Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 4 K 121/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in beizutreibender Höhe leistet.
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Der am 00.00.00 1986 geborene Kläger erwarb im Juli 2007 die Fachhochschulreife (schulischer Teil). Nach Ablegung eines Praktikums erkannte ihm die Bezirksregierung Münster im Juli 2008 die Fachhochschulreife zu.
3Der Kläger trat am 1. September 2009 als Kommissaranwärter und im Beamtenverhältnis auf Widerruf in den Polizeivollzugsdienst des beklagten Landes ein. Die Ausbildung erfolgte im Rahmen eines dualen Bachelor-Studiums, das fachwissenschaftliche Studienzeiten an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in N. sowie fachpraktische Studienzeiten beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei, LAFP, (Training) und bei den Kreispolizeibehörden (Praxis) umfasst. Das Studium ist in Module aufgeteilt. Jedes (Teil-) Modul endet mit einer (Teil-) Modulprüfung, in der mindestens ausreichende Leistungen erbracht werden müssen. Das Training beim LAFP bestimmt sich nach den Richtlinien für die fachpraktische Ausbildung im Polizeivollzugsdienst – Training- In den Richtlinien ist im Teilmodul 7 unter anderem ein 3.000-m-Lauf vorgesehen, den Männer in 13.00 Minuten absolvieren müssen. Nicht bestandene (Teil-) Modulprüfungen können ein Mal wiederholt werden.
4Mit Schreiben vom 5. 10. 2011 stellte das LAFP fest, dass der Kläger, der sämtliche anderen (Teil-) Modulprüfungen bestanden hat, den 3.000-Meter-Lauf erstmals nicht bestanden habe, weil er dem Lauf an drei festgelegten Terminen ohne Vorlage einer Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung ferngeblieben sei. Die erstmals auf den 3. April 2012 terminierte Wiederholung des Laufs konnte bis heute nicht erfolgen. Neben witterungsbedingten Verschiebungen der festgelegten Termine konnte der Kläger aus unterschiedlichen gesundheitlichen Gründen den Lauf nicht absolvieren. Zuletzt kam eine Wiederholung im Oktober 2013 nicht zustande.
5Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 16. Dezember 2013 teilte der Kläger mit, bei ihm sei ein Ödem an den Wirbelkörperabschlussplatten festgestellt worden. Er könne zum jetzigen Zeitpunkt keinen Mittel- oder Langstreckenlauf absolvieren. Der Kläger beantragte deshalb, ihm die Möglichkeit einzuräumen, statt des 3.000-m-Laufs eine Schwimmleistung über 800 m zu erbringen.
6In dem vom Kläger vorgelegten Attest des Oberarztes Dr. T. vom St. Franziskus-Hospital N. vom 22. Oktober 2013 werden chronisch persistierende Kreuzschmerzen bei Osteochondrose L4/L5 diagnostiziert. Oberregierungsmedizinalrat Dr. Q. führt in seiner Stellungnahme vom 19. 12. 2013 aus, bei dem Kläger liege nicht nur ein Ödem der Wirbelsäulenabschlussplatten, sondern ein degenerativer Knochenschaden vor. Auch wenn sich ein Begleitödem möglicherweise zurückbilde, bleibe der Grundschaden als solcher weiter bestehen. Würde ein Polizeivollzugsbeamter mit einer derartigen Diagnose (auch ohne Ödem) um eine Befreiung von verschiedenen Tätigkeiten bitten, wäre dies aus polizeiärztlicher Sicht auch umzusetzen. Frau C. H. , Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, attestierte unter dem 16. 1. 2014, dem Kläger sei aus orthopädischer Sicht auf absehbare Zeit kein Laufsport möglich, gegen Schwimmsport bestünden jedoch keine Einwände.
7Nach Anhörung des Klägers sowie Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten und des Personalrats entließ das Polizeipräsidium N. den Kläger mit Bescheid vom 13. Januar 2014 und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte das Polizeipräsidium aus: Bei dem Kläger bestünden berechtigte Zweifel an seiner Eignung für den weiteren Verbleib im Beamtenverhältnis. Er habe bei den zahlreichen Versuchen, den 3.000-m-Lauf in der vorgesehenen Zeit zu absolvieren, mangelnden Leistungswillen erkennen lassen. Außerdem habe er im Oktober 2013 einen Arzt verspätet aufgesucht und das ausgestellte Attest verspätet vorgelegt. Der Kläger sei außerdem nach den vorliegenden Attesten gesundheitlich für die Ausübung des Berufs eines Polizeivollzugsbeamten nicht geeignet.
8Die Kammer lehnte mit Beschluss vom 19. Mai 2014 – 4 L 36/14 - den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung ab. Seine Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 16. Juli 2014 – 6 B 643/14 – zurück.
9Der Oberbürgermeister der Stadt N. stellte auf Antrag des Klägers mit Bescheid vom 25. November 2014 einen Grad der Behinderung von 20 fest. Der Kläger erhob gegen den Bescheid Widerspruch mit der Begründung, der Grad der Behinderung sei unangemessen niedrig festgestellt worden. Über den Widerspruch ist nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung noch nicht entschieden.
10Der Kläger hat bereits am 22. Januar 2014 Klage erhoben und macht geltend: Das Polizeipräsidium N. habe sein Ermessen verkannt. Es habe nicht berücksichtigt, dass der Abschluss des Vorbereitungsdienstes Vorrang vor für die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf sprechende Gesichtspunkte habe. Außerdem habe das Polizeipräsidium nicht berücksichtigt, dass er seine Fähigkeit zu Ausdauerleistungen auch durch Schwimmleistungen über 800 m oder Fahrradfahren nachweisen könne. Es sei auch keine hinreichende Rechtsgrundlage dafür erkennbar, als Prüfungsleistung einen 3.000-m-Lauf zu fordern. Die bloße Festlegung der Prüfungsleistung in einer Richtlinie genüge den normativen Anforderungen nicht. Darüber hinaus sei keine ausdrückliche Regelung für den Fall erlassen worden, dass ein Prüfungskandidat bestimmte Prüfungsleistungen aufgrund einer Erkrankung nicht oder nicht in der vorgesehen Zeit erbringen könne. Es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern es Aufgabe der Fachhochschule im Bachelor-Studiengang sei, den Auszubildenden körperliche Leistungsfähigkeiten zu vermitteln. Seine vermeintlich fehlende charakterliche Eignung habe das Polizeipräsidium nicht substantiiert begründet. Die vom Polizeipräsidium angeführte verspätete Vorlage eines Attestes trage die Entlassungsverfügung nicht. Aufgrund einer Erkrankung seines Hausarztes sei es ihm nicht möglich gewesen, das Attest früher vorzulegen. Dass er nicht erneut einen 3.000-m-Lauf absolvieren könne, habe er stets durch Vorlage von Attesten nachgewiesen. Die Entscheidung des Polizeipräsidiums stünde zudem mit § 7 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nicht in Einklang.
11Der Kläger beantragt,
12den Bescheid des Polizeipräsidiums N. vom 13. Januar 2014 aufzuheben.
13Das beklagte Land beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Es vertieft die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte, der Gerichtsakte 4 L 36/14 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Polizeipräsidiums N. vom 13. Januar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
19(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20Rechtsgrundlage der Entlassung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf ist § 23 Abs. 4 BeamtStG. Nach Maßgabe dieser Vorschrift ist der Bescheid des Polizeipräsidiums N. vom 13. Januar 2014 sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.
21Der Einzelrichter verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluss vom 19. Mai 2014 – 4 L 36/14 ‑ und den Beschluss des OVG NRW vom 16. Juli 2014 – 6 B 643/14 -. In den Beschlüssen ist umfassend auch zu dem Vorbringen des Klägers im vorliegenden Klageverfahren Stellung genommen worden. Das OVG NRW hat seine Rechtsprechung mehrfach bestätigt, zuletzt im Beschluss vom 15. Oktober 2014 – 6 A 208/14, und in diesem Beschluss auch darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 1 BvR 2776/13 ‑, eine Verfassungsbeschwerde gegen eine der Entscheidungen des OVG NRW nicht zur Entscheidung angenommen hat. Mit Blick auf das Vorbringen des Klägers in den Schriftsätzen vom 15. Oktober und 9. Dezember 2014 wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
22In dieser Allgemeinheit unzutreffend ist der Vortrag des Klägers, der Beklagte habe nicht die notwendige ausdrückliche Regelung für den Fall „geschaffen“, dass ein Prüfungskandidat bestimmte Prüfungsleistungen aufgrund einer Erkrankung nicht oder nicht innerhalb der vorgegeben Zeit erbringen könne. Einer besonderen landesrechtlichen Regelung der vom Kläger angesprochenen Fälle bedarf es beamtenrechtlich nicht, weil sie von § 23 Abs. 4 BeamtStG erfasst werden. Mit dieser Vorschrift steht aus den im Beschluss vom 19. Mai 2014 – 4 L 36/14 – dargelegten Gründen in Einklang, dass ein Beamter ausnahmsweise auch dann vor Beendigung des Vorbereitungsdienstes und vor Ablegung der Prüfung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen werden kann, wenn der Zweck des zeitlich befristeten Dienstverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht erreicht werden kann. Dass der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen das Ausbildungsziel in absehbarer Zeit erreichen kann, hat er auch im Klageverfahren nicht substantiiert dargelegt.
23Der Kläger hat weiter die Ausführungen des OVG NRW auf S. 5 des Abdrucks des Beschlusses vom 16. Juli 2014 – 6 B 643/14 – nicht durchgreifend in Frage gestellt, soweit dort ausgeführt wird, nach § 1 Abs. 1 VAPPol II Bachelor seien Ziele der Ausbildung der Erwerb des Hochschulgrades Bachelor durch die Studierenden sowie die Befähigung für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes, indem grundlegendes Fachwissen, Methodenkompetenzen und Schlüsselqualifikationen zur Berufsfähigkeit vermittelt würden. Mit seinem hiergegen gerichteten Vortrag, die Fachhochschule vermittle keine körperliche Leistungsfähigkeit, verkennt der Kläger, dass die im Teilmodul 7 zu erwerbende und nachzuweisende körperliche Leistungsfähigkeit Teil seiner Ausbildung ist. Denn nach § 10 Abs. 1 VAPPol II Bachelor erfolgt die Ausbildung im Rahmen eines dualen Bachelor-Studiums (Satz 1). Sie gliedert sich in die fachwissenschaftliche Studienzeit an der Fachhochschule sowie die fachpraktischen Studienzeiten beim Landesamt LAFP (Training) und bei den Kreispolizeibehörden (Praxis). Die Aufgabe, den Studierenden körperliche Leistungsfähigkeit als Schlüsselqualifikation zur Berufsfähigkeit zu vermitteln und dies durch Prüfung festzustellen ist mithin Teil der Ausbildung und obliegt nicht der Fachhochschule, sondern dem LAFP im Rahmen des Trainings.
24Der Kläger macht schließlich ohne Erfolg geltend, das beklagte Land verstoße mit der Entlassung gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 AGG. Danach dürfen Beschäftigte unter anderem wegen einer Behinderung nicht benachteiligt werden. Ungeachtet aller weiteren Zweifelsfragen greift der Vortrag des Klägers jedenfalls mit Blick auf § 8 Abs. 1 AGG jedenfalls nicht durch. Nach dieser Vorschrift ist eine unterschiedliche Behandlung unter anderem wegen einer Behinderung zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die körperliche Leistungsfähigkeit, die dem Kläger derzeit fehlt, ist für die Tätigkeit als Polizeibeamter eine wesentliche und entscheidende Anforderung. Darüber hinaus ist in den Beschlüssen vom 19. Mai 2014 – 4 L 36/14 ‑ und vom 16. Juli 2014 – 6 B 643/14 – im Einzelnen dargelegt worden, dass der Zweck des 3.000-m-Laufs, die für die Berufsausübung erforderliche körperliche Leistungsfähigkeit nachzuweisen, rechtmäßig und die (Prüfungs-) Anforderung angemessen ist.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
26Der Anspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
27Rechtsmittelbelehrung
28Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht, Piusallee 38, 48147 Münster (Postanschrift: Postfach 8048, 48043 Münster), schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (Elektronische Rechtsverkehrsverordnung Verwaltungs- und Finanzgerichte – ERVVO VG/FG) vom 7. November 2012 (GV. NRW S. 548) zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster (Postanschrift: Postfach 6309, 48033 Münster) einzureichen. Statt in Schriftform kann die Begründung dort auch in elektronischer Form nach Maßgabe der ERVVO VG/FG eingereicht werden.
29Vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte – außer im Prozesskostenhilfeverfahren – durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte sind nur die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneten und ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
30-Beschluss
31Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 sowie Sätze 2 und 3 GKG auf bis zu 7.000 Euro festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung knüpft an die Hälfte der für ein Jahr zu zahlenden Anwärterbezüge an.
32Rechtsmittelbelehrung
33Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (Elektronische Rechtsverkehrsverordnung Verwaltungs- und Finanzgerichte – ERVVO VG/FG) vom 7. November 2012 (GV. NRW S. 548) bei dem Verwaltungsgericht Münster, Piusallee 38, 48147 Münster (Postanschrift: Postfach 8048, 48043 Münster) einzulegen.
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