Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 10 K 2149/08
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger begehrt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A1, BE, CE, DE und T.
3Der Kläger war in der Vergangenheit Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen A1, BE, CE, DE und T. Mit Urteil des Amtsgerichts Borken vom 7. April 2008 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen von der Unfallstelle verurteilt, weil er am 3. Dezember 2007 ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,13 Promille geführt hat und nach einem von ihm verursachten Unfall die Fahrt unter Alkoholeinfluss fortgesetzt hat. Durch das Urteil wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm vor Ablauf einer Sperrfrist von fünf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
4Unter dem 16. Mai 2008 beantragte der Kläger beim Beklagten die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A1, BE, CE, DE und T. Mit Schreiben vom 1. August 2008 forderte der Beklagte den Kläger auf, zur Klärung seiner Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Zur Begründung trug er vor: Das Gutachten sei von dem Kläger zu fordern, weil er gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen habe (§ 11 Abs. 3 Nr. 5 b FeV). Der Kläger sei wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen von der Unfallstelle rechtskräftig verurteilt worden. Wenn er das Gutachten nicht beibringe, werde auf seine Nichteignung geschlossen.
5Mit Schreiben vom 20. August 2008 äußerte sich der Kläger zu der Gutachtenanordnung des Beklagten wie folgt: Bei einer natürlichen Tat, wie er sie begangen habe, lägen keine wiederholten Zuwiderhandlungen im Sinne des § 13 Nr. 2 b FeV vor. Aufgrund der Tatsache, dass die Rechtsprechung gesetzestechnisch im Strafrecht in diesen Fällen Tatmehrheit annehme, könne man nicht von wiederholten Zuwiderhandlungen sprechen. Gemeint sei doch ganz offensichtlich mit der Formulierung "wiederholte Zuwiderhandlungen", dass der Fahrzeugführer zu historisch verschiedenen Zeiten Zuwiderhandlungen begehe. Dies sei bei einem einheitlichen Lebenssachverhalt, den man hier unnatürlich aufspalte, nicht der Fall.
6Mit Schreiben vom 28. August 2008 nahm der Beklagte wie folgt Stellung: Auch nach nochmaliger Prüfung bleibe er bei seiner Rechtsauffassung, dass der Kläger zum Nachweis seiner Kraftfahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorlegen müsse. Das Amtsgericht Borken habe ihn am 7. April 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen von der Unfallstelle verurteilt. Dementsprechend sei festgestellt worden, dass er zwei rechtlich selbständige Handlungen begangen habe. § 13 Nr. 2 b FeV fordere nicht, dass es zu zwei verschiedenen Zeitpunkten oder sogar an zwei verschiedenen Tagen zu Alkoholgenuss und damit im Zusammenhang zu einem Verkehrsverstoß gekommen sei. Die Vorschrift spreche von zwei Zuwiderhandlungen und nicht von zwei Alkoholmissbräuchen. Dafür, dass § 13 Nr. 2 b FeV einen anderen Handlungs- oder Tatbegriff zugrunde lege als das Strafgesetzbuch, gebe es keinen Anhaltspunkt. Dementsprechend sei im Rahmen des § 13 Nr. 2 b FeV von einer wiederholten Zuwiderhandlung auszugehen, wenn auch nach strafrechtlicher Sicht zwei rechtlich selbständige Handlungen gegeben seien. In Ergänzung des Schreibens vom 1. August 2008 werde noch mitgeteilt, dass sich die Anordnung zur Vorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens zum Nachweis der Kraftfahreignung nicht nur auf § 11 Abs. 3 Nr. 5 b FeV stütze, sondern auch auf § 13 Nr. 2 b FeV. Im übrigen fehle noch der Nachweis des Klägers über das Vorliegen der besonderen Anforderungen hinsichtlich Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit gemäß Anlage 5 Nr. 2 zu §§ 1 und 48 FeV. Der Nachweis sei durch ein betriebs- oder arbeitsmedizinisches Gutachten oder durch ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu führen. Darüber hinaus sei noch die Frage zu klären, ob der Kläger als Bewerber der D-Klassen die Gewähr dafür biete, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werde (§ 48 Abs. 5 Nr. 3 FeV).
7Mit Bescheid vom 23. September 2008 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ab. Zur Begründung führte er an: Die Fahrerlaubnis sei erst dann zu erteilen, wenn die gesetzlich vorgesehenen Eignungskriterien vorlägen. Danach sei geeignet, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfülle und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen habe. Ungeeignet dagegen sei, wer die für die Beherrschung eines Kraftfahrzeugs erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten in Folge körperlicher, geistiger und charakterlicher Mängel nicht besitze. Der Kläger sei mit dem Schreiben vom 1. August 2008 und 28. August 2008 zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert worden, weil er gegen verkehrsrechtliche Vorschriften bzw. Strafgesetze verstoßen habe. Da die Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht durch ein positives Gutachten einer amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung ausgeräumt worden seien, werde der Antrag abgelehnt.
8Hiergegen hat der Kläger am 26. September 2008 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Das Amtsgericht Borken habe in seinem Urteil vom 7. April 2008 die Trunkenheitsfahrt insgesamt als fahrlässig angesehen und hätte auch damit keine Verurteilung wegen Trunkenheit in zwei Fällen annehmen dürfen, die offenkundig nicht vorgelegen habe. Nur wenn das Gericht davon ausgegangen wäre, durch den Unfall wäre der Kläger ernüchtert worden und hätte in Kenntnis seiner Trunkenheit die Fahrt fortgesetzt, hätte man eine Zäsur annehmen können und von zwei Trunkenheitsfahrten im Sinne der Konkurrenzlehre des Strafrechts sprechen können. Jetzt liege auch im strafrechtlichen Sinne nur eine Trunkenheitsfahrt vor, bei der der Kläger sich insgesamt während des Fahrens nicht bewusst gewesen sei, dass er fahruntüchtig gewesen sei. Es liege zu keinem Zeitpunkt eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt vor. Der Kläger habe auf anwaltliches Anraten hin die Absolvierung des medizinisch-psychologischen Gutachtens abgelehnt mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 13 Nr. 2 b FeV lägen nicht vor. Mit wiederholtem Zuwiderhandeln in § 13 Nr. 2 b FeV sei kein akademisch-juristisches Konstrukt gemeint, je nach dem, wie man eine Trunkenheitsfahrt auslege und einordne, wenn noch eine Unfallflucht hinzu komme, sondern damit sei nach allgemeinem Verständnis für jeden unbefangenen Beobachter gemeint, dass die mehrfache Straßenverkehrsteilnahme unter Alkohol einen Missbrauch im Sinne des § 13 Nr. 2 b FeV sein solle. Grundlage für die Kraftfahreignungszweifel sei der missbräuchliche Alkoholkonsum. Ob man mehrere Tatentschlüsse auf einer Fahrt annehme, dürfe nicht entscheidend sein. Entscheidend sei, dass hier im konkreten Fall innerhalb weniger Minuten eine Fahrt mit Alkohol mit einer gleichzeitig begangenen Unfallflucht vorliege. Das sei nicht der Fall des § 13 Nr. 2 b FeV.
9Der Kläger beantragt,
10den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 23. September 2008 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 16. Mai 2008 eine neue Fahrerlaubnis der Klassen A 1, BE, CE, DE und T zu erteilen.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und trägt ergänzend vor: Entgegen der Ansicht des Klägers handele es sich im vorliegenden Fall um eine wiederholte Zuwiderhandlung im Sinne des § 13 Nr. 2 b FeV. Die Vorschrift spreche eindeutig von einer wiederholten Zuwiderhandlung und nicht von zwei Alkoholmissbräuchen. Dafür, dass § 13 Nr. 2 b FeV einen anderen Handlungs- oder Tatbegriff zugrundelege als das Strafgesetzbuch, gebe es keinen Anhaltspunkt. Es stehe im vorliegenden Fall fest, dass der Kläger zwei rechtlich selbständige Handlungen begangen habe. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass sich die Ordnungsverfügung neben § 13 Nr. 2 - FeV auch auf § 11 Abs. 3 Nr. 5 b FeV stütze.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis, so dass er durch die ablehnende Entscheidung des Beklagten nicht rechtswidrig in seinen Rechten verletzt wird im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
17Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu Recht mit Bescheid vom 23. September 2008 abgelehnt. Der Kläger erfüllt derzeit die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht, weil er nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 StVG zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist.
18Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist gemäß § 2 Abs. 4 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat. Konkretisierend bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV, dass diese Anforderungen nicht erfüllt sind, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegt, wodurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist bei Alkoholmissbrauch, d. h., wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können, im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen für alle Klassen ausgeschlossen. Die Eignung ist gemäß Nr. 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung erst dann wiederhergestellt, wenn nach Beendigung des Missbrauchs die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Der Beklagte hat zu Recht auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 11 Abs. 8 FeV geschlossen, weil dieser nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch die Wiedererlangung der Fahreignung nicht durch die von ihm geforderte Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachgewiesen hat.
19Der Schluss auf die Nichteignung war zulässig, weil die Gutachtenanordnung rechtmäßig war. Die mit den Schreiben des Beklagten vom 1. August 2008 und vom 28. August 2008 verfügte Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, mit der die Frage geklärt werden sollte, ob zu erwarten sei, dass der Kläger künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, beruht auf § 13 Nr. 2 b FeV. Danach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Diese Voraussetzungen lagen vor.
20Der Kläger wurde durch Urteil des Amtsgerichts Borken vom 7. April 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei Fällen verurteilt. Dementsprechend hat er zwei Straften gem. § 316 StGB in Tatmehrheit und damit wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen. Im Rahmen des § 13 Nr. 2 b FeV ist von einer wiederholten Zuwiderhandlung auszugehen, wenn auch nach strafrechtlicher Sicht zwei rechtlich selbständige Handlungen gegeben sind. Liegt auf strafrechtlicher Seite keine natürliche Handlungseinheit vor, sondern zwei selbständige Handlungen, so sind auch die Voraussetzungen des § 13 Nr. 2 b FeV erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers fordert § 13 Nr. 2 b FeV nicht, dass es zu zwei verschiedenen Zeitpunkten oder sogar an zwei verschiedenen Tagen zu Alkoholgenuss und damit im Zusammenhang zu einem Verkehrsverstoß gekommen ist. Die Vorschrift spricht von zwei Zuwiderhandlungen und nicht von zwei Alkoholmissbräuchen. Dafür, dass § 13 Nr. 2 b FeV einen anderen Handlungs- oder Tatbegriff zugrunde legt als das Strafgesetzbuch, gibt es keinen Anhaltspunkt,
21vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 7. Juli 2005 - 6 E 989/05 -; a.A.: VG Meiningen, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 2 E 671/06 ME -, Blutalkohol 44, 404.
22Der Wortlaut der Vorschrift steht dieser Auslegung nicht entgegen. Auch der Sinn und Zweck des Fahrerlaubnisrechts und der Vorschriften über die Anordnung von Gutachten zur Klärung von Eignungszweifeln sprechen für diesen Regelungsgehalt des § 13 Nr. 2 b FeV. Das Fahrerlaubnisrecht soll die Allgemeinheit davor schützen, dass ungeeignete Kraftfahrfahrer am Straßenverkehr teilnehmen und dadurch sich und andere gefährden. Bei Zweifeln an der Fahreignung eines Bewerbers um eine Fahrerlaubnis hat die Fahrerlaubnisbehörde die Möglichkeit, die Vorlage eines Gutachtens zur Klärung der Fahreignung anordnen. Je größer die Zweifel an der Fahreignung sind, desto gebotener ist eine Gutachtenanforderung. Grundlage für Eignungszweifel ist im vorliegenden Fall entgegen der Argumentation des Klägers nicht allein der missbräuchliche Alkoholkonsum, sondern die Schwere des Verstoßes gegen verkehrsrechtliche Vorschriften. Wenn ein Kraftfahrzeugführer - wie im vorliegenden Fall - bei einer Trunkenheitsfahrt einen Unfall verursacht und anschließend die Fahrt unter Alkoholeinfluss fortsetzt, begründet er durch sein Verhalten größere Zweifel an seiner Fahreignung als ein alkoholisierter Fahrer, der nach einem Unfall sein Fahrzeug stehen lässt, denn er zeigt, dass er sich auch durch einen Unfall nicht davon abbringen lässt, gegen Verkehrsvorschriften zu verstoßen, und gibt damit Anlass zu der Vermutung, er werde sich in Zukunft ebenso verhalten.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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