Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 6 K 103/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger zu 1. wurde am 00.00.0000 geboren, die Klägerin zu 2. am 00.00.0000. Die Mutter der Kläger, Frau D. T. , lebt seit dem 00.00.0000 von ihrem Ehemann und Vater der Kläger, Herrn S. T. , getrennt. Sie zog an diesem Tag mit den Klägern aus der Ehewohnung aus.
3Unter dem 29. Oktober 2010 vereinbarten die Eltern der Kläger schriftlich Regelungen über deren Betreuung. In der Folgezeit stellte sich die Betreuung der Kläger durch ihre Eltern wie folgt dar: Die Mutter betreute sie in jeder ersten von zwei Wochen von Montag bis Freitag durchgehend. Dabei besuchte der Kläger zu 1. in der Zeit von 8:30 Uhr bis 14:30 Uhr eine Kindertageseinrichtung. In jeder zweiten Woche übernachteten die Kläger von Montag bis Freitag bei ihrem Vater. Der Kläger zu 1. besuchte auch in dieser Woche von 8:30 Uhr bis 14:30 Uhr die Kindertageseinrichtung. Die Klägerin zu 2. wurde in der Zeit von 9 bis 15 Uhr durch ihre Mutter betreut. Die Betreuung der Kläger durch den Vater setzte in seiner Betreuungswoche in der Regel wieder im Nachmittag ein. An den Wochenenden wurden beide Kläger abwechselnd durch jeweils einen Elternteil betreut. Dabei erfolgte die Verteilung der Betreuung entweder nach kompletten Wochenenden oder aufgeteilt nach Samstag und Sonntag. Im Übrigen betreute die Mutter der Kläger diese im Falle ihrer Erkrankung in der eigenen Wohnung. Die Mutter plante auch alle regelmäßig anstehenden ärztlichen Kontrolluntersuchungen der Kläger und begleitete sie dorthin. Ihr Aufgabenbereich umfasste ferner die Abstimmung mit der Kindergartenleitung sowie die Beantragung von Sozialhilfeleistungen. Bei einer beruflichen Verhinderung des Vaters der Kläger in seiner Betreuungswoche - etwa durch Überstunden oder sonstige Arbeitsmehrbelastungen - sollte die Mutter aushelfen, indem sie zum Beispiel den Kläger zu 1. vom Kindergarten abholte und sich um beide Kläger kümmerte.
4Am 29. Oktober 2010 beantragte die Mutter der Kläger für diese bei der Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Dabei gab sie an: Der Vater der Kinder leiste keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen und auch keine Vorauszahlungen. Für die Kläger werde Kindergeld gezahlt, das sie erhalte.
5Mit Bescheid vom 7. Dezember 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie an: Die Betreuung der Kläger sei zwischen den Eltern aufgeteilt. Auch wenn die Eltern in verschiedenen Wohnungen lebten, seien die Kläger durch die geteilte Betreuungsleistung in eine faktisch vollständig bestehende Familie eingebunden. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sei nicht gegeben, weil die Mutter der Kläger durch die Betreuungsleistungen des Vaters wesentlich bei der Betreuung und Versorgung der Kläger entlastet werde und somit nicht alleinerziehend sei.
6Die Kläger haben am 10. Januar 2011 Klage erhoben. Sie sind der Ansicht, dass ihre Mutter durch den Vater nicht wesentlich bei ihrer Betreuung und Versorgung entlastet werde. Dies ergebe sich nach einer Gesamtbewertung des mit der Versorgung und der Betreuung der Kläger verbundenen Aufwands. Die Aufenthaltsdauer der Kläger bei dem anderen Elternteil sei in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die durch die Mutter von Montag bis Freitag in der Zeit von 9 bis 15 Uhr erbachten Betreuungsleistungen für die Klägerin zu 2. besonders erheblich sein dürften, da sie noch nicht in eine Tageseinrichtung gehe. Auch sei die häusliche Pflege durch die Mutter von höherem Gewicht. Die Klägerin zu 2. nehme in der Woche ihre warme Mittagsmahlzeit stets bei der Mutter ein. Der Vater der Kläger sei insofern entlastet. Er könne vom Einkaufen und Zubereiten warmer Speisen absehen, da der Kläger zu 1. in seiner Kindertageseinrichtung ebenfalls über Mittag betreut werde. Überdies liege der Lebensmittelpunkt der Kläger bei der Mutter. Dies zeige sich daran, dass sie auch sonstige Betreuungsleistungen wie zum Beispiel die Betreuung bei Erkrankungen, die Begleitung zu geplanten Arztbesuchen sowie Gespräche mit der Kindergartenleitung übernehme. Zudem stehe die Mutter bei beruflichen Verhinderungen des Vaters immer zur Verfügung und fange diese auf. Sie sei als alleinerziehend anzusehen, weil sich dessen Betreuungszeiten nach seiner Freizeitmobilität richteten.
7Die Kläger beantragen,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Dezember 2010 zu verpflichten, ihnen ab dem 1. Oktober 2010 Unterhaltsvorschussleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie ist der Ansicht, dass Unterhaltsvorschuss nicht in Betracht komme, wenn wie hier ein Kind eine beträchtliche Zeit, also mindestens ein Drittel, auch über Nacht, vom anderen Elternteil betreut werde. Eine Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz diene nicht vorrangig dazu, den Ausfall von Unterhaltsleistungen des nicht mit dem Kind zusammenlebenden und zum Barunterhalt verpflichteten Elternteils zu kompensieren. Vielmehr werde eine Begünstigung nur der Kinder erstrebt, deren alleinerziehende Eltern Alltag und Erziehung auf sich gestellt bewältigten. Von einer solchen Doppelbelastung könne bei einer fortbestehenden Betreuung durch den anderen Elternteil, die eine wesentliche Entlastung des Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Betreuung des Kindes zur Folge habe, nicht ausgegangen werden.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakten Hefte 1 und 2) Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 2. Fall der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger deswegen nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
15Anspruchsgrundlage für das Begehren der Kläger ist § 1 Abs. 1 UVG. Danach hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach diesem Gesetz unter anderem, wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt, und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält.
16Ein Anspruch der Kläger auf die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz scheitert jedenfalls daran, dass sie nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem ihrer Elternteile leben, der von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt. Keiner der beiden Elternteile ist alleinerziehend im Sinne dieser Vorschrift. Dies gilt namentlich auch für die Mutter der Kläger.
17Bei der Auslegung des in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG verwandten Rechtsbegriffes "bei einem seiner Elternteile lebt" muss der Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes beachtet werden. Der Gesetzgeber hat diese besondere Sozialleistung vorgesehen, weil alleinerziehende Elternteile ihre Kinder in der Regel unter erschwerten Bedingungen erziehen und bei Ausfall von Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils auch im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit für den von dem anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen müssen. Diese zusätzliche Belastung soll durch eine öffentliche Unterhaltsleistung aufgehoben oder wenigstens gemildert werden,
18VG Münster, Urteil vom 14. Juli 2008 - 6 K 446/07 - unter Hinweis auf Bundestagsdrucksache 8/1952 S. 6.
19Von einer Alleinerziehung, wie sie danach in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG gefordert wird, kann jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn die leiblichen Eltern - auch wenn sie nicht zusammenwohnen - die Erziehungsaufgaben so untereinander aufteilen, dass keiner der Elternteile diese Aufgabe ganz oder weit überwiegend alleine erfüllen muss. Dabei ist nicht zu fordern, dass die Erziehungs- und Betreuungsanteile in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleich sind. Im Hinblick auf den Zweck des § 1 UVG, die Belastungen für Kinder zu mildern, die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben, lassen sich Erschwernisse, die eine finanzielle Besserstellung durch die Gewährung von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erfordern, schon dann nicht mehr feststellen, wenn der andere Elternteil in wesentlichem Umfang - wenn auch nicht völlig gleichwertig - an der erzieherischen Leistung mitwirkt,
20so OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2008 - 16 E 1118/06 -, juris Rn. 19 mit weiteren Nachweisen.
21Nach diesen Maßstäben ist die Alleinerziehung hier zu verneinen, weil weder die Mutter noch der Vater der Kläger die Aufgabe der Erziehung ihrer gemeinsamen Kinder ganz oder weit überwiegend allein erfüllt. Von einer Alleinerziehung in diesem Sinne ist nur dann auszugehen, wenn ein Elternteil die Verantwortung für die Betreuung und Versorgung seines Kindes in einem solchen Maße trägt, dass schon bei einer überschlägigen Prüfung im Sinne einer Evidenzkontrolle diese Betreuungsleistung nach ihrer Qualität und Quantität eindeutig dominierend in den Vordergrund tritt, die etwaigen Betreuungsleistungen des anderen Elternteils dagegen lediglich als gelegentliches Mitwirken, etwa im Rahmen von Besuchsaufenthalten, erscheinen. Ein solcher Fall ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn sich die Betreuungsleistungen der Elternteile als Kooperation mit dem Grundgedanken einer wechselseitigen Unterstützung mit wesentlichen Anteilen an den Erziehungsaufgaben darstellen.
22Im vorliegenden Fall geht die Betreuung der Kläger durch ihren Vater über ein gelegentliches Mitwirken hinaus; seine Betreuungsleistungen stellen sich vielmehr als Ergebnis einer Kooperation mit der Mutter dar. Dies wird bereits daran deutlich, dass sich die Eltern der Kläger auf eine Einteilung der Betreuung in eine "Mutterwoche" und in eine "Vaterwoche" geeinigt haben. Die Kläger übernachten zu gleichen Anteilen bei den beiden Eltern. Der Vater wirkt in jeder zweiten Woche wesentlich bei der Erziehung mit, indem er sie in seinen Räumlichkeiten betreut. Diese Einteilung der Betreuung entspricht zwar nicht dem klassischen Wechselmodell, bei dem die getrennt lebenden Eltern ihr Kind in der Weise betreuen, dass sie die Pflege und Erziehung im wöchentlichen Wechsel und in dieser Zeit jeweils allein leisten. Dies wird daran deutlich, dass die Klägerin zu 2. auch in der "Vaterwoche" von Montag bis Freitag in der Zeit von 9 bis 15 Uhr durch ihre Mutter betreut wurde. Zudem half die Mutter in der "Vaterwoche" im Falle einer Erkrankung der Kläger aus und pflegte diese in ihrer eigenen Wohnung. Gleiches galt bei einer beruflichen Verhinderung des Vaters der Kläger in seiner Betreuungswoche - etwa durch Überstunden oder sonstige Arbeitsmehrbelastungen. Diese und sonstige Betreuungsleistungen der Mutter - wie zum Beispiel die Sicherstelllung der ärztlichen Versorgung ihrer Kinder, die Abstimmung mit der Kindergartenleitung sowie die Beantragung von Sozialhilfeleistungen - ändern aber nichts daran, dass zwischen den Eltern der Kläger immer noch eine klare Aufteilung der Betreuung untereinander mit wesentlichen Anteilen an den Erziehungsaufgaben auf Seiten beider Elternteile vorgesehen war. Insoweit wurde zwischen den Eltern der Kläger zumindest ein Kooperationsmodell mit dem Grundgedanken einer wechselseitigen Unterstützung im oben genannten Sinn vereinbart. Der Vater der Kläger stand der Mutter nach ihrer Übereinkunft als Ansprechpartner zur Verfügung. Auch wenn die Erziehungs- und Betreuungsanteile der Eltern in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht gleich waren, wurde damit ein Betreuungsrahmen für die Kläger geschaffen, der eine familienähnliche Struktur aufwies. Derartige Fälle, in denen faktisch eine vollständige Familie vorhanden ist, sollen von den Leistungen des Unterhaltsvorschussgesetzes aber gerade ausgeschlossen sein, weil hier in aller Regel nicht die prekäre Lage wie bei alleinerziehenden Elternteilen gegeben ist,
23vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz), Bundestagsdrucksache 8/2774 S. 12.
24Die Mutter der Kläger wurde durch die Betreuungsleistungen des Vaters auch wesentlich entlastet. Auf zwei Wochen gerechnet musste sie nur an jedem zweiten Wochenende die Betreuung ihrer Kinder übernehmen. In der Betreuungswoche des Vaters stand ihr von Montag bis Freitag jeweils ab dem Nachmittag bis zum nächsten Tag um 9 Uhr zudem ein beträchtlicher Zeitraum zur freien Verfügung. Die Betreuung der Kläger allein durch den Vater setzte in dieser Woche nämlich in der Regel wieder ab 15 Uhr ein. Für die Mutter der Kläger war es damit möglich, ihre während der eigenen Zeit der Betreuung ihrer Kinder bestehende Einschränkung in der persönlichen Lebensführung in der betreuungsfreien Zeit zu kompensieren. Die der Mutter in der Betreuungswoche des Vaters zur Verfügung stehende Zeit ermöglichte es ihr zum Beispiel, Einkäufe in größerem Umfang vorzunehmen, Behördengänge und Arztbesuche durchzuführen, Kontaktpflege zu betreiben sowie auch einer kleineren beruflichen (Aushilfs-)Tätigkeit nachzugehen. All diese Möglichkeiten des Ausgleichs von persönlichen Einschränkungen kennzeichnen nicht mehr das Bild einer Alleinerziehenden. Sie zeigen deutlich, dass die Mutter der Kläger keiner dauerhaften Belastung mit der Betreuung ihrer Kinder ausgesetzt war. Vielmehr folgte auf die jeweilige Belastung in der "Mutterwoche" immer ein ausreichendes Maß an Entlastung in der "Vaterwoche",
25vgl. zum Wechsel von Be- und Entlastung sowie zum Aspekt der Kompensation von Einschränkungen in der persönlichen Lebensführung im Zusammenhang mit dem Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) LSG NRW, Urteil vom 13. September 2007 - L 7 AS 41/07 -, juris Rn. 50.
26Die unterlegenen Kläger haben nach §§ 154 Abs. 1, 159 Abs. 1 S. 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Kosten des Verfahrens nach Kopfteilen zu tragen. Nach § 188 S. 2 VwGO werden Gerichtskosten nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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