürftigen. Es ist sozialhilferechtlich nicht gerechtfertigt, ihm den Bedarfsdeckungsgegenstand vorzuschreiben oder ihn auf den einen oder anderen Bedarfsdeckungsgegenstand zu begrenzen. Begrenzungen ergeben sich nur aus der Höhe der erforderlichen Aufwendungen. Mithin muss es jedem Hilfeempfänger bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen ermöglicht werden, durch die Benutzung eines Fahrrades Beziehungen zur Umwelt aufzubauen und aufrechtzuerhalten (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, a. a. O.).
26Hieran anknüpfend ist der Beklagte verpflichtet, der Klägerin durch die Bewilligung einmaliger Leistungen das Benutzen eines Fahrrades zu ermöglichen, weil die Klägerin seit der erstmaligen Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt im Jahre 1995 noch keine Beihilfe erhalten hat, um diesen Bedarf an persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens zu decken.
27Damit steht aber noch nicht fest, in welcher Art und in welchem Umfang die Hilfe zu gewähren ist. Vielmehr ist nach § 4 Abs. 2 BSHG über die Form und das Maß der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, soweit nicht dieses Gesetz - was im vorliegenden Fall nicht gegeben ist - das Ermessen ausschließt. In das dem Träger der Sozialhilfe hierdurch eingeräumte Ermessen fällt es u. a., zu entscheiden, ob eine Leistung in Form von Geld oder als Sachleistung gewährt wird und ob neuwertige oder gebrauchte Gegenstände vom Hilfeempfänger genutzt werden können. Die gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptverfahren ist dabei auf die Nachprüfung beschränkt, ob der Behörde ein Ermessensfehler unterlaufen ist. Der gerichtlichen Nachprüfung im Hauptverfahren unterliegt damit nur, ob die Behörde ihr Ermessen pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Zweck des § 4 Abs. 2 BSHG, ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens eingehalten hat (vgl. § 114 VwGO). Auf Grund seiner Bindung an den gesetzlichen Zweck der Ermächtigung zum Ermessensgebrauch muss der Träger der Sozialhilfe bei seiner Entscheidung, in welcher Form er die einmalige Beihilfe im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, alle geschriebenen und ungeschriebenen Grundsätze beachten, die sich aus dem Bundessozialhilfegesetz, dem Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - und gegebenenfalls aus dem Verfassungsrecht ergeben. Dazu gehört vor allem die Beachtung von § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG, wonach es Aufgabe der Sozialhilfe ist, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Hierunter fällt auch, dass dem erwachsenen Menschen die Möglichkeit gelassen wird, im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehenden Mittel seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten. Die Achtung der Menschenwürde gebietet es aber nicht, es dem Hilfeempfänger im Rahmen der einmaligen Beihilfen zum Lebensunterhalt durch Bewilligung einer Geldleistung für einen bestimmten Bedarf freizustellen, wie er diesen Bedarf decken will. Vielmehr darf der Hilfeempfänger auf eine für ihn zumutbare Sachleistung verwiesen werden, die auch in der Zurverfügungstellung von gebrauchten Gegenständen bestehen kann (BVerwG, Urteil vom 14. März 1991 - 5 C 70.86 -, FEVS 41, 397 = info also 1991, 154). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner neuen Rechtsprechung für rechtlich zulässig gehalten, den Hilfeempfänger auf die Benutzung gebrauchter Bedarfsdeckungsgegenstände zu verweisen (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1997 - 5 C 7.95 -, a. a. O.; Urteil vom 1. Oktober 1998 - 5 C 19.97 -, BVerwGE 107, 234 = FEVS 49, 49).
28Wenn es - wie vorliegend - darum geht, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens zu decken, bei denen es um die Beziehungen zur Umwelt geht, hat die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung auch zu berücksichtigen, dass diese Bedürfnisse gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG nur in vertretbarem Umfange zu decken sind. Bei der Auslegung dieser Vorschrift kann deshalb, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13. September 1985 - 5 C 113.83 -, a. a. O. zutreffend hervorgehoben hat, nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Maß dessen, was der Einzelne von der Gemeinschaft vernünftigerweise verlangen kann, durch die Finanzierbarkeit der in Anspruch genommenen Leistungen bestimmt wird.
29Allerdings engen sich die Entscheidungsmöglichkeiten ein, wenn der Sozialhilfeträger - wie hier - eine Hilfe ablehnt, denn wenn der Hilfebedürftige nach Ablehnung sich selbst Hilfe sucht, muss seine Hilfewahl, vorausgesetzt, sie hält sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, der Hilfeentscheidung der Behörde zugrundegelegt werden (BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2000 - 5 C 43.99 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts und in der Fachpresse bestimmt -).
30Bezogen auf den streitgegenständlichen Fall bedeutet dies, dass der Beklagte die Hilfe nicht mehr dadurch erbringen kann, dass er der Klägerin ein Fahrrad zur Nutzung überlässt. Vielmehr muss der Beklagte berücksichtigen, dass sich die Klägerin während des Klageverfahrens im Mai 1999 selbst ein Fahrrad mit geliehenem Geld ihrer Großmutter beschafft hat. Zwar wirkt eine bedarfsdeckende Hilfe Dritter anspruchsvernichtend, wenn der Dritte die Hilfe endgültig, d. h. als verlorenen Zuschuß" (z. B. durch Schenkung) leistet (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 5 C 26.92 -, a. a. O. und Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, a. a. O.). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor, wenn die Großmutter der Klägerin das Geld nur leihweise zur Verfügung gestellt hat, wie sich aus ihrer schriftlichen Erklärung vom 1. November 2000 ergibt.
31Da die Klägerin in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides einen Anspruch auf die von ihr begehrte Leistung hatte, war ihr auch nicht mehr zuzumuten, den Ausgang des Rechtsstreites abzuwarten (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, a. a. O. und Urteil vom 20. Juli 2000 - 5 C 43.99 -). Deshalb ist der Beklagte bei seiner Entscheidung im Rahmen des § 4 Abs. 2 BSHG auf die Form der Geldleistung festgelegt. Er darf allerdings bei der Festsetzung der Höhe der Geldleistung berücksichtigen, dass die Klägerin in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides auf den Erwerb eines gebrauchten Fahrrades hätte verwiesen werden dürfen.
32Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dem Beklagten sind die Kosten des Verfahrens im vollen Umfang auferlegt worden, weil die Klägerin nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Sie muss lediglich Abstriche bei der Höhe der ihr dem Grunde nach zustehenden Geldleistung hinnehmen.
33Die Kostenentscheidung ist gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.
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