Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 10 K 632/11.A
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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VERWALTUNGSGERICHT MÜNSTER
3IM NAMEN DES VOLKES
4URTEIL
510 K 632/11.A
6In dem Verwaltungsrechtsstreit
7w e g e n Asylrechts (Irak)
8hat Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Dr. Becker
9auf Grund der mündlichen Verhandlung
10vom 23. März 2012
11für Recht erkannt:
12Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat.
13Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
14Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
15Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
16T a t b e s t a n d
17Nach seinen Angaben stammt der Kläger aus dem Irak und ist Kurde moslemischer Volkszugehörigkeit. Er will mit einem Lkw in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein. Hier suchte er um Asyl nach. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 28. Oktober 2010 in Dortmund gab er u.a. an, ein Mädchen geliebt zu haben, das er habe heiraten wollen. Die Eltern des Mädchens seien mit der Heirat jedoch nicht einverstanden gewesen. Weil er weder mit seinen Brüdern zurechtgekommen sei noch dieses Mädchen habe heiraten können, habe er sich schließlich dazu entschlossen, den Irak zu verlassen. Das Mädchen habe er vor etwa einem Jahr kennengelernt. Den Grund dafür, warum die Eltern mit der Heirat nicht einverstanden gewesen seien, wisse er nicht. Nachdem die Eltern die Heirat verweigert hätten, habe sein älterer Bruder gesagt, dass auch er nicht mit der Heirat einverstanden sei. Er habe das Mädchen dann noch einige Male treffen wollen, um mit ihm zu reden, das habe sein älterer Bruder dann aber verhindert. Er habe das Mädchen zum letzten Mal drei Tage vor seiner Ausreise gesehen. Er habe dem Mädchen aber nicht gesagt, dass er ausreisen wolle. Wenn er gefragt werde, ob er noch wisse, wann er den Entschluss gefasst habe, den Irak zu verlassen, antworte er, immer, wenn sein Bruder ihm das Leben wieder zur Hölle gemacht habe, habe er die Idee gehabt, den Irak zu verlassen. Einige Male habe er ihn auch anzeigen wollen, aber das habe er nicht tun können, er sei ja sein Bruder gewesen.
18Mit Bescheid vom 8. Februar 2011 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in den Irak abgeschoben.
19Mit seiner dagegen gerichteten Klage, die zunächst auch auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichtet war, verfolgt der Kläger nunmehr nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten weiter. Dazu trägt er vor, es habe massive Verständigungsschwierigkeiten mit der Sprachmittlerin des Bundesamtes gegeben. Weder sei es zutreffend, dass er auf eine Rückübersetzung verzichtet habe, denn niemand habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er Anspruch auf Rückübersetzung des Tonprotokolls habe, noch habe ihn jemand danach gefragt, ob es Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Was im Protokoll niedergelegt sei, sei nicht zutreffend. Es sei nicht lediglich darum gegangen, dass er Probleme mit seiner Familie und der Familie seiner Braut bekommen habe, es sei schier unverständlich, wie der Mord an seiner Braut, über den er in der Anhörung berichtet habe, nicht habe in das Protokoll gelangen können.
20Der Kläger, der zunächst beantragt hatte,
21den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 08.02.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen,
22stellt in der mündlichen Verhandlung diesen Antrag mit der Maßgabe, dass mit Blick auf die von ihm selbst eingeräumte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Landweg das Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiterverfolgt werde.
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid.
26Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden. Auf die darüber gefertigte Niederschrift wird verwiesen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe
29Das Verfahren war einzustellen, soweit der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat.
30Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
31Der angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 8. Februar 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die geltend gemachten Ansprüche auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und von Abschiebungsverboten stehen dem Kläger nicht zu. Die gesetzlichen Voraussetzungen für derartige Feststellungen sind nicht erfüllt.
32Das Gericht nimmt dem Kläger die von ihm vorgetragenen Gründe dafür, warum er seine Heimat verlassen habe, nicht ab. Sein Vorbringen weist deutliche Widersprüche und Ungereimtheiten auf und ist deshalb unglaubhaft.
33Hatte der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 28. Oktober 2010 im Wesentlichen die im Tatbestand wiedergegebene Schilderung abgegeben, so machte er nunmehr geltend, eine langjährige Beziehung zu einem Mädchen aus reichem Hause gehabt zu haben, deren Eltern mit einer Heirat nicht einverstanden gewesen seien. Nachdem die Brüder des Mädchens ihn, den Kläger, und das Mädchen im Hause von dessen Eltern nachts dabei gesehen hätten, wie die beiden sich gerade umarmt und einander geküsst hätten, habe er fliehen müssen; das Mädchen sei dann von ihrem Vater oder ihrem Bruder getötet worden. Auf den Vorhalt, dass sich die jetzige Schilderung des Klägers deutlich von derjenigen unterscheide, die im Protokoll über die Anhörung beim Bundesamt festgehalten worden sei, machte der Kläger geltend, das habe an der Übersetzung gelegen, die Dolmetscherin habe nicht rückübersetzt, er habe nicht gewusst, was sie übersetzt habe. Er sei an dem Tag „total krank“ gewesen. Die Dolmetscherin habe ihn ungerecht behandelt. Sie sei aus einem Ort gekommen, zwischen dem und seinem Heimatort A. Konflikte bestünden. Es gebe Kämpfe zwischen den beiden Städten. Selbst bei Fußballspielen komme es zu Auseinandersetzungen. Sein Vorbringen bei der Anhörung sei nicht rückübersetzt worden.
34All dies nimmt das Gericht dem Kläger nicht ab. Die u.a. vom Kläger unterzeichnete Erklärung „Rückübersetzung der Anhörung vom Tonträger“ auf dem bei den Verwaltungsvorgängen der Beklagten befindlichen Kontrollbogen (BA 1 Bl. 3), die dem Kläger in der mündlichen Verhandlung auszugsweise vorgehalten wurde, ist eindeutig. Es handelt sich hierbei um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO, die den vollen Beweis des durch die Behörde beurkundeten Vorgangs begründet. Zwar ist gemäß § 415 Abs. 2 ZPO der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, zulässig; einen solchen Beweis hat der Kläger aber durch seine ganz vagen Behauptungen zur Befangenheit der Dolmetscherin wegen deren Herkunft aus einer angeblich mit seinem Heimatort verfeindeten Stadt nicht geführt.
35Unabhängig davon sind auch die nunmehr in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gemachten Aussagen für sich genommen unglaubhaft. Selbst wenn man davon ausginge, der Kläger habe bereits seit mehreren Jahren eine Beziehung zu seiner Freundin gehabt, die die Eltern des Mädchens nicht gutgeheißen hätten, bleibt unerfindlich, welche Umstände im Einzelnen zur Aufdeckung der von den Eltern des Mädchen angeblich untersagten Beziehung geführt haben sollen. Während der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 16. März 2012 insoweit vortrug, der Kläger und seine Freundin seien mit dem Auto zu einer Spazierfahrt aus der Stadt gefahren, ein Nachbar, der die beiden gesehen hätte, habe den Brüdern der Freundin Bescheid gesagt, zwei Tage später habe der Kläger von einem Freund erfahren, dass seine Freundin erschossen worden sei, äußerte sich der Kläger nunmehr in der mündlichen Verhandlung dahingehend, die Brüder des Mädchens hätten in deren Elternhaus die beiden nachts dabei entdeckt, wie sie sich gerade umarmt und einander geküsst hätten. Dies wiederum ist deshalb unglaubhaft, weil der Kläger zuvor von der Strenge der Eltern des Mädchens und deren strikter Ablehnung der Beziehung ihrer Tochter zu ihm, dem Kläger, berichtet hatte, so dass es ganz unerfindlich bleibt, warum der Kläger sich ausgerechnet ins Elternhaus seiner Freundin, also gleichsam in die Höhle des Löwen, begeben haben sollte, um dort mit dem Mädchen zusammen zu sein. Als der Kläger in der Folge angab, seine Freundin sei wegen der Beziehung zu ihm getötet worden, fiel auf, wie emotionslos und unbeeindruckt von dem angeblichen Geschehen er seine diesbezüglichen Äußerungen machte, und zwar auch dann, als das Gericht ihn darauf ansprach, ob er - was er verneinte - an der Beerdigung des Mädchens habe teilnehmen können. In diesem Zusammenhang konnte der Kläger auch nicht nachvollziehbar schildern, worin der eigentliche Auslöser für seine Flucht bestand und in welcher zeitlichen Reihenfolge die angebliche Tötung des Mädchens und seine angebliche Flucht stattfanden. Insoweit trug der Kläger vor, nach der nächtlichen Aufdeckung des Zusammenseins mit seiner Freundin durch deren Brüder fluchtartig die Wohnung verlassen zu haben, wo er sogar seine Jacke vergessen habe. Er wäre verloren gegangen, wenn er seinen Onkel nicht gehabt habe. An anderer Stelle gab der Kläger hingegen an, sich vier Tage lang noch bei seinem Onkel aufgehalten zu haben; während er dort gewesen sei, sei das Mädchen getötet worden. Als sie getötet worden sei, sei er geflohen. Demgegenüber hatte der Kläger zu Beginn seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Brüder des Mädchens hätten ihn angegriffen und ihn auch mit einem Messer verwundet, und zwar im Gesicht und an der rechten Schulter („So blieb mit nichts anderes übrig, ich musste das Land verlassen. Ich bin zu meinem Onkel mütterlicherseits geflohen ins Dorf. Vier Tage blieb ich bei ihm. Danach musste ich das Land verlassen.“). Auffällig hierbei war zudem, dass der Kläger im Anschluss an seine vorstehend wörtlich wiedergegebene Schilderung der angeblichen Flucht zu seinem Onkel mehrfach und von sich aus erneut auf den Onkel zu sprechen kam, namentlich dann, wenn er sich offenbar durch die Fragen des Gerichts nach weiteren Einzelheiten des angeblichen Geschehensablaufs bedrängt fühlte und offenbar selbst merkte, wie vage und widersprüchlich seine eigenen Darstellungen erschienen. Das Gericht verweist insoweit insbesondere auf die Antworten des Klägers auf die auf Seite 7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgehaltenen Fragen an den Kläger, ob es bei der Beziehung, die er mit dem Mädchen hatte, auch zu sexuellen Kontakten gekommen sei, ob er glaube, dass das Mädchen seinen Eltern auch von diesen sexuellen Kontakten erzählt habe und wer ihn und seine Freundin nachts gesehen habe. Die dort immer wiederkehrenden Hinweise des Klägers auf seine angebliche Flucht machen deutlich, wie sehr ihm daran gelegen war, durch seine Antworten vom eigentlichen Kern des behaupteten Geschehens abzulenken.
36Erweist sich das Vorbringen des Klägers als unglaubhaft, so hat er irgendwelche Nachstellungen durch die Familie seiner angeblich getöteten Freundin nicht zu gewärtigen. Bei dieser Sachlage kommt es auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Schluss der mündlichen Verhaltung thematisierte Frage des Nichtbestehens einer inländischen Fluchtalternative (vgl. den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23. März 2012) nicht entscheidungserheblich an. Unabhängig davon weist das Gericht dieses Vorbringen gemäß § 87 b Abs. 3 VwGO zurück.
37Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
38Rechtsmittelbelehrung
39Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Münster, Piusallee 38, 48147 Münster (Postanschrift: Postfach 8048, 48043 Münster), zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
40Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
411. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
422. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
433. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
44Vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte - außer im Prozesskostenhilfeverfahren - durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte sind nur die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneten und ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
45- Dr. Becker -
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