Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 6 K 2162/14
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 13. August 2014 für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 wird aufgehoben, soweit die Gewährung von Vorausleistungen in Höhe des Kindergeldes, das die Klägerin für ihren Sohn erhalten hat, aufgehoben wurde und Leistungen zurückgefordert wurden.
Der Beklagte wird unter Aufhebung sämtlicher Bescheide für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 verpflichtet, der Klägerin für diesen Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz als Vorausleistung mit der Maßgabe zu gewähren, dass das Kindergeld, das die Klägerin für ihren Sohn erhalten hat, nicht angerechnet wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin nahm zum Sommersemester 2013 an der G. N. ein Studium in der Fachrichtung Soziale Arbeit mit dem angestrebten Abschlussziel Bachelor auf. Am 24. April 2013 stellte sie einen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014.
3Diesen Antrag lehnte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 29. Mai 2013 ab, weil der Betrag des anzurechnenden Einkommens und/oder Vermögens den Gesamtbedarf der Klägerin übersteige.
4Am 00.00.0000 wurde der Sohn der Klägerin geboren. Dies teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 8. Januar 2014 mit. Unter dem 20. Januar 2014 bewilligte die Stadt N. der Klägerin Elterngeld in Höhe von monatlich 300 € in der Zeit vom 21. Dezember 2013 bis zum 20. Dezember 2014. Weiterhin bezog die Klägerin Kindergeld für Ihren Sohn in Höhe von 184 €. Den entsprechenden Kontoauszug legte die Klägerin dem Beklagten am 3. Februar 2014 vor.
5Im Januar 2014 stellte der Vater der Klägerin seine Unterhaltszahlungen ein und leitete nur noch das Kindergeld in Höhe von 184 € an sie weiter.
6Mit Bescheid vom 30. Januar 2014 berechnete der Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 wie folgt:
7ab April 2013: 0 € ab Oktober 2013: 62 € (56,04 € davon Vorausleistung für den Vater)ab Dezember 2013: 175 € (56,04 € davon Vorausleistung für den Vater)ab Januar 2014: 526 € (407,04 € davon Vorausleistung für den Vater).
8Auf Antrag der Klägerin vom 28. März 2014 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 14. April 2014 für den Zeitraum März 2014 bis Februar 2015 Vorausleistungen für den Vater in Höhe von 362 € ohne Anrechnung des Elterngeldes und des Kindergeldes, das die Klägerin für ihren Sohn erhielt. Unter dem 27. Juni 2014 legte die Klägerin dem Beklagten den Bescheid der Stadt N. über die Gewährung von Elterngeld vor. Mit Bescheid vom 14. Juli 2014 setzte der Beklagte die Ausbildungsförderung für den Zeitraum März 2014 bis Februar 2015 aufgrund von Änderungen der maßgeblichen Umstände in diesem Bewilligungszeitraum auf null fest und hob den Bescheid vom 14. April 2014 insoweit auf.
9Mit Bescheid vom 13. August 2014 setzte der Beklagte die Ausbildungsförderung aufgrund von Änderungen der maßgeblichen Umstände in dem Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 wie folgt fest: Förderung ab April 2013 in Höhe von 0 €, ab Oktober 2013 in Höhe von 62 €, davon 56,04 € als Vorausleistung für den Vater, ab Dezember 2013 in Höhe von 175 €, davon 56,04 € als Vorausleistung für den Vater, ab Januar 2014 in Höhe von 119 € ohne Vorausleistung für den Vater. Frühere Bescheide hob er insoweit auf, als in diesem Bescheid für gleiche Zeiträume Entscheidungen getroffen wurden. Weiterhin verlangte er die Erstattung der sich hieraus ergebenen Überzahlung in Höhe von 814 €.
10Mit weiterem Bescheid vom 13. August 2014 berechnete der Beklagte den Anspruch auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 dahingehend, dass ab März 2014 Vorausleistungen in Höhe von 382 € und ab Juli 2014 weder Vorausleistungen noch reguläre Ausbildungsförderungsleistungen gewährt werden. Darüber hinaus forderte der Beklagte Überzahlungen von insgesamt 1.096 € zurück.
11Die Klägerin erhob am 8. September 2014 Widerspruch gegen die Bescheide vom 13. August 2014 hinsichtlich der Monate Januar und Februar 2014 sowie ab Juli 2014.
12Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2014 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Ab dem Monat Juli 2014 müsse der Bezug des Elterngeldes, des Kindergeldes für Ihren Sohn sowie ihr eigenes Kindergeld – also insgesamt ein monatlicher Bezug von 668 € - bei der Beurteilung, ob eine Gefährdung für die Ausbildung der Klägerin vorliege, berücksichtigt werden. Dieser Betrag übersteige den ausgewiesenen Anrechnungsbetrag für den Vater der Klägerin in Höhe von 565,66 €. Grundsätzlich seien alle zur Verfügung stehenden Finanzmittel – mit Ausnahme eines Freibetrages in Höhe von 400 € aus eigener Erwerbstätigkeit – zu berücksichtigen, die eine Gefährdung ausschließen können. Unter diese zu berücksichtigenden Mittel fielen auch das Elterngeld, das Kindergeld, das der Auszubildende für sein Kind erhält und das Kindergeld für den Auszubildenden selbst. Hinsichtlich der Monate März bis Juni 2014 erfolge keine Aufhebung, da hier aufgrund eines Fehlers des Beklagten die Bezüge nicht berücksichtigt worden seien und die Klägerin dementsprechend Vertrauensschutz genieße. Anderes gelte aber für Januar und Februar 2014, da hier aufgrund der geänderten Umstände eine Aufhebung zwingend sei und Vertrauensschutz mangels entsprechender Mitteilung an den Beklagten zu diesem Zeitpunkt noch nicht greife. Die Höhe der Rückforderung ergebe sich aus den für die Monate Januar, Februar 2014 (jeweils 407 €) und den Monat Juli 2014 (282 €) gezahlten Förderbeträgen.
13Die Klägerin übertrug die Kindergeldberechtigung ab Oktober 2014 auf ihren Lebenspartner. Mit Bescheid vom 29. September 2014 berechnete der Beklagte den Anspruch auf Ausbildungsförderung wie folgt: Vorausleistung für den Vater ab März 2014 in Höhe von 382 €, ab Juli 2015 in Höhe von 0 € und ab Oktober 2014 in Höhe von 82 €. Der Beklagte hob frühere Bescheide insoweit auf, als in dem Bescheid vom 29. September 2014 für gleiche Zeiträume Entscheidungen getroffen wurden. Die laufenden Zahlungen wurden in Höhe von 205 € mit der Rückforderung aufgerechnet.
14Die Klägerin hat am 18. Oktober 2014 Klage erhoben.
15Diese begründet sie damit, dass jedenfalls das Kindergeld, das sie für ihren Sohn erhält und das Elterngeld im Rahmen der Beurteilung, ob eine Gefährdung im Sinne von § 36 BAföG vorliegt, nicht berücksichtig werden dürften. Denn das Kindergeld diene dazu, den Lebensbedarf des Kindes zu decken. Die Argumentation im Rahmen der Anrechnung des eigenen Kindergeldes greife nicht hinsichtlich der Berücksichtigung von Kindergeld der eigenen Kinder. Insbesondere könne der unterhaltsrechtliche Bedarf eines Kindes nicht dadurch gemindert werden, dass es Kindergeld für eigene Kinder erhalte. Das Kindergeld könne nicht gleichzeitig den Bedarf des Kindes und den seiner Eltern mindern. Hierfür spreche auch, dass z.B. in § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII das Kindergeld als Einkommen des Kindes anzurechnen ist. Das Elterngeld werde im Rahmen der Gewährung von Ausbildungsförderung nicht als Einkommen berücksichtigt. Dies müsse auch für die Vorausleistung gelten. Darüber hinaus müsse der Freibetrag nach § 10 Abs. 1 BEEG berücksichtigt werden. Die Vorausleistungen seien vom Einkommen – nämlich den Unterhaltszahlungen – abhängig.
16Ursprünglich beantragte die Klägerin, die Bescheide des Beklagten vom 13. August 2014 für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 und für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 6. Oktober 2014 aufzuheben, soweit die Gewährung der Vorausleistungen für die Monate Januar, Februar und ab Juni 2014 aufgehoben und entsprechende Beträge zurückgefordert wurden.
17Mit Bescheid vom 29. Dezember 2014 berechnete der Beklagte den Anspruch auf Ausbildungsförderung wie folgt: Vorausleistung für den Vater ab März 2014 in Höhe von 382 €, ab Juli 2014 in Höhe von 0 € und ab Oktober 2014 in Höhe von 82 €, ab Januar 2015 in Höhe von 198 €. Der Beklagte hob frühere Bescheide insoweit auf, als in dem Bescheid vom 29. September 2014 für gleiche Zeiträume Entscheidungen getroffen wurden. Weitere Änderungsbescheide erfolgten am 29. Januar 2015, am 12. Februar 2015 und zuletzt am 12. März 2015. Mit dem letztgenannten Bescheid berechnete der Beklagte den Anspruch auf Ausbildungsförderung der Klägerin wie folgt: Vorausleistungen für den Vater ab März 2014 in Höhe von 382 €, ab Juli 2014 in Höhe von 0 €, ab Oktober 2014 in Höhe von 82 €, Förderung ab Januar 2015 in Höhe 447 €, davon 113,02 € als Vorausleistung für den Vater, ab Februar 2015 in Höhe von 631 €, davon 597,02 € als Vorausleistung für den Vater.
18Nachdem der Beklagte die Bescheide vom 29. September 2014, vom 13. November 2014, vom 29. Dezember 2014, vom 29. Januar 2015, am 12. Februar 2015 und vom 12. März 2015 erlassen hatte, erklärte die Klägerin, diese Bescheide würden in das Klageverfahren einbezogen.
19Sie beantragt,
20- 21
1. den Bescheid des Beklagten vom 13. August 2014 für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 aufzuheben, soweit die Gewährung von Vorausleistungen in Höhe des Kindergeldes, das die Klägerin für ihren Sohn erhalten hat und des Elterngeldes aufgehoben und zurückgefordert wurde,
- 23
2. den Beklagten unter Aufhebung sämtlicher Bescheide für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 zu verpflichten, der Klägerin für diesen Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz als Vorausleistung mit der Maßgabe zu gewähren, dass das Kindergeld, das die Klägerin für ihren Sohn erhält und das Elterngeld nicht angerechnet werden.
Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Zur Begründung führt er aus: Zunächst würden die nach Klageerhebung erlassenen Bescheide nicht ohne Weiteres in zulässiger Weise zum Streitgegenstand des Klageverfahrens. Ferner könne das Kindergeld, das der Auszubildende für das eigene Kind erhalte, nicht anders behandelt werden, als das Kindergeld, dass der Auszubildende von seinen Eltern erhalte. Grundsätzlich stehe der Anspruch auf Kindergeld den erziehenden Eltern bzw. dem Elternteil und nicht dem Kind zu. Durch das Kindergeld solle der durch die Erziehung entstehende finanzielle Nachteil ausgeglichen werden. Darüber hinaus werde die Weiterleitung des Kindergeldes an das Kind auf die Unterhaltspflicht der Eltern angerechnet. Dem höheren Lebensbedarf für Eltern mit Kindern werde durch den nach § 14b BAföG vorgesehenen Kinderbetreuungszuschlag Rechnung getragen. Würde man das Kindergeld nicht anrechnen, führte dies zu einer doppelten Berücksichtigung des erhöhten Lebensbedarfes, was nicht Ziel des § 14b BAföG gewesen sei. Hinsichtlich des Elterngeldes seien im Rahmen der Prüfung des Anspruchs auf Vorausleistungen nicht die gleichen Maßstäbe wie bei der Beurteilung der regulären Ausbildungsförderung anzuwenden. Denn bei der Vorausleistung handele es sich um eine außerordentliche Zusatzleistung. Deswegen gelte weder der Einkommensbegriff nach § 21 BAföG noch § 10 BEEG, da die Vorausleistungen keine einkommensabhängigen Sozialleistungen darstellten. Eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht, da eine planwidrige Regelungslücke nicht ersichtlich sei. Darüber hinaus sei das Elterngeld zweckneutral und damit hier einzusetzen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Klage ist zulässig.
30Hinsichtlich des Klageantrags zu 1. ist sie als Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Der Bescheid des Beklagten vom 13. August 2014 für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 stellt einen für die Klägerin belastenden Verwaltungsakt dar. Denn er hob die mit Bescheid vom 30. Januar 2014 gewährte Vorausleistung, die ohne Anrechnung des Kindergeldes, das die Klägerin für ihren Sohn erhielt, und ohne Berücksichtigung des Elterngeldes erfolgt war, auf.
31Hinsichtlich des Klageantrags zu 2. ist sie als Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Denn für den Bewilligungszeitraum von März 2014 bis Februar 2015 ist der Klägerin die von ihr begehrte Bewilligung von Vorausleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld, das sie für ihren Sohn erhielt, und Elterngeld ursprünglich nicht bzw. nicht in der von ihr begehrten Höhe gewährt worden.
32Darüber hinaus sind die dem Bescheid des Beklagten vom 13. August 2014 folgenden Bescheide für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 in zulässiger Weise Klagegegenstand geworden. Wird ein angefochtener Bescheid geändert oder ersetzt, wird der Änderungsbescheid ohne Weiteres Klagegegenstand, soweit die ursprüngliche Beschwer fortbesteht. Soweit diese Beschwer durch den Änderungsbescheid wegfällt, wird er nicht Klagegegenstand. Soweit der Änderungsbescheid eine zusätzliche Beschwer enthält, muss bzw. kann er im Wege der Klageänderung in das Verfahren einbezogen werden.
33Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 21. Aufl. 2015, § 79 Rn. 17.
34Hier bestand die ursprüngliche Beschwer fort. In allen dem Bescheid vom 13. August 2014 folgenden Bescheiden wurden sowohl das Elterngeld, als auch das Kindergeld, das die Klägerin für ihren Sohn erhalten hat, angerechnet. Dementsprechend sind alle Bescheide für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 Klagegegenstand, soweit diese ursprüngliche Beschwer fortbesteht, nicht jedoch soweit diese Beschwer aufgehoben wurde.
35Die Klage ist hinsichtlich beider Klageanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
36Die Bescheide des Beklagten vom 13. August 2014 für den Bewilligungszeitraum April 2013 bis Februar 2014 und vom 13. August 2014, vom 29. September 2014, vom 13. November 2014, vom 29. Dezember 2014, vom 29. Januar 2015, vom 12. Februar 2015 und vom 13. März 2015 für den Bewilligungszeitraum März 2014 bis Februar 2015 sowie der Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2014 sind rechtswidrig, soweit das Kindergeld, das die Klägerin für ihren Sohn erhalten hat, berücksichtigt wurde, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
37Hinsichtlich des Bewilligungszeitraums vom März 2014 bis Februar 2015 hat die Klägerin einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihr Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz als Vorausleistung ohne Anrechnung des Kindergeldes, das sie für ihren Sohn erhalten hat, gewährt, § 113 Abs. 5 VwGO. Dagegen ist die Anrechnung des Elterngeldes nicht zu beanstanden.
38Gem. § 36 Abs. 1 S. 1 BAföG wird, wenn der Auszubildende glaubhaft macht, dass seine Eltern den nach den Vorschriften dieses Gesetzes angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisten, und die Ausbildung - auch unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten oder Lebenspartners im Bewilligungszeitraum – gefährdet ist, auf Antrag nach Anhörung der Eltern Ausbildungsförderung ohne Anrechnung dieses Betrages geleistet.
39Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
40Dass der Vater der Klägerin den nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leistet, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
41Es ist auch von einer Gefährdung der Ausbildung der Klägerin auszugehen.
42Die Frage, ob dem Auszubildenden ausreichende Mittel zur Deckung seines Ausbildungsbedarfs zur Verfügung stehen oder eine Ausbildungsgefährdung im Sinne des § 36 Abs. 1 BAföG gegeben ist, ist durch Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorausleistung und der Anrechnungsvorschriften zu beantworten.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 22.93 -, juris.
44Mit der Vorausleistung von Ausbildungsförderung ist ein doppelter Zweck verbunden. Zum einen zielt diese auf die Sicherung der Ausbildung, die dadurch gefährdet ist, dass Eltern ihrer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht dem Auszubildenden gegenüber nicht oder nicht in Höhe des angerechneten Betrages nachkommen, obwohl sie wirtschaftlich dazu in der Lage wären; zum anderen schließt sie die durch die zahlreichen typisierenden und pauschalierenden Regelungen im Anrechnungssystem des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bedingte Lücke zwischen dem Förderungsrecht und dem bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht mit dem Ziel, Härten für den Auszubildenden aufzufangen. Die Vorausleistung ergänzt die Regelförderung mit dem Ziel, die Gefahr eines Ausbildungsabbruchs infolge aktueller Mittellosigkeit abzuwenden. Sie tritt hierfür an die Stelle des seitens der Eltern oder eines Elternteils nicht geleisteten Anrechnungsbetrages und ersetzt diesen. Die Vorausleistung ist mithin keine Ausbildungsförderungsleistung, auf die der Auszubildende nach den allgemeinen Regelungen über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen einen Anspruch hat, sondern eine außerordentliche Zusatzleistung des Staates zur Abwendung einer in engem zeitlichem Zusammenhang drohenden Gefährdung der Ausbildung infolge von Mittellosigkeit im Umfang des den Eltern angerechneten, aber nicht geleisteten Betrages. Dabei beschreibt das Merkmal der „Gefährdung“ einen tatsächlichen Zustand, der in einer durch den Ausfall einer Unterhaltsleistung der Eltern hervorgerufenen finanziellen Notlage besteht. Bei diesem Verständnis liegt es nahe, eine Gefährdung in dem Umfang auszuschließen, in dem dem Auszubildenden finanzielle Mittel – wie etwa das für ihn gewährte und ihm ausgezahlte Kindergeld - tatsächlich zufließen.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2014 - 5 C 3.14 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
46Die Anwendung dieser Grundsätze führt jedoch nicht dazu, bei der Beurteilung, ob eine Gefährdung der Ausbildung im Sinne von § 36 Abs. 1 BAföG vorliegt, auch das Kindergeld zu berücksichtigen, das der Auszubildende für sein Kind erhält. Vielmehr lässt sich eine Gefährdung der Ausbildung nur in dem Umfang ausschließen, in dem der Auszubildende über finanzielle Mittel verfügt, die ihm auch zur Deckung seines ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarfs zur Verfügung stehen. Hierzu gehört das Kindergeld, das der Auszubildende für sein Kind erhält, nicht (1.), wohl aber das Elterngeld (2.)
471.
48Nach § 31 Abs. 1 EStG wird mit dem Kindergeld die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums des Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung bewirkt. Hierdurch wird deutlich, dass das Kindergeld dazu bestimmt ist, das Existenzminimum des Kindes zu schonen. Die Zweckgebundenheit ergibt sich auch aus § 1612b BGB, wonach dem das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden ist. In diesem Umfang wird sein Barbedarf gemindert. In der Begründung zu § 1612b BGB stellt der Gesetzgeber fest, dass das Kindergeld im wirtschaftlichen Ergebnis dem Kind zusteht und dazu bestimmt ist, dessen Existenz zu sichern. Anspruchsberechtigt sind zwar die Eltern, aber diese sind treuhänderisch gebunden. Auch im Sozialrecht wird das Kindergeld nach §§ 11 Abs. 1 S. 3 SGB II bzw. § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII dem Kind als Einkommen zugerechnet.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2011 - 5 C 10/10 - BVerwGE 139, 386-396.
50Gegen eine Anrechnung des Kindergeldes, das ein Auszubildender für eigene Kinder erhält, spricht auch, dass das Kindergeld, das für den Auszubildenden selbst gezahlt wird, bei der Beurteilung, ob seine Ausbildung gefährdet ist, anzurechnen ist.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2014, a. a. O.
52Danach kann das Kindergeld nicht zugleich auch dem kindergeldberechtigten Auszubildenden angerechnet werden. Dies würde zu einer ungerechtfertigten doppelten Anrechnung führen.
53Auch § 14b BAföG steht einer Nichtberücksichtigung des Kindergeldes, das für das Kind des Auszubildenden gezahlt wird, nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift erhöht sich der Bedarf für Auszubildende, die mit mindestens einem eigenen Kind, das das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, in einem Haushalt leben, um monatlich 113 Euro für das erste und 85 Euro für jedes weitere dieser Kinder. Denn genau wie § 21 BAföG wirkt sich § 14b BAföG im Rahmen der Bedarfsberechnung der regulären Ausbildungsförderung aus, die bei der Beurteilung, ob ein Anspruch auf Vorausleistungen im Sinne von § 36 BAföG gegeben ist, gerade nicht maßgeblich ist (s.o.). Darüber hinaus ist es Sinn und Zweck des § 14b BAföG, Auszubildende mit Kind mit einem pauschalen Zusatzbedarf zu unterstützen, der für finanzielle Zusatzlasten bei der Fremdbetreuung gedacht ist.
54Vgl. Ramsauer/Stallbaum, Kommentar zum BaföG, 5. Aufl. 2014, § 14b, Rn. 1.
55Anders als das Kindergeld dient der Zuschlag also nicht der Deckung des Existenzminimums insgesamt, sondern er wird speziell für die Kosten der Fremdbetreuung gewährt. Insofern kann von einer doppelten Berücksichtigung des erhöhten Bedarfes nicht gesprochen werden. Denn § 14b BAföG umfasst nur einen kleinen Teil des erhöhten Mehrbedarfs.
562.
57Das dem Auszubildenden gewährte Elterngeld hingegen kann eine Gefährdung im Sinne von § 36 Abs. 1 BAföG ausschließen. Denn insoweit handelt es sich um finanzielle Mittel, die ihm zur Deckung seines ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarfs zur Verfügung stehen. Anders als das Kindergeld ist das Elterngeld nicht zweckgebunden in dem oben genannten Sinn. Es dient dazu, Eltern, die im ersten Lebensjahr ihres Kindes auf volle Erwerbstätigkeit verzichten, um ihr Kind selbst zu betreuen und zu erziehen, bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen. Es soll betreuenden Eltern für die Frühphase der Elternschaft eine Leistung bieten, die ihnen ihre eigene wirtschaftliche Absicherung auch auf Dauer erleichtert.
58Vgl. BT-Drs. 16/1889, S. 18.
59Gem. § 2 Abs. 1 BEEG orientiert sich die Höhe des Elterngeldes an dem vorherigen Einkommen der berechtigten Person. Insofern hat es eine einkommensersetzende Funktion. Als solcher kann dem Elterngeld keine Zweckwidmung zukommen. Der Berechtigte kann selbst entscheiden, wofür er das Elterngeld einsetzt.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 5 C 18/12 -, Rn. 15, juris.
61Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 10 Abs. 1 BEEG. Danach bleiben das Elterngeld, das Betreuungsgeld und jeweils vergleichbare Leistungen der Länder sowie die nach § 3 oder § 4c auf die jeweilige Leistung angerechneten Einnahmen oder Leistungen bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, bis zu einer Höhe von insgesamt 300 Euro im Monat als Einkommen unberücksichtigt. Bei der Vorausleistung nach § 36 BAföG handelt es sich jedoch nicht um eine Sozialleistung, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist. Denn wie oben bereits erläutert, ist die Bedarfsermittlung – bei der das Einkommen berücksichtigt wird – der Prüfung, ob ein Anspruch auf Vorausleistung besteht, vorgelagert und gerade nicht Gegenstand des § 36 BAföG. Zwar werden Vorausleistungen nur dann geleistet, wenn auch ein Anspruch auf reguläre Ausbildungsförderung besteht, sodass ein Zusammenhang mit einer einkommensabhängigen Leistung gegeben ist. Ein solcher bloß mittelbarer Zusammenhang führt aber nicht dazu, dass die Vorausleistung als außerordentliche Zusatzleistung selbst einkommensabhängig ist. Die Ansicht der Klägerin, dass die Vorausleistung aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Unterhaltszahlung der Eltern einkommensabhängig sei, überzeugt nicht. Denn Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung von Vorausleistung nach § 36 BAföG ist lediglich, dass die Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisten und dass dadurch die Ausbildung gefährdet ist. Hierbei handelt es sich –wie oben bereits erläutert – um einen tatsächlichen Zustand, der in einer durch den Ausfall einer Unterhaltsleistung der Eltern hervorgerufenen Notlage besteht. Auf die Frage, ob die dem Auszubildenden zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel als Einkommen anzusehen sind, kommt es nicht an.
62Eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 BEEG kommt nicht in Betracht, da keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Denn § 10 Abs. 1 BEEG umfasst ausdrücklich nur einkommensabhängige Sozialleistungen. Auch die Gesetzesmaterialen geben keine Anhaltspunkte dafür, dass auch andere Sozialleistungen von der Regelung erfasst werden sollten.
63Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 5 C 18/12 -, Rn. 21 ff, juris m.w.N.
64Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VwGO. Nach § 188 S. 2 VwGO werden Gerichtskosten nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.