Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1483/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin ist Ärztin. Am 00. 00. 2011 parkte sie ihr Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000 in der T.----gasse /Ecke T1.-----straße auf dem Gehweg, um bei einer Patientin einen Notfallhausbesuch durchzuführen. Als die Verkehrsüberwachungskraft der Beklagten das parkende Fahrzeug wahrnahm und annahm, dass es eine Behinderung für Fußgänger, Rollstuhlfahrer und den fließenden Verkehr darstellte, beauftragte sie das Abschleppunternehmen B. J. . C. GmbH mit der Beseitigung der Störung. Nach dem Eintreffen des Abschleppwagens nahm die Firma B. J. . C. GmbH vorbereitende Tätigkeiten am Fahrzeug vor. Zu einer Versetzung oder Sicherstellung des Fahrzeugs kam es indes nicht mehr, weil die Klägerin inzwischen wieder zu ihrem Fahrzeug zurückgekehrt war und es selbst entfernte. Der Abschleppvorgang wurde daraufhin abgebrochen. Mit Leistungsbescheid vom 8. 2. 2012, der Klägerin am 20. 2. 2012 mit Postzustellungsurkunde zugestellt, forderte die Beklagte die Klägerin nach vorheriger Anhörung zur Zahlung von insgesamt 122 Euro auf. Die Summe setzt sich zusammen aus der Kostenrechnung des Abschleppunternehmers (42,00 Euro), einer Verwaltungsgebühr (76,50 Euro) und Auslagen des Ordnungsamts (3,50 Euro). Zur Begründung führte die Beklagte im wesentlichen aus, die Abschleppmaßnahme sei rechtmäßig gewesen. Sie sei im Wege des sofortigen Vollzugs in Form der Ersatzvornahme durchgeführt worden, da die öffentliche Sicherheit durch das Parken auf dem Gehweg gefährdet gewesen sei. Es sei nicht abzusehen gewesen, dass der Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit sich in nächster Zeit ändern würde. Dass die Abschleppmaßnahme nicht zu Ende geführt worden sei, entbinde die Klägerin nicht von der Pflicht zur Zahlung.
3Die Klägerin hat gegen den Bescheid am 20. 3. 2012 Klage erhoben. Sie macht geltend, die Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme sei aus ex-post-Sicht zu betrachten. Es sei darauf abzustellen, dass sie als Ärztin die Patientin im Rahmen eines Notfallhausbesuchs visitiert und behandelt habe. Das kurzfristige Abstellen auf dem Gehweg sei zulässig gewesen, weil es sich um einen dringlichen Hausbesuch gehandelt habe. Die Patientin habe akute Rückenschmerzen gehabt. Neben einem Hexenschuss sei auch ein Bandscheibenvorfall in Betracht gekommen, der einen akuten Behandlungsnotfall darstelle. Sowohl der I. Parkplatz als auch erlaubte Stellflächen in adäquater Nähe zur Wohnung seien nicht zugänglich gewesen. Sie räume allerdings ein, vergessen zu haben, ihr Fahrzeug mit dem Arztausweis kenntlich zu machen.
4Die Klägerin beantragt,
5den Leistungsbescheid der Beklagten vom 8. 2. 2012 aufzuheben.
6Die Beklagte beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Die Beklagte trägt vor, für die Rechtmäßigkeit des Bescheids sei es irrelevant, dass es sich um einen Hausbesuch im Rahmen einer Notfallbehandlung gehandelt habe. Weder sei dieser Vorgang substantiiert vorgetragen worden, noch habe es sich um einen Notarzteinsatz gehandelt. Im übrigen seien im in der Nähe befindlichen Parkhaus U.----straße noch freie Parkplätze vorhanden gewesen.
9Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
10E n t s c h e J. d u n g s g r ü n d e
11Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
12Der Leistungsbescheid der Beklagten vom 8. 2. 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
13Die Geltendmachung der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 77 Abs. 1 VwVG NRW J. . V. m. § 15 Abs. 1 Nr. 7 und § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 VOVwVG NRW. Danach sind der Behörde Verwaltungsgebühren, Auslagen und Kosten des Abschleppunternehmers, die bei der Ersatzvornahme oder durch die Ersatzvornahme entstanden sind, vom Pflichtigen zu erstatten.
14Die zugrundeliegende Ersatzvornahme war rechtmäßig. Sie wurde gemäß §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59 VwVG NRW ordnungsgemäß durchgeführt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme nicht auf eine ex-post-Sicht, sondern auf eine ex-ante-Sicht abzustellen. Denn bei der Anwendung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme handelt es sich noch um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr.
15Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17. 3. 2011 – 1 S 2513/10 –, juris, Rdn. 26; VG Hamburg, Urteil vom 12. 4. 2011 – 21 K 1902/09 –, juris, Rdn. 20.
16Der mit der Abschleppmaßnahme angeordnete Sofortvollzug war zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und die Beklagte handelte innerhalb ihrer Befugnisse (§ 55 Abs. 2 VwVG NRW). Die Beklagte hätte gegen die Klägerin ein Wegfahrgebot auf der Grundlage des § 14 OBG NRW erlassen können, da eine Störung der öffentlichen Sicherheit gegeben war. Die Klägerin hat gegen die Rechtsordnung verstoßen und damit eine (fortdauernde) Störung der öffentlichen Sicherheit herbeigeführt. Sie hat ihr Fahrzeug entgegen § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO auf dem Gehweg geparkt. Nach § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO ist zum Parken der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren. Aus § 12 Abs. 4 a StVO folgt zudem, dass das Parken auf dem Gehweg explizit durch verkehrsrechtliche Anordnung erlaubt werden muss; ansonsten ist es verboten.
17Die Klägerin war für die Störung der öffentlichen Sicherheit gemäß § 17 Abs. 1 OBG NRW verantwortlich. Nach dieser Norm kann die Maßnahme gegen den Verursacher der Gefahr gerichtet werden. Da die Klägerin als Fahrerin des Fahrzeugs dieses entsprechend auf dem Gehweg geparkt hat, hat sie die Störung unmittelbar verursacht. Das Abstellen des Pkw auf dem Gehweg war auch nicht durch eine Notstandssituation gerechtfertigt. Es kann an dieser Stelle offenbleiben, ob ein Notarzteinsatz überhaupt die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit entfallen lassen könnte, denn für die Verhaltensverantwortlichkeit kommt es allein auf die Verursachung der Gefahr an. Das Ordnungsrecht knüpft nicht an einen Schuldvorwurf an.
18Vgl. VG Köln, Urteil vom 11. 7. 2002 – 20 K 9867/01 –, juris, Rdn. 22.
19Die Frage einer rechtfertigenden Notstandssituation kann daher nur für das Ordnungswidrigkeitenverfahren Bedeutung erlangen, nicht aber für die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit.
20Das Wegfahrgebot als fiktive Grundverfügung wäre auch verhältnismäßig gewesen. Zur Beseitigung der Störung der öffentlichen Sicherheit hätte die Beklagte bei Anwesenheit der Klägerin ohne Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein Wegfahrgebot aussprechen können, denn Rechte der Klägerin oder Rechte Dritter wären dadurch nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt worden. Ein Notarzteinsatz, der ein Wegfahrgebot wegen des Zeitdrucks unverhältnismäßig machen und es rechtfertigen könnte, dass ein Arzt sein Fahrzeug kurzfristig, d. h. für die Dauer des Einsatzes, auch in Verbotszonen abstellen darf, weil sofortige ärztliche Hilfe für Leben und Gesundheit eines Menschen unerlässlich ist, liegt nicht vor. Die Erkrankung der Patientin der Klägerin erforderte nicht sofortige ärztliche Hilfe. Die Patientin litt an Rückenschmerzen und es kam neben einem Hexenschuss auch ein Bandscheibenvorfall in Betracht. Selbst dieser erforderte aber nicht so schnelle ärztliche Hilfe in Form eines Notarzteinsatzes, dass die Klägerin nicht einen weiter entfernten Parkplatz hätte suchen und zu Fuß zur Wohnung der Patientin hätte gehen können.
21Das Interesse der Klägerin, einen möglichst kurzen Weg bis zur Wohnung der Patientin zu haben, hat sich – selbst unter Berücksichtigung des Wunsches, der Patientin möglichst schnell zu helfen – dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit unterzuordnen. Hätte die Patientin schnellerer Hilfe bedurft, hätte sie nicht die Klägerin, sondern einen Rettungswagen kommen lassen können. Ein unter den Umständen der zu erwartenden Erkrankung erheblicher Zeitverlust wäre auch nicht entstanden, wenn die Klägerin das nächste freie Parkhaus angesteuert hätte. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, das Parkhaus in der U.----straße habe nach den damaligen Ermittlungen noch freie Plätze aufgewiesen. Von diesem Parkhaus wäre die Wohnung der Patientin fußläufig in ca. zehn Minuten zu erreichen gewesen. Demgegenüber hat die Klägerin durch das Parken auf dem Gehweg eine solche Störung der öffentlichen Sicherheit herbeigeführt, die – über den bloßen Regelverstoß hinaus – besondere Gefahren für Fußgänger hervorgerufen hat, da diese vom Gehweg auf die Fahrbahn hätten wechseln müssen. Das ergibt sich aus den Feststellungen des Bediensteten der Beklagten sowie aus der Fotodokumentation in den Verwaltungsvorgängen. Im Fall der Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer steht das Abschleppen und damit erst recht ein Wegfahrgebot regelmäßig mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang.
22Vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage, 2012, Rdn. E 743.
23Dass sich während der Zeit des Parkens keine konkrete Gefährdung anderer Personen ereignete, ist nicht von Bedeutung. Zu einem weiteren Schadenseintritt muss es nicht kommen. Es reicht aus, dass potentielle Fußgänger auf die Fahrbahn hätten wechseln müssen und es dadurch zu einer konkreten Gefährdung gekommen wäre.
24Der Sofortvollzug war zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Die Störung bestand zum Zeitpunkt der Veranlassung der Ersatzvornahme fort. Die Beklagte musste das gestreckte Verfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW nicht einhalten und zunächst versuchen, ein Wegfahrgebot gegenüber der Klägerin zu erlassen. Die Klägerin war nicht in Ruf- oder Sichtweite. Die Beklagte konnte zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen, wo die Klägerin sich aufhielt. Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort der Klägerin waren nicht angezeigt, weil ihr Erfolg ungewiss war. Da die Klägerin ihren Arztausweis nicht im Fahrzeug deponiert hatte, konnte der Mitarbeiter der Beklagten auch nicht davon ausgehen, dass die Klägerin in absehbarer und kurzer Zeit zu ihrem Fahrzeug zurückkehren würde, wie es dann tatsächlich geschehen ist.
25Vgl. zu möglichen Nachforschungspflichten Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage, 2012, Rdn. E 739 ff.
26Als Pflichtige hat die Klägerin gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 VOVwVG NRW die Auslagen zu erstatten. Da – wie bereits erörtert – kein Notarzteinsatz vorlag, ist die Klägerin auch nicht auf Sekundärebene aus die ex-post-Sicht zugrundelegenden Verhältnismäßigkeitserwägungen von der Zahlung freizustellen.
27Sie hat gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 VOVwVG NRW zunächst den Betrag zu zahlen, der an die Firma B. J. . C. GmbH als Beauftragte zu zahlen ist (42,00 Euro). Dabei spielt es keine Rolle, dass die Abschleppmaßnahme nicht zu Ende durchgeführt worden ist, sondern abgebrochen wurde. Die von der Firma B. J. . C. GmbH geltend gemachten Kosten waren zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden. Weitere Kosten für das Umsetzen und die Sicherstellung, die nicht mehr angefallen sind, hat die Firma B. J. . C. GmbH nicht geltend gemacht.
28Die Geltendmachung der Auslagen des Ordnungsamts der Beklagten in Höhe von 3,50 Euro rechtfertigt sich aus § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VOVwVG NRW. Es handelt sich um ein Entgelt für Postleistungen. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar angegeben, dass es sich dabei um die Kosten für die Zustellung des angefochtenen Bescheids mit Postzustellungsurkunde gehandelt hat.
29Die Verwaltungsgebühr kann die Beklagte aus § 15 Abs. 1 Nr. 7 VOVwVG NRW verlangen. Sie beträgt zwischen 25 und 150 Euro. Die geltend gemachte Gebühr von 76,50 Euro liegt im mittleren Bereich der Spanne und ist nicht zu beanstanden. Dass die Abschleppmaßnahme nicht vollständig durchgeführt wurde, hindert die Entstehung des Gebührentatbestands nicht, denn nach § 15 Abs. 2 VOVwVG NRW entsteht die Gebührenschuld, sobald die Anwendung des Verwaltungszwangs begonnen hat. Das war bereits mit der Beauftragung der Firma B. J. . C. GmbH der Fall.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO J. . V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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