Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 8 K 2614/14
Tenor
Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
Der Rechtsstreit wird an das Finanzgericht N. verwiesen.
1
G r ü n d e
2Das Verwaltungsgericht hat festzustellen, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben ist; das Klageverfahren ist an das Finanzgericht N. als zuständiges Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).
3Für die nach einem Gewerbesteuermessverfahren auf einen Folgenentschädigungsanspruch gerichtete Klage ist nicht der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
4Die Voraussetzungen insbesondere des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach dieser Vorschrift in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Der öffentlich-rechtliche Rechtsstreit ist aber durch § 33 FGO den Finanzgerichten und damit einem anderen Gericht als den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Diese Voraussetzungen liegen vor.
5Der von der Klägerin geltend gemachte Folgenentschädigungsanspruch begründet eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob ein solcher Folgenentschädigungsanspruch Teil der Rechtsordnung ist oder nicht ist (offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2011 - 9 C 4.10 ‑, www.bverwg.de, Rn. 18 a. E. = juris mit weiteren Nachweisen aus der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung). Wenn ein solcher Anspruch bestehen sollte, wäre er jedenfalls dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Im Übrigen ist mit der Bestimmung des Streitgegenstands mit der Klage ausdrücklich klargestellt, dass sich der Streitgegenstand nicht auf einen Amtshaftungsanspruch und also nicht auf eine bürgerlichrechtliche Streitigkeit erstreckt.
6Der Rechtsstreit erstreckt sich auf eine Abgabenangelegenheit im Sinn des § 33 FGO. Abgabenangelegenheiten im Sinne der Finanzgerichtsordnung sind gem. § 33 Abs. 2 FGO alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten. Mit dieser Regelung wird zwar keine umfassende behördenbezogene Zuständigkeit der Finanzgerichte für die gesamte öffentlich-rechtliche Tätigkeit der Finanzbehörden geschaffen. Bei der Bestimmung des Begriffs der Abgabenangelegenheit ist vielmehr vom Anwendungsbereich der abgabenrechtlichen Vorschriften auszugehen. Die an erster Stelle genannte Verwaltung der Abgaben ist nämlich ausweislich des Wortes "sonst" ein Beispielsfall für deren Anwendung. Die Angelegenheit muss gerade mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften verknüpft und dadurch geprägt sein. Deshalb sind die abgabenrechtlichen Vorschriften in erster Linie bei Streitigkeiten über Steuern (§ 3 AO) heranzuziehen; hierzu zählen die Durchführung der Besteuerung, das Erhebungsverfahren und die Vollstreckung (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2012 – 7 B 2/12 -, www.bverwg.de, Rn. 13 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 307). Abgabenangelegenheiten in diesem Sinne sind also nicht nur Rechtsstreitigkeiten um Abgabenerhebungen, sondern alle mit der Verwaltung von Abgaben zusammenhängenden Angelegenheiten (vgl. zu Fällen von Folgenbeseitigungsansprüchen BFH, z. B. Urteil vom 10. Februar 1982 – II R 20/78 -, juris; Urteil vom 19. Dezember 1989 - VII R 30/89 -, juris). Das Finanzgerichtsverfahren ist nicht auf Verwaltungsverfahren im Sinn des dritten Teils der Abgabenordnung beschränkt, sondern erstreckt sich auf jeden Teil der Verwaltung der Abgaben durch die (Landes-)Finanzbehörde.
7Bei Anwendung dieser Vorgaben liegt hier eine Abgabenangelegenheit vor. Der Streit findet seine Grundlage in einer abgabenrechtlichen Vorschrift. Der zwischen den Beteiligten bestehende Streitgegenstand steht im Zusammenhang mit der Verwaltung von Gewerbesteuern, weil die Klägerin geltend macht, dass die Landesfinanzverwaltung gegen § 184 Abs. 3 AO und damit gegen eine zur Durchführung der Besteuerung, also zur Verwaltung der Gewerbesteuer bestehende Verfahrensvorschrift verstoßen hat. Die Klägerin macht geltend, dass sie über einen Änderungsbescheid des Finanzamts T. zum Gewerbesteuermessbetrag nicht bzw. erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist informiert wurde und deshalb die (höhere) Gewerbesteuer nicht festsetzen und erheben konnte. Nach § 184 Abs. 3 AO haben aber die Finanzbehörden den Inhalt eines Steuermessbescheids derjenigen Gemeinde mitzuteilen, der - wie hier der Klägerin - die Steuerfestsetzung obliegt. § 184 Abs. 3 AO prägt damit das hier streitige Rechtsverhältnis. Der Abgabenzweck dieser Vorschrift ergibt sich nicht nur aus § 1 Abs. 1 AO, sondern auch aus dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift (§ 184 Abs. 3, letzter Halbsatz AO). Sie dient der Erhebung der Steuer. Die Norm soll die Klägerin, die sowohl nicht Teil der Landesfinanzverwaltung als auch eine selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, in die Lage versetzen, die Abgabe „Gewerbesteuer“ mittels Folgebescheid zu erheben.
8Dass die Frage einer Ablieferung von Steuern an eine ertragsberechtigte Körperschaft, die die Landesfinanzverwaltung eingenommen hat, nicht vom Begriff der Verwaltung von Abgaben, sondern vom Finanzausgleichsrecht erfasst wird (BFH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – II R 90/79 -, BFHE 137, 192 = NVwZ 1983, 7666 = juris), steht nicht entgegen. Im hier zu entscheidenden Rechtsstreit ist kein Finanzausgleichsrecht betroffen. Die Landesfinanzverwaltung hatte die der Klägerin (nach ihrer Auffassung) zustehende Steuer nicht abzuliefern. Die Klägerin hatte die Gewerbesteuer selbst einzunehmen. Für die Gewerbesteuer ist die Verwaltungszuständigkeit zwischen den Beteiligten geteilt; die Klägerin selbst ist zuständig für die Steuerfestsetzung und -erhebung (§ 1 des Gesetzes über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern).
9Der von der Klägerin wegen des Rechtswegs angeführte § 21 FVG begründet keine andere Entscheidung. Das Klagebegehren, das die Gerichtszuständigkeit bestimmt, macht einen aus einer Verletzung des § 184 AO folgenden Anspruch geltend.
10Dass die Klägerin nicht auf Erfüllung des § 184 Abs. 3 AO klagt, sondern einen Folgenbeseitigungsanspruch geltend macht, ändert nichts an der Zuständigkeit der Finanzgerichte. Der Finanzrechtsweg ist auch gegeben, wenn mit der Klage wegen einer Abgabenangelegenheit ausschließlich ein denkbarer Folgenbeseitigungsanspruch geltend gemacht wird (BFH, z. B. Urteil vom 10. Februar 1982 - II R 20/78 -, juris; vgl. auch Urteil vom 19. Dezember 1989 - VII R 30/89 -, juris).
11Die Gewerbesteuer unterliegt mit dem Gewerbesteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Oktober 2002 (BGBl. I S. 4167), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. November 2015 (BGBl. I S. 1834), der Gesetzgebung des Bundes. Sie wurde in dem hier maßgeblichen Zusammenhang des Messbetragsverfahrens durch das Finanzamt T. und also durch eine Landesfinanzbehörde verwaltet.
12Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2011 - 9 C 4.10 ‑, a. a. O., steht nicht der Rechtsauffassung entgegen, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben ist. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in dem Rechtstreit nicht über den Rechtsweg zu entscheiden. Das Bundesverwaltungsgericht war in dem von ihm zu entscheidenden Einzelfall zuständig, weil es an die Entscheidungen der Vorinstanzen gebunden war (§ 17a Abs. 5 GVG; vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 16).
13Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 8. Dezember 2004 - 5 K 80/14 - steht ebenfalls nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat allein über die örtliche Zuständigkeit eines der Verwaltungsgerichte entschieden (§§ 83, 52 VwGO). Es war örtlich nicht zuständig, über den Verwaltungsrechtsweg zu entscheiden.
14Der Rechtsstreit ist an das Finanzgericht N. zu verweisen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG). Der Finanzrechtsweg ist - wie ausgeführt - gegeben. Örtlich zuständig ist das Finanzgericht N. nach §§ 38 FGO, 18 Nr. 3 JustG NRW. Sowohl die beiden bisher beteiligten Behörden der Landesfinanzverwaltung als auch die Klägerin haben ihren Sitz im Bezirk des Finanzgerichts N. .
15Die Klägerin hat entgegen ihrer Auffassung nicht das Recht, das Verwaltungsgericht als zuständiges Gericht zu wählen. Die Voraussetzungen des § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG liegen nicht vor. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird nach dieser Vorschrift an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Neben dem Finanzgericht ist aber kein anderes Gericht zuständig. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf eine „unklare“ Zuständigkeit ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht möglich. Die sachliche Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit ist schon nicht unklar. Die Voraussetzungen einer Gesetzesanalogie liegen auch offensichtlich nicht vor. Es besteht in § 17a Abs. 2 GVG keine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Regelungslücke. Auch ist die Interessenlage nicht derart gleichwertig, dass sich die von der Klägerin gewünschte Rechtsfortbildung ermöglicht. § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG geht wegen des Wahlrechts von der Situation aus, dass das angerufene Gericht unzuständig ist und mindestens zwei andere Gerichte zuständig sind, also – anders als im vorliegenden Fall - mindestens drei Gerichte „beteiligt“ sind.
16Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
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