Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 9 L 408/13
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zum Wintersemester 2013/2014 zum Studium der Zahnmedizin vorläufig zuzulassen, wenn er seine Einschreibung bei der Hochschule binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses beantragt und die Einschreibungsvoraussetzungen im übrigen nachweist.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Antragstellers auf vorläufige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin (Staatsexamen) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters (WS) 2013/2014 an der X. X1. Universität N. (XXX) hat Erfolg.
3Der Antragsteller hat einen durch einstweilige Anordnung vorläufig zu sichernden Anspruch auf Zugang zum verfahrensbetroffenen Studiengang (Anordnungsanspruch, dazu 1.) und die Notwendigkeit der Sicherung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund, dazu 2.) glaubhaft gemacht, §§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO.
41. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung verpflichtet ist, den Antragsteller, der palästinensischer Staatsangehörigkeit ist, entsprechend seines unstreitig form- und fristgerecht bei der Hochschule angebrachten Antrags unter Zuweisung eines Studienplatzes innerhalb der sogenannten Ausländerquote zum begehrten Zahnmedizinstudium vorläufig zuzulassen.
5Die Zulassung von ausländischen und staatenlosen Bewerbern richtet sich nach Art. 12 Abs. 1 Nr. 3., Abs. 2 des Staatsvertrages über die Vergabe von Studienplätzen vom 22. Juni 2006 vom 21. November 2006 (GV. NRW. S. 604) i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1. und § 28 der Vergabeverordnung NRW (Vergabe VO NRW). Nach den beiden erstgenannten Vorschriften werden von den festgesetzten Zulassungszahlen je Studienort vorweg als sogenannte Ausländerquote für die Zulassung von ausländischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen, die nicht nach § 2 S. 2 VergabeVO NRW Deutschen gleichgestellt sind, 5 vom Hundert abgezogen. Dies sind hier 3 Studienplätze bei einer festgesetzten Zulassungszahl von 57 Studienplätzen zum 1. Fachsemester für den Studiengang Zahnmedizin an der Universität N. zum Wintersemester 2013/2014, die an ausländische Staatsangehörige vergeben werden können (siehe Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten Fachsemester für das Wintersemester 2013/2014 vom 24. Juni 2013 in der Fassung ihrer ersten Änderungsverordnung vom 11. Juli 2013, GV NRW S. 384 und 449). Nach der zweitgenannten Vorschrift des § 28 VergabeVO NRW, hier des Absatzes 1, werden die ausländischen Studienbewerber innerhalb dieser Quote von der Hochschule selbst zugelassen, so dass der Antragsteller zu Recht seinen Zulassungsantrag an die Antragsgegnerin gerichtet hat.
6§ 28 Abs. 2 bis 4 VergabeVO NRW regeln die Vergabe der begrenzten Anzahl verfügbarer Studienplätze für ausländische Studienbewerber. Nach Absatz 2 erfolgt die Auswahl in erster Linie nach dem Grad der Qualifikation (S. 1). Daneben können besondere Umstände berücksichtigt werden, die für eine Zulassung sprechen (S. 2). Als ein solcher Umstand ist es gemäß Abs. 2 S. 3 insbesondere anzusehen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber eine der unter den Buchstaben a) bis e) angeführten, im Falle des Antragstellers allerdings nicht einschlägigen, Voraussetzungen erfüllt. Gemäß Abs. 3 des § 28 VergabeVO NRW können die Hochschulen durch Satzungen bestimmen, dass innerhalb der Quote gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 VergabeVO NRW für die Bewerbergruppen im Sinne des Abs. 2 S. 3 jeweils Unterquoten gebildet werden. § 28 Abs. 4 VergabeVO NRW bestimmt schließlich, dass die Hochschulen die Entscheidungen nach Abs. 2 nach pflichtgemäßem Ermessen treffen; zwischenstaatliche Vereinbarungen und Vereinbarungen zwischen Hochschulen sind zu berücksichtigen.
7Unter anderem zur Ausfüllung des ihr durch § 28 Abs. 4 VergabeVO NRW übertragenen Ermessens hat die Antragsgegnerin durch ihr Rektorat die „Richtlinie für die Zulassung ausländischer Staatsangehöriger und Staatenloser, die nicht Deutschen gleichgestellt sind, für ein grundständiges Studium an der X. X1. Universität N. “ vom 14. Februar 2013 (Richtlinie) erlassen. § 3 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie führen die Auswahlkriterien zur Herstellung der Rangfolge der Zulassung unter Bezugnahme auf § 28 VergabeVO NRW auf. In § 3 Abs. 4 der Richtlinie - weitere Bestimmungen der Richtlinie hat die Antragsgegnerin nicht angewandt oder sind hier nicht von Bedeutung - heißt es sodann:
8„Um Angehörige möglichst vieler Nationen berücksichtigen zu können, wird die Rangfolge im Sinne der Absätze 1 bis 3 in der Weise verändert, dass nicht mehr als zehn Prozent der verfügbaren Plätze des jeweiligen Studiengangs an Bewerberinnen/Bewerber mit gleicher nationaler Herkunft fallen. Sofern zehn Prozent der verfügbaren Studienplätze weniger sind als 1, darf nicht mehr als ein Studienplatz an Bewerberinnen/Bewerber mit gleicher nationaler Herkunft fallen. Von der Beschränkung gemäß den Sätzen 1 und 2 nicht erfasst werden Bewerbungen solcher Bewerberinnen/Bewerber, deren gemäß Absatz 2 und 3 ermittelte Durchschnittsnote 1,3 oder besser ist. Sie werden vor der/dem ersten Bewerberin/Bewerber mit einer Note schlechter als 1,3 eingereiht.“
9Die Antragsgegnerin hat die Notenwerte der ausländischen Hochschulzugangsberechtigung des Antragstellers für das Bewerbungsverfahren in eine Note deutscher Deutung umgerechnet. Danach weist die Hochschulzugangsberechtigung des Antragstellers eine Note von 1,4 aus. Unter 54 Bewerbungen ausländischer Staatsangehöriger um einen Studienplatz im Studiengang Zahnmedizin zum Wintersemester 2013/2014 belegt der palästinensische Antragsteller mit diesem Notenwert den zweiten Rangplatz. An erster Rangstelle wird mit der Note 1,2 ebenfalls ein palästinensischer Staatsangehöriger geführt. Die Plätze drei und vier mit einem Notenwert von jeweils 1,5 belegen ein jordanischer und ein syrischer Staatsangehöriger. Unter Anwendung der oben zitierten Regelung des § 3 Abs. 4 der Richtlinie hat die Antragsgegnerin, nachdem der auf Rangplatz 1 befindliche Bewerber mit einem besseren Notenwert als 1,3 ohne Einschränkung zuzulassen war, aber gleicher nationaler Herkunft wie der Antragsteller ist, die Bewerber der Rangplätze drei und vier trotz jeweils schlechteren Notenwerts ihrer Hochschulzugangsberechtigung als der des Antragstellers aufgrund ihrer abweichenden nationalen Herkunft anstelle des Antragstellers zugelassen.
10Dieses Vorgehen entspricht bei summarischer Prüfung nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die von der Antragsgegnerin angewandte Regelung des § 3 Abs. 4 der Richtlinie ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig; sie erscheint dem Gericht auf der Basis des im vorliegenden Eilverfahrens anzuwendenden Prüfrahmens als nicht mit den auf dem Staatsvertrag basierenden Vorschriften des § 28 Abs. 2 und 4 Vergabeverordnung NRW vereinbar.
11Die Regelung des § 28 Abs. 2 S. 1 VergabeVO NRW ist, wie die Formulierung, dass der ausländische Studienbewerber „in erster Linie“ nach dem (hier nicht umstrittenen) Grad der Qualifikation ausgewählt wird, ausweist, zwar grundsätzlich für die zu treffende Ermessensentscheidung maßstabsgebend, aber nicht abschließend. Die verbleibende Regelungslücke schließt hier § 28 Abs. 2 S. 2 und 3 VergabeVO NRW. Sowohl der Wortlaut dieser Bestimmungen als auch ihr systematischer Zusammenhang zeigen auf, dass neben den Grad der Qualifikation nach § 28 Abs. 2 S. 1 VergabeVO NRW tretende Gesichtspunkte nur eine Anhebung der Zulassungsaussichten des Bewerbers, nicht aber eine Senkung zur Folge haben dürfen. § 28 Abs. 2 S. 2 VergabeVO NRW macht dies zunächst mit der an den S. 1 anschließenden und den S. 2 einleitenden Formulierung „daneben“ erkennbar und sodann dadurch, dass bei der Auswahl zwar die Berücksichtigung besonderer Umstände, wie sie unter den Buchstaben a) bis e) des Satzes 3 des § 28 Abs. 2 VergabeVO NRW beispielhaft genannt sind, erlaubt wird, diese Umstände aber nach dem Wortlaut der Bestimmung für eine Zulassung des Bewerbers sprechen müssen. Wird bereits dadurch normativ bestimmt, dass gegen eine Auswahl des Bewerbers sprechende – also negative – Aspekte ohne Belang sein sollen, erschließt sich dies systematisch ergänzend daraus, dass dementsprechend die in § 28 Abs. 2 S. 3 Buchst. a) bis e) VergabeVO NRW angeführten Legalbeispiele auch jeweils nur für die Auswahl eines Bewerbers sprechende positive Umstände, in keinem Fall aber negative Merkmale nennen. Unter diesen Umständen ist § 28 Abs. 2 VergabeVO NRW insofern abschließend, als für die Auswahlentscheidung neben den Grad der Qualifikation tretende und berücksichtigungsfähige Umstände nur solche sind, die die Aussichten des Bewerbers verbessern. Auf § 28 Abs. 2 S. 2 und 3 VergabeVO NRW kann daher eine Ermessensausübung, die die Zulassungschance des Bewerbers gegenüber der Regelung des 28 Abs. 2 S. 1 VergabeVO NRW nach dem Grad der Qualifikation verschlechtert oder ihn gar von der Auswahl ausschließt, nicht gestützt werden.
12Ebenso zu einer vergleichbaren Vorschrift der Berliner Vergabeverordnung: VG Berlin, Urteil vom 14. August 1979 – 12 A 3483.78 –, juris.
13Dem vorstehenden Normverständnis steht nach Auffassung des Gerichts nicht entgegen, dass für die Auswahl eines Bewerbers streitende positive Umstände gleichzeitig – quasi reflexartig – einen Malus-Effekt im Hinblick auf die Mitbewerber enthalten. Dies ist zwangsläufig darin angelegt, dass positive Merkmale eines Bewerbers, die ihn unter den Mitbewerbern hervorheben, sich zu deren Nachteil auswirken müssen. Daher verbleibt es bei der gerichtlichen Bewertung, dass die Vergabeverordnung NRW als normative Grundlage der Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin lediglich die Auswahl eines Bewerbers verbessernde Umstände als zulässig erachtet. Gerade eine solche Regelung stellt jedoch § 3 Abs. 4 der Richtlinie nicht dar, weil mit ihr eine Bestimmung zu Lasten einer Bewerbergruppe – hier einer Bewerbergruppe der gleichen nationalen Herkunft – und nicht zu Gunsten des Studienplatzbewerbers getroffen wird. Ob die Antragsgegnerin im Hinblick auf die Satzungsermächtigung nach § 28 Abs. 3 VergabeVO NRW eine solche – einen Studienbewerber belastende und damit wohl ohnehin im Sinne der so genannten Wesentlichkeitstheorie durch (untergesetzliche) Norm zu regelnde – Bestimmung durch Satzung treffen könnte, kann nach alledem offen bleiben, weil die Antragsgegnerin mit der Richtlinie lediglich Verwaltungsbestimmungen erlassen hat.
14Letztlich eröffnet auch nicht die Regelung des § 28 Abs. 4 VergabeVO NRW der Antragsgegnerin, im Wege des von ihr danach auszuübenden pflichtgemäßen Ermessens den Antragsteller – als antezipierte Ermessensausübung – nach § 3 Abs. 4 der Richtlinie nachrangig bei der Studienplatzbewerberauswahl zu behandeln. Denn § 28 Abs. 4 VergabeVO NRW legt gerade ausdrücklich die Entscheidungen nach Abs. 2 in das pflichtgemäße Ermessen der Hochschule, so dass der Antragsgegnerin eine Ermessensausübung im Sinne der Regelung des § 3 Abs. 4 der Richtlinie verwehrt ist.
15Hat die Antragsgegnerin nach allem ihr sich aus § 28 Abs. 2 und 4 VergabeVO NRW ergebendes Ermessen hinsichtlich der Auswahlentscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit fehlerhaft ausgeübt, ist das Gericht zwar nicht befugt, anstelle der Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung zu treffen. Anderes gilt jedoch, wenn angesichts der konkreten Umstände des Falles wegen einer Ermessensreduzierung nur eine einzige, zu Gunsten des Antragstellers gehende Entscheidung in Betracht kommt. Das ist hier der Fall. Gesichtspunkte, die etwa im Sinne des § 28 Abs. 2 S. 3 VergabeVO NRW eine im Verhältnis des nach dem Grad der Qualifikation auf Rangplatz zwei geführten Antragstellers vorrangige Auswahl der auf den Rangplätzen drei und vier von der Antragsgegnerin geführten Studienplatzbewerber erlaubten oder sogar gebieten würden, hat die Antragsgegnerin selbst nicht angeführt und sind auch sonst nicht erkennbar. Sie hat ihre Auswahlentscheidung neben dem Grad der Qualifikation allein noch an der nationalen Herkunft des Antragstellers ausgerichtet. Unter diesen Umständen gebührt dem Antragsteller aufgrund seiner besseren Qualifikation der Vorrang vor den beiden Mitbewerbern aus Jordanien und Syrien, so dass das Gericht eine vorläufige positive Zulassungsentscheidung anordnen konnte.
162. Angesichts der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unrecht erfolgten Rangplatzzuweisung des Antragstellers innerhalb der Ausländerquote hat er im Hinblick auf die den Anordnungsgrund nach § 123 Abs. 1 VwGO ausfüllende Dringlichkeit des Rechtschutzgesuchs, die sich daraus ergibt, dass sonst ein unwiederbringlicher Studienzeitverlust einträte, Anspruch darauf, unter den im Tenor des Beschlusses genannten Voraussetzungen vorläufig zugelassen zu werden.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Streitwertpraxis des Gerichts und des OVG NRW in Eilverfahren der vorliegenden Art.
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