Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1526/02
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Am 14. Juli 1992 beschloss der Gemeinderat der Klägerin u. a., zum Schuljahr 1993/94 die Johann-Conrad-Schlaun-Schule als Gesamtschule zu errichten. Die Schule werde in der Sekundarstufe I vierzügig und in der Sekundarstufe II zweizügig geführt. Sie solle in der Ganztagsform betrieben werden. Am 15. Dezember 1992 beschloss der Rat auf der Grundlage eines Entwurfs der "Projektgruppe Bildung und Region", Bonn, seinen Schulentwicklungsplan. Er sah im Hinblick auf die Gesamtschule eine Einpendlerquote aus umliegenden Städten und Gemeinden für die Schuljahre 1993/94 bis 1997/98 im Mittel von 38 Schülerinnen und Schülern (Variante B; 33,9 % der aufzunehmenden Kinder) bis 50 Schülerinnen und Schüler (Variante A; 44,6 % der aufzunehmenden Kinder) vor. Gleichzeitig prognostizierte die Klägerin ein Einpendlerpotenzial von 97 Schülerinnen und Schüler (Variante A) bis 161 Schülerinnen und Schüler (Variante B). Die Gemeinden Ascheberg, Senden sowie die Städte Lüdinghausen und Olfen erhoben gegen die Planung Bedenken. Im Einvernehmen mit dem Innen- und dem Finanzministerien NRW genehmigte das Kultusministerium NRW (jetzt: Ministerium für Schule, Jugend und Kinder NRW) den Errichtungsbeschluss.
3In der näheren Umgebung von Nordkirchen betreibt ausschließlich die Stadt Olfen eine (weitere) Gesamtschule. In den sonstigen Nachbargemeinden von Nordkirchen werden von diesen Gemeinden oder sonstigen Schulträgern keine Gesamtschulen, sondern im Bereich der Sekundarstufen allein Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien angeboten.
4Die Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule wird von Schülerinnen und Schülern aus Nordkirchen und deren Nachbargemeinden besucht. In die Klassen 5 werden jeweils 30 Kinder aufgenommen. In den ersten Jahren des Betriebs der Gesamtschule wählten ca. 50 - 55 % der Schülerinnen und Schüler aus Nordkirchen, die zur Gesamtschule zugelassen wurden, für den Besuch der Sekundarstufen die Gesamtschule der Klägerin. Etwa ab dem Schuljahr 2000/2001 stieg die Nachfragequote Nordkirchener Kinder erheblich an.
5Im Herbst 2000 kündigte der Schulleiter der Gesamtschule gegenüber der Klägerin an, dass er beabsichtige, für das Schuljahr 2001/2002 aus Kapazitätsgründen erstmals die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern abzulehnen, die ihren Wohnsitz in Nordkirchen hätten. Gleichzeitig beabsichtigte er, Kinder aus den Nachbargemeinden und -städten in die Gesamtschule aufnehmen. Der Schulleiter wendete im Rahmen des Auswahlverfahrens als Kriterien an:
6- Bildung von - zwei - Leistungsgruppen,
7- bevorzugte Aufnahme von Schülerinnen und Schülern aus Nordkirchen,
8- bevorzugte Aufnahme von Geschwisterkindern,
9- ausgewogenes Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen,
10- Losverfahren,
11- Berücksichtigung von Härtefällen (max. 10 % der Plätze).
12Am 22. März 2001 beschloss der Gemeinderat der Klägerin:
13"Als Trägerin der Johann-Conrad-Schlaun-Schule legt die Gemeinde Nordkirchen für die alljährlichen Aufnahmeverfahren gemäß § 5 Abs. 2 ASchO i. V. m. § 20 Abs. 4 Satz 2 SchVG folgendes allgemeine Aufnahmekriterium fest:
14'Aufnahmeanspruch im Rahmen des Elternwahlrechts von einheimischen Kindern (Hauptwohnsitz in der Gemeinde Nordkirchen) gegenüber Kindern aus Nachbargemeinden ohne eigene Gesamtschule bis zur Ausschöpfung einer Kapazitätsgrenze von 75 % der Gesamtzahl der in die Jahrgangsstufe 5 aufzunehmenden Kinder; vorrangig vor sonstigen Aufnahmekriterien.'
15Gleiches gilt für die Aufnahme von Seiteneinsteigern (Zuzüge von Kindern in die Gemeinde Nordkirchen) in spätere Jahrgangsstufen."
16Auf die kommunalaufsichtliche Weisung des Beklagten vom 13. November 2001 beanstandete der Bürgermeister der Klägerin schriftlich unter Beifügung einer Ablichtung der Weisung des Beklagten den Ratsbeschluss. Der Gemeinderat lehnte es am 21. März 2002 ab, seinen Beschluss vom 22. März 2001 aufzuheben.
17Mit der - angefochtenen - Verfügung vom 25. April 2002 hob der Beklagte den Beschluss des Rates der Klägerin vom 22. März 2001 auf. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, die Voraussetzungen für sein aufsichtsbehördliches Einschreiten aus §§ 59 Abs. 1 KreisO NRW, 119 Abs. 1, 54 Abs. 2 GemO NRW seien gegeben. Der Ratsbeschluss verstoße gegen § 28 Abs. 2 SchVG und § 5 Abs. 2 ASchO. Im Rahmen der Verantwortlichkeit des Schulträgers für äußere Schulangelegenheiten sei maßgebliches Kriterium insbes. die sachgerechte und wirtschaftliche Nutzung der Sachmittel. Ein darüber hinaus gehendes Recht des Schulträgers zur Einflussnahme auf die Auswahlentscheidung bestehe nicht. Er, der Beklagte, sei nach dem betätigten Ratsbeschluss gehalten, von dem ihm zustehenden Ermessen Gebrauch zu machen. Die Beachtung der Rechtsordnung sei höher zu bewerten als das Interesse des Schulträgers, den einheimischen Kindern einen Aufnahmevorrang einzuräumen.
18Entgegen der von ihm im Herbst 2000 geäußerten Erwartung nahm der Schulleiter der Gesamtschule bis heute jedes in Nordkirchen wohnende Kind in die Schule auf, das letztendlich aufgenommen werden wollte.
19Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben.
20Sie trägt vor,
21durch §§ 26 SchVG NRW, 5 Abs. 2 ASchO werde die Selbstverwaltungsaufgabe des Schulträgers einerseits derart konkretisiert, dass er für die Aufnahmeentscheidung den allgemeinen Rahmen festlege. Andererseits werde ihr Selbstverwaltungsrecht durch die auch in § 28 Abs. 2 SchVG NRW zum Ausdruck kommenden Rechte der Kinder auf Erziehung und Bildung sowie die Elternrechte, insbes. das Recht, bis zur Grenze der Kapazität die Schulform frei zu wählen, beschränkt. Der Ratsbeschluss aus März 2001 bewege sich innerhalb dieses Rahmens.
22Der Entscheidungsrahmen im Sinne des § 5 Abs. 2 ASchO gehe über die Festlegung der Zügigkeit einer Schule sowie die Bildung von Schulbezirken und Schuleinzugsbereichen hinaus. Ein sachbezogenes Auswahlkriterium sei der Wohnsitz. § 9 Abs. 1 S. 2 SchVG NRW stehe nicht entgegen. Selbst wenn nach § 9 SchVG NRW die Festlegung eines Schuleinzugsbereichs für das (gesamte) Gemeindegebiet möglich sei, sei der aus der weiten Formulierung "allgemeiner Rahmen" folgende Regelungsbereich des § 5 Abs. 2 ASchO nicht ausgeschöpft.
23Das Kriterium "Wohnsitz" wirke sich positiv auf die Schulweglänge und -zeit sowie auf die Einbindung der Ganztagsschule in das Gemeindeleben aus. Eine Gemeinde richte eine Schule naturgemäß im Interesse ihrer Einwohner ein. Die Klägerin sei immer davon ausgegangen, dass alle Viertklässler aus Nordkirchen einen Anspruch auf Aufnahme in ihre Gesamtschule hätten. Dies sei auch vor dem Errichtungsbeschluss in den Beratungen und Gesprächen zum Ausdruck gekommen.
24§ 28 Abs. 2 SchVG NRW begründe keinen Rechtsanspruch eines auswärtigen Kindes auf Schulaufnahme; die Zulassungsentscheidung erfolge weiterhin auf Grund von Ermessen. § 28 Abs. 2 SchVG NRW verbiete nur, einem Kind a l l e i n wegen des auswärtigen Wohnsitzes die Schulaufnahme zu versagen. Die Ablehnung eines auswärtigen Kindes erfolge nicht allein wegen des auswärtigen Wohnsitzes, sondern weil die Kapazitätsgrenze infolge der Aufnahme von Schülern erreicht sei. Bei zwei gleich qualifizierten Kindern, von denen eines der Klägerin angehöre und das andere einen auswärtigen Wohnsitz habe, stelle der Wohnsitz ein sachliches Kriterium dar. Der Rat habe die gegenläufigen Interessen rechtsfehlerfrei abgewogen. Seine Entscheidung führe infolge der festgelegten Quote nicht zu einer generellen Ablehnung auswärtiger Schülerinnen und Schüler, so dass sie im Rahmen der Ermessensabwägung die verfassungsrechtlichen Rechte dieser Kinder auf Schulformenwahl und die Anforderungen des Gleichheitssatzes wahre. Wenn am Wohnsitz des auswärtigen Kindes keine entsprechende Wahlschule vorhanden sei, sei im Einzelfall zu prüfen, ob dem Kind eine andere Schulformenwahl zuzumuten ist, weil die Unterschiede zwischen der gewünschten und der angebotenen Schulform unerheblich seien. Da in Olfen eine Gesamtschule und in den anderen Nachbargemeinden Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien beständen, könne einem auswärtigen Kind grundsätzlich zugemutet werden, die in seiner Gemeinde angebotene Schulform zu besuchen. Der Bildungsanspruch der Kinder sei durch das Bildungsziel und nicht durch die Organisation der Schulform bestimmt. Nach § 4 d Abs. 1 und 3 SchVG NRW seien die Bildungsziele von Gesamtschule einerseits und Hauptschule, Realschule sowie Gymnasien andererseits identisch. An Hauptschule, Realschule sowie Gymnasien könne - wie an einer Gesamtschule - auf der Basis der selben "schulformübergreifenden" Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der Abschluss der Sekundarstufen I und II erreicht werden.
25Die 75 %-Quote sei keine starre Mindestgrenze, sondern ein allgemeiner Richtwert, der über- oder im Einzelfall auch unterschritten werden könne.
26Die Klägerin beantragt,
27die Verfügung des Beklagten vom 25. April 2002 aufzuheben.
28Der Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Er trägt vor,
31gegen die Rechtsauffassung der Klägerin spreche der eindeutige Wortlaut des § 28 Abs. 2 SchVG NRW und die herrschende Meinung zum Gesetzeszweck. Aufgabe eines Schulträgers sei nach § 2 SchVG NRW nur die Bestimmung der äußeren Organisation einer Schule. Die innere Schulverfassung sei seiner Gestaltung entzogen. Im Bereich der inneren Schulangelegenheiten sei allein der Schulleiter zuständig (§§ 5 ASchO, 18 Abs. 6 ADO).
32Nur wenn die Auswahl mehrere Schulen der selben Schulform betreffe, sei es vertretbar, dem Schulträger weiter gehende Befugnisse zuzusprechen. Die Gesamtschule sei nach dem Willen des Gesetzgebers aber eine eigenständige Schulform. Dass die integrierte Gesamtschule zu allen Abschlüssen der Sekundarstufe I (und II) führe, stehe nicht entgegen. Für jede Schulform gebe es einen eigenen schulischen Werdegang mit unterschiedlicher Gestaltung des Unterrichts. Die Unterschiede folgten auch aus der Ausbildungs- und Prüfungsordnung. Auf der integrierten Gesamtschule werde die Entscheidung über den erreichbaren Abschluss besonders lange offen gehalten.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Klägerin (2 Ordner) und des Beklagten (1 Heft) ergänzend Bezug genommen.
34E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35I. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Verfügung des Beklagten vom 25. April 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
36Nach § 119 Abs. 1 S. 2 Gemeindeordnung NRW (GO NRW) kann der Beklagte (§ 117 Abs. 1 GO NRW) einen Beschluss des Rates der Klägerin, der das geltende Recht verletzt, nach vorheriger Beanstandung des Beschlusses durch den Bürgermeister und nochmaliger Beratung im Rat aufheben.
371. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.
38a) Der Bürgermeister der Klägerin beanstandete den Beschluss über die Festlegung von Aufnahmekriterien vom 22. März 2001 unter Beachtung der Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 GO NRW.
39b) Der Gemeinderat beriet und bestätigte seinen Ratsbeschluss vom 22. März 2001 am 21. März 2002.
40c) Der Beschluss des Rates vom 22. März 2001 über die Festlegung von Aufnahmekriterien für die Gesamtschule in Nordkirchen verletzt geltendes Recht.
41aa) Die Kammer kann offen lassen, ob die Klägerin nach § 2 Schulverwaltungsgesetz (SchVG) als Schulträgerin für die getroffene Entscheidung zuständig ist. Es kann weiterhin dahingestellt bleiben, ob der Beschluss des Gemeinderats nach seinem Inhalt einen "allgemeinen Rahmen" im Sinne des § 5 Abs. 2 der Allgemeinen Schulordnung (ASchO) festlegt, auch wenn nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land NRW § 28 Abs. 2 SchVG typischerweise nur in Einzelfällen zum Tragen kommt und infolge der Schulträgerpflichten (§ 10 Abs. 5 SchVG) prinzipiell von einem ausreichenden Schulangebot auszugehen ist.
42OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 12 und 13
43Ebenfalls mag offen bleiben, ob die Entscheidung des Gemeinderats allein deshalb rechtswidrig ist, weil sie - unabhängig von der einfachrechtlichen Vorgabe des § 28 Abs. 2 SchVG - auch einer den verfassungsrechtlich gewährleisteten Erziehungsrechten der Eltern und den allgemeinen Bildungsansprüchen der Kinder, die nicht in Nordkirchen wohnen, standhaltenden Rechtfertigung bedarf, und eine solche Rechtfertigung gegenüber den Eltern und Kindern evtl. nicht besteht, die ihren Wohnsitz nicht in Nordkirchen haben.
44vgl. zu dieser Grenze der schulorganisatorischen Gestaltungsfreiheit einer Gemeinde OVG NRW, Urteil vom 26. Januar 1979 - V A 1363/77 -, SPE a.F. I B IX S. 95 f.
45bb) Selbst wenn die Klägerin für die von ihr getroffene Entscheidung zuständig sein sollte und die Entscheidung eine Rahmenbestimmung im Sinne § 5 Abs. 2 ASchO beinhalten sollte, verletzt der Beschluss des Gemeinderats der Klägerin vom 22. März 2001 geltendes Recht.
46(1.) Der Beschluss verstößt - unabhängig von den zwischen den Beteiligten streitigen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 SchVG - gegen geltendes Recht, weil er auf einer nicht mehr vertretbaren Ermessensentscheidung beruht.
47vgl. zu dieser Anforderung OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 1990 - 15 A 1099/87 -, NWVBl. 1991 S. 241 = NVwZ-RR 1991 S. 509 = KStZ 1991 S. 115 = DÖV 1991 S. 611
48Im Rahmen der Ermessensentscheidung des Gemeinderats
49vgl. zu dem dem Schulträger eingeräumten Planungsermessen im Sinne des § 8 Abs. 1 SchVG OVG NRW, Urteil vom 26. Januar 1979 - V A 1363/77 -, SPE a.F. I B IX S. 95; Beschluss vom 03. Juli 2003 - 15 B 1185/03 -
50ist nach der Rechtsauffassung der Kammer der Abwägungs p r o z e s s fehlerhaft, weil der Gemeinderat nicht alle Gesichtspunkte in seine Abwägung einbezogen hat, die einzubeziehen waren.
51Insoweit mag wiederum zu Gunsten der Klägerin offen bleiben, ob sie im Rahmen ihrer Entscheidung mitzuberücksichtigen hatte und mitbewertet hat, dass die Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule - wohl anders als die Haupt- und Realschulen sowie die Gymnasien aus dem Umland - als Ganztagsschule geführt wird.
52Die Klägerin hat jedenfalls nicht mitbewertet, dass sie für die Errichtung der Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule nicht allein auf "ihre" minderjährigen Einwohner abgestellt hat und abstellen konnte. Der Rat der Gemeinde Nordkirchen errichtete 1992 nicht ein Schule (nur) für Kinder aus Nordkirchen. Es ist zwar nahe liegend, dass der Rat eine Schule für die einheimischen Kinder errichten w o l l t e . Ein solches M o t i v wurde aber nicht ausschließlich umgesetzt. Mit dem Errichtungsbeschluss wurde eine Gesamtschule nicht nur für Kinder und Jugendliche aus Nordkirchen, sondern auch für Schülerinnen und Schüler aus der Umgebung Nordkirchens aufgebaut. Für die Errichtung und die Fortführung der Johann-Conrad- Schlaun-Gesamtschule war und ist die Klägerin auf den Schulbesuch von Kindern aus den Nachbarorten angewiesen. Gleichzeitig schöpft sie in den Nachbargemeinden einen Teil des Bedarfs für deren in den Schulstufen der Sekundarstufe I und II arbeitenden Schulen ab und vermindert damit die schulplanungsrechtlichen Möglichkeiten der Nachbargemeinden. War die - gegen ausdrücklich geäußerte Bedenken durchgesetzte - Errichtung der Gesamtschule von einer hohen Einpendlerzahl zwingend abhängig und ist die Aufnahme von Kindern aus den Nachbargemeinden für die mittelfristige Fortführung der Gesamtschule notwendig, kann der dem Gemeinderatsbeschluss vom 22. März 2001 zu Grunde liegende Abwägungsgesichtspunkt im vorliegenden Einzelfall nicht tragend sein, dass die Klägerin die Gesamtschule (nur) für die eigenen Einwohner errichtet habe und betreibe.
53Die Schulentwicklungsplanung der Klägerin aus dem Jahr 1992 zeigt, dass sie für die Errichtung der Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule auf aus dem Umland einpendelnde Schülerinnen und Schüler angewiesen war.
54Für die Klägerin bestand damals keine rechtliche Pflicht zur Errichtung einer Gesamtschule, weil für eine solche Schule allein in Nordkirchen kein hinreichendes Bedürfnis bestand. Eine Pflicht zur Errichtung einer (Gesamt-)Schule besteht für einen Schulträger, wenn unter Berücksichtigung der Mindestzügigkeit ein ausreichendes Bedürfnis auf dem Gebiet des Schulträgers festzustellen ist. Ein solches pflichtenbegründendes Bedürfnis zur Errichtung einer mindestens vierzügigen Gesamtschule war ausweislich der Schulentwicklungsplanung 1992 nicht gegeben, weil die Klägerin für die Schuljahre 1993/94 bis 1997/98 im Mittel mit 62 - 74 Anmeldungen aus Nordkirchen rechnete und die Gesamtschule allein mit Kindern aus Nordkirchen noch nicht einmal drei Züge hätte abdecken können. Gem. § 10 a Abs. 1 SchVG müssen Gesamtschulen in der Sekundarstufe I aber in der Regel mindestens vierzügig gegliedert sein. Eine pflichtenbegründende Entscheidung der Bezirksregierung Münster bestand ebenfalls nicht.
55War die Klägerin zur Errichtung der Gesamtschule nicht auf Grund eines "eigenen" Bedarfs verpflichtet, ist auch ihren damaligen Planungen eindeutig zu entnehmen, dass sie eine Schule nicht nur für Kinder aus Nordkirchen errichtete. Selbst wenn nicht auf das damals prognostizierte "Einpendlerpotenzial", sondern nur auf den sog. Einpendler-"Bedarf" (vgl. S. 88 des Gutachtens der "Projektgruppe Bildung und Region" über die Schulentwicklungsplanung der Klägerin) abzustellen wäre, ging die Klägerin damals davon aus, dass sie - je nach Prognosevariante - zwischen 33,9 % und 44,6 % des Bedürfnisses für die Eingangsklasse 5 ausschließlich durch die Anmeldung und Zulassung von Einpendlern erreichen konnte. Ohne den durch Einpendler begründeten "Bedarf" wäre die Gesamtschule - unabhängig von der Frage einer Errichtungspflicht - wegen der erforderlichen Mindestzügigkeit nicht zu errichten gewesen.
56Die Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule ist ohne einpendelnde Kinder vierzügig auch nicht fortzuführen. Unter Berücksichtigung des Zwecks, den die Klägerin mit dem aufgehobenen Beschluss verfolgt, und der Höhe der in dem Beschluss festgelegten Quote (75 %)
57vgl. auch die in der - für die öffentliche Sitzung des Ausschusses für Jugend, Schule und Kultur am 13. März 2001 gefertigte - Verwaltungsvorlage vom 08. Februar 2001 noch enthaltene Angabe von 90 Plätzen
58muss die Kammer davon auszugehen, dass in der vierzügig geführten Sekundarstufe I der Schule, die in der Klasse 5 jeweils mit 30 Kindern besetzt wird, auch weiterhin ein Viertel der aufgenommenen Kinder aus Nachbargemeinden stammen soll und mindestens eine solche Anzahl an Kindern aus Nachbargemeinden stammt.
59Wenn die Klägerin bei der Errichtung der Johann-Conrad-Schlaun-Gesamt- schule davon ausging, dass alle Kinder, die in Nordkirchen wohnen und in die Gesamtschule aufgenommen werden wollten, einen Anspruch auf Aufnahme hätten, widerspricht dies - unabhängig von der schon damals bestehenden Vorgabe des § 28 Abs. 2 SchVG - den gesetzlichen Vorgaben über die Schulentwicklungsplanung. Die Schulentwicklung ist nicht isoliert in einer Gemeinde zu betrachten. Schulen und Schulstandorte sind - unabhängig von Gemeindegrenzen - so zu planen, dass schulische Angebote aller Schulformen unter möglichst gleichen Bedingungen wahrgenommen werden können (§ 10 b Abs. 2 SchVG). Können die Voraussetzungen für die Errichtung und auch für die Fortführung von Gesamtschulen nur durch Schüler mehrerer Gemeinden gesichert werden, sind diese Gemeinden zu einer gemeinsamen Schulentwicklungsplanung verpflichtet (§ 10 b Abs. 3 S. 1 SchVG). Ist keine Gemeinde zur Errichtung einer bestimmten Schulform verpflichtet und erklärt sich keine Gemeinde - freiwillig - zu einer solchen Errichtung bereit, hat im Zweifel die Bezirksregierung als Schulaufsichtsbehörde zu entscheiden (§ 10 b Abs. 3 S. 2 SchVG).
60Da die Klägerin bei ihrer Schulentwicklungsplanung die einpendelnden Schülerinnen und Schüler mitberücksichtigte und die von ihr erstellte Schulentwicklungsplanung Grundlage der schulaufsichtsrechtlichen Genehmigung des (damaligen) Kultusministeriums NRW war, kann sich die Klägerin nach der Steigerung des in Nordkirchen bestehenden Bedarfs nicht darauf berufen, dass die Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule ausnahmsweise dreizügig fortgeführt werden könnte (vgl. § 10 a Abs. 1 und 3 SchVG).
61Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass ein Fehler im Abwägungsprozess nicht zur Rechtswidrigkeit eines Ratsbeschlusses im Sinne des § 119 GO NRW führt, solange das Abwägungsergebnis nicht rechtswidrig sei, folgt die Kammer dieser Rechtsauffassung nicht. Anders als z. B. § 113 Abs. 1 VwGO fordert § 119 Abs. 1 GO NRW allein, dass ein Beschluss des Rates "das geltende Recht" verletzt. Eine - am Ergebnis der Entscheidung orientierte - Beeinträchtigung von subjektiven Rechten verlangt § 119 GO NRW nicht. Dass - schon allein - ein Fehler im Abwägungsprozess zu einem erheblichen Rechtsfehler führt, wird auch nicht durch die Vorgaben des § 5 Abs. 2 ASchO ausgeschlossen. Denn wenn die Entscheidung des Gemeinderats der Klägerin eine Entscheidung über den allgemeinen Rahmen im Sinne des § 5 Abs. 2 ASchO darstellen sollte und sie im Abwägungsprozess fehlerhaft ist, könnte sich jedes Kind, dass sich um eine Schulaufnahme bewirbt, im Rahmen der Einzelentscheidung des Schulleiters auf eine Fehlerhaftigkeit der Rahmenvorgabe des Schulträgers berufen.
62(2.) Ungeachtet des im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls bestehenden Abwägungsfehlers verstößt der Beschluss des Gemeinderats über die Festlegung des Aufnahmekriteriums einer Quote von 75 % der Schulkapazität für einheimische Kinder weiterhin auch im Ergebnis gegen geltendes Recht. Der Beschluss des Rates widerspricht den Vorgaben des Gesetzgebers aus § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG, weil auf der Basis des Ratsbeschlusses Kinder, die ihren Wohnsitz in anderen Gemeinden haben, gegenüber Kindern aus Nordkirchen wegen ihres Wohnsitzes entgegen den die Klägerin bindenden Vorgaben der Rechtsvorschrift bei der Auswahlentscheidung nicht gleichberechtigt behandelt werden.
63Nach § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG darf Schülern, deren Schulbesuch in ihrer Gemeinde nicht gewährleistet ist, die Aufnahme in eine öffentliche Schule, die nicht Pflichtschule ist, nicht deshalb verweigert werden, weil die Erziehungsberechtigten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einer anderen Gemeinde haben. Mit dieser gesetzlichen Vorgabe wird dem Ermessen der Klägerin eine sie bindende inhaltliche Grenze gesetzt.
64- Die Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule ist keine Pflichtschule.
65vgl. zum Begriff der Pflichtschule OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2002 - 19 A 2357/00 -, NVwZ-RR 2003 S. 566; Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -; Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Auflage, S. 39
66- Für Kinder und Jugendliche aus fast allen Nachbargemeinden der Klägerin ist in ihren Gemeinden der Besuch einer Gesamtschule nicht gewährleistet. Mit Ausnahme der Stadt Olfen wird in keiner der Nordkirchen umgebenden Gemeinden und Städte eine Gesamtschule betrieben.
67Durch den Betrieb anderer Schulformen als Gesamtschulen, die ebenfalls auf den Abschluss der Sekundarstufe I oder Sekundarstufe II gerichtet sind, wird der Schulbesuch im Sinne des § 28 Abs. 2 SchVG nicht ermöglicht. Der Schulbesuch kann im Sinne des § 28 Abs. 2 SchVG nur dann in der Wohnsitzgemeinde des Kindes gewährleistet sein, wenn eine den Bildungsanspruch erfüllende Schulform in der Gemeinde existiert.
68Nicht nur an die Schulform (dort: Sonderschule), sondern sogar an die Unterkategorie verschiedener Schultypen anknüpfend OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2002 - 19 A 2357/00 -, NVwZ-RR 2003 S. 566
69Dass im Rahmen des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG nicht auf irgendeine Schule der jeweiligen Schulstufe, sondern auf die Schulform abzustellen ist, folgt aus dem Gesetzeszweck, der zur Auslegung der Gesetzesvorschrift maßgeblich heranzuziehen ist. Der Gesetzeswortlaut, dass ansonsten der "Schulbesuch" nicht gewährleistet ist, schließt zwar eine einschränkende Gesetzesauslegung nicht aus. Der Bedeutungsgehalt des Wortlauts wird aber auch nicht überschritten, wenn der Schulbesuch in Übereinstimmung mit dem Gesetzeszweck auf die jeweilige Schulform bezogen wird. Dass die Gesetzesmaterialien der schon vor der Errichtung der Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule geltenden Vorschrift
70vgl. das Schulverwaltungsgesetz vom 03. Juni 1958, GV. NRW. S. 241, 245
71gegen eine an der Schulform orientierten Auslegung des Gesetzes sprechen könnten, ist der Kammer nicht ersichtlich.
72§ 28 Abs. 2 SchVG bezweckt nicht, jedenfalls nicht allein, die Erfüllung der Schulpflicht sicherzustellen, so dass der Vorschrift nicht durch die Möglichkeit des Besuchs irgendeiner Schule Genüge getan ist.
73Vgl. zum evtl. a u c h bestehenden Normzweck einer Sicherstellung der Schulpflichterfüllung OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 8 (offen gelassen)
74Die Rechtsvorschrift dient - zumindest auch - der Verwirklichung des Anspruchs auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen unter zumutbaren Bedingungen im Rahmen der vom S t a a t in Wahrnehmung seiner Schulhoheit zur Verfügung gestellten Schulen und dazu, diesen Anspruch nicht an der Gebietsgrenze der Wohngemeinde enden zu lassen, wenn der Schulbesuch in der eigenen Gemeinde nicht gewährleistet ist.
75OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 8; Beschluss vom 29. Mai 2002 - 19 A 2357/00 -, NVwZ-RR 2003 S. 566
76Der Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen folgt aus dem durch Art. 8 Abs. 1 S. 1 der Verfassung des Landes NRW (LV NRW), Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vermittelten Recht auf Erziehung und Bildung.
77Allgemein diese Rechte als Grenze des schulorganisatorischen Planungsermessens eines Schulträgers bewertend OVG NRW, Urteil vom 26. Januar 1979 - V A 1363/77 -, SPE a.F. I B IX S. 95
78Er umfasst das Recht, den einzuschlagenden schulischen Bildungsweg und damit auch die S c h u l f o r m frei zu wählen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 des Schulordnungsgesetzes (SchOG) bestimmt, dass der Bildungsgang vom Willen der Erziehungsberechtigten und den Anlagen, Neigungen und Fähigkeiten des Kindes abhängt. Diese Schulformwahlfreiheit findet ihre Grenze (nur) in den im Rahmen der staatlichen Schulaufsicht bestimmten eignungs- und leistungsbezogenen Zugangsvoraussetzungen - hier also den Anforderungen des § 4 der Verordnung über die Ausbildung in der Sekundarstufe I (AO - S I) - und dort, wo die Aufnahme eines weiteres Kindes zu einer Gefährdung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der aufnehmenden Schule führt, weil deren Kapazität erschöpft ist.
79Vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2000 - 19 B 1306/00 -, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 19 B 1730/99 -
80In diesem verfassungsrechtlichen Umfeld bezweckt § 28 Abs. 2 SchVG, die Realisierung des Rechts auf c h a n c e n g l e i c h e schulische Bildung zu sichern und den Zugang zu nach den sonstigen Zulassungsvoraussetzungen geeigneten (Wahl-)Schulen nicht an der Gemeindegrenze scheitern zu lassen.
81OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 11 f.
82Die Regelung des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG trifft damit eine (Spezial-)Regelung gerade für Kinder, die infolge ihres Wohnsitzes nicht nach §§ 8 Abs. 2, 21 Abs. 1 GO NRW als Einwohner berechtigt sind, die gewünschte öffentliche Einrichtung zu nutzen.
83OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 7
84Aus dem Umstand, dass § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG im Verhältnis zu §§ 8 Abs. 2, 21 Abs. 1 GO NRW eine schulrechtliche Spezialvorschrift ("lex specialis") beinhaltet, folgt jedoch entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht, dass sie (auch) eine Ausnahmevorschrift darstellt, die infolge ihres Ausnahmecharakters einschränkend ausgelegt werden könnte oder müsste. Der Rechtsatz, dass "Ausnahmevorschriften" eng auszulegen seien, trifft schon in dieser Allgemeinheit nicht zu.
85Vgl. z. B. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., S. 337, 339
86§ 28 Abs. 2 S. 1 SchVG ist im Übrigen keine schulrechtliche Ausnahme, sondern im Regelbereich "Schule" immer und uneingeschränkt anzuwenden.
87Die auf die jeweilige Schulform bezogene Auslegung des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG folgt auch aus dem Gesamtzusammenhang der schulrechtlichen Vorschriften. Nach der Rechtsauffassung der Kammer steht die Vorschrift in einem inneren Zusammenhang mit den gesetzlichen Regelungen über die Schulentwicklungsplanung und Schulfinanzierung. Die fehlende Gewährleistung des Schulbesuchs in einer Gemeinde kann und wird oft auf dem nicht ausreichenden Bedarf für eine Schulform in einzelnen Gemeinden beruhen, was zur Folge hat, dass umliegende Gemeinden - in welcher Form auch immer - eine gemeinsame Schulentwicklung betreiben (§ 10 b Abs. 3 SchVG). Auch der innere Zusammenhang mit den Gesetzesvorschriften über die Finanzierung der Schulkosten spricht gegen eine einschränkende Auslegung des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG. Mit § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG nimmt das Land eine Gemeinde als "Gegenleistung" oder "Ausgleich" dafür in Anspruch, dass das Land einen erheblichen, wenn nicht gar den überwiegenden Teil der Schulkosten unmittelbar trägt oder sonst übernimmt. In Bezug auf den vorliegenden Einzelfall ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Klägerin letztendlich 75 % der durch die Errichtung und den Betrieb der Johann-Conrad-Schlaun- Gesamtschule verursachten Kosten trägt. So trägt das Land die gesamten Personalausgaben für Lehrer an öffentlichen Schulen einschließlich der Kosten für die Versorgung der beamteten Lehrerinnen und Lehrer sowie der Sozialversicherungsbeiträge der angestellten Lehrerinnen und Lehrer, auch wenn Träger der Schule eine Gemeinde ist (§ 3 Abs. 1 Schulfinanzgesetz). Darüber hinaus hat das Land zum Zeitpunkt der Errichtung der Johann-Conrad-Schlaun- Gesamtschule 60 % der nach den landesrechtlichen Vorgaben anzuerkennenden Sachkosten, die im Rahmen der Errichtung der Schule angefallen sind, als Zuwendungen an die gemeindlichen Schulträger geleistet. Im Verhältnis zu den von der Klägerin im Rahmen der Schulerrichtung auf Grund eigener Planung veranlassten Gesamtkosten entsprach dies immer noch einem Kostenanteil des Landes in Höhe von 34 %. Daneben zahlte und zahlt das Land wegen der durch den weiteren Betrieb der Schule anfallenden Kosten weitere Zuwendungen. So stellte das Land NRW Mittel für pauschale Zuweisungen zur Unterstützung kommunaler Aufwendungen im Schulbereich für 2003 zur Verfügung (vgl. § 18 des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2003 vom 18. Dezember 2002 - GV. NRW. S. 671 -). Daneben ist im Rahmen der Bemessung der Aufgabenbelastung einer Gemeinde die Zahl der - einheimischen und auswärtigen - Schülerinnen und Schüler für die Bemessung der jährlichen Schlüsselzuweisungen des Landes mitbestimmend, wenn in die Ausgangsmesszahl auch der Schüleransatz eingeht (vgl. z. B. §§ 5 Abs. 1, 7 Abs. 4 des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1991 - GV. NRW. S. 577 - und §§ 5 Abs. 1, 8 Abs. 4 des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2003 vom 18. Dezember 2002 - GV. NRW. S. 671 -).
88Die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden fordert nicht eine auf die Gewährleistung allein der Schulpflicht beschränkende Auslegung des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG. Gegenüber den staatlichen Befugnissen aus Art. 7 Abs. 1 GG gibt es keinen absoluten Vorrang des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts.
89BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1994 - 6 NB 2/93 -, Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen, Nr. 116
90Im Bereich des Schulwesens ist das kommunale Selbstverwaltungsrecht in die Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags eingebunden und durch die ebenfalls verfassungsrechtlich vorgegebene staatliche Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 2 S. 2 LV NRW beeinflusst. Art. 7 GG hat einschränkende Auswirkungen auf die Bestimmung des Bereichs kommunaler Selbstverantwortung im Schulwesen. Zur Schulaufsicht im Sinne des Art. 7 Abs. 1 GG gehört die - auch gegenüber den Gemeinden bestehende - Befugnis des Landes zur Ordnung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, welches a l l e n Kindern und Jugendlichen gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Auch soweit einzelne Funktionen den jeweiligen Zuständigkeitsträgern gesondert zugewiesen sind, ergeben sich aus der gemeinschaftlichen Schulunterhaltung von Land und Gemeinden wechselseitige Verflechtungen.
91BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1969 - 2 BvR 446/64 -, BVerfGE 26 S. 228, 238 f.
92Dies gilt auch mit Blick auf die durch die Aufnahme auswärtiger Schüler bedingte finanzielle Mehrbelastung eines kommunalen Schulträgers, die durch die Lösung eines Kapazitätsproblems mittels Vergrößerung der Schule bewirkt wird.
93Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 12 ff.. mit weiteren Nachweisen; vgl. zu den finanziellen Folgen überörtlicher Schulorganisation auch Niehues, Schulrecht, 3. Aufl., Rn. 152 und im Übrigen die obigen Ausführungen zur Mischfinanzierung der Schulkosten
94§ 28 Abs. 2 S. 1 SchVG begründet auch deshalb keinen rechtswidrigen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, weil evtl. bestehende Probleme auf der Ebene der Schulentwicklungsplanung und darauf ggf. aufbauender Kooperation anzugehen sind.
95Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 8
96Jedenfalls wären auf dieser Ebene bestehende Probleme nicht zu Lasten des verfassungsrechtlichen Anspruchs von Schülerinnen und Schülern auf Bildung und Erziehung zu lösen.
97Bei Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben ist in den meisten der Nordkirchen umgebenden Gemeinden der Schulbesuch der Schulform "Gesamtschule" nicht gesichert. Das ebenfalls an anderen Schulen die Abschlüsse der Sekundarstufe I bzw. II erreicht werden können, steht nicht entgegen. Die Bildungsziele sind nicht identisch. Das Schulwesen ist nicht nur nach den Schulstufen der Primarstufe, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II (§ 4 Abs. 2 SchVG), sondern auch nach Schulformen aufgebaut (§ 4 Abs. 1 SchVG). Die Gesamtschule ist sowohl nach der gesetzlichen Vorgabe als auch nach ihrer pädagogischen Konzeption eine eigenständige Schulform.
98Mit der Einführung des § 4 d SchVG (§ 4 e SchVG a. F.) hat der Gesetzgeber die Gesamtschule ausdrücklich als eigenständige Schulform bestimmt.
99Vgl. auch den Gesetzentwurf der Landesregierung vom 03. März 1981, LT-Drucksache 9/460, nach dem die Gesamtschule als gleichberechtigte Schulform in die gesetzlichen Bestimmungen aufgenommen werden sollte.
100Die Vorschrift bestimmt die integrative Gesamtschule
101vgl. nur VerfGH NRW, Urteil vom 23. Dezember 1983 - 22/82 -, NVwZ 1984 S. 781, 783
102und nicht die kooperative Gesamtschule. Durch den an die Gesamtschule gerichteten, ihre schulformspezifische Ausgestaltung bestimmenden Auftrag des Gesetzgebers wird vorgegeben, in einem differenzierten Unterrichtssystem Bildungsgänge zu ermöglichen, die zu allen Abschlüssen der Sekundarstufe I führen, und in der Regel die Sekundarstufe II als gymnasiale Oberstufe vorzuhalten. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Leitbild der Schulform verlangt, dass die Schülerinnen und Schüler einer Gesamtschule in ihrer Leistungsfähigkeit die gesamte Leistungsbreite in einem ausgewogenen Verhältnis vertreten. Danach ist es nicht nur Aufgabe der Gesamtschule bis Klasse 10, den zum Hauptschulabschluss nach Klasse 9, den zum Sekundarabschluss I (Hauptschulabschluss nach Klasse 10) und den zum Sekundarabschluss I (Fachoberschulreife) führenden Bildungsgang sowie die Berechtigung zum Besuch der Jahrgangsstufe 11 der gymnasialen Oberstufe zu vermitteln. Gesetzlich vorgeprägtes Ziel der integrativen Gesamtschule ist auch, in einer eigenständigen Schulform unterschiedliche Begabungen und Neigungen der Schüler gleichberechtigt zu fördern. Die sich aus den Richtlinien und Lehrplänen ergebenden besonderen Zielsetzungen der Schulform sind zu beachten (§ 1 Abs. 2 AO - S I). Dementsprechend geht die AO - S I nicht nur in §§ 5 Abs. 1 und 2, 13 AO - S I von besonderen schulformspezifischen Eignungsvoraussetzungen und Leistungsanforderungen aus. Auch ist der Unterricht selbst im Verhältnis zu den anderen Schulformen - von der Fachleistungsdifferenzierung bis hin zum Angebot einer Ganztagsschule - besonders organisiert und differenziert (vgl. §§ 4 d Abs. 2 und 4 SchVG, 19 AO - S I).
103Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2000 - 19 B 1306/00 -, S. 7 (n. v.)
104Bei der Bewertung von Schülerleistungen ist schließlich gem. § 21 Abs. 3 ASchO u. a. der Eigenart der Schulform Rechnung zu tragen.
105OVG NRW, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 19 B 1730/99 -, S. 6
106- Mit der aus dem Ratsbeschluss vom 22. März 2001 folgenden Quotenvorgabe wird Kindern aus Nachbargemeinden die Aufnahme in die Klasse 5 der Johann-Conrad-Schlaun-Gesamtschule "deshalb" verweigert, weil ihre Erziehungsberechtigten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einer anderen Gemeinde als Nordkirchen haben.
107Wenn der Ratsbeschluss nicht ausdrücklich an den Wohnsitz der Erziehungsberechtigten, sondern an den Wohnsitz der Kinder anknüpft, enthält er gleichwohl einen Verstoß gegen § 28 Abs. 2 SchVG. Ein minderjähriges Kind, das in die Klasse 5 aufgenommen werden soll, teilt den Wohnsitz der Eltern (§ 11 BGB).
108Dass der Ratsbeschluss nicht nur auf die Aufnahme von Kindern aus Nordkirchen, sondern auch gegen die Aufnahme von Kindern aus Nachbargemeinden gerichtet ist, ergibt sich bereits aus seinem Wortlaut ("...gegenüber Kindern aus Nachbargemeinden ohne eigene Gesamtschule..."). Da der Gemeinderat bezweckt, einen Kapazitätsengpass zu regeln, ist seine Entscheidung auch nach der Intention gegen Kinder aus Nachbargemeinden gerichtet.
109Die Verweigerung der Aufnahme soll entgegen § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG auch wegen des auswärtigen Wohnsitzes erfolgen.
110Durch die Vorgabe des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG ist ausgeschlossen, dass der auswärtige Wohnsitz eines Kindes für die Zulassungsentscheidung auch nur als Begründung herangezogen wird.
111OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 19 B 1145/01 -, S. 7 f.
112Die Vorschrift untersagt nicht, bei Kapazitätsengpässen (auch) Kindern aus Nachbargemeinden die Aufnahme in die Schule zu verweigern. Die Vorschrift beinhaltet als besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes aber das Verbot, den Wohnsitz der Kinder als Unterscheidungskriterium heranzuziehen. Die Zulassungsentscheidung darf nicht w e g e n des Wohnsitzes erfolgen.
113Der Rechtsauffassung der Klägerin, dass die Entscheidung nur dann gegen § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG verstößt, wenn sie a l l e i n auf den Wohnsitz abstellt,
114so auch ohne Begründung Margies/Roeser, SchVG, § 28 Rn. 18; eine solche Einschränkung nicht anführend Niehues, Schulrecht, 3. Auflage, Rn. 370; Gampe/Knapp/Margies/Rieger, Recht in der Schule NRW, Sekundarstufe I und II, 9 / § 5 Rn. 16; Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Auflage, S. 481 Fn.
115folgt die Kammer nicht. Für eine solche Gesetzesauslegung bieten der Gesetzeswortlaut und der Gesetzeszweck keinen Anhalt. Die Vorschrift ordnet als Rechtsfolge ohne eine Einschränkung an, dass die Aufnahmeverweigerung nicht w e g e n des Grundes "auswärtiger Wohnsitz" erfolgen darf.
116Aus der Gesetzesvorschrift ist auch nicht zu entnehmen, dass die Klägerin im Falle eines Kapazitätsengpasses ein Recht zur Relativierung der gesetzgeberischen Vorgabe im Rahmen einer Abwägung widerstreitender Interessen hat. Der inhaltliche Verstoß gegen § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG begründete einen Abwägungsfehler. Die Abwägungsentscheidung zwischen den gegenläufigen Interessen der Gemeinden auf Selbstverwaltung einerseits und der auswärtigen Kinder und Jugendlichen auf Bildung andererseits, die die Klägerin für sich in Anspruch nehmen will, hat der Gesetzgeber bindend vorgegeben. Nach dem ausdrücklichen und die Gesetzesauslegung begrenzenden Wortlaut des § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG darf die Klägerin die Aufnahme eines Kindes nicht ("deshalb") verweigern, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Die Formulierung "darf nicht verweigern" ist eindeutig. Selbst wenn die Entscheidung des Gemeinderats vom 22. März 2001 eine Festlegung des allgemeinen Rahmens im Sinne des § 5 Abs. 2 ASchO und die Klägerin ermächtigt sein sollte, eine Abwägungsentscheidung zu treffen, darf jedenfalls der Inhalt einer Abwägungsentscheidung - wie bei anderen Abwägungsentscheidungen auch - wegen des Grundsatzes über den Vorrang des Gesetzes eine Vorgabe des Gesetzgebers aus § 28 Abs. 2 S. 1 SchVG nicht relativieren. Der Vorrang des Gesetzes besteht sowohl im Verhältnis zu der im Rang einer Rechtsverordnung allenfalls vorhandenen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 ASchO als auch und erst Recht im Verhältnis zu den Entscheidungen eines Gemeinderats.
117§ 28 Abs. 2 S. 1 SchVG verstößt mit einer solchen bindenden Rechtsfolge auch nicht gegen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die früheren Ausführungen verwiesen (Seite 18 f.).
1182. Anhaltspunkte für Ermessensfehler des Beklagten sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Aus den Gründen seiner Verfügung folgt, dass sich der Beklagte des gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst war. Zwar enthält die Verfügung des Beklagten darüber hinaus keine konkreten Ausführungen zur Ausübung des Ermessens der Aufsichtsbehörde. Dies kann jedoch die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsverfügung nicht in Frage stellen, weil im vorliegenden Einzelfall der grundsätzlich vorgegebene Ermessensspielraum des Beklagten infolge der Betroffenheit der Bildungs-, Erziehungs- und Gleichbehandlungsrechte dritter Personen derart eingeschränkt war, dass für den Beklagten eine Verpflichtung zur Aufhebung des Ratsbeschlusses bestand.
119Vgl. wegen einer Ermessensreduzierung OVG NRW, Urteil vom 19. Januar 1995 - 15 A 569/91 -, S. 18 f.; Urteil vom 23. Juli 1991 - 15 A 1110/90 -
120II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
121Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO wegen einer Zulassung der Berufung sind dem Gericht nicht ersichtlich.
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