Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 5 K 1143/02.A
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. April 2002 wird insoweit aufgehoben, als das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG hinsichtlich des Iran verneint und dem Kläger die Abschiebung in den Iran angedroht wird.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich des Iran vorliegt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 15. November 1969 (24. Aban 1348 iranischer Zeitrechnung) geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit. Im Iran lebte er in Teheran und später in Karadj. Am 3. März 1995 (12. Esfand 1373) reiste er nach seinem Vorbringen auf dem Luftweg mit Direktflug Teheran (Flughafen Mehrabad) nach Frankfurt mit Besuchsvisum in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte unter dem 31. Mai 1995 (10. Khordad 1374) einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung seines Asylantrages gab er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) im Wesentlichen an, dass er mit einem eigenen kleinen Sender regimefeindliche Berichte gesendet habe und deswegen in seinem Heimatland verfolgt werde. Mit Bescheid vom 14. Februar 1996 erkannte das Bundesamt den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Hiergegen hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten am 5. März 1995 Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, der Kläger habe eine politische Verfolgung in seinem Heimatland nicht glaubhaft gemacht. Auf diese Klage wurde der anerkennende Bescheid durch Urteil des erkennenden Gerichts vom 8. Januar 2002 aufgehoben. Mit Bescheid vom 12. April 2002 hat das Bundesamt festgestellt, dass bei dem Kläger keine Abschiebungshindernisse vorliegen. Zugleich wurde er zur Ausreise aufgefordert und ihm für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung in den Iran angedroht.
3Daraufhin hat der Kläger am 18. April 2002 - rechtzeitig - die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung hat er sich auf seine auslandspolitischen Aktivitäten berufen sowie darauf, dass er homosexuell veranlagt sei und seit dem 18. April 2002 mit seinem Lebensgefährten, mit welchem er auch zusammenlebe, eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet habe.
4Der Kläger beantragt,
5die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12.4.2002 zu verpflichten, festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG vorliegen.
6Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Zur Begründung beruft sie sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Bundesamtes.
9Das Gericht hat dem Kläger in den mündlichen Verhandlungen vom 25. März 2003 und - nach entsprechender Vertagung - vom 22. Juli 2003 Gelegenheit gegeben, zu seinem Begehren Stellung zu nehmen; wegen der weiteren Einzelheiten insoweit wird auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zum vorliegenden Verfahren und zum Verfahren betreffend die Klage des Bundesbeauftragten gegen die Anerkennung als Asylberechtigter - 5 K 896/96.A - sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Heft 1) und ferner auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten, in der Erkenntnisliste Iran" zusammengefassten Gutachten und Erkenntnisse Bezug genommen.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
12Der gestellte Klageantrag war entsprechend dem Vortrag des Klägers klarstellend dahin auszulegen, dass die Aufhebung des angegriffenen Bescheides und die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich des Iran begehrt wird; die so verstandene Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seinem Fall Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich des Iran vorliegen.
13Im Falle des Klägers liegen jedenfalls Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 2. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686) - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Abschnitt I Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
14Diese Voraussetzungen sieht das Gericht im vorliegenden Falle als gegeben an. Es sind konkrete Anhaltspunkte für die Annahme gegeben, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung in den Iran dort unmenschliche und/oder erniedrigende Strafe besorgen müsste.
15Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, dass er homosexuell veranlagt ist und sich dieser Veranlagung entsprechend auch betätigt hat und noch betätigt. Das Gericht geht auf Grund seines stimmigen, nachvollziehbaren und insgesamt überzeugenden Vorbringens des Klägers hierzu, der bei seiner Befragung insoweit auf das Gericht auch persönlich einen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat, davon aus, dass es sich dabei auch um eine unumkehrbare Prägung im Sinne einer unentrinnbaren schicksalhaften Festlegung seines sexuellen Verhaltens handelt, die sein Gefühls- und Sexualleben dauerhaft bestimmt
16- vgl. hierzu auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278/86 -, BVerwGE 79, 143 f - .
17Bestätigt wird diese Würdigung dadurch, dass der Kläger mittlerweile mit seinem Lebensgefährten eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet hat.
18Es ist im Fall des Klägers auch davon auszugehen, dass seine seiner Veranlagung entsprechende homosexuelle Betätigung den iranischen Behörden bei einer Rückkehr in sein Heimatland auf Dauer nicht verborgen bleibt. Der Kläger hat hierzu glaubhaft dargelegt, dass er insoweit sich nicht einmal auf den Schutz und die Solidarität der eigenen Familie verlassen kann; vielmehr besteht Grund zu der Annahme, dass er befürchten muss, von Mitgliedern seiner Familie bei den Behörden angezeigt zu werden. Da homosexuelles Verhalten mit den islamischen Ordnungs- und Moralvorstellungen schlechthin unvereinbar ist und nach den vorliegenden Erkenntnissen nach islamischen Verständnis für jedermann das religiöse Gebot besteht, einen anderen, der gegen eine religiöse Pflicht verstößt, daran zu hindern, ist die Befürchtung ernst zu nehmen, dass ein so eklatant gegen islamische Moral und islamisches Recht verstoßendes Verhalten wie homosexuelle Betätigung früher oder später bekannt und - gegebenenfalls auch unter Hintanstellung des familiären Zusammengehörigkeitsgefühles - den Behörden zu Kenntnis gebracht wird.
19Vgl. hierzu auch Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht vom 13. November 1985 an den Hess. Verwaltungsgerichtshof.
20Diese Befürchtung besteht erst recht, weil davon auszugehen ist, dass sich der Kläger angesichts seiner Festlegung insoweit auch nach einer etwaigen Rückkehr in den Iran früher oder später wieder in einer seiner Veranlagung entsprechenden Weise homosexuell betätigen würde. Dies würde dann aber aller Voraussicht nach auch früher oder später eine entsprechende Bestrafung nach sich ziehen. Das gilt umso mehr, als speziell mit Blick auf homosexuelle Betätigung die traditionellen islamischen Beweisregelungen im Sinne einer erleichterten Beweisführung ergänzt worden sind.
21Vgl. BVerwG, a. a. O.
22Die dann drohenden Strafen - Auspeitschung, wenn nicht sogar Todesstrafe - stellen eine erniedrigende und unmenschliche Strafe im Sinne von Art. 3 EMRK dar. Eine Abschiebung in den Iran kommt deshalb gemäß § 53 Abs. 4 AuslG nicht in Betracht.
23Mit Blick auf das Vorliegen dieses Abschiebungshindernisses im Sinne des § 53 Abs. 4 AuslG ist die Abschiebungsandrohung in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes rechtswidrig und deshalb aufzuheben, soweit dem Kläger darin die Abschiebung in den Iran angedroht worden ist.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.
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