Urteil vom Verwaltungsgericht Osnabrück (3. Kammer) - 3 A 25/02

Tenor

Tatbestand

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Der Kläger ist Oberstudienrat. Mit Schreiben vom 10.12.1990, bei seiner Besoldungsstelle eingegangen am 14.12.1990, beantragte er ein höheres Kindergeld und "einen höheren Kinderanteil im Ortszuschlag". Seinem gleichzeitig geäußerten Wunsch, das Verfahren auszusetzen entsprach die Besoldungsstelle. Nach dem Inkrafttreten des Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes 1999 - BBVAnpG 99 - beschied der Beklagte den Kläger unter dem 20.03.2001 wie folgt: Gemäß Art. 9 § 2 BBVAnpG 99 erhalte der Kläger seit dem 01.01.1999 für das dritte Kind einen um 200,00 DM erhöhten Familienzuschlag. Sein weitergehender Antrag sei für die Zeit davor abzulehnen, da er nicht zu dem von Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 erfassten Personenkreis (Kläger und Widerspruchsführer) gehöre. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2001 - 2 C 46/00 - beantragte der Antragsteller "die Wiedereinsetzung" und "erneute Prüfung seines Antrages vom 10.12.1990". Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 29.11.2001 mit der Begründung ab, sein Bescheid vom 20.03.2001 sei unanfechtbar; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil der Kläger nicht ohne Verschulden gehindert gewesen sei, gegen diesen Bescheid Widerspruch einzulegen.

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Der Kläger hat am 15.02.2002 Klage erhoben. Er trägt vor: Ein Beamter, der seine Besoldung als zu niedrig beanstande, erhebe damit einen Widerspruch im Sinne des § 126 des Beamtenrechtsrahmengesetzes. Folglich habe die Besoldungsstelle über ein solches Begehren durch Widerspruchsbescheid zu entscheiden. Für die Ablehnung eines Antrages mit anschließendem Widerspruchsverfahren sei kein Raum. Der Bescheid des Beklagten vom 20.03.2001 sei daher verfahrensrechtlich als Widerspruchsbescheid zu verstehen, an den sich als weiterer Rechtsbehelf nur ein Klageverfahren anschließen könne. Entsprechend habe der Beklagte ihn belehren müssen. Da Letzteres nicht geschehen sei, habe er innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides vom 20.03.2001 - und damit am 15.02.2002 fristgerecht - Klage erheben können. Folglich sei die Entscheidung des Beklagten über sein Begehren, einen höheren Familienzuschlag zu erhalten, nicht unanfechtbar geworden.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 20.03.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, 6.405,40 EURO zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz an ihn zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hält ihren Standpunkt aufrecht, der Bescheid vom 20.03.2001 sei unanfechtbar.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig. Sie auf die Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2001 und auf Zahlung des Betrages gerichtet, der sich gemäß Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 als Nachzahlung an kinderbezogenen Bestandteilen im Familienzuschlag ergibt, wenn der Kläger Widerspruchsführer im Sinne des Art. 9 §1 BBVAnpG 99 ist und sein Begehren nicht bereits unanfechtbar abgelehnt worden ist. Zwar bezeichnet der mit der Klageschrift vom 14.02.2002 angekündigte und in der mündlichen Verhandlung durch Bezugnahme auf die Klageschrift gestellte Antrag den die "Wiedereinsetzung" versagenden Bescheid vom 29.11.2001 als denjenigen, der aufzuheben sei. Die Begründung des Klageantrags lässt jedoch eindeutig erkennen, dass der Kläger keine Wiedereinsetzung begehrt und keine Entscheidung über seinen Antrag vom 11.11.2001 auf "Wiedereinsetzung", sondern eine Sachentscheidung über seinen Antrag vom 10.12.1990, den der Beklagte durch den verfahrensrechtlich als Widerspruchsbescheid aufzufassenden Bescheid vom 20.03.2001 abgelehnt hat. Die lediglich fehlerhafte Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides im Klageantrag ist unschädlich, weil sich das Begehren des Klägers aus seinem Vortrag zweifelsfrei ergibt. Der Klageantrag ist auch nicht hinsichtlich des Leistungsbegehrens unbestimmt. Der Kläger hat zwar den Betrag, den der Beklagte an ihn zahlen soll, nicht genau beziffert. Der Beklagte hat diesen Betrag jedoch ermittelt und mit Schreiben vom 20.03.2002 vorgetragen. Dagegen hat der Kläger keinen Einwendungen erhoben, weshalb davon ausgegangen werden darf, dass mit dieser Berechnung sein Zahlungsbegehren zutreffend konkretisiert ist.

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Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von dem Beklagten die in der Berechnung vom 19.03.2002 (Blatt 10 der Verwaltungsvorgänge) näher ausgewiesenen Erhöhungsbeträge zum Familienzuschlag für die Jahre 1990 bis 1994 in Höhe von insgesamt 6.405,40 € verlangen. Der Kläger gehört zu dem Personenkreis, für den Art. 9 § 1 Abs. 1 BBVAnpGG 99 bestimmt, dass frühestens mit Wirkung vom 1. Januar des Haushaltsjahres, in dem das Vorverfahren begonnen hat, die Nachzahlung erfolgt. Das Vorverfahren des Klägers hat mit dem Eingang seines Schreibens vom 10.12.1990 bei der Besoldungsstelle, also am 14.12.1990 begonnen. Dieses Schreiben genügt ungeachtet der darin enthaltenen Worte "beantrage ich ...... einen höheren Kinderanteil im Ortszuschlag" den sich aus § 126 Abs. 3 BRRG ergebenden inhaltlichen Anforderungen an einen Widerspruch (vgl. BVerwG. U. v. 28.06.2001 - 2 C 48.00 -). Es kann nicht zugleich als Antrag verstanden werden, über den die Behörde durch einen "Erstbescheid" entscheidet. Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat der Rechtsauffassung der Vorinstanz (OVG Koblenz, U. v. 15.09.2000 - OVG 2 A 10870/00 -) widersprochen, ein "Antragsteller" genüge nicht dem verfahrensrechtlichen Begriff "Widerspruchsführer". Dabei hat es nicht die vielleicht vertretbare Auslegung des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 vorgenommen, als "Widerspruchsführer" im Sinne dieser Vorschrift sei auch derjenige zu verstehen, der einen durch "Erstbescheid" zu bescheidenden Antrag gestellt habe, ein "Vorverfahren" im Sinne dieser Vorschrift sei also begrifflich nicht identisch mit dem "Vorverfahren", wie es im 8. Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - geregelt ist. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass der "Antrag" eines Beamten auf höhere Bezüge einen Widerspruch im Sinne des § 126 Abs. 3 BRRG darstelle. Diese Bestimmung regelt die Anwendung der Bestimmungen des 8. Abschnitts der Verwaltungsgerichtsordnung auf Klagen aus dem Beamtenverhältnis. Folglich kann es sich bei einem solchen Antrag nur um einen Widerspruch im Sinne der §§ 68 ff. VwGO handeln.

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Der Bescheid vom 20.03.2001 steht der Zahlungsverpflichtung des Beklagten nicht entgegen. Er enthält zwar eine die Zahlungspflicht verneinende Regelung, ist jedoch nicht unanfechtbar. Mit Rücksicht darauf, dass mit Eingang des Schreibens des Klägers vom 10.12.1990 bei der Besoldungsstelle das Vorverfahrens im Sinne der §§ 68 ff. VwGO begonnen hat, kommt diesem Bescheid nicht die Funktion eines Ablehnungsbescheides zu, der vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes gemäß § 126 BRRG Gegenstand eines Vorverfahrens sein muss; er verkörpert vielmehr die das Vorverfahren abschließende Entscheidung und ist damit Widerspruchsbescheid. Gegen diese Entscheidung ist die Klage beim Verwaltungsgericht zulässig und nicht der Widerspruch. Die insoweit unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung, die dem Bescheid vom 20.03.2001 beigefügt war, führt zur Rechtsfolge aus § 58 Abs. 2 VwGO, wonach die Einlegung des Rechtsbehelfs - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - nur innerhalb eines Jahres nach Zustellung, Eröffnung oder Verkündung der Entscheidung zulässig ist. Diese Jahresfrist hat der Kläger mit dem Eingang seiner Klage beim Verwaltungsgericht am 15.02.2002 gewahrt.

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Der Einwand des Beklagten, vor Bekanntwerden der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 9 § 1 BBVAnpGG 99 habe eine Belehrung über den Widerspruch als statthaften Rechtsbehelf den Beamten begünstigt und seine Rechte nicht verkürzt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die nach der Verwaltungsgerichtsordnung an eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung anknüpfende Rechtsfolge bleibt davon unberührt. Der Standpunkt des Beklagten, der Bescheid vom 20.03.2001 sei unanfechtbar, wäre nur dann rechtlich begründet, wenn dem Beklagten neben der Kompetenz zur Sachentscheidung auch eine Kompetenz hinsichtlich der Verfahrensgestaltung zustünde, wenn er also mit potenziell verbindlicher Wirkung regeln könnte, dass an Stelle des von der Verfahrensordnung für den Abschluss des Vorverfahrens vorgesehenen Widerspruchsbescheides eine dem Vorverfahren denknotwendig vorangehende "Ablehnung" des zur Entscheidung gestellten Begehren ausgesprochen wird. Ein solches "Wahlrecht" steht der Verwaltung jedoch nicht zu.

 


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