Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 9 K 1985/15
Tenor
Ziffer 4 der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 07. September 2015 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer arbeitsschutzrechtlichen Ordnungsverfügung des Beklagten, die die Aufschlagrichtung einer Tür im 4. Obergeschoß des Gebäudes A, N. betrifft.
3Die Klägerin erwarb in der Vergangenheit u.a. das hier streitgegenständliche Gebäude A, N. , das ein Untergeschoß, ein Erdgeschoß, vier reguläre Stockwerke sowie zwei Dachgeschoße (mit Dachschrägen) aufweist, zu Eigentum. Nachdem ihr vom Bauordnungsamt der Stadt N. im Jahr 2000 entsprechende Nutzungsänderungsgenehmigungen erteilt worden waren (zunächst die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27. April 2000 - 2975/99 - und zuletzt – soweit hier maßgeblich – die diese inhaltlich überholende Nachtragsgenehmigung vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 -), baute die Klägerin dieses Gebäude in ein Bürogebäude um. In dem streitbetroffenen Gebäude nutzt die Klägerin das 4. Obergeschoß und das 1. Dachgeschoß für eigene Bürozwecke, während sie andere Teile des Gebäudes vermietet.
4Das hier maßgebliche 4. Obergeschoß besteht vor allem aus Büroräumen, die jeweils in einen Flur einmünden, der sich von der Süd- bis zur Nordseite des 4. Obergeschoßes erstreckt. Nach dem Inhalt der bestandskräftigen Nachtragsbaugenehmigung des Bauordnungsamts der Stadt N. vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 – müssen sich im 4. Obergeschoß insgesamt (Nord- und Südseite) u.a. zwölf Büroräume und mehrere Besprechungs- bzw. Aufenthaltsräume befinden. An der Südseite befinden sich davon gegenwärtig sechs Büroräume und ein Materialraum, in dem sich wiederum ein Kopierer sowie Regale mit Akten und Bürounterlagen befinden. Der Flur im 4. Obergeschoß ist durch eine Tür (T 90 RS), die sich im Brandfall schließt, sich jedoch manuell wieder öffnen lässt, unterteilt. Das 4. Obergeschoß kann über insg. zwei Notausgänge verlassen werden. Ein Notausgang befindet sich an der Nordseite des Stockwerks und führt (lediglich) in ein Treppenhaus, während sich der andere – hier in Streit stehende - Notausgang ungefähr in der Mitte des Stockwerks (etwas mehr zur Südseite hin gelegen) befindet und sowohl zu einem Treppenhaus als auch zu zwei Aufzugsschächten führt. Um zu den jeweiligen Notausgängen zu gelangen, muss jeweils eine Tür passiert werden.
5Während die Nutzungsänderungsgenehmigung der Stadt N. vom 27. April 2000 – 2975/99 – noch angeordnet hatte, dass die hier streitgegenständliche Tür (ca. in der Mitte des Obergeschoßes) in Fluchtrichtung nach außen aufschlagen muss, ordnete die Nachtragsgenehmigung der Stadt N. vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 - unter Abänderung der ursprünglichen Festsetzung auf der Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Rechtslage insoweit an, dass die hier streitgegenständliche Tür in Fluchtrichtung nach innen aufschlagen muss. Entsprechend dieser Festsetzung wurde diese Tür (T30 RS) errichtet und schlug daher in Fluchtrichtung nach innen auf. Dieser Tür vorgelagert befindet sich ein Raum, auf dessen beiden Seiten sich jeweils die Aufzugsschächte befinden, und diesem Raum wiederum vorgelagert befindet sich das Treppenhaus, das u.a. zu ebener Erde führt. Die andere, an der Nordseite des 4. Obergeschoßes befindliche Notausgangstür (T30 RS) schlägt, wie insoweit von der Nachtragsgenehmigung der Stadt N. vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 – festgesetzt, nach außen auf.
6Eine weitere Treppe führt aus dem mittleren Foyer des 4. Stockes lediglich in das 1. Dachgeschoß (nicht jedoch nach unten aus dem Gebäude heraus); wobei das 1. Dachgeschoß über diese Treppe (lediglich) in den 4. Stock verlassen werden kann; darüber hinaus kann das 1. Dachgeschoß durch eine weitere Tür, die in Fluchtrichtung nach außen aufschlägt, über das (mittlere) Treppenhaus bzw. über die Aufzüge verlassen werden.
7Bzgl. der weiteren Einzelheiten der räumlichen Verhältnisse im 4. Obergeschoß des Gebäudes A, N. wird auf die Nachtragsgenehmigung des Bauordnungsamtes der Stadt N. vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 -, dort Grundriss des 4. Obergeschoßes, Bezug genommen.
8Im 4. Obergeschoß arbeiten regelmäßig ca. 15 Personen (sämtlich Arbeitnehmer); davon an der Südseite regelmäßig fünf bis sechs Personen.
9Im Jahr 2013 stellte der Beklagte fest, dass u.a. die hier streitige Notausgangstür im 4. Obergeschoß nicht in Fluchtrichtung nach außen, sondern stattdessen nach innen aufschlägt. Aufforderungen des Beklagten, die Aufschlagrichtung der hier streitgegenständlichen Notausgangstür im 4. Obergeschoß des Gebäudes A, N. zu ändern, kam die Klägerin in der Folgezeit nicht nach.
10Mit per Postzustellungsurkunde zugestellter Ordnungsverfügung vom 07. September 2015 ordnete der Beklagte – jeweils unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 3) - an, dass die Fluchtwegsituation in der Betriebsstätte der Klägerin, A, N. , 4. Obergeschoss, gemäß § 4 Abs. 4 i. V. m. Anhang 2.3 Arbeitsstättenverordnung [im Folgenden: ArbStättV] in einen verordnungskonformen Zustand zu versetzen sei (Ziffer 1 Satz 1); die Fluchttüren müssten in Fluchtrichtung aufschlagen (Ziffer 1 Satz 2); und dass in der Betriebsstätte der Klägerin, A, N. , 4. Obergeschoss, die Beschäftigung von Beschäftigten im Sinne des § 2 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz [im Folgenden: ArbSchG] untersagt werde, bis der verordnungsgemäße Zustand gemäß Ziffer 1 hergestellt sei (Ziffer 2). Gleichzeitig drohte der Beklagte der Klägerin für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1 ein Zwangsgeld i. H. v. 5.000,- Euro (Ziffer 4 der Ordnungsverfügung) und für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2 ein Zwangsgeld i. H. v. 10.000,- Euro an (Ziffer 5 der Ordnungsverfügung). Eine Fristsetzung enthielten die Zwangsgeldandrohungen nicht. Gemäß Ziffer 6 der Ordnungsverfügung habe die Klägerin die Kosten der Verfügung, die auf 500,- Euro festgesetzt würden, zu tragen.
11Zur Begründung des Bescheids führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Gemäß den allgemeinen Grundsätzen nach § 4 ArbSchG habe die Klägerin die Arbeit ihrer Beschäftigten so zu gestalten, dass Gefährdungen für Leben und Gesundheit möglichst vermieden würden. Dies beinhalte, dass bei einer eintretenden Gefahrensituation die Beschäftigten die Betriebsstätte sicher und ohne Hindernisse verlassen könnten, was beim klägerischen Betrieb im 4. Obergeschoß nicht der Fall sei. Nach § 22 Abs. 3 ArbSchG könne sie – die Bezirksregierung N. – als zuständige Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfüllung von Pflichten zu treffen habe, die sich aus dem ArbSchG bzw. der ArbStättV einschließlich ihres Anhangs ergäben. Dabei könne sie auch anordnen, dass der Arbeitgeber die Arbeiten, bei der die Beschäftigen gefährdet seien, einzustellen habe, solange die zur Bekämpfung der Gefahr notwendigen Maßnahmen nicht durchgeführt worden seien. Gemäß § 4 Abs. 4 ArbStättV i. V. m. Nr. 2.3 des Anhangs der ArbStättV müssten sich Türen von Notausgängen nach außen öffnen lassen. Im Falle einer Gefahrensituation werde eine nach innen aufschlagende Fluchttür die Stresssituation der betroffenen Personen deutlich erhöhen und eine Flucht extrem erschweren. Im schlimmsten Fall werde es vor der Tür zu einer Menschenansammlung (Traubenbildung) kommen, die aufgrund des irrationalen Fluchtverhaltens des Menschen es nicht ermögliche, die Tür nach innen zu öffnen. Nach Abwägung der von der Klägerseite aufgeführten Argumente sei als Mittel der Wahl lediglich der Erlass der Ordnungsverfügung geblieben. Die Klägerin habe es beharrlich unterlassen, die Aufschlagrichtung der Fluchttür in einen verordnungsgemäßen Zustand zu versetzen. Durch einen Umbau anfallende Kosten könnten nicht als Argument dafür herangezogen werden, einen Umbau zu unterlassen, da der Verordnungsgeber der ArbStättV den Kostenaspekt bereits einbezogen und eine Interessenabwägung zugunsten der körperlichen Unversehrtheit der Beschäftigten getroffen habe. Die von der Klägerin (im vorangegangenen Schriftverkehr) vorgeschlagenen Ersatzmaßnahmen wie etwa eine Unterweisung der Beschäftigten über die Gefahrenquelle stellten keinen Ersatz für die vom Verordnungsgeber geforderte Aufschlagrichtung der Notausgangstüren dar, da bauliche und technische Maßnahmen Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen und diese wiederum Vorrang vor persönlichen Schutzmaßnahmen der Beschäftigten hätten.
12Die Wahl des Zwangsgeldes als jeweiliges Zwangsmittel zur Durchsetzung von Ziffer 1 und 2 der Ordnungsverfügung sei unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erfolgt. Die Kostenentscheidung unter Ziffer 6 der Ordnungsverfügung beruhe auf Tarifstelle 1.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung; die Gebühr sei unter Berücksichtigung des betriebenen – mittleren – Verwaltungsaufwandes auf 500,- Euro festgesetzt worden.
13Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid am 15. September 2015 Klage erhoben und gleichzeitig beantragt, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Verfügungen unter Ziffer 1 und 2 der Ordnungsverfügung der Beklagten anzuordnen (9 L 1193/15). Zur Begründung ihrer Klage trägt sie im Wesentlichen vor:
14Ziffer 1 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung sei bereits nicht hinreichend bestimmt. Soweit Ziffer 1 Satz 1 den unbestimmten Begriff der „Fluchtwegsituation“ verwende, sei dieser – ebenso wie das Verlangen eines „verordnungskonformen Zustandes“ – nicht eindeutig. Ziffer 1 Satz 2, wonach die Fluchttüren in Fluchtrichtung aufschlagen müssten, vermöge die hinreichende Bestimmtheit ebenfalls nicht herzustellen, da damit nicht klar zum Ausdruck gebracht werde, bei welcher konkreten Tür bzw. welchen konkreten Türen es sich um „Fluchttüren“ handele. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass die einzelnen Büroräume jeweils über Türen zum Flur, der Flur über Türen zu verschiedenen Treppenhäusern und schließlich auch die Toilettenräume noch verschiedene Türen aufwiesen. Auch aus der Begründung der Ordnungsverfügung ergebe sich nicht mit hinreichender Klarheit, welche konkrete Tür in Rede stehe. Zwar sei auf Blatt 3, Absatz 1 der Ordnungsverfügung von einer „Notausgangstür im 4. Obergeschoß von Flur ins Treppenhaus“ die Rede; bereits auf Seite 3, Absatz 2 der Ordnungsverfügung sei jedoch (beispielsweise) wieder von „Notausgangstüren“ die Rede.
15Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung der allein als Ermächtigungsgrundlage für Ziffer 1 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung in Betracht kommenden Norm des § 22 Abs. 3 ArbSchG sei, wie aus den §§ 1, 3 und 4 ArbSchG folge, dass eine konkrete Beeinträchtigung der Sicherheit oder eine Gefährdung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten vorliege. Dies folge u.a. auch aus der Vorbemerkung im Anhang „Anforderungen an Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1“, dass die nachfolgenden Anforderungen in allen Fällen gelten, in denen die Eigenschaften der Arbeitsstätte oder der Tätigkeit, die Umstände oder eine Gefährdung der Beschäftigten dies erforderten. Die im Einzelnen in dem Anhang zur ArbStättV geregelten Pflichten des Arbeitgebers griffen demgemäß nur unter der Voraussetzung, dass die Anforderungen dieser Vorbemerkung erfüllt seien; es greife gerade kein Automatismus, wonach die Anforderungen der Anlage zur ArbStättV zwingend umzusetzen seien. Eine Beeinträchtigung der Sicherheit oder eine Gefährdung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten habe der Beklagte im vorliegenden Einzelfall jedoch nicht festgestellt, sondern lediglich allgemein darauf verwiesen, dass die Türenaufschlagrichtung im Widerspruch zu Nr. 2.3 des Anhangs zur ArbStättV stehe.
16Tatsächlich liege vorliegend eine Beeinträchtigung der Sicherheit oder eine Gefährdung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten auch nicht vor, so dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 22 Abs. 3 ArbSchG nicht erfüllt seien. Die Eigenschaften der Arbeitsstätte oder der Tätigkeit, die Umstände oder eine Gefährdung der Beschäftigten (Vorbemerkung im Anhang „Anforderungen an Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1“) erforderten im vorliegenden Einzelfall keine Änderung der Türenaufschlagrichtung. Im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung und der Inbetriebnahme der Betriebsstätte im 4. Obergeschoß des Gebäudes A, N. seien die arbeitsschutz- und brandschutzrechtlichen Anforderungen – damals unter Geltung der ArbStättV vom 20. März 1975 (BGBl. I S. 729), der Vorgängerverordnung der aktuell gültigen ArbStättV vom 12. August 2004 (BGBl. I S. 2179) - erfüllt gewesen. § 10 Abs. 7 ArbStättV 1975 a.F. habe damals (anders als heute Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs zur ArbStättV 2004 n.F.) lediglich normiert, dass sich Türen im Verlauf von Rettungswegen von innen ohne fremde Hilfe jederzeit leicht öffnen lassen müssten. Diese Voraussetzung sei sowohl zum damaligen Zeitpunkt als auch zum jetzigen Zeitpunkt erfüllt. Der Beklagte hätte sich vor diesem Hintergrund fragen müssen, ob im Hinblick darauf im konkreten Einzelfall eine geänderte Gefährdungsbeurteilung der Situation im 4. Obergeschoß des Gebäudes A, N. vorliege, und wäre dann zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall sei. Nach wie vor handele es sich um einen Bürobetrieb in einem aufwändig modernisierten Gebäude, der keine besonderen Brandgefahren hervorrufe.
17Sie – die Klägerin – habe in ihrer – unter Hinzuziehung externer Stellen erstellten – Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt, dass lediglich fünf bis sieben Personen die Notausgangstür benutzten, so dass eine Stau- bzw. Traubenbildung vor der Tür nicht zu erwarten sei; folglich könne die Tür in einer Evakuierungssituation auch nach innen geöffnet werden. Ferner bestünden weitere Fluchtmöglichkeiten über das Treppenhaus an der Nordseite des 4. Obergeschoßes sowie über die Treppe in das 5. Obergeschoß. Auch würden ihre Beschäftigten, die im 4. Obergeschoß arbeiteten, regelmäßig auf den Gefahrenpunkt hingewiesen und entsprechend unterwiesen.
18Auf der Rechtsfolgenseite habe der Beklagte das von § 22 Abs. 3 ArbSchG eröffnete Ermessen nicht ausgeübt. Er habe bereits nicht erkannt, dass er eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Jedenfalls habe er aber keine Abwägung der relevanten (Ermessens)gesichtspunkte im vorliegenden Einzelfall vorgenommen. Weder habe er entgegenstehende Gesichtspunkte wie die Unfallgefahr für Fahrstuhlbenutzer berücksichtigt, die ggf. (je nach technischer Ausführung einer Änderung der Aufschlagrichtung) hervorgerufen werden könnte, wenn die Aufschlagrichtung der Tür geändert werde, noch habe er berücksichtigt, dass sich allein durch die Änderung der arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen die tatsächliche Gefährdungslage nicht erhöht habe. Die Ermessensausübung sei, jedenfalls in den wesentlichen Zügen, in der Ordnungsverfügung zu begründen. Die Verwendung von allgemeinen Leerformeln reiche insoweit nicht aus.
19Weiterhin habe der Beklagte sich fehlerhaft nicht mit der Frage des Bestandsschutzes auseinandergesetzt. Im Rahmen der Frage, ob die geänderten Anforderungen der ArbStättV vom 12. August 2004 auch für unter der ArbStättV vom 20. März 1975 (baurechtlich) bestandskräftig genehmigte Betriebe uneingeschränkt Anwendung fänden, sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dabei sei die mit einer baulichen Änderung möglicherweise erzielbare erhöhte Sicherheitslage ins Verhältnis zu stellen zu den mit einer Änderung ggf. verbundenen Belastungen des Betriebs. Eine derartige Prüfung im Einzelfall habe der Beklagte nicht vorgenommen. Damit habe er sowohl den ihr – der Klägerin – zukommenden arbeitsschutzrechtlichen Bestandsschutz als auch den baurechtlichen Bestandsschutz (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzt. Die Anordnung, die Türenaufschlagrichtung zu ändern, kollidiere mit der Bestandskraft der Baugenehmigung.
20Ziffer 2 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung sei bereits deswegen rechtswidrig, weil Ziffer 1 rechtswidrig sei. Unabhängig davon sei es mangels konkreter, unmittelbar bevorstehender Gefahr unverhältnismäßig, dass sie – die Klägerin – für den Zeitraum bis zur baulichen Umsetzung von Ziffer 1 gezwungen werde, ihre Beschäftigen entweder von der Arbeit freizustellen oder provisorisch in anderen Räumen unterzubringen. Ferner hätten die zeitlichen Voraussetzungen von § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG nicht vorgelegen: Der Beklagte hätte vor Erlass von Ziffer 2 der Ordnungsverfügung zumindest eine gewisse Zeit abwarten müssen, ob sie – die Klägerin – der für sofort vollziehbar erklärten Ziffer 1 der Ordnungsverfügung nachkomme. Schließlich liege auch in Bezug auf Ziffer 2 ein Ermessensausfall vor.
21Ziffer 4 sei (ebenfalls) bereits deswegen rechtswidrig, weil Ziffer 1 rechtswidrig sei. Unabhängig davon hätte der Beklagte gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 ArbSchG zur Ausführung von Ziffer 1 eine angemessene Frist setzen müssen, da Gefahr im Verzug vorliegend nicht vorgelegen habe. Hier habe allenfalls eine rein hypothetische bzw. theoretische Gefahr bestanden. Gefahr im Verzug könne nicht damit bejaht werden, dass eine (abstrakt) drohende Gefahr jederzeit, sofern ein Unglücksfall eintrete, in eine unmittelbar drohende, konkrete Gefahr umschlagen könne. Man könne die Annahme einer Gefahr nämlich nicht danach beurteilen, ob ein Unglücksfall eintrete; die Frage des Eintritts eines Unglücksfalls sei vielmehr gerade das Kernstück der vorzunehmenden Gefahrenprognose. Gefahr im Verzug müsse vielmehr mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet werden; reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichten insoweit nicht aus.
22Ziffer 5 und 6 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung seien schließlich ebenfalls rechtswidrig.
23Mit – rechtskräftig gewordenem – Beschluss vom 29. Oktober 2015 hat das Gericht den Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Ziffer 1 und 2 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung des Beklagten abgelehnt. Zur Begründung des Beschlusses wird auf Bl. 60 ff. GA 9 L 1193/15 Bezug genommen.
24Daraufhin ließ die Klägerin die ca. in der Mitte des 4. Obergeschoßes befindliche Notausgangstür (zur Abwendung von Zwangsmaßnahmen) dergestalt umbauen, dass diese nunmehr in Fluchtrichtung nach außen aufschlägt.
25Die Klägerin beantragt,
26die Verfügung zu Ziffer 1) des Bescheides des Beklagten vom 07. September 2015, wonach „die Fluchtwegsituation“ im 4. Obergeschoß des von ihr genutzten Gebäudes „in einen verordnungskonformen Zustand zu versetzen“ sein soll, aufzuheben,
27die Verfügung zu Ziffer 2 des Bescheides des Beklagten vom 07. September 2015, wonach „bis zur Herstellung eines verordnungsgemäßen Zustandes gemäß Ziffer 1)“ die Beschäftigung von ihren Mitarbeitern in der Betriebsstätte untersagt wird, aufzuheben,
28die Androhung eines Zwangsgeldes von 5.000,- Euro in der Verfügung vom 07. September 2015 aufzuheben,
29die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes in der Ordnungsverfügung vom 07. September 2015 in Höhe von 10.000,- Euro aufzuheben,
30die Kostenentscheidung der genannten Verfügung aufzuheben.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Er trägt unter Vertiefung seiner Begründung in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung ergänzend im Wesentlichen vor:
34Nr. 2.3 des Anhangs zur ArbStättV stelle klar, dass sich Fluchtwege nach der höchstmöglichen Anzahl der anwesenden Personen (infrage kämen hier etwa Besucher, Kunden oder Mitarbeiter von Fremdfirmen) richten müssten, nicht nur nach der Anzahl der regelmäßig vorhandenen Beschäftigten. Durch Einsatz elektrischer Geräte in den Büros bestehe jederzeit Brandgefahr. Unabhängig von einer Brandgefahr müsse generell auch in sonstigen Evakuierungssituationen eine unverzügliche Flucht der Beschäftigten möglich sein. Die weiter entfernt gelegene Notausgangstür an der Nordseite des 4. Obergeschoßes sei wegen ihrer Randlage und der daraus folgenden Länge des Fluchtweges nicht als erster Fluchtweg geeignet. Es widerspreche jeder Logik, zur Flucht an einer näher gelegenen Tür vorbeizurennen, um eine weiter entfernte Tür zu nutzen. Ferner sei es technisch möglich, die Aufschlagrichtung der maßgeblichen Tür zu ändern, ohne eine Gefährdung der Benutzer der Aufzüge hervorzurufen. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Bestandsschutz berufen, da baurechtlicher Bestandsschutz im Arbeitsschutzrecht nicht anwendbar sei und die Übergangsvorschrift des § 8 ArbStättV hier nicht greife. Der Umstand, dass die Klägerin nach rechtskräftigem Abschluss des Eilverfahrens zur Abwendung von Zwangsmaßnahmen die Aufschlagrichtung der maßgeblichen Tür im 4. Obergeschoß habe ändern lassen, zeige, dass die streitige Ordnungsverfügung bestimmt genug gewesen sei, um der Klägerin hinreichend zu verdeutlichen, welche konkrete Tür in Rede gestanden habe. Er – der Beklagte – habe auch sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Eine Fristsetzung für die Umsetzung der Ordnungsverfügung sei nicht erforderlich gewesen; die Dauer der Umsetzung der Maßnahme sei vielmehr in das Ermessen der Klägerin gestellt, solange keine Beschäftigten in dem fraglichen Bereich des 4. Obergeschosses tätig seien.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 9 L 1193/15, den Inhalt des von dem Beklagten zu jenen Verfahren überlassenen Verwaltungsvorgangs (1 Band) sowie auf den Inhalt der vom Bauordnungsamt der Stadt N. übersandten Bauakten, die den Baugenehmigungen für das Gebäude A, N. , zugrunde lagen (6 Bände), Bezug genommen.
36E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
37I. Die zulässige Klage ist in der Sache lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 07. September 2015 ist im weit überwiegenden Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Lediglich Ziffer 4 der Ordnungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
381. Ermächtigungsgrundlage für die in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung enthaltene Anordnung, dass die Fluchtwegsituation in der Betriebsstätte A, N. , 4. OG, gemäß § 4 Abs. 4 i. V. m. Anhang 2.3 ArbStättV in einen verordnungskonformen Zustand zu versetzen ist bzw. die Fluchttüren in Fluchtrichtung aufschlagen müssen, ist § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen u.a. der Arbeitgeber zur Erfüllung der Pflichten zu treffen hat, die sich aus dem ArbSchG und den auf Grund des ArbSchG erlassenen Rechtsverordnungen ergeben.
39a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
40Die Klägerin erfüllt vorliegend eine Pflicht, die sie als Arbeitgeberin aus einer auf Grund des ArbSchG erlassenen Rechtsverordnung, nämlich der ArbStättV (vgl. § 18 ArbSchG), trifft, nicht. Nach Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs zur ArbStättV müssen sich Türen von Notausgängen nach außen öffnen lassen. Dies gilt unabhängig davon, wie viele Personen sich regelmäßig unter gewöhnlichen Umständen in der Arbeitsstätte aufhalten (Fluchtwege und Notausgänge müssen sich nach Nr. 2.3 Abs. 1 Satz 1 lit. a) Anhang zur ArbStättV im Übrigen nach der höchstmöglichen Anzahl der dort anwesenden Personen richten). Nach dem eindeutigen Wortlaut von Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs zur ArbStättV „müssen“ sich Türen von Notausgängen zwingend immer nach außen öffnen lassen. Demensprechend erfordert Satz 1 der Vorbemerkung zum Anhang zur ArbStättV, wonach die nachfolgenden Anforderungen in allen Fällen gelten, in denen die Eigenschaften der Arbeitsstätte oder der Tätigkeit, die Umstände oder eine Gefährdung der Beschäftigen dies erfordern, insoweit keine Abwägung im jeweiligen Einzelfall bzw. keine Feststellung einer konkreten Gefahr im jeweiligen Einzelfall mehr; Türen von Notausgängen, die sich nicht nach außen öffnen lassen, stellen nach der in Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 Anhang zur ArbStättV getroffenen Wertung des Verordnungsgebers vielmehr immer eine relevante Gefahr dar. Dass Satz 1 der Vorbemerkung zum Anhang zur ArbStättV keine Abwägung im konkreten Einzelfall mehr erfordert, folgt zusätzlich auch daraus, dass anderenfalls die in § 3a Abs. 3 ArbStättV geregelte Ausnahmevorschrift leer liefe. Die Systematik der (normativen) ArbStättV ist
41anders als die nicht normativen Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR), vgl. dazu § 3a Abs. 1 Sätze 2-4 ArbStättV,
42dergestalt angelegt, dass sich u.a. im Anhang der ArbStättV detaillierte, überwiegend zwingende (Muss)Vorgaben finden, die der Arbeitgeber grds. umsetzen muss (insoweit hat bereits der Verordnungsgeber auf abstrakt-genereller Ebene die Abwägung zwischen den verfassungsrechtlichen Positionen aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vorgenommen), und eine Ausnahme von diesen zwingenden normativen Anforderungen (nur) dann in Betracht kommt, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 3a Abs. 3 ArbStättV erfüllt sind und der Arbeitgeber einen entsprechenden schriftlichen Antrag an die zuständige Behörde stellt.
43Vgl. zur unverhältnismäßigen Härte (§ 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ArbStättV) aus wirtschaftlichen Gründen etwa Wiebauer/Kollmer, in: Landmann-Rohmer, GewO, Band II, § 3a ArbStättV Rn 53, Stand 70. EL Juni 2015.
44Die Tür, die in der Mitte des 4. Obergeschoßes vom Flur in das Treppenhaus führt, ist eine Notausgangstür und öffnete, bevor die Klägerin nach rechtskräftigem Abschluss des Eilverfahrens die Aufschlagrichtung der Tür zur Abwendung von Zwangsmaßnahmen ändern ließ, im Widerspruch zu der zwingenden normativen Festlegung in Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 Anhang zur ArbStättV nach innen, d.h. gegen die Fluchtrichtung.
45Das Vorliegen einer besonderen Gefahr für Leben und Gesundheit der Beschäftigten fordert § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG – wie sich aus dem Umkehrschluss zu § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ArbSchG ergibt - im Übrigen gerade nicht.
46Vgl. etwa Kollmer, in: Landmann-Rohmer, GewO, Band II, § 22 ArbSchG Rn. 42, Stand 49. EL Januar 2007.
47Die normative Regelung der Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs zur ArbStättV ist ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 25. August 2004 auch auf die Arbeitsstätte der Klägerin – unabhängig davon, ob sich die konkreten Verhältnisse in ihrer Arbeitsstätte verändert haben - anwendbar. Die Klägerin, der am 08. Dezember 2000 die Nachtragsgenehmigung – 1916/00 – vom Bauordnungsamt der Stadt N. erteilt worden war, kann sich insoweit nicht auf Bestandsschutz berufen. Die insoweit maßgebliche Übergangsvorschrift in § 8 ArbStättV greift nicht zu ihren Gunsten ein. Ein Bestandsschutz für ab dem 20. Dezember 1996 eingerichtete Arbeitsstätten greift auch dann nicht, wenn diese Arbeitsstätten durch die ArbStättV 2004 zusätzlichen Anforderungen unterworfen werden;
48vgl. etwa Wiebauer/Kollmer, in: Landmann-Rohmer, GewO, Band II, § 8 ArbStättV Rn. 1, Stand 65. EL September 2013,
49die ArbStättV ist dynamisch angelegt, so dass die Anforderungen mit neuen Entwicklungen steigen können.
50Vgl. etwa Wiebauer/Kollmer, in: Landmann-Rohmer, GewO, Band II, § 8 ArbStättV Rn. 5, Stand 65. EL September 2013; vgl. ferner dazu, dass das bundesrechtliche Arbeitsschutzrecht ggf. auch weitergehende Anforderungen als die jeweilige Landesbauordnung stellen kann, etwa Radeisen, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Band I, § 17 BauO NRW Rn. 13, Stand 81. EL Januar 2014.
51Auf baurechtlichen Bestandsschutz kann sich die Klägerin im Arbeitsschutzrecht von vornherein nicht berufen.
52b) Ziffer 1 der Ordnungsverfügung genügt im vorliegenden Einzelfall im Ergebnis auch noch dem Bestimmtheitsgebot nach § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, wonach ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein muss.
53Das Bestimmtheitsgebot in § 37 Abs. 1 VwVfG NRW bedeutet zum einen, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts sowie nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.
54Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. April 2005 – 4 C 18/03 -, juris, Rn. 53, m. w. N.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 37 VwVfG Rn. 6 [zur gleichlautenden Regelung in § 37 Abs. 1 VwVfG Bund].
55Dabei genügt die Erkennbarkeit des Inhalts der Regelung aufgrund einer Auslegung des Verwaltungsakts unter Berücksichtigung der weiteren Umstände. Bei der Ermittlung des Inhalts der Regelung ist nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Personen abzustellen, die innerhalb der Behörde die Entscheidung getroffen oder den Verwaltungsakt verfasst haben, sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt des Verwaltungsakts. Es genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts (neben dem Tenor aus der von der Behörde gegebenen Begründung des Verwaltungsakts), aus dem Zusammenhang, aus den den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses sowie den dem Erlass ggf. vorausgegangenen Anträgen im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann.
56Vgl. etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 37 VwVfG Rn. 5 ff. [zur gleichlautenden Regelung in § 37 Abs. 1 VwVfG Bund].
57Ziffer 1 Satz 1 der Ordnungsverfügung, wonach die „Fluchtwegsituation“ in der Betriebsstätte A, N. , 4. Obergeschoß gemäß § 4 Abs. 4 i. V. m. Anhang 2.3 der ArbStättV „in einen verordnungskonformen Zustand“ zu versetzen ist, wird durch Ziffer 1 Satz 2, wonach die Fluchttüren in Fluchtrichtung aufschlagen müssen, erläutert bzw. hinreichend konkretisiert, so dass insofern die erforderliche Bestimmbarkeit hier noch gewahrt ist. Dass in Ziffer 1 Satz 2 der Begriff „Fluchttüren“ im Plural und nicht im Singular verwendet wird, ändert an diesem Ergebnis nichts. Bereits aus der Begründung der Ordnungsverfügung (Seite 3, Absatz 1, Satz 1) geht hervor, dass sich die Regelungswirkung von Ziffer 1 der Ordnungsverfügung nach dem objektiv erkennbaren Willen des Beklagten auf eine konkrete Tür, nämlich die „Notausgangstür im 4. Obergeschoss vom Flur in das Treppenhaus“ bezieht. Damit war, für die Klägerin im vorliegenden Einzelfall erkennbar, die Fluchttür gemeint, die ungefähr in der Mitte des 4. Obergeschoßes vom Flur in das Treppenhaus führt. Dass Ziffer 1 der Ordnungsverfügung eine Veränderung der Aufschlagrichtung der an der Nordseite des 4. Obergeschoßes befindlichen Fluchttür fordern sollte, kam von vornherein nicht in Betracht, da die dort befindliche Tür bereits vorher (vor Erlass der Ordnungsverfügung) nach außen öffnete (entsprechend der Festsetzung in der bestandskräftigen Nachtragsgenehmigung des Bauordnungsamts der Stadt N. vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 -). Der Geschäftsführer der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls angegeben, dass der zweite Fluchtweg an der Nordseite des 4. Obergeschosses über eine nach außen öffnende Tür (T30 RS) führt. Dass der Beklagte mit Ziffer 1 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung eine Änderung der Aufschlagrichtung anderer Türen gefordert haben sollte (etwa der Türen aus den jeweiligen Bürozimmern auf den Flur), kam hier von vornherein auf der Hand liegend nicht infrage.
58Im Übrigen ergibt sich auch aus dem Schriftwechsel, der der Ordnungsverfügung vorausgegangen ist, dass die Klägerin bzw. die für sie handelnden Personen nicht im Zweifel darüber waren, welche konkrete Tür vorliegend im Streit stand. Dass den für die Klägerin handelnden Personen bewusst war, welche konkrete Tür in Rede stand, lässt sich auch dem Umstand entnehmen, dass im Klageverfahren vorgetragen wurde (vgl. Bl. 6 GA, Absatz 2), die Änderung der Aufschlagrichtung der Treppenhaustür sei geeignet, Unfallgefahren für die Benutzer der beiden durch das Treppenhaus führenden Fahrstühle hervorzurufen. Im 4. Obergeschoß befindet sich nur eine (Flucht)tür in der Nähe der beiden Fahrstühle, nämlich die konkret in Rede stehende Fluchttür, die sich ungefähr in der Mitte des Flures im 4. Obergeschoß befindet (etwas mehr zur Südseite hin versetzt). Wäre den für die Klägerin handelnden Personen nicht klar gewesen, um welche konkrete Tür es ging, wäre dieser Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten von vornherein unverständlich gewesen.
59Schließlich lässt auch der Umstand, dass Ziffer 1 der Ordnungsverfügung nur das Ziel festsetzt, das die Klägerin erreichen muss (nämlich ein Aufschlagen der maßgeblichen Tür in Fluchtrichtung), nicht jedoch regelt, auf welchem Wege bzw. unter Vornahme welcher konkreten baulichen Änderungsmaßnahmen die Klägerin im Einzelnen dieses Ziel erreichen soll, die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit von Ziffer 1 der Ordnungsverfügung nicht entfallen. Der Beklagte hat hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin Ziffer 1 der Ordnungsverfügung nachgekommen ist, sobald die konkrete Tür, die ungefähr in der Mitte des 4. Obergeschoßes vom Flur ins Treppenhaus führt, nach außen in Fluchtrichtung aufschlägt; die technische Umsetzung bleibt durch die Ordnungsverfügung zulässigerweise der Klägerin überlassen.
60Vgl. etwa VG Münster, Beschluss vom 28. Februar 2013 – 7 L 853/12 -, juris, Rn. 7, für eine vergleichbare Konstellation [Kälteschutz].
61c) § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG räumt der zuständigen Aufsichtsbehörde auf der Rechtsfolgenseite Ermessen ein. Der Beklagte, der auf Seite 6 Absatz 2 der Ordnungsverfügung auf § 22 Abs. 3 ArbSchG rekurriert, hat erkannt, dass die Norm auf der Rechtsfolgenseite grundsätzlich Ermessen voraussetzt, und dieses – nach Abwägung der derzeitigen Situation und der von Klägerseite aufgeführten Argumente (Seite 5 Absatz 2 der Ordnungsverfügung) – ausgeübt.
62Gemäß § 40 VwVfG NRW hat eine Behörde, wenn sie ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Dementsprechend prüft das Gericht, soweit eine Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, auch, ob der (angegriffene) Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 114 Satz 1 VwGO. In formeller Hinsicht soll die Begründung von behördlichen Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist, § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG NRW, es sei denn, es greift ein Fall des § 39 Abs. 2 Nr. 1-5 VwVfG NRW ein.
63Der Klägerin ist zwar zuzugestehen, dass die Dokumentation bzw. Darlegung auf den vorliegenden Einzelfall bezogener individueller Ermessenserwägungen in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG NRW) weitgehend fehlt bzw. sehr dürftig gehalten ist. Die an den Umfang der Begründung der Ermessensausübung zu stellenden Anforderungen richten sich jedoch u.a. auch nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles, bspw. danach, ob es sich beim jeweiligen Einzelfall, verglichen mit anderen Fällen, um einen „Standardfall“ handelt, oder ob es sich um einen „Ausnahmefall“ handelt, der sich von dem Durchschnitt der in der jeweiligen rechtlichen Konstellation vorkommenden Fälle (deutlich) abhebt. Je weiter der Ermessensspielraum der Behörde ist, desto eingehender muss sie ihre Entscheidung begründen; andererseits sind die Anforderungen an die Begründung der Ermessensbetätigung geringer, wenn es sich um einen „Standardfall“ handelt, der keine Besonderheiten aufweist.
64Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 39 VwVfG Rn. 18 ff. [zur gleichlautenden Regelung in § 39 VwVfG Bund].
65Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass in dem 4. Obergeschoß des Gebäudes A, N. , wie der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls ausgeführt hat, insg. regelmäßig ca. 15 Personen arbeiten (sämtlich Arbeitnehmer, d.h. Beschäftigte i. S. v. § 2 Abs. 2 ArbSchG). Das 4. Obergeschoß verfügt nach der bestandskräftigen Nachtragsgenehmigung des Bauordnungsamts der Stadt N. vom 08. Dezember 2000 – 1916/00 – über insg. 12 Büroräume sowie über 2 Besprechungsräume. Damit handelt es sich beim vorliegenden Fall um einen in tatsächlicher Hinsicht nicht von dem Durchschnitt der in der jeweiligen rechtlichen Konstellation vorkommenden Fälle abhebenden Fall bzw. ist das Risiko durch eine nach innen aufschlagende Notausgangstür gegenüber dem Durchschnitt der vorkommenden Fälle nicht vermindert. Damit bestand für den Beklagten auch keine rechtliche Verpflichtung, im Rahmen der Dokumentation der Ermessensausübung in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vertiefte Ausführungen anzustellen (auch wenn dies ggf. wünschenswert gewesen wäre). Auf etwaig entstehende Unfallgefahren für die Benutzer der beiden Fahrstuhlschächte musste der Beklagte im Rahmen der Dokumentation der Ermessensausübung ferner schon deshalb nicht eingehen, weil es der Klägerin, wie sie im Klageverfahren später selbst vorgetragen hat (vgl. Bl. 44 GA), möglich ist/war, durch bauliche Umbaumaßnahmen Aufschlagrichtung und Position der hier in Streit stehenden Tür dergestalt zu verändern, dass die Tür in Fluchtrichtung nach außen aufschlägt, ohne dadurch Unfallgefahren für Personen, die sich in der Fläche vor den Aufzügen befinden, hervorzurufen.
66Die Ausführungen in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung zur Begründung des von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG eingeräumten Ermessens genügen damit den rechtlichen Anforderungen (gerade noch).
67d) Ziffer 1 der Ordnungsverfügung stellt sich auch (im Übrigen) als verhältnismäßig dar. Ein milderes Mittel, das eine unverzügliche und ungehinderte Flucht der sich im 4. Obergeschoß befindlichen Personen im Unglücksfall ebenso wirksam gewährleistete, besteht nicht. Eine Flucht über das 1. Dachgeschoß scheidet insoweit von vornherein aus, da es im 4. Obergeschoß befindlichen Personen im Unglücksfall auf der Hand liegend nicht zugemutet werden kann, sich zur Flucht zunächst noch weiter vom Gebäudeausgang im Erdgeschoß zu entfernen, um dann von einem höheren Stockwerk aus die Flucht anzutreten. Fluchtwege und Notausgänge müssen nach Nr. 2.3 Abs. 1 Satz 1 lit. b) Anhang zur ArbStättV auf möglichst kurzem Weg ins Freie führen. Aus demselben Grund (Nr. 2.3 Abs. 1 Satz 1 lit. b) Anhang zur ArbStättV) stellt auch die weitere Fluchttür, die sich an der Nordseite im 4. Obergeschoss befindet, keinen geeigneten Fluchtweg für die sich im südlichen Teil des 4. Obergeschoßes aufhaltenden Personen dar. Diesen kann nicht zugemutet werden, im Unglücksfall an einer näher gelegenen Fluchttür (der hier streitigen Tür) vorbeizulaufen, um eine weiter entfernt gelegene Fluchttür zu benutzen. Eine Unterrichtung der Beschäftigten über die Gefährdung durch die nach innen öffnende Fluchttür stellt sich ebenfalls nicht als milderes Mittel dar. Individuelle Schutzmaßnahmen sind nach der ausdrücklichen Regelung in § 4 Nr. 5 ArbSchG nachrangig zu anderen Maßnahmen; Gefahren sind vielmehr gemäß § 4 Nr. 2 ArbSchG an ihrer Quelle zu bekämpfen.
68Eine Abwägung im Einzelfall zwischen den verfassungsrechtlichen Positionen aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (zur Systematik der ArbStättV vgl. bereits oben) ist im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage gegen die auf § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG gestützte Anordnung in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung schließlich nicht mehr angezeigt, da der Verordnungsgeber der ArbStättV diese Abwägung insoweit bereits abstrakt-generell mit der Normierung von Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs zur ArbStättV vorgenommen hat.
69e) Eine Pflicht des Beklagten, zur Ausführung der Anordnung in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung eine angemessene Frist zu setzen (§ 22 Abs. 3 Satz 2 ArbSchG), bestand (auf der Ebene des Grundverwaltungsakts) vorliegend nicht, da hier Gefahr im Verzug im Sinne dieser Norm vorlag. Gefahr im Verzug verlangt grds. eine konkrete Gefahr; grds. muss der Eintritt eines unmittelbar drohenden Schadens für wichtige Rechtsgüter drohen.
70Vgl. Kollmer, in: Landmann-Rohmer, GewO, Band II, Stand 49. EL Januar 2007, § 22 ArbSchG Rn. 49.
71Die Gefahr, die durch die nach innen öffnende Notausgangstür für Leib und Leben der im 4. Obergeschoß befindlichen Personen droht, ist dadurch gekennzeichnet, dass sie jederzeit, sofern ein Unglücksfall eintritt, der die Flucht aus dem Gebäude erfordert (hier ist etwa an einen Brandfall, aber auch an sonstige Evakuierungssituationen zu denken), in eine unmittelbar drohende, konkrete Gefahr für diese überragend wichtigen Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)
72vgl. dazu, dass Leib und Leben der Person überragende Rechtsgüter sind, etwa BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07 u.a. -, juris, Rn. 247,
73umschlagen kann, insofern als die nach innen öffnende Tür eine Flucht aus dem 4. Obergeschoß durch Bildung einer Menschentraube hinter der Tür verhindern (in diesem Zusammenhang ist wieder auf die höchstmögliche Anzahl der im 4. Obergeschoß anwesenden Personen abzustellen, Nr. 2.3 Abs. 1 Satz 1 lit. a) Anhang zur ArbStättV) oder zumindest erheblich erschweren/verlangsamen kann. In einem derartigen, jederzeit möglichen Unglücksfall käme ein Eingreifen des Beklagten als zuständiger Aufsichtsbehörde immer zu spät bzw. wäre bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens ein Schaden für Leben und Gesundheit der Beschäftigten unmittelbar-konkret möglich, so dass aus diesem Grund Gefahr im Verzug i. S. v. § 22 Abs. 3 Satz 2 ArbSchG hier zu bejahen ist.
742. Ermächtigungsgrundlage für die in Ziffer 2 der Ordnungsverfügung enthaltene Anordnung, dass in der Betriebsstätte A, N. , 4. Obergeschoss die Beschäftigung von Beschäftigten i. S. d. § 2 Abs. 2 ArbSchG untersagt wird, bis der verordnungsgemäße Zustand gemäß Ziffer 1 der Ordnungsverfügung hergestellt ist, ist § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde die von der Anordnung betroffene Arbeit oder die Verwendung oder den Betrieb der von der Anordnung betroffenen Arbeitsmittel untersagen, wenn u.a. eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG nicht sofort ausgeführt wird.
75a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm liegen vor: Der Beklagte hat die sofortige Vollziehung der in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung enthaltenen Anordnung angeordnet (vgl. Ziffer 3 der Ordnungsverfügung), die Klägerin hat die Anordnung in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung nicht sofort ausgeführt. § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG erfordert dabei mit dem Tatbestandsmerkmal, dass eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG nicht „sofort“ ausgeführt wird, nicht, dass – zeitlich hintereinander – zwei Ordnungsverfügungen ergehen müssen dergestalt, dass zunächst eine Ordnungsverfügung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG ergeht, dann eine Ordnungsverfügung nach § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG. Vielmehr können beide Verwaltungsakte jedenfalls dann in einem Bescheid verbunden werden, wenn – wie vorliegend angesichts des vorausgegangenen Schriftwechsels im Verwaltungsverfahren – nichts dafür ersichtlich ist, dass der arbeitsschutzrechtlich verantwortliche Arbeitgeber (die Klägerin) freiwillig dafür sorgt, dass die entsprechenden Türen von Notausgängen sich nach außen öffnen lassen (Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 des Anhangs zur ArbStättV).
76b) § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG räumt der zuständigen Aufsichtsbehörde auf der Rechtsfolgenseite Ermessen ein. Der Beklagte hat auf Seite 6 Absatz 3 der Ordnungsverfügung ausgeführt, dass er anordnen „kann“, dass der Arbeitgeber die zur Bekämpfung besonderer Gefahren notwendigen Maßnahmen ergreifen muss und die Arbeit, bei der die Beschäftigten gefährdet sind, einzustellen hat, solange die zur Bekämpfung der Gefahr notwendigen Maßnahmen nicht durchgeführt worden sind. Der Beklagte hat mithin erkannt, dass § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG auf der Rechtsfolgenseite grundsätzlich Ermessen voraussetzt, und dieses ausgeübt. Ausgehend davon, dass (wie bereits ausgeführt) sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht nicht von dem Durchschnitt der in der jeweiligen rechtlichen Konstellation vorkommenden Fälle abhebt, genügen die Ausführungen in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung zur Begründung des von § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG eingeräumten Ermessens den rechtlichen Anforderungen (gerade noch).
77c) Ziffer 2 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung stellt sich auch (im Übrigen) als verhältnismäßig dar. Der Beklagte war nicht gehalten, sich zunächst auf die Anordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG (Ziffer 1 der Ordnungsverfügung) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und die korrespondierende Zwangsgeldandrohung (Ziffer 4 der Ordnungsverfügung) zu beschränken bzw. zunächst auf die Untersagungsanordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG zu verzichten,
78vgl. insoweit allgemein Kollmer, in: Landmann-Rohmer, GewO, Band II, § 22 ArbSchG Rn. 54, Stand 49. EL Januar 2007,
79da angesichts dessen, dass die Klägerin über einen längeren Zeitraum hinweg im Verwaltungsverfahren nicht bereit war, die Aufschlagrichtung der hier streitigen Tür zu ändern, es im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung zumindest als nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen erschien, dass die Klägerin in einem derartigen Fall, insb. wenn man die Höhe des in Ziffer 4 angedrohten Zwangsgeldes von 5.000,- Euro in Vergleich zu den klägerseits auf Bl. 44 f. GA angeführten Kosten einer Änderung der Aufschlagrichtung der Tür in Höhe von bis zu 30.000,- Euro setzt, Ziffer 1 der Ordnungsverfügung auch weiterhin nicht nachgekommen wäre und die betroffenen Beschäftigten so weiter der Gefahrenlage durch eine nach innen öffnende Notausgangstür ausgesetzt gewesen wären.
803. Die in Ziffer 4 der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 07. September 2015 enthaltene Zwangsgeldandrohung ist hingegen rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW ist dem Betroffenen (auf der Ebene des Verwaltungsvollstreckungsrechts) in der Androhung zur Erfüllung der Verpflichtung eine angemessene Frist zu bestimmen; eine Frist braucht nicht bestimmt zu werden, wenn eine Duldung oder Unterlassung erzwungen werden soll. Ziffer 4 der Ordnungsverfügung droht der Klägerin für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1 der Ordnungsverfügung ein Zwangsgeld i. H. v. 5.000,- Euro an; Ziffer 1 wiederum ordnet eine Änderung der Türaufschlagrichtung an, d.h. die Klägerin wird verpflichtet, einen Umbau der Tür vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. Damit handelt es sich bei dem Verhalten, das durch die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 erzwungen werden soll, um ein positives Tun (und nicht um eine Duldung oder eine Unterlassung), so dass mit der Zwangsgeldandrohung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 VwVG NRW zwingend eine Frist hätte bestimmt werden müssen. Bei dem Erfordernis der Fristsetzung handelt es sich auch nicht lediglich um eine bloße Ordnungsvorschrift, so dass das Fehlen einer Fristsetzung zur Rechtswidrigkeit der Androhung führt.
81Vgl. etwa Erlenkämper/Rhein, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl. 2011, § 63 VwVG NRW Rn. 5 ff., m. w. N.
824. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 5 der Ordnungsverfügung ist hingegen rechtmäßig; sie beruht auf §§ 55, 57, 60, 63 VwVG NRW. Eine Fristsetzung war hier gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 VwVG NRW nicht erforderlich, da es sich bei dem durch die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 5 zu erzwingenden Verhalten um eine Unterlassung handelt (Unterlassung der Beschäftigung von Beschäftigten i. S. v. § 2 Abs. 2 ArbSchG bis zur Herstellung eines verordnungskonformen Zustandes gemäß Ziffer 1).
835. Die Kostenentscheidung in Ziffer 6 der Ordnungsverfügung ist rechtlich ebenfalls beanstandungsfrei. Sie beruht auf Tarifstelle Nr. 1.1.2 lit. b) AVerwGebO NRW i. V. m. § 1 Abs. 1 AVerwGebO NRW.
84II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte unterliegt nur zu einem geringen Teil i. S. v. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da sich die (erfolgreiche) Anfechtung von Ziffer 4 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung im Rahmen der Streitwertfestsetzung nicht auswirkt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
85B e s c h l u s s
86Der Streitwert wird auf 30.000,- Euro festgesetzt, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Das Gericht legt hierbei die Angabe im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 30. September 2015 (Bl. 44 f. GA) zugrunde, dass die Kosten für eine Änderung der Aufschlagrichtung der maßgeblichen Tür, will man verhindern, dass diese in die vor den Aufzügen befindlichen Verkehrsflächen aufschlägt, insgesamt ca. 30.000,- Euro (inkl. Arbeiten an den Boden-, Wand- und Deckenflächen) betragen. Die Höhe der in Ziffer 4 und 5 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung angedrohten Zwangsgelder bleibt im Rahmen der Streitwertfestsetzung außer Betracht, vgl. Nr. 1.7.2 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – Stand Juli 2013 -.
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