Beschluss vom Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (3. Kammer) - 3 L 481/16.NW

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin betreibt im Anwesen A-Straße ... in Ludwigshafen die Gaststätte „…“. Vor dem Lokal befindet sich ein Bürgersteig. In dem gesamten Bereich zwischen der Kreuzung A-Straße/B-Straße und der Kreuzung A-Straße/C-Straße ist das Gehwegparken gemäß Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung – StVO – erlaubt. Entsprechende Verkehrszeichen sind in der A-Straße vor den Anwesen B-Straße ... und C-Straße ... angebracht. Nach den aufgestellten Verkehrszeichen ist das kostenlose Parken auf dem Gehweg für die Dauer von 1 Stunde mittels Parkschein zulässig. Anwohner sind berechtigt, zeitlich unbegrenzt dort zu parken. Der Gehweg inklusive Parkfläche vor dem Gebäude A-Straße .. ist knapp 4 m breit.

2

Die Antragstellerin stellte am 17. März 2016 einen Antrag auf Erteilung einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für die Zeit vom 1. April 2016 bis 30. September 2016 zwecks Aufstellung von Tischen und Stühlen vor ihrem Lokal. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 5. April 2016 ab und führte zur Begründung aus, es sei nicht möglich, vor der Gaststätte Stühle und Tische zwischen den dort befindlichen Bäumen aufzustellen, da es sich um eine Parkfläche handele, die nicht zugestellt werden dürfe.

3

Dagegen legte die Antragstellerin am 3. Mai 2016 Widerspruch ein.

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Am 20. Juni 2016 hat sie ferner um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt sie aus, bereits der Vorbesitzer der Gaststätte habe eine Ausnahmegenehmigung aus dem Jahre 2007 zum Aufstellen von Tischen und Stühlen auf der Parkfläche vor der Gaststätte gehabt. Zwar sei dort nunmehr eine Parkfläche eingerichtet worden. Die Parkflächen befänden sich aber nicht direkt vor der Gaststätte. Die Möglichkeit der Außenbestuhlung sei für sie, die Antragstellerin, sehr wichtig, da sie sich so weitere Gäste und Besucher erhoffe. Die Angelegenheit sei besonders dringend, da Sommer sei und gerade jetzt die Außenbestuhlung genutzt werde

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Die Antragstellerin beantragt,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr, der Antragstellerin, als Betreiberin der Gaststätte „…“ in der A-Straße ..., Ludwigshafen am Rhein, vorläufig eine Ausnahmegenehmigung von der Straßenverkehrsordnung für das Aufstellen von Stühlen und Tischen vor der Gaststätte zu erteilen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt vor, durch das Aufstellen von Tischen und Stühlen werde der öffentliche Verkehrsraum beeinträchtigt und erschwert. Bei der herrschenden Verkehrslage sei es nicht möglich, eine Außenbestuhlung zu gestatten. Der vorhandene Gehweg sei nur 1,65 m breit. Eine Bestuhlung würde den gesamten zur Verfügung stehenden Raum einnehmen. Der Fußgängerverkehr wäre gezwungen, auf die Straße auszuweichen. Die Fläche, die als Parkplatz gewidmet sei, könne der Antragstellerin ebenfalls nicht zur Verfügung gestellt werden, denn Parkplätze seien in der A-Straße selten und würden stark genutzt. Des Weiteren müsste die Parkplatzfläche, die für die Bestuhlung genutzt werden solle, mit einer festen Barriere von der Fahrbahn abgetrennt werden, um eine Gefährdung der Gäste zu vermeiden. Dies würde den zur Verfügung stehenden Raum weiter einengen und vermutlich den Verkehr behindern. Soweit sich die Antragstellerin auf eine Ausnahmegenehmigung im Jahr 2008 berufe, führe dies zu keinem Rechtsanspruch, denn maßgebend seien die heutigen Verhältnisse.

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II.

11

Der Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr, der Antragstellerin, als Betreiberin der Gaststätte „…“ in der A-Straße ..., … Ludwigshafen am Rhein, vorläufig eine Ausnahmegenehmigung von der Straßenverkehrsordnung für das Aufstellen von Stühlen und Tischen vor der Gaststätte zu erteilen, ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft und auch ansonsten zulässig.

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Der Antrag ist in der Sache aber unbegründet.

13

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder um drohende Gefahren zu verhindern oder wenn sie aus anderen Gründen erforderlich ist. Dabei darf grundsätzlich nicht die Hauptsache vorweggenommen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz – GG – gewährleisteten Rechtsschutzgarantie jedoch dann, wenn der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch überwiegend wahrscheinlich ist und wegen des Nichterfüllens dieses Anspruchs schwere, unzumutbare oder nicht anders abwendbare Nachteile drohen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 6 VR 3/13 –, NVwZ 2014, 558; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. April 2016 – 7 B 10228/16.OVG –). Diese Voraussetzungen sind wie alle Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – i. V. m. § 123 Abs. 3 VwGO).

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Vorliegend sind die Voraussetzungen einer solchen Regelungsanordnung nicht gegeben.

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1. Die Antragstellerin hat bereits nicht den geltend gemachten Anordnungsgrund der besonderen Dringlichkeit glaubhaft gemacht. Der bloße Umstand, dass die Antragstellerin sich durch die Möglichkeit der Außenbestuhlung weitere Gäste und Besucher erhofft und gerade im Sommer die Außenbestuhlung genutzt wird, reicht nicht aus, um einen die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrund anzunehmen.

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2. Ungeachtet dessen fehlt es vorliegend auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.

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Die von der Antragstellerin beabsichtigte Aufstellung von Tischen und Stühlen vor ihrem Lokal in der A-Straße in Ludwigshafen unterfällt der Vorschrift des § 33 Abs. 1 Nr. 2 StVO. Danach ist es verboten, Waren und Leistungen aller Art auf der Straße anzubieten, wenn dadurch am Verkehr Teilnehmende in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können. Folglich benötigt die Antragstellerin eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO. Diese straßenverkehrsrechtliche Regelung kommt vorliegend – im Verhältnis zum Straßenrecht – zum Zuge.

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2.1. Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht sind selbständige Rechtsmaterien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1984 – 2 BvL 10/82 –, NJW 1985, 371) mit unterschiedlichen Regelungszwecken. Mit dem Straßenverkehrsrecht, das nach Art. 74 Nr. 22 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes ist, soll die Teilnahme am Straßenverkehr, vor allem aber dessen Sicherheit und Leichtigkeit gewährleistet werden. Es dient als „sachlich begrenztes Ordnungsrecht“ der Abwehr von typischen Gefahren, die vom Straßenverkehr ausgehen und die dem Straßenverkehr von außen oder durch Verkehrsteilnehmer erwachsen. Aufgabe des zur originären Gesetzgebungskompetenz der Länder gehörenden Straßen- und Wegerechts ist es hingegen, die Rechtsverhältnisse an den öffentlichen Straßen und ihre Bereitstellung für den Verkehr durch Widmung zu regeln. Das Straßenrecht befasst sich daher vor allem mit der Entstehung, der Ein- und Umstufung öffentlicher Straßen und der Abgrenzung von Gemeingebrauch zur Sondernutzung. Beide Rechtsmaterien stehen allerdings in einem sachlichen Zusammenhang. Das Straßenverkehrsrecht setzt, insbesondere durch das Erfordernis der straßenrechtlichen Widmung, das Straßenrecht voraus (sogenannter Vorbehalt des Straßenrechts). Das Straßenverkehrsrecht knüpft an die wegerechtliche Widmung in ihrem gegebenen Bestand an und befasst sich nicht selbst mit ihren Voraussetzungen, insbesondere mit ihrem Umfang (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 – 7 C 27/79 –, NJW 1982, 840). Der durch die Widmung eröffnete Gemeingebrauch wird wesentlich vom Straßenverkehrsrecht „mitbestimmt“. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass der Gemeingebrauch im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften eröffnet wird. Hieraus folgt, dass ein Verkehrsvorgang, der im Rahmen der Verkehrsvorschriften liegt, sich gleichzeitig innerhalb des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs bewegt (sogenannter Vorrang des Straßenverkehrsrechts). Der Bund hat von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Straßenverkehrsrecht insbesondere im Straßenverkehrsgesetz und zu dessen Ausführung u. a. in der Straßenverkehrsordnung weitgehend abschließend Gebrauch gemacht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 1972 – 1 BvR 111/68 –, NJW 1972, 859). Das gilt auch in Bezug auf das in § 33 Abs. 1 Nr. 2 StVO enthaltene Verbot, für das – der Zielrichtung des Straßenverkehrsrechts entsprechend – tatbestandliche Voraussetzung ist, dass durch die umschriebene Handlung des Anbietens von Waren und Leistungen aller Art auf der Straße „am Verkehr Teilnehmende in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können“. Die Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete ist also danach vorzunehmen, ob es (im Schwerpunkt) um die Abwehr von Gefahren für den Straßenverkehr geht oder ob einer Überschreitung des Gemeingebrauchs (Sondernutzung) begegnet werden soll (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11. März 2005 – 5 S 2421/03 –, juris).

19

2.2. Danach gilt hier Folgendes:

20

Grundsätzlich benötigt die Antragstellerin für die beabsichtigte Außenbewirtschaftung ihrer Gaststätte auf dem Gehweg vor ihrem Lokal in der A-Straße in Ludwigshafen sowohl eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis als auch eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung.

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2.2.1. Bei dem Aufstellen von Tischen und Stühlen auf einer öffentlichen Verkehrsfläche zum gewerblichen Betrieb einer Außenbewirtschaftung einer Gaststätte handelt es sich um eine Nutzung der Straße über den Gemeingebrauch im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Landesstraßengesetz – LStrG – hinaus und damit um eine erlaubnispflichtige Sondernutzung im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 1 LStrG (s. z.B. Bay. VGH, Beschluss vom 17. April 2012 – 8 ZB 11.2785 –, juris; VG Neustadt, Urteil vom 11. September 2015 – 4 K 179/15.NW –, GewArch 2016, 81; Scheidler, GewArch 2012, 285). Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Antragstellerin Inhaberin eines an der A-Straße gelegenen Gewerbebetriebs ist. Zwar steht ihr insoweit – in den Grenzen der Verkehrsüblichkeit und Gemeinverträglichkeit (vgl. § 34 Abs. 1 LStrG) – das Recht auf einen gesteigerten Gemeingebrauch (Anliegergebrauch) der Straße in Bezug auf solche Nutzungen zu, auf die sie als Anliegerin spezifisch angewiesen ist. Das Landesstraßengesetz gewährleistet dem Grundeigentümer sowie dem Inhaber eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs das Recht auf Anliegergebrauch indes lediglich in seinem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kerngehalt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. Dezember 2005 – 6 B 11634/05 –, GewArch 2006, 82; VG Neustadt, Beschluss vom 28. August 2015 – 3 L 760/15.NW –, juris). Dazu gehören die Zugänglichkeit eines Grundstücks (§ 39 LStrG) und (bei Gewerbebetrieben) der „Kontakt nach außen“. Dieser gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch von Nicht-Anliegern gesteigerte Schutz reicht indessen nur so weit, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums oder Bestand und Ausübung des Gewerbebetriebs eine Benutzung der Straße unabdingbar erfordern (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1987 – 7 C 60/85 –, NJW 1988, 432). Dazu zählt das Aufstellen von Tischen und Stühlen auf der öffentlichen Verkehrsfläche vor einem Gewerbebetrieb nicht.

22

2.2.2. Für die vorgesehene Außenbewirtschaftung der Antragstellerin ist aber auch eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung erforderlich. Wie oben ausgeführt, ist nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 StVO das Anbieten von Waren und Leistungen aller Art auf der Straße verboten, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können. Von diesem Verbot können die Straßenverkehrsbehörden nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen. Ein Nachweis konkret entstandener Verkehrsgefahren oder -unfälle ist für die Anwendung dieser Vorschrift nicht erforderlich, weil das mit Art. 12 GG vereinbare Verbot nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 33 Abs. 1 StVO bereits dann eingreift, wenn Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden „können“; eine abstrakte Gefahr reicht damit bereits aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1993 – 11 C 44/92 –, GewArch 1994, 389). Diese liegt vor, wenn angesichts des jeweiligen Verhaltens oder Zustands nach generalisierender Betrachtung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Störung aufzutreten pflegt (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 33 StVO Rn. 9 m.w.N.). Dies kann z.B. bei breitem Aufstellen von Kisten mit Waren auf dem Gehsteig (vgl. VG Neustadt, Beschluss vom 15. März 2012 – 4 L 195/12.NW –, GewArch 2012, 220) oder beim Betreiben eines Bauchladen-Würstchengrills (vgl. VG Berlin, Urteil vom 5. September 2001 – VG 25 A 239.98 –, NZV 2002, 55) der Fall sein.

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Vorliegend wäre bei einer Aufstellung von Tischen und Stühlen unmittelbar vor der Gaststätte der Antragstellerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Störung des Fußgängerverkehrs zu rechnen. Zwar ist der Gehweg vor dem Anwesen der Antragstellerin insgesamt ca. 4 m breit. Jedoch ist in dem gesamten Bereich nördlich der A-Straße zwischen der Kreuzung A-Straße/B-Straße und der Kreuzung A-Straße/C-Straße das Gehwegparken gemäß Zeichen 315 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO erlaubt. Die entsprechenden Verkehrszeichen sind vor den Anwesen B-Straße ... und C-Straße ... angebracht (s. dazu die von der Antragsgegnerin dem Gericht übermittelten Lichtbilder). Anfang und Ende der Gehwegparkstrecke sind durch von der Fahrbahn hin wegweisende weiße Pfeile auf dem Zeichen 315 gekennzeichnet (s. Anlage 3 Nr. 10 Spalte 3 Erläuterung Nr. 1 zu § 42 Abs. 2 StVO; s. dazu die Lichtbilder auf Blatt 28 der Gerichtsakte). Zwischen den an den beiden Kreuzungen angebrachten Verkehrszeichen befinden sich keine weiteren Verkehrszeichen, die diese Regelung teilweise aufheben, so dass die durch Zeichen 315 eingeräumte Erlaubnis des Gehwegparkens in dem gesamten Bereich gilt. Auf die unterschiedliche Farbgestaltung des Bodenbelags kommt es in diesem Zusammenhang nicht an; insbesondere kann darin keine Parkflächenmarkierung (s. Anlage 2 Nr. 74 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO) gesehen werden. Unzulässig ist das Gehwegparken zwischen den beiden Kreuzungen gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 2 StVO daher nur vor den Grundstücksein- und -ausfahrten der nördlich angrenzenden Anwesen, also z.B. der Hofeinfahrt des Gebäudes A-Straße .... Der Einwand der Antragstellerin, die Parkflächen befänden sich nicht direkt vor dem Eingang zu ihrer Gaststätte ist somit unzutreffend.

24

Unter Abzug der Fläche für das Gehwegparken ist der Bürgersteig nach Angaben der Antragsgegnerin auf der Höhe der Gaststätte der Antragstellerin noch 1,65 m breit. Diese Breite ist offenkundig nicht ausreichend, um im Falle der Aufstellung von Tischen und Stühlen zur Außenbewirtschaftung auf dieser Fläche den (gefahrlosen) Fußgängerverkehr – gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVO müssen Fußgänger den Gehweg benutzen – zu gewährleisten. Vielmehr ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Störung des Fußgängerverkehrs zu rechnen.

25

Gehwege dienen nach ihrer Zweckbestimmung primär der Sicherheit von Fußgängern, weil sie den langsamsten und schutzbedürftigsten Verkehrsteilnehmern einen eigenen, von den übrigen Verkehrsarten abgegrenzten Verkehrsraum überlassen. In welcher Breite Gehwege hergestellt werden, kann die Gemeinde als Trägerin der Straßenbaulast für die jeweilige Straße entscheiden. Innerhalb des ihr dabei eingeräumten Planungsspielraums (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1972 – IV C 15.71 –, BVerwGE 40, 177) hat die Gemeinde die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1991 – 8 C 14.89 –, NVwZ 1992, 492). Gehwege müssen jedoch eine Mindestbreite aufweisen, die ein sicheres Begehen – getrennt vom Autoverkehr auf der Fahrbahn – ermöglicht (Bay. VGH, Urteil vom 11. Juni 2002 – 6 B 97.2355 – juris).

26

Konkrete Aussagen zur Bemessung von Gehwegen finden sich in den von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Köln im Jahre 2007 herausgegebenen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06). Bei diesem Regelwerk handelt es sich um die sachverständige Konkretisierung moderner Grundsätze des Straßenbaus (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1989 – 8 C 6/88 –, NVwZ 1990, 165). Die Sachverständigenaussagen enthalten auf der Grundlage standardisierter Vorgaben Maßstäbe dafür, wie Verkehrsanlagen im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs entsprechend ihrer Funktion auszuführen und zu gestalten sind. Den in den Richtlinien enthaltenen Maßangaben kommt zwar keine verbindliche Wirkung im Sinne einer Norm zu. Die darin empfohlenen Breiten für die einzelnen Entwurfselemente stellen aber im Kern Orientierungswerte dar, die als Hilfe bei Planung und Entwurf nicht starr angewandt zu werden brauchen. Die Gemeinden können bei der Entwurfsplanung anhand der konkreten örtlichen Situation im notwendigen Umfang hiervon abweichen (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 11. Juni 2002 – 6 B 97.2355 – juris).

27

Die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen gehen davon aus, dass das Grundmaß für den „Verkehrsraum“ des Fußverkehrs auf den Begegnungsfall bzw. das Nebeneinandergehen von zwei Personen ausgerichtet ist und daher 1,80 m betragen soll. Hinzukommen soll ein seitlicher Sicherheitsraum von 0,50 m Abstand zu einer Fahrbahn oder einem Längs-Parkstreifen und 0,20 m Abstand zu einem Gebäude. Dadurch ergebe sich ein „lichter Raum“ bzw. als „Regelbreite“ das absolute Mindestbreite für Seitenraum-Gehwege von 2,50 m (RASt 06, Nr. 6.1.6.1).

28

Es bedarf keiner Entscheidung, welche (idealtypische) Mindestbreite ein Gehweg haben soll (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 11. Juni 2002 – 6 B 97.2355 – juris: fahrbahnbegleitende Gehwege sollen nach Möglichkeit nicht schmaler als 2,00 m sein). Jedenfalls darf eine Verschmälerung zur Wahrung der Funktionsfähigkeit nicht so weit gehen, dass ein sicheres Begehen der Fußgänger nicht mehr gewährleistet ist. Dies wäre hier aber offenkundig der Fall. Folglich benötigt die Antragstellerin vorliegend auch eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 2 StVO.

29

2.2.3. Für den Fall, dass sowohl eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis als auch eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung erforderlich ist, bestimmt § 41 Abs. 7 Satz 1 LStrG, dass es keiner Erlaubnis nach § 41 Abs. 1 LStrG bedarf, sofern nach den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts eine Erlaubnis für eine übermäßige Straßenbenutzung oder eine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist. Die genannte Vorschrift will nach ihrem Sinn und Zweck vermeiden, dass in den Fällen, in denen eine Erlaubnis oder Ausnahmegenehmigung nach dem Straßenverkehrsrecht notwendig ist, zusätzlich noch eine gesonderte wegerechtliche Erlaubnis einzuholen ist. Sie dient auf diese Weise der Verfahrenskonzentration (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1993 – 11 C 44/92 –, GewArch 1994, 389; Grupp in: Marschall, Bundesfernstraßengesetz, 6. Auflage 2012, § 8 Rn. 26).

30

Da es vorliegend primär nicht darum geht, ob einer Überschreitung des Gemeingebrauchs begegnet werden soll sondern im Schwerpunkt um die Abwehr von Gefahren für den Fußgängerverkehr auf der A-Straße vor dem Lokal der Antragstellerin, greift hier § 41 Abs. 7 Satz 1 LStrG ein. Es ist daher zu prüfen, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 2 StVO glaubhaft gemacht hat. Dies ist zu verneinen.

31

Die Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO setzt Gründe voraus, die das öffentliche Interesse an dem Verbot überwiegen, von dem dispensiert werden soll; sie darf das Schutzgut der Vorschrift nicht wesentlich beeinträchtigen. Bei der Entscheidung über eine Ausnahme von einem Verkehrsverbot hat die Straßenverkehrsbehörde dem mit dem Verbot verfolgten öffentlichen Interesse die besonderen Belange des von dem Verbot Betroffenen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegenüberzustellen (BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 – 11 C 45.92 –, NZV 1994, 244). Die Belange des Betroffenen sind auch insoweit einzubeziehen, als sie keinen grundrechtlichen Schutz genießen. Es können grundsätzlich aber auch grundrechtlich geschützte Belange von einem vorrangigen öffentlichen Interesse verdrängt werden. Ferner setzt § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde – hier der Antragsgegnerin als Straßenverkehrsbehörde im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Landesverordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts – voraus. Bei Verwaltungsakten, die im Ermessen der Behörde stehen, kann die Verpflichtung zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts nur ausgesprochen werden, wenn angesichts der konkreten Umstände des Falles nur eine einzige, bestimmte Entscheidung in Betracht kommt, die nicht ermessensfehlerhaft wäre (sog. Ermessensreduktion auf Null). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da die Breite des verbleibenden Gehwegs vor der Gaststätte der Antragstellerin von 1,65 m nicht ausreicht, um eine Außenbewirtschaftung auf dieser Fläche ohne Störung des Fußgängerverkehrs zu ermöglichen. Selbst wenn die Antragstellerin Tische und Stühle unmittelbar neben die Hauswand der Gaststätte stellen würde, wäre der für einen Fußgänger erforderliche „Gehraum“ in der Breite von 0,75 m nicht gewährleistet und kann daher nicht hingenommen werden.

32

2.2.4. Schließlich weist die Kammer noch darauf hin, dass dem Antrag der Antragstellerin auch dann nicht stattgegeben werden könnte, wenn man ihr Begehren dahingehend auslegen würde, ihr das Aufstellen von Tischen und Stühlen zur Außenbewirtschaftung auf den Parkflächen vor dem Lokal zu erlauben. Zwar wäre dann bei Annahme einer fehlenden Gefährdung des Verkehrs keine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung sondern „nur“ eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis erforderlich. Aber auch auf diese hätte die Antragstellerin keinen Anspruch, da im Falle der Erteilung der Erlaubnis zwei öffentliche Parkplätze wegfallen würden (vgl. VG Neustadt, Urteil vom 11. September 2015 – 4 K 179/15.NW –, GewArch 2016, 81).

33

Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang eingewandt hat, dem Vorbesitzer sei in den Jahren 2006 und 2007 auch das Aufstellen von Tischen und Stühlen vor der Gaststätte erlaubt worden, kann sie daraus nichts zu ihren Gunsten herleiten. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass es in den Jahren 2006 und 2007 die heutige Parkregelung noch nicht gab. Ungeachtet dessen besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen von Tischen und Stühlen vor einer Gaststätte auf einem öffentlichen Parkplatz mit der Begründung, dies sei einem anderen Gastwirt in der näheren Umgebung erlaubt worden (vgl. Bay. VerfGH, Entscheidung vom 16. Mai 2011 – Vf. 73-VI-10 –, GewArch 2011, 498; VG Neustadt, Urteil vom 11. September 2015 – 4 K 179/15.NW –, GewArch 2016, 81; Scheidler, GewArch 2012, 285, 287 f.).

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

35

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2, 63 Gerichtskostengesetz – GKG –. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Halbierung des Streitwerts nicht angezeigt.

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