Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 1 L 88/12
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der – sinngemäß gestellte - Antrag des Antragstellers,
3den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen,
4hat keinen Erfolg.
5Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwehren oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist insoweit, dass dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht auf Verpflichtung des Antragsgegners hat, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen. Ein solcher Anspruch des Antragstellers ergibt sich weder aus § 15 Abs. 1 VersG, der spezifisch versammlungsrechtlichen Eingriffsgrundlage, noch unmittelbar aus seinen Grundrechten.
6Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG zu Lasten seiner Rechte oder Rechtsgüter vorliegen. Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Durch das Erfordernis einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt § 15 Abs. 1 VersG, dass die Prognose auf "erkennbaren Umständen" beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.
7Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 77 ff.; st. Rspr.
8Die vom Antragsgegner – ausgehend von der auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffenden rechtlichen Einordnung des geplanten Aufzugs als durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte öffentliche Versammlung - getroffene Prognose zu den möglichen Beeinträchtigungen des Antragstellers durch den Aufzug ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
9Hiernach gibt es keine Hinweise darauf, dass von dem Aufzug unmittelbare Gefahren im vorgenannten Sinne für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen, soweit der Antragsteller betroffen ist. Auch er selbst hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sich die Teilnehmer des von dem Beigeladenen veranstalteten Aufzuges am 3. März 2012 nicht auflagen- und anmeldegemäß verhalten werden. Dem Hinweis auf allgemeine Drohungen "der rechten Szene", "niemanden mit Samthandschuhen anzufassen", lassen sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte entnehmen, dass von dem Aufzug Gefahren im vorbezeichneten Sinne ausgehen werden.
10Die auf Erfahrungen aus früheren Einsätzen und umfassenden polizeilichen Planungen und Vorbereitungen beruhende Einschätzung des Antragsgegners, dass einer potentiellen Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen von Gegendemonstranten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die polizeilichen Einsatzmaßnahmen hinreichend Rechnung getragen werde, so dass Gewalttätigkeiten innerhalb des Rumphorstviertels nicht zu befürchten seien, hat der Antragsteller ebenfalls nicht durch entsprechenden glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag substantiiert in Zweifel gezogen. Die ordnungsgemäß angemeldeten Gegendemonstrationen finden am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg, Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach sowie in der Innenstadt Münsters und damit nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Antragstellers in der K. -I. -Straße statt. Über diese drei Gegenveranstaltungen hinaus sind für das Rumphorstviertel keine Gegendemonstrationen angemeldet worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nicht in der Lage ist, Straftaten zu begegnen, die von einzelnen Teilnehmern der ordnungsgemäß angemeldeten Gegenveranstaltungen bzw. von etwaigen sich am 3. März 2012 im Rumphorstviertel ggf. unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht aus § 14 VersG bildenden Gegendemonstrationen ausgehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gilt dies auch für die Befürchtung des Antragstellers, es könne im Bereich der K. -I. -Straße zu einer "Kessellage", die keine Fluchtmöglichkeiten mehr erlaube, kommen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich gerade an diesem Ort Gegendemonstranten versammeln werden, um den von dem Beigeladenen angemeldeten Aufzug zu behindern, liegen nicht vor. Sollten einzelne Teilnehmer der Gegenveranstaltungen jedoch tatsächlich versuchen, die K. -I. -Straße an den Einmündungen in den A-Weg und die I-Straße zu blockieren, ist es Aufgabe der Polizei, dies bereits im Ansatz zu unterbinden.
11Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die seine Vermutung, es sei nicht gewährleistet, dass Kranken- und Feuerwehrwagen jederzeit sein Grundstück erreichen könnten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), erhärten. In der Bestätigung des Antragsgegners betreffend den vom Beigeladenen angemeldeten Aufzug wird letzterer darauf hingewiesen, dass Einsatzfahrzeugen der Polizei, der medizinischen Dienste und der Feuerwehr jederzeit freie Durchfahrt zu gewähren ist. Die Veranstalter der angemeldeten Gegendemonstrationen, die am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg sowie Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach stattfinden sollen, erhielten denselben Hinweis. Darüber hinaus werden in Absprache mit der Stadt Münster befristet bestehende Einbahnstraßenregelungen aufgehoben und Sperrpoller entfernt werden, um eine ungehinderte Durchfahrt von Rettungs- und medizinischen Diensten sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind weiterhin in der K. -I. -Straße – wie auch in anderen Straßen – mobile Verkehrsschilder aufgestellt worden, die ein absolutes Halteverbot für den Zeitraum des Aufzuges anordnen. Sollten Teilnehmer der verschiedenen Demonstrationen tatsächlich eine Durchfahrt für Rettungswagen behindern, obliegt es der Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr, die Durchfahrt notfalls zwangsweise durchzusetzen. Zudem besteht für die Rettungskräfte die Möglichkeit, die K. -I. -Straße von Osten über den A-Weg zu erreichen.
12Die schließlich als Belastung verbleibende Beeinträchtigung seiner Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) durch die nicht verkehrsübliche Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke hat der Antragsteller hinzunehmen mit Blick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, der es ausschließt, von Wohnbevölkerung freie Demonstrationsorte zuzuweisen. Solche Belästigungen, die unvermeidbar aus der Massenhaftigkeit der Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgen und sich ohne Nachteile für den Veranstalter nicht vermeiden lassen, müssen ertragen werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Grundrechtsträgern – solange sie sich gesetzeskonform verhalten - das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Schon in diesem Sinne gebührt diesem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang. Es hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter zwingend notwendig ist.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 61, 79; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 1 BvR 1418/07 -, juris, Rn. 17; st. Rspr.
14Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Antragstellers stellt sich als geringfügig und vorübergehend dar, weil der Aufzug die K. -I. -Straße nur für eine relativ kurze Zeit betrifft. Darüber hinaus wird ihm nach dem Schriftsatz des Antragsgegners am 3. März 2012 als Anwohner Durchlass gewährt werden, wenn dies in der aktuellen Einsatzsituation ohne Gefahren möglich ist.
15Soweit der Antragsteller Rechtspositionen der Allgemeinheit bzw. der übrigen Anwohner des Rumphorstviertels – wie etwa die Behinderung der Zufahrt zu deren Häusern - geltend macht, kann § 15 Abs. 1 VersG von vornherein keinen Anordnungsanspruch stützen.
16Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragsteller auch nicht unmittelbar aus seinen Grundrechten einen Anordnungsanspruch herzuleiten vermag.
17Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Antragsteller aufzuerlegen, da der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt hat, sich keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 1.5 Satz 2 und Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – Stand Juli 2004 -).
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