Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 11 K 318/06
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2005 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Der am 25. Juni 1951 geborene Kläger war technischer Fernmeldeoberamtsrat im Dienst der Beklagten und wurde mit Ablauf des 30. September 2000 wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Seit dem 2. Februar 2000 ist der Kläger in dritter Ehe verheiratet. Sein einzigster Sohn N. (geb. am 20. Januar 1987) entstammt der mit Frau C. am 7. Juni 1984 geschlossenen Ehe. Bis zur Scheidung der Ehe im Jahre 1991 erfolgte die Zahlung des Kindergeldes und des kinderbezogenen Anteils des Familienzuschlags an den Kläger. Danach wurde die Zahlung auf die geschiedene Ehefrau, die selbst als Beamtin im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, umgestellt, da der gemeinsame Sohn fortan bei ihr lebte.
3Im Rahmen der Zurruhesetzung gab der Kläger unter dem 11. August 2000 in einer Erklärung zum Familienzuschlag - wahrheitsgemäß - an, dass sein Sohn N. bei seiner geschiedenen Ehefrau lebe, die auch das Kindergeld vom Land NRW, OFD Münster, erhalte. Mit Bescheid vom 2. November 2000 setzte die Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers fest. Die Anlage 1b des Bescheides wies einen Familienzuschlag Stufe 1/2 aus sowie einen Unterschiedsbetrag für ein Kind in Höhe von 162,06 DM. Dieser bezog sich - worauf im Bescheid nachrichtlich hingewiesen wurde - auf den Sohn N. . Auf Grund dessen erhielt der Kläger bis zur Volljährigkeit seines Sohnes im Januar 2005 monatlich den kinderbezogenen Anteil im Familienzuschlag, der in den Bezügemitteilungen bis zum 31. Dezember 2002 als "FZ Kinderanteil" und danach als "Ausz FZ Kinder" ausgewiesen war.
4Im Juni 2005 stellte die Beklagte durch den Austausch einer Vergleichsmitteilung fest, dass auch die geschiedene Ehefrau C. neben dem Kindergeld den kinderbezogenen Familienzuschlag erhalten hatte. Daraufhin forderte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 2005 von dem Kläger den in der Zeit vom 1. Oktober 2000 bis zum 31. Januar 2005 zu Unrecht gezahlten Unterschiedsbetrag in Höhe von insgesamt 4.941,43 EUR zurück und führte aus: Bei sorgfältigem Lesen der Bezügemitteilungen hätte dem Kläger die Überzahlung des gesondert ausgewiesenen Unterschiedsbetrags auffallen müssen. Der überzahlte Betrag werde in 20 Raten von den Versorgungsbezügen einbehalten.
5Seinen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er die erfolgte Überzahlung nicht habe erkennen können. Die Bezügemitteilungen hätten ab Januar 2003 den Hinweis "Familienzuschlag (Stufe 1)" enthalten. Diese Ausweisung beinhalte nach der Kommentierung, dass der Beamte verheiratet sei und - im Gegensatz zur "Stufe 2" - ein Kind nicht berücksichtigt werde. Dass ihm ein darüber hinausgehender Zuschlag gewährt worden sei, sei ihm daher nicht bewusst gewesen. Überdies sei er nicht mehr bereichert.
6Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe auf Grund der Hinweise, die in dem Merkblatt zur Erklärung zum Familienzuschlag enthalten gewesen seien, sowie angesichts der separaten Ausweisungen des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag bei den Bezügemitteilungen erkennen können, dass ihm zu Unrecht für seinen Sohn N. der Zuschlag gewährt worden sei. Der Kläger habe die Verpflichtung, die überlassenen Besoldungsunterlagen einzusehen und auf Überzahlung zu achten. Bei Durchführung einer solchen Prüfung, die er offenbar unterlassen habe, hätte ihm die Überzahlung ohne weiteres auffallen müssen. Die Einrede der Entreicherung könne daher nicht durchgreifen. Ein Absehen der Rückforderung aus Billigkeitsgründen werde nach Abwägung der unterschiedlichen Interessen abgelehnt. Besondere Gründe, warum von der Rückzahlung ganz oder teilweise abgesehen werden sollte, seien nicht ersichtlich. Die dem Kläger zur Tilgung des Rückzahlungsbetrages eingeräumte Ratenzahlung nehme in genügendem Maße auf seine wirtschaftliche Situation Rücksicht.
7Am 16. Februar 2006 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er weiter vorträgt: Die Voraussetzungen für eine verschärfte Haftung nach § 819 BGB lägen nicht vor. Er habe sämtliche Angaben zum Familienzuschlag und zu den kinderbezogenen Leistungen wahrheitsgemäß und vollständig gemacht. Bei der Berechnung der Versorgungsbezüge im Jahr 2000 seien dann Fehler entstanden, die die Beklagte aufgrund ihrer hierbei vernachlässigten Sorgfaltspflichten zu vertreten habe. Sowohl auf dem Text der Bezügemitteilung vor der Zurruhesetzung als auch danach habe sich der Satz befunden: Halber Betrag der Familienzuschlag-Stufe 1: Ehegatte als Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst beschäftigt (§ 40 Abs 4 BBesG). Hieraus sei keinesfalls für ihn ersichtlich gewesen, dass der Sohn N. beim Familienzuschlag berücksichtigt worden sei.
8Der Kläger beantragt,
9den Bescheid der E. vom 5. Juli 2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und führt ergänzend an: Im Bescheid zur Festsetzung des Ruhegehalts vom 2. November 2000 sei in der Anlage 1b explizit der Unterschiedsbetrag für ein Kind ausgewiesen. Weiter werde nachrichtlich beim Unterschiedsbetrag erwähnt: Kind N. , 20.1.1987. Hieraus habe der Kläger ganz klar entnehmen können, dass die entsprechende Leistung für den Sohn N. gewährt worden sei. Überdies sei in den Bezügemitteilungen der kinderbezogene Anteil im Familienzuschlag gesondert ausgewiesen worden.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die mit Bescheid geltend gemachte Rückforderung des überzahlten Unterschiedsbetrags liegen nicht vor.
16Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Versorgungsbezügen ist § 52 Abs. 2 BeamtVG. Nach Satz 1 dieser Bestimmung regelt sich die Rückzahlung zuviel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Bezüge sind im Sinne dieser Vorschrift zuviel gezahlt, wenn sie ohne rechtlichen Grund geleistet worden sind. Erfolgte die Zahlung von Bezügen auf der Grundlage eines wirksamen Verwaltungsakts, so stellt ein solcher Verwaltungsakt - unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit - den Rechtsgrund für die Zahlung dar, solange er nicht wirksam zurückgenommen worden ist. Die an den Kläger gerichtete monatliche Zahlung des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag in der Zeit vom 1. Oktober 2000 bis zum 31. Januar 2005 erfolgte auf Grund des Versorgungsfestsetzungsbescheides vom 2. November 2000. In diesem auf § 49 Abs. 1 S. 1 BeamtVG beruhenden Festsetzungsbescheid ist in Anlage 1b ein der Höhe nach festgelegter Unterschiedsbetrag für den Sohn des Klägers ausgewiesen. Einer solchen Bestimmung im Versorgungsfestsetzungsbescheid kommt Verwaltungsaktqualität zu. Denn damit wird der gesetzliche Anspruch des Versorgungsempfängers auf Zahlung des Unterschiedsbetrags, welcher gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 BeamtVG Bestandteil der Versorgungsbezüge ist, konkretisierend festgestellt. Da zudem die auf der Grundlage des § 50 Abs.1 BeamtVG erfolgende Gewährung eines Familienzuschlags bzw. eines Unterschiedsbetrags die vorherige Feststellung bestimmter Tatsachen voraussetzt, folgt auch aus diesem Umstand der für die Verwaltungsaktqualität notwendige Regelungscharakter dieser Maßnahme in dem Versorgungsfestsetzungsbescheid.
17Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 1959 - VI C 91.57 -, DÖV 1959, 581; May in: Schützwald, Beamtenrecht, Kommentar, § 52 BeamtVG Rn. 27 ff und § 98 LBG NRW Rn. 22. Zwar hat der Beklagte den der monatlichen Zahlung des Unterschiedsbetrags an den Kläger zugrunde liegenden Teil des Versorgungsfestsetzungsbescheides nicht ausdrücklich aufgehoben. In der Rückforderung der überzahlten Bezüge ist jedoch konkludent die Rücknahme des insoweit entgegenstehenden Versorgungsfestsetzungsbescheides zu sehen. Denn mit der Rückforderung hat die Beklagte zugleich zum Ausdruck gebracht, dass dem Kläger ein Anspruch auf den Unterschiedsbetrag im Rahmen des Versorgungsbezuges nicht zusteht, der Versorgungsfestsetzungsbescheid also insoweit fehlerhaft ist.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1969 - VI C 94.64 -, RiA 1969, 139; und Urteil vom 21. Juli 1983 - 3 C 11/82 -, NVwZ 1984, 518. Indes erfüllt die in dem Rückforderungsbescheid zu sehende teilweise Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheides nicht die in § 48 VwVfG enthaltenen Anforderungen, weil es letztlich an der erforderlichen Ermessensausübung fehlt.
19Nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dem Kläger ist in der Zeit vom 1. Oktober 2000 bis zum 31. Januar 2005 zu Unrecht der Unterschiedsbetrag (sog. kinderbezogene Anteil im Familienzuschlag) gewährt worden. Auf der Grundlage der § 50 Abs. 1 BeamtVG iVm § 40 Abs. 2, 3 und 5 BBesG stand nicht dem Kläger, sondern seiner geschiedene Ehefrau, die im maßgeblichen Bezugszeitraum im öffentlichen Dienst beschäftigt war und das Kindergeld für den gemeinsamen Sohn N. erhalten hatte, der kinderbezogene Anteil im Familienzuschlag zu. Dieses ist unter den Beteiligten unstreitig.
20Auch kann sich der Kläger nicht darauf berufen, er habe gemäß § 48 Abs.2 S. 1 VwVfG auf den Bestand des Versorgungsfestsetzungsbescheides vertraut. Nach § 48 Abs.2 S.3 Nr.3 VwVfG kann sich der durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Vewaltungsaktes kannte oder in grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht lässt. Dabei ist auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Empfängers abzustellen. Einem Beamten ist auf Grund seiner beamtrechtlichen Treuepflicht zuzumuten, Bescheide über gewährte Dienstbezüge unter Hinzuziehung etwaiger ihm von seinem Dienstherrn an die Hand gegebener Merkblätter oder Erläuterungen sorgfältig zu lesen und ggf. mittels Nachdenkens und logischer Schlussfolgerungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Gelangt er hierbei nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, so ist er bei Unklarheiten und Zweifeln gehalten, sich durch Rückfragen Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die Zahlung zu Recht erfolgt ist.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1985 - 2 C 16.84 -, BVerwGE 71,77, m.w.N. Gemessen hieran kann dem Kläger grobe Fahrlässigkeit vorgehalten werden. In dem Versorgungsfestsetzungsbescheid ist in Anlage 1 b) ausdrücklich ein Unterschiedsbetrag ausgewiesen. Nachrichtlich hinzugefügt ist der Hinweis: berücksichtigte Kinder: N. , geb. 20.1.1987. Schon angesichts dieser Darstellung im Versorgungsfestsetzungsbescheid selbst musste für den Kläger ersichtlich sein, dass der neben dem Ruhegehalt separat ausgewiesene Unterschiedsbetrag sich auf seinen Sohn bezog. Zusammenhänge mit dem ebenfalls - insoweit zu Recht - festgesetzten halben Familienzuschlag konnten sich für den Kläger nicht aufdrängen, da der Unterschiedsbetrag davon unabhängig ausgewiesen war. Der Kläger hätte mithin ohne größere Schwierigkeiten den seine persönlichen Verhältnisse betreffenden Irrtum in Bezug auf die Ausweisung des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag erkennen können. Hinzu kommt, dass die sodann monatlich erteilten Versorgungsbezügemitteilungen ebenfalls diesen Unterschiedsbetrag neben dem Familienzuschlag separat auswiesen mit dem Hinweis: "FZ Kinderanteil" bzw. "Ausz FZ Kinder". Diese Position war in den Bezügemitteilungen, die der Kläger während seiner vorherigen aktiven Dienstzeit bekommen hatte, - richtigerweise - nicht enthalten. Bei dieser Sachlage hätten dem Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten zumindest Zweifel an der Richtigkeit der erfolgten Festsetzung und der darauf basierenden monatlichen Auszahlung des Unterschiedsbetrags kommen müssen. Dies gilt besonders deshalb, weil er vor seinem Eintritt in den Ruhestand überhaupt keine kinderbezogenen Leistungen von seinem Dienstherrn erhalten hatte. Vielmehr war es die geschiedene Ehefrau, die neben dem Kindergeld seit der Ehescheidung auch den kinderbezogenen Anteil im Familienzuschlag bekommen hatte. Angesichts dessen durfte der Kläger mithin nicht mit guten Gründen auf die Rechtmäßigkeit der maßgeblichen Festsetzung im Versorgungsbescheid vertrauen. Dass dabei nicht das Verhalten des Klägers den Anlass für die fehlerhafte Festsetzung des Unterschiedsbetrag im Versorgungsfestsetzungsbescheid gebildet hat, vielmehr die Ursache im Verantwortungsbereich der Beklagten liegt, vermag an der Bewertung im Rahmen dieses Prüfungspunktes nichts zu ändern.
22Des weiteren steht der teilweisen Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheides nicht die Jahresfrist des § 48 Abs.4 S.1 VwVfG entgegen, wonach die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig ist, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhalten hat, welche die Rücknahme rechtfertigen. Die Regelung des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG findet auch dann Anwendung, wenn die Behörde - wie hier - nachträglich erkennt, dass sie den ihr bei Erlass des Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt unrichtig gewürdigt und deshalb rechtswidrig entschieden hat. Die Frist beginnt in diesem Falle erst dann zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind.
23Vgl. BVerwG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - GrSen 1/84 u. 2/84 -, DVBl 1985, 522; BVerwG, Urteil vom 20.. Juni 1985 - 2 C 101.81 -, ZBR 1985, 341. Vorliegend hat die Beklagte erst im Rahmen der Prüfung der Gewährung von Kindergeld für Kinder nach Vollendung des 18. Lebensjahres durch die vom Dienstherrn der geschiedenen Ehefrau gegebenen Vergleichsmitteilung im Juni 2005 erkannt, dass eine unzulässige Doppelzahlung hinsichtlich des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag vorgelegen hat und dem Kläger seit Eintritt in den Ruhestand neben seinem Ruhegehalt ungerechtfertiger Weise der Unterschiedsbetrag gewährt worden war.
24Die teilweise Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheides erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr gemäß § 48 VwVfG zustehende Ermessen nicht ausgeübt hat. Weder der Ausgangs- noch der Widerspruchsbescheid lassen erkennen, dass die Beklagte sich des ihr eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist. Vielmehr fehlt schon jeglicher innerer Bezug zwischen der erfolgten Überzahlung des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlags und dem Versorgungsfestsetzungsbescheid als Grundlage dafür. So enthält der Ausgangsbescheid nur Aspekte, die die Feststellung der Überzahlung selbst sowie die Frage der Erkennbarkeit für den Kläger zum Gegenstand haben. Auch dem Widerspruchsbescheid können keine gesonderten Ermessenserwägungen entnommen werden. Das lediglich unter dem Aspekt der Billigkeit allein angeführte Bemerken, besondere Gründe von einer Rückzahlung ganz oder teilweise abzusehen, seien nicht ersichtlich, reicht hierfür nicht aus. Denn die entsprechende Ausführung bezieht sich erkennbar nur auf den Rückforderungsanspruch gemäß § 52 Abs.2 BeamtVG. Darin kann nicht auch eine Ausübung des Rücknahmeermessens erblickt werden. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - die Behörde eine innere Verknüpfung zwischen der Leistungsgewährung und dem zugrundeliegenden rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt nicht angenommen hat.
25Schließlich kann auch nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null dergestalt ausgegangen werden, dass jede andere als die von der Beklagten getroffene Entscheidung schlechthin unvertretbar gewesen wäre. Im Gegenteil bietet gerade die vorliegende Fallkonstellation durchaus Raum für eine Abwägung der beiderseitigen Belange, die je nach Interessengewichtung unterschiedliche Entscheidungsvarianten als denkbar erscheinen lässt. In diesem Zusammenhang dürfte insbesondere von erheblichem Belang sein, dass die über vier Jahre währende Überzahlung des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag nicht auf unzutreffenden Angaben des Klägers beruhte, sondern allein auf eine fehlerhafte Bearbeitung durch die Beklagte zurückzuführen ist. Dieser maßgebliche Aspekt findet indes in den angefochtenen Bescheiden überhaupt keine Erwähnung.
26Abgesehen von dem fehlenden Ermessensgebrauch hinsichtlich der entsprechenden Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheides erweist sich die Rückforderung der überzahlten Versorgungsbezüge aber auch aus einem weiteren Grund als nicht rechtsfehlerfrei. Unterstellt man die wirksame Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheides, so hat der Kläger zwar den kinderbezogenen Anteil im Familienzuschlag ohne Rechtsgrund erlangt, so dass er gemäß § 52 Abs. 2 S. 2 BeamtVG iVm §§ 812 ff BGB zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet ist. Auch kann er sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen. Er haftet gemäß § 52 Abs. 2 S. 2 BeamtVG iVm § 819 Abs. 1 BGB vielmehr verschärft, weil der Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung so offensichtlich war, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen. Dies ergibt sich aus den gleichen Erwägungen, aus denen die rückwirkende (teilweise) Rücknahme des Festsetzungsbescheides gerechtfertigt ist, da sich die Prüfung, ob die Festsetzung zurückgenommen werden durfte, mit der Prüfung, ob der bei Rechtmäßigkeit der Rücknahme überzahlte Betrag selbst bei Wegfall der Bereicherung nach § 52 Abs. 2 S. 2 BeamtVG iVm § 818 Abs. 3 und 4, § 819 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden darf, deckt.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1972 - VI C 24.69 -, BverwGE 40, 212. Der Rückforderungsbescheid kann allerdings deshalb keinen Bestand haben, weil die gemäß § 52 Abs. 2 S. 3 BeamtVG vorgeschriebene Billigkeitsentscheidung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt.
28Aufgabe der Billigkeitsentscheidung ist es, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalles Rechnung tragen, die formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken. Sie ist vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung. Darüber hinaus sind auch sonstige sachliche Gesichtspunkte zu beachten - insbesondere die Frage, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen; vielmehr ist auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihrer Auswirkungen auf die Lebensumstände des Bereicherungsschuldners abzustellen.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1998 - 2 C 21.97 -, ZBR 1999, 173. Ein eventuelles Mitverschulden des Dienstherrn bzw. von Amtswaltern der für diesen handelnden Behörde ist grundsätzlich in die Ermessensentscheidung mit einzubeziehen, wenn auch nicht notwendigerweise stets mit der Konsequenz einer Verpflichtung zu einem vollständigen oder teilweisen Absehen von der Rückforderung. Ob letzteres geboten ist, richtet sich jeweils nach den besonderen Umständen des Einzelfalles.
30Vgl. OVG NRW; Urteil vom 2. August 2001 - 1 A 3262/99 - , Schütz, Beamtenrecht ES/C V 5 Nr.39.; und Beschluss vom 27. August 2004 - 6 E 89/04 -. Gemessen an diesen Grundsätzen genügt die Billigkeitsentscheidung der Beklagten nicht den Vorgaben. Zwar hat die Beklagte den wirtschaftlichen Belangen des Klägers durch die Einräumung einer ratenweisen Tilgung des zurückgeforderten Betrages Rechnung getragen. Der Aspekt der Ursächlichkeit der Überzahlung wird jedoch völlig außer Acht gelassen. Dieses ist deshalb von besonderer Tragweite, weil die über Jahre erfolgte fehlerhafte Auszahlung des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt. Der Kläger selbst hat eine wahrheitsgemäße Erklärung zum Familienzuschlag abgegeben, die Grundlage für die Erstellung des Versorgungsfestsetzungsbescheides war. Aus welchem Grund trotz der Angaben des Klägers und des in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen schriftlichen Vermerks, dass die geschiedene Ehefrau des Klägers das Kindergeld für den gemeinsamen Sohn N. bezieht, im Versorgungsfestsetzungsbescheid die Zahlung eines Unterschiedsbetrags ausgewiesen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Dass die Beklagte ihr eigenes qualifiziertes Mitverschulden an der Überzahlung der Versorgungsbezüge überhaupt nicht in ihre Ermessenserwägung mit eingestellt hat, lässt die getroffene Billigkeitsentscheidung als fehlerhaft erscheinen.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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