Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 1 L 492/07
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2500 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Antragstellers,
3ihm Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. T. aus N. zu gewähren,
4ist abzulehnen, weil seine Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen nicht die gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
5Der Antrag des Antragstellers,
6die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2007 wiederherzustellen,
7ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
8Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entscheidung des Antragsgegners über den Wechsel des Antragstellers in eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "Körperliche und motorische Entwicklung" auf Seite 1 f. des angefochtenen Bescheides genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
9Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der für notwendig erachteten Maßnahme fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Maßgeblich hierfür ist, dass das Hauptsacheverfahren jedenfalls nicht offensichtlich Erfolg haben wird und die sonstige Abwägung der widerstreitenden Interessen ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides ergibt.
10Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung des Antragsgegners, dass der Antragsteller zum 1. August 2007 in eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "Körperliche und motorische Entwicklung" wechselt, ist nach summarischer Prüfung § 15 Abs. 2 und 3 Satz 1 AO-SF i. V. m. § 13 AO-SF und/oder § 37 Abs. 4 AO-SF. Die Auffassung des Antragsgegners, dass zusätzlich zu dem unstreitig bestehenden Förderschwerpunkt "Lernen" der bereits früher festgestellte Förderschwerpunkt wegen Körperbehinderung (jetzt Förderschwerpunkt "Körperliche und motorische Entwicklung") fortbestehe und der geeignete Förderort in der Sekundarstufe I die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "Körperliche und motorische Entwicklung" sei, ist nicht ersichtlich unvertretbar. Zum einen hat die Klassenkonferenz der bisher vom Antragsteller besuchten Grundschule am 26. November 2006 beschlossen, dass der Förderschwerpunkt des Antragstellers weiterhin im Bereich der körperlich-motorischen Entwicklung liege. Zum anderen sind nach den vorliegenden medizinischen Diagnosen gewichtige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Förderschwerpunkts gegeben. Bei dem Antragsteller besteht nach dem Bericht des Universitätsklinikums N. vom 2. Januar 2007 eine lumbale Spina bifida (Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks im Lendenbereich, "gespaltenes Rückgrat"). Zu den Befunden gehören unter anderem eine inkomplette Querschnittsproblematik mit Lähmungsniveau, eine Skoliose (Seitverbiegung der Wirbelsäule) und eine beidseitige Hüftluxation (Gelenkschädigung der Hüften). Der Antragsteller kann mit Schienen gestützt nur einige Schritte laufen (er fährt mit dem Rollstuhl) und trägt das Korsett und die Schienen nur inkonstant. Er leidet außerdem an einer neurogenen Blasen- und Mastdarmentleerungsstörung. Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Antragsgegners, dass der Antragsteller in der Sekundarstufe I der Förderung in einer Schule mit Personal bedürfe, welches mit schweren körperlichen Behinderungen und den damit verbundenen Belastungen professionell umzugehen versteht, nicht von der Hand zu weisen. Das beschriebene Ausmaß der Körperbehinderung spricht dafür, dass der Antragsteller eine weitergehende Förderung benötigt, als bloß den für einen Rollstuhlfahrer behindertengerechten Ausbau der Schule. Förderschwerpunkte in den Fällen der Körperbehinderung sind auch Hilfen zur Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten, zur Nutzung spezifischer Hilfsmittel, zum möglichst selbständigen Bewältigen alltäglicher Verrichtungen, zur Akzeptanz der eigenen Behinderung sowie zum Aufbau sozialer Beziehungen und zu einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Leistungsmöglichkeiten. Solche Hilfen können in der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "Körperliche und motorische Entwicklung" geleistet werden. Aus den Ausführungen in dem Lernentwicklungsbericht der Grundschule vom 19. Januar 2007 über die Bewegungsfreude des Antragstellers im Sportunterricht folgt entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht, dass kein Förderbedarf wegen der Körperbehinderung besteht. Dieser Bericht endet ausdrücklich mit der Feststellung, dass laut Klassenkonferenz weiterhin sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der körperlich-motorischen Entwicklung bestehe. Aus dem Gutachten vom 24. Mai 2007 (Bericht zum Wechsel des Förderorts) kann der Antragsteller ebenfalls nicht herleiten, dass kein durch die Körperbehinderung begründeter Förderbedarf besteht. Der Gutachter befasst sich entsprechend dem Gutachtenauftrag nur mit der Frage, ob eine Förderung im Bereich des Lernens zusätzlich zu einer Förderung in dem bereits festgestellten Förderschwerpunkt der körperlich-motorischen Entwicklung notwendig ist. Eine abschließende Beurteilung des Einwands des Antragsstellers, er habe keinen sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt "Körperliche und motorische Entwicklung, sondern allein Förderbedarf im Bereich des "Lernens", ist allerdings im vorliegenden Eilverfahren nicht möglich. Hierfür ist voraussichtlich eine aktuelle sachverständige Stellungnahme nötig zu der Frage, ob und welche Fördermaßnahmen in der Sekundarstufe I aufgrund der Körperbehinderung des Antragstellers gegenwärtig im Einzelnen notwendig sind.
11Die nach alledem gebotene, nicht nur an den Erfolgsaussichten der Hauptsache ausgerichtete Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Die Bestimmung einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "Lernen" zum Förderort kann der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht erreichen. Das Gleiche gilt für eine sonderpädagogische Förderung in einer integrativen Lerngruppe einer allgemeinen Schule der Sekundarstufe I. Das Verwaltungsgericht hat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht die Befugnis, einen anderen als den von der Schulaufsichtsbehörde festgelegten Ort der sonderpädagogischen Förderung zu bestimmen. Abgesehen davon ist die von dem Antragsteller in Betracht gezogene B. -X. -Schule, Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, nicht behindertengerecht ausgebaut. Die bei dem Antragsteller (auch) notwendige Förderung im Förderschwerpunkt "Lernen" kann aber in der vom Antragsgegner benannten S. - Westfälische Förderschule mit Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung - geleistet werden. Denn diese Förderschule unterrichtet nach den Richtlinien sowohl der Förderschule "Körperliche und motorische Entwicklung" als auch der Förderschule "Lernen". Soweit der Antragsteller es als besser ansieht, die 4. Klasse der bisher im gemeinsamen Unterricht besuchten X1. -Grundschule zu wiederholen, hält das Gericht die pädagogische Einschätzung des Antragsgegners für einleuchtend, dass eine Wiederholung der 4. Grundschulklasse keinen ausreichenden Lernzuwachs brächte. Nach dem Lernentwicklungsbericht der X1. -Grundschule vom 19. Januar 2007 arbeitete der Antragsteller im ersten Halbjahr der 4. Klasse in allen Fächern weiterhin an den Inhalten, Formen und Materialien der 1. Klasse. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
12Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das beschließende Gericht setzt in Hauptsacheverfahren, welche die Entscheidung über eine sonderpädagogische Förderung betreffen, den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG fest und halbiert diesen Wert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.
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