Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 1 L 1290/15
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die vom Antragsteller gefangene Hauskatze vorläufig als Fundkatze in Verwahrung zu nehmen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
3. Der Streitwert wird auf 500,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Antragstellers,
3den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die vom Antragsteller gefangene Hauskatze als Fundsache in Verwahrung zu nehmen,
4ist zulässig und begründet.
51.
6Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig und zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG geboten, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO).
7Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch (a) als auch einen Anordnungsgrund (b) glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, die vom Antragsteller gefangene Hauskatze als Fundsache in Verwahrung zu nehmen.
8a) Der Anspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 967 BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Finder berechtigt, die Fundsache an die zuständige Behörde abzuliefern. Diese Norm regelt öffentlich-rechtliche Verwahrungsrechte und -pflichten und dient in erster Linie dem Schutz des Finders, der seine Verwahrungspflicht nach § 966 BGB durch Ablieferung der Fundsache an die Fundbehörde beenden kann.
9Vgl. Oechsler, in: Münchner Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 967 BGB, Rn. 1 f.
10Zuständige Behörde im Sinne dieser Vorschrift ist nach § 5a AGBGB die Gemeinde des Fundorts, mithin die Beklagte.
11Den Vorschriften des Fundrechts unterliegen Sachen (auch Tiere, vgl. § 90a BGB), die besitz- aber nicht herrenlos sind. Fundtiere sind Tiere, die dem Eigentümer entlaufen oder sonst seinem Besitz entzogen sind.
12Vgl. Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, Einführung, Rn. 128.
13Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei der Katze um ein Fundtier und nicht um ein herrenloses Tier.
14Die Vorschrift des § 960 BGB, wonach wilde Tiere herrenlos sind, solange sie sich in der Freiheit befinden, findet keine Anwendung, denn bei der Katze handelt es sich nicht um ein Tier im Sinne der genannten Vorschrift. Wilde Tiere sind vielmehr nur diejenigen Tiere, die keine Haustiere sind, d. h. keine Tiere, die normalerweise (gattungsmäßig) unter menschlicher Herrschaft leben, wobei auch die Region, in der die Tiere leben, mit heranzuziehen ist. Katzen werden in Deutschland grundsätzlich als Haustiere gehalten. Sie mögen zwar gelegentlich herumstreunen bzw. verwildern, was deren qualitative Einstufung als Haustier jedoch nicht hindert.
15Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 16. Dezember 2013 – 4 K 29/13 -, juris.
16Ebenso wenig handelt es sich bei der Katze um ein Tier, welches gemäß § 959 BGB herrenlos geworden ist. Nach § 959 BGB wird eine bewegliche Sache herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt. Nach § 3 Nr. 3 TierschG ist es jedoch ausdrücklich verboten und bußgeldbewehrt, ein im Haus, Betrieb oder sonst in Obhut des Menschen gehaltenes Tier auszusetzen oder es zurückzulassen, um sich seiner zu entledigen oder sich der Halter- und Betreuerpflicht zu entziehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses gesetzliche Verbot schon dazu führt, dass eine wirksame Dereliktion schon gar nicht möglich ist, oder ob es nur die Basis für Sanktionsmöglichkeiten ist.
17Vgl. zum Meinungsstreit VG Stuttgart, Urteil vom 16. Dezember 2013 (a.a.O.)
18Denn bei der Auslegung des Begriffs „Fundtier“ ist das seit 2002 in Art. 20a GG grundgesetzlich verankerte Staatsziel des Tierschutzes mit zu berücksichtigen, welches den Schutz der Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Ordnung durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung bezweckt. Dieses Ziel findet seine einfach gesetzliche Ausgestaltung in den Vorschriften des Tierschutzgesetzes, welche die Verbotsvorschriften der §§ 1 Satz 2 und 3 Nr. 3 TierSchG enthalten. Einem Tierhalter darf daher - auch wenn er den Verlust des Tieres nicht gegenüber der zuständigen Behörde anzeigt - nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass er sich seines Tieres durch Aussetzen – also unter Begehung einer Ordnungswidrigkeit – entledigt hat. Dies gilt umso mehr, als häufig zu beobachten ist, dass sich Besitzer verloren gegangener Tiere – auch unabhängig von einer förmlichen Verlustmeldung - intensiv durch private Suchzettel und Nachfragen in der Nachbarschaft bemühen, ihre verloren gegangenen Tiere wiederzufinden Eine Auslegung und Verwaltungspraxis, die entgegen § 3 Nr. 3 TierSchG davon ausginge, dass aufgefundene Tiere in aller Regel ausgesetzt wurden und damit herrenlos sind, stünde nicht in Einklang mit den normierten tierschutzrechtlichen Zielen. Vielmehr besteht eine Regelvermutung rechtstreuen Verhaltens mit der Folge, dass zunächst grundsätzlich ein Fundtier anzunehmen ist.
19Vgl. VG München, Urteil vom 16. April 2015 – M 10 K 14.4533 -, m. N., juris; VG Stuttgart, Urteil vom 16. Dezember 2013 (a.a.O.), m. N.
20Die sich aus dieser Auslegung ergebende Regelvermutung rechtstreuen Verhaltens mit der Folge, dass zunächst grundsätzlich ein Fundtier anzunehmen ist, kann zwar widerlegt werden. Dafür müssen jedoch besondere Anhaltspunkte vorliegen, die, ungeachtet der Frage, ob dies rechtlich möglich ist, die Absicht des Eigentümers, auf das Eigentum zu verzichten, deutlich erkennen lassen und somit geeignet sind, diese Regelvermutung auszuräumen.
21Vgl. VG München, Urteil vom 16. April 2015 (a.a.O.); VG Stuttgart, Urteil vom 16. Dezember 2013 (a.a.O.).
22Solche besonderen Anzeichen sind aber im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Katze kein Mikrochip implantiert war und sie auch kein Halsband trug. Es liegen vielmehr im Gegenteil Anzeichen vor, die darauf hindeuten, dass die Katze nicht herrenlos ist. Sie machte einen überaus gepflegten und wohlgenährten Eindruck und wies ein die Nähe des Menschen geradezu suchendes Verhalten auf. Dies ergibt sich aus den Lichtbildern bzw. der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers.
23b) Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der besonderen Eilbedürftigkeit, da nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragstellers ihm eine tierschutzgerechte Unterbringung der Katze nicht möglich ist.
242.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Das beschließende Gericht bemisst die sich aus dem Antrag für den Antragsteller ergebende Bedeutung der Sache wegen des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit der Hälfte des im Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG.
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