Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 2 K 2096/02
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/2. Kosten des beigeladenen Landes sind nicht zu erstatten.
1
T a t b e s t a n d :
2Im Juli 2001 richtete der Beigeladene an die Beklagte eine Bauvoranfrage für den Neubau einer Maßregelvollzugsklinik in N.-B. und bat um Zustimmung gemäß § 80 BauO. Zur Erschließung heißt es in der Voranfrage: Der Zugang zur Maßregelvollzugsklinik erfolge im Süden des Grundstücks, wo gleichzeitig der Parkplatz für Angestellte sowie Besucher gelegen sei. Die verkehrsmäßige Erschließung erfolge von der L 884 (L.) über die "L1.". Von dort werde eine Planstraße über das Gelände des B1.-Krankenhauses bis zum Grundstück neu angelegt. Die direkt Zufahrt in das gesicherte Gelände erfolge nur über das Pfortengebäude.
3Unter dem Stichwort "Sicherungskonzept" wird in der Voranfrage ausgeführt: Die Klinik werde über die modernsten Sicherheitsstandards verfügen. Besondere Berücksichtigung fänden die Vorschläge der Europäischen Expertenkommission zu "Rahmenbedingungen und Struktur einer neuen Maßregelvollzugsklinik" und die Erfahrungen beim Bau neuer forensischer Kliniken im In- und Ausland sowie die Ergebnisse des Gutachtens der unabhängigen Expertenkommission "Sexualstraftäter im Maßregelvollzug - Grundfragen ihrer therapeutischen Behandlung und der Sicherheit der Allgemeinheit" und des Gutachtens zu Grundfragen der Sicherheit in den Einrichtungen des Maßregelvollzuges in Nordrhein-Westfalen vom 31. August 1998.
4Wesentliche Elemente des Sicherungskonzeptes seien:
5- Die geplante Größenordnung biete die Gewähr für einen überschaubaren Verantwortungsbereich, der sowohl die äußere Sicherheit als auch die innere Sicherheit gewährleiste.
6- Die Einrichtung werde durch ein umfassend geschlossenes System gesichert werden.
7- Nur an einer Stelle werde eine Zu- bzw. Ausgangsmöglichkeit durch eine zentrale Pforte bestehen.
8- Die Umschließung des Gesamtareals werde von innen eine Mindesthöhe von 5,50 Meter haben. Im Pfortenbereich fänden sowohl Personen- als auch Fahrzeugkontrollen statt.
9- Die Außentür und -durchfahrt werde nur durch das besonders gesichert untergebrachte Pfortenpersonal zu öffnen sein.
10Durch baulich-technische Sicherung in Verbindung mit organisatorischen Maßnahmen (äußere und innere Sicherheit) würden alle Möglichkeiten genutzt, Entweichungen aus der Einrichtung zu verhindern. Die Kliniksicherung erfolge soweit erforderlich durch besondere bauliche Gestaltung der Dächer, der Kanalisation, des Mauerwerks oder eine spezielle Fassadensicherung, bei der mögliche Steighilfen durch Fensterbänke, Regenrinnen oder Blitzableiter vermieden würden.
11Die Frage der Sicherheit einer Einrichtung des Maßregelvollzuges werde aber nicht ausschließlich unter dem Aspekt der baulichen und elektronischen (äußeren) Sicherungsmaßnahmen betrachtet. Die Europäische Expertenkommission habe in ihrem Abschlussbericht überzeugend dargestellt, dass die äußere Sicherheit zuverlässig abzustimmen sei mit der inneren Sicherheit und die innere Sicherheit wiederum unter baulichen Gesichtspunkten, aber auch unter Kriterien der personellen Besetzung, der therapeutischen Einbindung und der sozialen Kontrolle zu beurteilen sei. Die innere Sicherheit werde wesentlich durch soziale Kontrolle und personelle Präsenz sichergestellt. Dies stelle bestimmte Anforderungen an das Personal in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Es werde eine ausreichende Zahl von Mitarbeitern zur Verfügung stehen, damit die Patienten angemessen überwacht und betreut werden könnten. Der nachhaltigste Schutz der Bevölkerung durch Minimierung eines Rückfallrisikos werde durch eine qualifizierte Behandlung erzielt. Qualitätssicherung und -verbesserung sowie Evaluation therapeutischer Behandlungsmaßnahmen gewährleisteten dies ebenso wie eine umfassende Nachsorge.
12Unter dem Stichwort "allgemeines Therapiekonzept" heißt es in der Voranfrage: In dieser Fachabteilung sollten geistig behinderte Straftäter nach § 63 StGB untergebracht werden. Patienten mit Intelligenzminderung als psychiatrische Hauptdiagnose bedürften weniger einer medizinisch-psychiatrischen Behandlung, sondern vielmehr einer sozialtherapeutischen und heilpädagogischen Förderung. Der B1.-Orden in N. verfüge über eine große Erfahrung in der Betreuung geistig behinderter Menschen. Daher sei es naheliegend, dieses Know-How des Trägers für diese besondere Patientengruppe zu nutzen.
13Zur Einweisung führten bei dieser Patientengruppe in der Regel Sexualdelikte, Körperverletzung, Brandstiftung und Eigentumsdelikte. Tötungsdelikte seien unterrepräsentiert. Die geistige Behinderung, die als wesentlicher Faktor für das zum Maßregelvollzug führende Geschehen ursächlich sei, sei nur sehr bedingt beeinflussbar.
14Die Stadt N. erteilte ihr Einvernehmen gemäß § 36 BauGB durch Schreiben vom 10. September 2001.
15Durch "Bauvorbescheid" vom 19. Oktober 2001 erteilte die Beklagte die Zustimmung gemäß § 80 Abs. 1 i. V. m. § 71 Abs. 1 der Bauordnung für das Vorhaben mit dem Zusatz, diese Zustimmung umfasse ausschließlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den planungsrechtlichen Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche.
16Den Widerspruch der Kläger vom 27. Juni 2002 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 10. Juli 2002 als unzulässig zurück. Zur Begründung führte sie aus: Die Kläger hätten durch ihren damaligen Rechtsvertreter am 18. Februar 2002 Einsicht in die Verwaltungsvorgänge genommen. Damit hätten sie gesicherte Kenntnis von dem Bauvorbescheid erlangt. Als im Verfahrensrecht Kundigem sei es dem Rechtsvertreter zuzumuten gewesen, innerhalb der Widerspruchsfrist des § 70 VwGO die Beschwer durch den Bauvorbescheid bei der Behörde anzuzeigen. Nach alledem habe nur innerhalb eines Monats nach der Akteneinsicht ein zulässiger Widerspruch gegen den Bauvorbescheid eingelegt werden können. Der Widerspruch vom 27. Juni 2002 sei demnach als verfristet zu bewerten.
17Die Kläger haben rechtzeitig Klage erhoben, mit der sie im Wesentlichen geltend machen, die Maßregelvollzugsklinik sei rechtswidrig, weil sie gegen das Rücksichtnahmegebot gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verstoße.
18Durch Bescheid vom 29. September 2003 verlängerte die Beklagte die Geltungsdauer des Bauvorbescheides vom 19. Oktober 2001 um ein Jahr und durch Bescheid vom 13. Dezember 2004 um ein weiteres Jahr. Gegen beide Verlängerungsbescheide erhoben die Kläger Widerspruch.
19Am 8. April 2004 trat eine Änderung des Flächennutzungsplanes der Stadt N. in Kraft, durch die die Fläche, auf der das Vorhaben des Beigeladenen geplant ist, als Fläche für den Gemeindebedarf/Krankenhaus dargestellt wird.
20Die Kläger beantragen,
21den Bauvorbescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2001 und ihren Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2002 aufzuheben.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Im Erörterungstermin am 2. Juni 2005 hat er erklärt, er werde von dem angefochtenen Bauvorbescheid vom 19. Oktober 2001 nur insoweit Gebrauch machen, als dieser über die grundsätzliche Zulässigkeit des Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung entscheidet. Im Übrigen werde die Erschließung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, wie geplant und in der Bauvoranfrage dargestellt, von der L 884 (L.) über die "L1." erfolgen können, weil es unüberwindliche Hindernisse bei dem Grundstückserwerb für die von dort geplante Zufahrtsstraße gebe. Die verkehrsmäßige Erschließung werde daher von Osten über das Gelände des B1.-Krankenhauses geplant werden müssen. Dies werde zur Folge haben, dass auch das im Lageplan dargestellte Pfortengebäude an den östlichen Rand des Geländes verlegt werden müsse.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27Die Klage ist unzulässig. Der gestellte Anfechtungsantrag ist nicht statthaft, weil der angefochtene Bescheid kein Verwaltungsakt im Sinne der §§ 42, 80 a VwGO ist. Denn er ist nicht "auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet", wie der Begriff des Verwaltungsakts in § 35 VwVfG es voraussetzt.
28Der Bescheid ist weder (im Sinne des § 43 Abs. 1 VwVfG) für die Kläger bestimmt noch (im Sinne des § 35 VwVfG) an sie gerichtet, sondern an das Land Nordrhein-Westfalen als öffentlichen Bauherrn im Sinne des § 80 Abs. 1 BauO. In der durch diese Vorschrift bestimmten Richtung des Bescheides von der oberen Bauaufsichtsbehörde des Landes zum Land als öffentlichen Bauherrn fehlt es an einer rechtlichen Außenwirkung; und in dem Verhältnis, in dem die Möglichkeit einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen besteht, nämlich im Verhältnis der Landesverwaltung zu Nachbarn des Vorhabens oder sonst zu Bürgern des Landes, fehlt es an der Gerichtetheit des Bescheides, der sich gemäß § 80 Abs. 1 BauO an denjenigen richten muss und richtet, der ihn beantragt hat, nämlich an den Bauherrn, hier: den öffentlichen Bauherrn, das Land Nordrhein-Westfalen.
29Die Tatbestandsmerkmale der Gerichtetheit (oder der Bestimmtheit, vgl. § 43 VwVfG) und der unmittelbaren Rechtswirkung nach außen sind im Text der Begriffsbestimmung des § 35 VwVfG aufeinander bezogen. Nur wenn im Einzelfall beide Merkmale im Verhältnis der Landesbehörde zu einer und derselben außerhalb der Landesverwaltung stehenden natürlichen oder juristischen Person des privaten oder öffentlichen Rechts erfüllt sind, kann von einem Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG die Rede sein.
30Erst wenn diese begrifflichen Voraussetzungen im Verhältnis zwischen Behörde und Adressaten erfüllt sind und ein Verwaltungsakt vorliegt, kann weiter davon die Rede sein, dass dieser Verwaltungsakt ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung gegenüber einem Dritten ist (vgl. § 80 a VwGO) oder ein Dritter von diesem Verwaltungsakt betroffen wird (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG). Aus der belastenden Wirkung, die einem Bescheid im Verhältnis zu einem außenstehenden Dritten zugesprochen wird, kann aber nicht geschlossen werden, dass der Bescheid im Verhältnis zum Adressaten eine "unmittelbare" Rechtswirkung nach außen entfalte und deshalb ein Verwaltungsakt sei. Fehlt es im Verhältnis zum Adressaten, an den der Bescheid gerichtet ist, an einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen und damit an einem Verwaltungsakt, so kann auch kein Verwaltungsakt eine unmittelbare belastende rechtliche Wirkung gegenüber Dritten auslösen. Belastende Wirkung im tatsächlichen Sinn im Verhältnis zu Dritten kann dann nur das Vorhaben selbst haben, das Gegenstand des Bescheides ist und durch die Behörde ohne Regelungswirkung beurteilt worden ist. Von der tatsächlichen, möglicherweise gefährdenden Wirkung einer baulichen Anlage und seiner Nutzung ist aber die rechtliche Wirkung zu unterscheiden, die einem Verwaltungsakt auf Grund seiner verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsprozessrechtlichen Funktion zukommt. Nur um diese geht es bei einer Anfechtungsklage nach § 42 VwGO und bei einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs nach § 80 a VwGO. Kommt es der Behörde in einem Fall, in dem ein Bescheid nach § 80 BauO im Verhältnis zum öffentlichen Bauherrn keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen entfaltet, jedoch darauf an, Dritten gegenüber die mit einem Verwaltungsakt verbundenen rechtlichen Wirkungen auszulösen, so steht es ihr frei, entsprechende Bescheide mit gestaltender oder feststellender Rechtswirkung an die Dritten, z. B. die Nachbarn eines Vorhabens, zu richten. Dies ist hier aber nicht geschehen.
31Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen nichts damit zu tun hat, dass es in den Fällen des § 80 BauO nicht um die Erteilung einer Baugenehmigung, sondern lediglich um eine Zustimmung der oberen Bauaufsichtsbehörde zu einem Vorhaben eines öffentlichen Bauherrn geht, das einer Baugenehmigung nicht bedarf. Auch eine solche Zustimmung kann wie eine Baugenehmigung auf Rechtswirkung nach außen gerichtet sein, nämlich etwa dann, wenn es sich bei dem öffentlichen Bauherrn um den Bund, einen Landschaftsverband, eine andere Gebietskörperschaft oder sonst eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt, die gegenüber dem Land eigene Rechte und Pflichten haben und auch durch eine Zustimmung tituliert bekommen kann.
32So war etwa auch in den von dem Beigeladenen und den Klägern zitierten Fällen der Deutschen Bundespost als juristischer Person des öffentlichen Rechts eine Zustimmung zur Errichtung einer Funkübertragungsstelle mit Antennenträger erteilt worden.
33Vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 11. März 1993 - 3 TH 768/92 -, BRS 55 Nr. 185; OVG NRW, Urteil vom 13. März 1981 - 10 A 2501/79 -, BRS 38 Nr. 172; Beschluss vom 7. Juli 1989 - 11 B 170/89 -, BRS 49 Nr. 169.
34Anders ist es aber dann, wenn das Land selbst Bauherr ist und bei der eigenen Oberen Bauaufsichtsbehörde ein Zustimmungsverfahren nach § 80 BauO veranlasst. Das Land kann nicht Träger eines Rechtes gegen sich selbst oder die eigene Behörde sein. Es kann keinen Anspruch gegen die eigene Behörde auf Erteilung der Zustimmung haben und auch keine Verpflichtungsklage gegen die eigene Obere Bauaufsichtsbehörde und damit gegen sich selbst erheben, wenn diese eine Zustimmung versagen würde. Würde in einem solchen Fall das Land trotzdem mit dem Bauvorhaben beginnen, könnte die staatliche - Untere oder Obere - Bauaufsichtsbehörde auch nicht durch Ordnungsverfügung gegen das Land oder das zuständige Ministerium oder den Landesbeauftragten oder den Bau- und Liegenschaftsbetrieb einschreiten; entsprechend könnte das Land, wenn gleichwohl eine solche Ordnungsverfügung erginge, auch nicht in einem in-sich-Prozess eine Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der Ordnungsverfügung der eigenen Behörde durch die Verwaltungsgerichte des Landes erheben. Auch ein Anspruch eines betroffenen Nachbarn gegen die Bauaufsichtsbehörde auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen das Land als Bauherren und damit letztlich gegen die der Bauaufsichtsbehörde übergeordneten Stellen der Landesregierung käme in einem solchen Fall nicht in Betracht, und zwar unabhängig davon, ob das Land von Anfang an ohne die vorgeschriebene Zustimmung der Oberen Bauaufsichtsbehörde bauen würde oder nach Aufhebung einer strittigen Zustimmung durch ein Gericht weiter bauen würde. Den betroffenen Nachbarn stünde in einem solchen Fall allerdings die Möglichkeit einer Unterlassungsklage unmittelbar gegen das Land als öffentlichen Bauherren zur Verfügung.
35Aus alledem ist ersichtlich, dass das Zustimmungsverfahren und die Zustimmung in einem Fall der vorliegenden Konstellation nichts anderes sind als Maßnahmen der landesverwaltungsinternen Beteiligung und der Mitprüfung eines Vorhabens des Landes durch die sektoral und regional besonders sachverständige Stelle der eigenen Landesverwaltung und dass der am Ende des Zustimmungsverfahrens stehenden Zustimmung nur die Funktion einer im eigenen Interesse des Landes vorgeschriebenen, verwaltungsinternen Stellungnahme zukommt. Mangels einer Regelung mit rechtlicher Außenwirkung fehlt ihr aber die begriffliche Qualität des Verwaltungsaktes. Dem Fehlen der Außenwirkung entsprechend ist auch ein praktisches Bedürfnis für die Aufgaben und Funktionen nicht erkennbar, die der Begriff des Verwaltungsaktes im Verwaltungsverfahrensrecht und im Verwaltungsprozessrecht oder im jeweiligen Sektor des materiellen Rechts hat. Insbesondere bedarf es nicht der Qualifizierung der Zustimmung als Titel im Verhältnis Bauherr-Behörde-Dritter im Hinblick auf Bestandskraft, Vertrauensschutz und Vollziehbarkeit und im Hinblick auf die Klageart, die Notwendigkeit eines Vorverfahrens und die Fristen für Rechtsbehelfe. Es erscheint nicht nur sachgerecht, sondern auch rechtsstaatlich geboten, dass sich das Land als öffentlicher Bauherr nicht auf die Bestandskraft der Zustimmung berufen kann, wie es hier die Beklagte in ihren Widerspruchsbescheiden mit der Zurückweisung der Widersprüche der Kläger als verspätet und unzulässig getan hat. Wenn unterstellt wird, dass das Vorhaben materiell illegal ist, soll sich der Staat nicht hinter einer Unanfechtbarkeit einer fehlerhaften internen Stellungnahme aus der eigenen Landesverwaltung und hinter einer selbst erzeugten, aber nur formellen Legalität verschanzen dürfen. Das Land, das sich selbst durch die eigene Verwaltungsbehörde eine rechtswidrige Beurteilung seines Bauvorhabens erteilt, verdient nicht auch noch Sicherheit im Unrecht und Vertrauensschutz gegenüber betroffenen Bürgern, die ihrerseits auf die Bindung des Staates an Gesetz und Recht vertrauen dürfen. Rechtsstaat heißt Rechtssicherheit der Bürger und nicht Unrechtssicherheit des Staates, und zwar auch und gerade dann, wenn es um die Erfüllung der gesetzlich begründeten Aufgaben der Daseinsvorsorge geht.
36Das für die Zustimmung der Oberen Bauaufsichtsbehörde gemäß § 80 Abs. 1 BauO Gesagte gilt auch und erst recht für einen Vorbescheid gemäß § 80 Abs. 1 in Verbindung mit § 71 Abs. 1 BauO. Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
37Die mit dem "Bauvorbescheid" vom 19. Oktober 2001 gemäß § 80 Abs. 1 in Verbindung mit § 71 Abs. 1 BauO erteilte Zustimmung stellt keinen Verwaltungsakt dar, sondern lediglich eine Stellungnahme zu der "Vereinbarkeit des Vorhabens mit den planungsrechtlichen Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche". Daraus wiederum folgt, dass die Beklagte durch die angefochtenen Widerspruchsbescheide im Ergebnis zu Recht die Widersprüche der Kläger als unzulässig zurückgewiesen hat und dass die vorliegende Anfechtungsklage gegen die Obere Bauaufsichtsbehörde nicht statthaft und deshalb unzulässig ist.
38Wie bereits angesprochen, wird aber mit der Unstatthaftigkeit der Anfechtungsklage der betroffene Dritte rechtlich nicht schutzlos gestellt. Der Wegfall der Fixierung auf den Begriff des Verwaltungsaktes und auf die Anfechtungsklage eröffnet vielmehr im Ergebnis weitere und funktional angemessenere Möglichkeiten des Rechtschutzes. Qualifiziert man die Errichtung einer psychiatrischen Einrichtung für den Maßregelvollzug und den Neubau einer Klinik dieser Art und deren Betrieb durch das Land, das zuständige Ministerium oder den Landesbeauftragen für den Maßregelvollzug einschließlich der Übertragung des Betriebes auf eine privatrechtliche GmbH als schlicht-hoheitliche Verwaltungstätigkeit des Landes, so kann ein betroffener Dritter seine Rechte gemäß § 43 Abs. 2 VwGO durch allgemeine Leistungsklage in der Form der Unterlassungsklage verfolgen. Als zu verfolgendes Recht im Sinne dieser Vorschrift kommt der öffentlich-rechtliche Abwehr-, Unterlassungs- und (Folgen-) Beseitigungsanspruch in Betracht, der durch Rechtssprechung und Literatur aus der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht, aus dem Rechtsstaatsprinzip, der Rechtsweggarantie und aus den Freiheitsgrundrechten (Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4, 2 und 14 des Grundgesetzes) hergeleitet worden ist. Er setzt in Anlehnung an den zivilrechtlichen Abwehranspruch aus § 1004 BGB voraus, dass ein Rechtsgut oder ein rechtlich geschütztes Interesse einer Person durch schlicht-hoheitliche Verwaltungstätigkeit beeinträchtigt wird, die Beeinträchtigung rechtswidrig und auch für die Zukunft zu befürchten ist und die Person nicht aus besonderen Gründen zu ihrer Duldung verpflichtet ist. Ohne sachlichen Unterschied setzte die im Gesetzgebungsverfahren für ein Staatshaftungsgesetz erarbeitete Fassung des Folgenbeseitigungsanspruchs voraus, dass die öffentliche Gewalt eine Pflicht des öffentlichen Rechts verletzt, die ihr einer anderen Person gegenüber obliegt, daraus eine Veränderung eines tatsächlichen Zustandes zum Nachteil der Person entsteht und die Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes möglich, zulässig und zumutbar ist (vgl. BGBl 1981 I Seite 553).
39Die dafür statthafte Unterlassungsklage ist nicht fristgebunden und auch nicht, wie die baurechtliche Nachbarklage, auf den Schutz dinglicher Rechte, insbesondere des Eigentums an Grundstücken in unmittelbarer Nachbarschaft des Vorhabengrundstücks beschränkt. Sie erlaubt vor allem auch eine Verlagerung des Schwerpunktes der rechtlichen Prüfung: Weg von den baulichen Anlagen, deren bloße Errichtung in dieser konkreten Lage im Außenbereich grundsätzlich, d. h. der Art der baulichen Nutzung nach, gegen nachbarschützendes Bauplanungsrecht nicht verstoßen dürfte, und hin zu deren (späterer) Nutzung, zu dem eigentlichen Betrieb der Klinik, der - in welcher bauplanungsrechtlichen Umgebung auch immer - stets den zum Schutz aller Bürger erforderlichen Sicherheitsstandards genügen muss. Da aus der Sicht der Kläger die bekämpften und auch im Interesse der Allgemeinheit zu minimierenden Gefahren nicht vom Baurecht und dessen Anwendung im Einzelfall, sondern vielmehr vom Recht des Maßregelvollzugs als Teil des Gesundheitsrechtes und dessen Anwendung in Nordrhein-Westfalen ausgehen dürften, bietet die Unterlassungsklage durch eine flexible Fassung der Anträge funktional angemessenere Möglichkeiten der Konzentration des Rechtsschutzes auf die Modalitäten des konkreten Klinikbetriebes (z. B. Zweitgutachten eines unabhängigen Gutachters vor den ersten Lockerungsmaßnahmen; Praxis eines 1:1 begleiteten Ausgangs).
40Eine auf die Unterlassung einer unsicheren Betriebsführung gerichtete Unterlassungsklage wäre allerdings nicht gegen die Beklagte des vorliegenden Verfahrens, sondern gegen das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen, zu richten. Entsprechendes gilt für einen Antrag, der auf die Unterlassung der Übertragung der Betriebsführung auf einen privaten Dritten ohne gleichzeitige Sicherstellung einer sicheren Betriebsführung durch den Dritten gerichtet wäre (vgl. § 29 MRVG i. V. m. § 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Maßregelvollzugsgesetz vom 23. Dezember 2001, GV. NRW. 2002 S. 22).
41Aber selbst wenn man den strittigen Bescheid vom 19. Oktober 2001 als Verwaltungsakt qualifizieren würde und folglich die Anfechtungsklage statthaft wäre, so wäre sie doch jedenfalls unbegründet. Allerdings nicht deshalb, weil der Bescheid bestandskräftig geworden wäre, wie die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid angenommen hat; denn wenn man - wie im Widerspruchsbescheid - davon ausgeht, dass ab der durch die Akteneinsicht vom 18. Februar 2002 ermöglichten Kenntnis von dem Bescheid die Widerspruchsfrist so gelaufen sei, als sei den Klägern in diesem Zeitpunkt der Bescheid amtlich bekanntgegeben worden, so hätte doch mangels schriftlicher Belehrung der Kläger über die einzuhaltende Widerspruchsfrist gemäß § 58 VwGO eine Widerspruchsfrist von einem Jahr gegolten, die bei Erhebung des Widerspruchs am 28. Juni 2002 noch nicht abgelaufen war. Von einer Verwirkung des Widerspruchsrechts nach Treu und Glauben zu diesem Zeitpunkt kann erst Recht keine Rede sein.
42Die Unbegründetheit einer für statthaft gehaltenen Anfechtungsklage ergibt sich vielmehr daraus, dass der strittige Bescheid über die grundsätzliche Zulässigkeit des Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung - nur insoweit kann nach dem Teilverzicht des Beigeladenen im Erörterungstermin noch eine Rechtswirkung bestehen - jedenfalls nicht gegen nachbarschützendes Bauplanungsrecht verstößt. Dies könnte nur dann angenommen werden, wenn die strittige Art der baulichen Nutzung - ein psychiatrisches Krankenhaus für den Maßregelvollzug - in einer landwirtschaftlich geprägten Umgebung im Außenbereich grundsätzlich, d. h. unabhängig von der Bestimmung der Modalitäten des konkreten Klinikbetriebes und der Erfüllung der zum Schutz aller Bürger erforderlichen Sicherheitsstandards, in jedem Falle rücksichtslos und deshalb unzulässig wäre. Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich und auch von den Klägern nicht substantiiert vorgetragen worden.
43Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO.
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