Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 8 L 776/05
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller bis zu dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem B. N. in der Standesamtssache 000 000 00/00 zu dulden.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e
2Den Antrag des Antragstellers,
3eine einstweilige Anordnung gem. § 123 VwGO dahingehend zu erlassen, dass der Antragsgegnerin verboten wird, Abschiebungsmaßnahmen gegenüber dem Antragsgegner durchzuführen",
4versteht das Gericht mit Blick auf die Antragsbegründung dahingehend,
5die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu Lasten des Antragstellers bis zu dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem B. N. in der Standesamtssache 000 000 00/00 abzusehen.
6Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.
7Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch aus § 60 a Abs. 2 AufenthG glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
8Nach § 60 a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
9Der Abschiebung des - seit der rechtskräftigen Ablehnung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 00.00.0000 durch Urteil des VG B1. vom 00.00.0000 (00 K 0000/00.A) unanfechtbar ausreisepflichtigen - Antragstellers stehen Rechtsgründe entgegen, da sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren ist. Eine Abschiebung des Antragsteller vor dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem B. N. in der Standesamtssache 000 000 00/00, das auf die Anweisung des Standesbeamten in S. gerichtet ist, die Ehe zwischen dem Antragsteller und seiner Verlobten zu schließen, da es sich bei der beabsichtigten Ehe nicht um eine Scheinehe handele, stünde außer Verhältnis zu dem mit der Abschiebung verfolgten Zweck, die - unanfechtbare - Ausreisepflicht des Antragstellers im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen.
10Eine vorherige Abschiebung des Antragstellers wäre mit Blick auf die in wenigen Wochen zu erwartende Anhörung des Antragstellers und seiner Verlobten vor dem B. N. und die anschließende Entscheidung, die wiederum wenige Wochen nach der Anhörung ergehen wird, nicht angemessen.
11Bei der Prüfung der Angemessenheit der beabsichtigten Abschiebung ist zugunsten des Antragstellers das ihm aus Art. 103 Abs. 1 GG zustehende Recht auf rechtliches Gehör vor Gericht und die auch ihm als Ausländer
12- vgl. BVerfG, Entscheidung vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 696/68 - , BVerfGE 31, 58 = NJW 1971, 1509 = FamRZ 1971, 414 -
13aus Art. 6 Abs. 1 GG zugute kommende Eheschließungsfreiheit zu berücksichtigen.
14Art. 103 Abs. 1 GG verleiht jedermann ein grundrechtsgleiches Recht auf rechtliches Gehör vor Gericht, und zwar auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit.
15Vgl. BVerfG, Entscheidung vom 11. Mai 1965 - 2 BvR 747/64 -, BVerfGE 19, 49, 51 = NJW 1965, 1267; Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 766/89 -, BVerfGE 59, 381, 390 = NJW 1994, 1053 = FamRZ 1994, 493.
16Gemäß § 48 Abs. 1 PStG sind auf das gerichtliche Verfahren in Personenstandsangelegenheiten - so auch in Verfahren, die auf die Anweisung eines Standesbeamten zur Vornahme einer abgelehnten Amtshandlung gerichtet sind (vgl. § 45 Abs. 1 PStG) - die Vorschriften über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden. Darüber hinaus schreibt § 47 Abs. 2 Satz 2 PStG für die Berichtigung von Eintragungen ausdrücklich vor, dass die Beteiligten vor der Entscheidung zu hören sind. Zwar bezieht sich die Vorschrift ihrer systematischen Stellung nach nur auf das gerichtliche Berichtigungsverfahren. Da es sich jedoch nur um eine konkrete Ausformung der aus § 12 FGG und Art. 103 Abs. 1 GG entwickelten allgemeinen Grundsätze handelt, ist diese Norm in allen personenstandsrechtlichen Verfahren heranzuziehen und erfasst auch das Anweisungsverfahren.
17Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17. August 1999 - 2 M 66/99 -, NVwZ-RR 2000, 641.
18Die mithin vorzunehmende Anhörung des Antragstellers vor dem B. N. , deren Unterlassung sein Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzen würde, kann dem Antragsteller zwar auch anhand einer Betretenserlaubnis ermöglicht werden. Da die Anhörung jedoch in wenigen Wochen stattfinden wird, wäre es unangemessen, die Ausreisepflicht des Antragstellers zum jetzigen Zeitpunkt zwangsweise durchzusetzen und ihn mit den Kosten einer kurzfristig erforderlich werdenden Wiedereinreise zu belasten.
19Da der Ausgang des amtsgerichtlichen Verfahrens offen ist und der Standesbeamte in S. durch das B. N. möglicherweise - rechtskräftig - angewiesen wird, die Ehe zwischen dem Antragsteller und seiner Verlobten zu schließen, ist die Abschiebung des Antragstellers zum jetzigen Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung der dann unmittelbar bevorstehenden, von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Eheschließung - sämtliche zur Eheschließung erforderlichen Unterlagen liegen vor - unangemessen, da der Antragsteller in diesem Fall mit den Kosten einer weiteren, kurzfristig erforderlich werdenden Einreise belastet würde.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
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