Urteil vom Verwaltungsgericht Osnabrück (2. Kammer) - 2 A 144/02
Tatbestand
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Die Klägerinnen wenden sich gegen eine vor ihrem Grundstück aufgebrachte Fahrbahnmarkierung.
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Sie sind Eigentümerinnen des Grundstücks G. weg 14 in H., das am (nördlichen) Ende des - dort in einem Wendehammer endenden - G. weges liegt. Das Grundstück ist mit einem (derzeit an Dritte vermieteten) Wohnhaus bebaut, das in Ost-West-Richtung parallel zur Straße/zum Wendehammer errichtet worden ist; an der linken (westlichen) Seite des Grundstücks befindet sich eine Zufahrt zu einer dort vorhandenen Garage. Die Beigeladenen sind Eigentümer des unmittelbar südlich angrenzenden, ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks G. weg 12; das Wohnhaus ist in Nord-Süd-Richtung angeordnet und steht im rechten Winkel zum Wohnhaus der Klägerinnen. Im südlichen Grundstücksbereich sind im Anschluss an das Wohnhaus zwei Einstellplätze für Pkw eingerichtet; im nördlichen Grundstücksbereich (vom Wendehammer aus gesehen links neben dem Wohnhaus) befindet sich zum Grundstück der Klägerinnen hin ein ca. 1,90 m breiter, gepflasterter Streifen, den die Beigeladenen ebenfalls als (zusätzlichen) Pkw-Einstellplatz nutzen.
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Ab Anfang April 2002 kam es zu Beschwerden der Beigeladenen darüber, dass eine im Hause der Klägerinnen lebende Mieterin ihr Fahrzeug wiederholt vor dem Grundstück der Klägerinnen bzw. im Grenzbereich zum Grundstück der Beigeladenen parkte und deshalb der im nördlichen Bereich des Grundstücks der Beigeladenen eingerichtete Einstellplatz nicht mehr angefahren bzw. verlassen werden konnte. Im Hinblick darauf versah die Beklagte den Wendehammer in diesem Bereich am 24.04.2002 - nach Durchführung eines entsprechenden Ortstermins - mit einer Parkgrenzmarkierung (Zeichen 299 zu § 41 Abs. 3 Nr. 8 StVO), die an der auf dem Grundstück der Klägerinnen befindlichen Garagenzufahrt beginnt und am Grundstück der Beigeladenen (vor dem dort im nördlichen Bereich eingerichteten Einstellplatz) endet.
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Die Klägerinnen erhoben hiergegen Widerspruch und machten geltend, dass die materiellen Voraussetzungen für die vorgenommene Fahrbahnmarkierung nicht vorlägen. Bei dem nördlich des Wohnhauses der Beigeladenen gelegenen, von diesen als Einstellplatz genutzten Grundstücksstreifen handele es sich nicht um eine Grundstückszufahrt im Rechtssinne, weil er viel zu schmal sei, um mit einem normalen Pkw befahren werden zu können. Eine Nutzung dieses Grundstücksstreifens als Pkw-Einstellplatz bzw. als Grundstückszufahrt sei daher nur dann möglich, wenn zu diesem Zwecke ein Teil ihres eigenen Grundstücks in Anspruch genommen werde. Ein derartiges Überfahrrecht existiere jedoch nicht und werde den Beigeladenen auch künftig nicht eingeräumt; vielmehr hätten sie (die Klägerinnen) zur Durchsetzung eines entsprechenden Überfahrverbots im Grenzbereich zwischen ihrem Grundstück und dem der Beigeladenen zwischenzeitlich zwei größere Blumenkübel aufgestellt. Abgesehen davon sei eine Nutzung des fraglichen Grundstücksstreifens als (zusätzlicher) Einstellplatz auch nicht erforderlich, weil an der Südseite des Grundstücks der Beigeladenen bereits zwei Einstellplätze vorhanden seien. Fehle es mithin an einer Grundstückszufahrt, bestehe in diesem Bereich auch kein gesetzliches Halte- oder Parkverbot, so dass die von der Beklagten zum Zwecke der Kennzeichnung einer entsprechenden Verbotszone getroffene Maßnahme rechtswidrig bzw. ermessensfehlerhaft sei.
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Mit Bescheid vom 22.08.2002 wies die Bezirksregierung I. den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei dem streitigen Grundstücksstreifen ungeachtet seiner Breite von lediglich 1,90 m sowohl rechtlich als auch tatsächlich um eine Grundstückszufahrt handele, da er mit einem normalen Pkw (beispielsweise einem Ford Focus, einem VW Golf oder einem Mercedes der E-Klasse) ohne weiteres befahren werden könne und von den Beigeladenen auch tatsächlich in dieser Weise genutzt werde. Angesichts dessen bestehe vor dieser Zufahrt ein gesetzliches Parkverbot, das die Beklagte durch die hier vorgenommene Grenzmarkierung in nicht zu beanstandender Weise räumlich gekennzeichnet habe.
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Die Klägerinnen haben daraufhin rechtzeitig Klage erhoben, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen vertiefen. Ergänzend weisen sie darauf hin, dass das Amtsgericht H. eine Klage der Beigeladenen, mit der diese eine Beseitigung der aufgestellten Blumenkübel sowie die Duldung der Überfahrt ihres (der Klägerinnen) Grundstücks begehrt hätten, zwischenzeitlich abgewiesen habe; auch dies mache deutlich, dass der nördliche Bereich des Grundstücks der Beigeladenen keine Grundstückszufahrt im Rechtssinne darstelle.
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Die Klägerinnen beantragen,
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die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten vom 24.04.2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung I. vom 22.08.2002 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt aus den Gründen des angefochtenen Widerspruchsbescheides und unter Auseinandersetzung mit dem ergänzenden Klagevorbringen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladenen, die keinen Antrag stellen, teilen den Rechtsstandpunkt der Beklagten.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Nach § 45 Abs. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Zu diesem Zweck bestimmen sie insbesondere auch, wo und welche Verkehrszeichen bzw. Verkehrseinrichtungen anzubringen oder zu entfernen sind (§ 45 Abs. 3 Satz 1 StVO). Die den Straßenverkehrsbehörden hierdurch eingeräumten Lenkungsmöglichkeiten dienen dabei in erster Linie der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und damit dem Schutz der Allgemeinheit, während der Schutz der privaten Belange Einzelner damit grundsätzlich nicht bezweckt ist; nur soweit durch eine derartige verkehrsbehördliche Maßnahme gewichtige rechtlich geschützte Individualinteressen berührt werden, insbesondere etwa ein Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 und 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter in Betracht kommt, hat der Einzelne (zumindest) einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde darüber, ob eine bestimmte verkehrsrechtliche Anordnung getroffen wird oder nicht (vgl. BVerwG, U. v. 22.01.1971 - VII C 48.69 -, BVerwGE 37, 112; B. v. 03.07.1986 - 7 B 141.85 -, NJW 1987, 1096; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 45 StVO Rn. 28 a m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung dessen kann das Begehren der Klägerinnen keinen Erfolg haben, weil nicht erkennbar ist, dass sie durch die vor ihrem Grundstück aufgebrachte Fahrbahnmarkierung in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Die angefochtene verkehrsbehördliche Maßnahme beruht auf der Erwägung, dass in dem fraglichen Bereich mit Blick auf die an der Nordseite des Grundstücks der Beigeladenen vorhandene Grundstückszufahrt (bzw. den dort befindlichen Pkw-Einstellplatz) gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO ein Parkverbot bestehe und dass dieses angesichts der von den Beigeladenen geschilderten (letztlich unstreitigen) tatsächlichen Umstände - nämlich dass eine im Hause der Klägerinnen lebende Mieterin ihr Fahrzeug in der Vergangenheit wiederholt in diesem Bereich geparkt habe - entsprechend kenntlich zu machen sei. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, lässt insbesondere - worauf es hier allein ankommt - keine Ermessensfehler im Sinne des § 114 VwGO erkennen.
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Soweit die Klägerinnen (in erster Linie) geltend machen, die angefochtene Maßnahme sei schon deshalb rechtswidrig, weil es sich bei dem fraglichen Grundstücksstreifen an der Nordseite des Grundstücks der Beigeladenen nicht um eine Grundstückszufahrt im Rechtssinne handele, kann dem nicht gefolgt werden. Das Vorliegen einer Grundstückszufahrt im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO hängt regelmäßig nicht von einer ganz bestimmten Ausgestaltung der Zufahrt ab; entscheidend ist vielmehr allein, dass die fragliche Grundstücksfläche nach den gesamten im konkreten Einzelfall gegebenen (insbesondere baulichen) Umständen tatsächlich geeignet ist, ohne besonders umständliche und zeitraubende Maßnahmen einen Fahrverkehr zwischen dem betreffenden Grundstück und der öffentlichen Straße zu ermöglichen, ein entsprechender Fahrverkehr tatsächlich in Betracht kommt und dies auch für Dritte ohne weiteres erkennbar ist (vgl. BGH, B. v. 04.03.1971 - 4 StR 535/70 -, NJW 1971, 851). Dies ist hier der Fall, weil die streitige Zuwegung unmittelbar an den öffentlichen Straßenraum (Wendehammer) anschließt, auf ihrer gesamten Länge mit einer besonderen Befestigung (Pflasterung) versehen ist und ungeachtet ihrer relativ geringen Breite von 1,90 m einen entsprechenden Kraftfahrzeugverkehr - zumindest mit „normalen“ Pkw - grundsätzlich ermöglicht. Dass dies im Einzelfall - nicht zuletzt im Hinblick auf die von den Klägerinnen zwischenzeitlich im Grenzbereich der beiden Grundstücke aufgestellten Blumenkübel - tatsächlich ggf. mit gewissen Rangiermanövern verbunden ist, ändert an der Rechtsnatur der streitigen Zuwegung nichts. Ebenso wenig kommt es rechtlich darauf, dass sich im südlichen Bereich des Grundstücks der Beigeladenen bereits zwei weitere Pkw-Einstellplätze befinden; denn auch derjenige, der auf seinem Grundstück zusätzlichen Parkraum schafft, kann eine ausreichende Zufahrtsmöglichkeit zu diesem beanspruchen (vgl. Hentschel, aaO, § 12 StVO, Rn. 47). Die rechtliche Qualifizierung des fraglichen Grundstücksstreifens als Zufahrt wird schließlich auch nicht durch das von den Klägerinnen zitierte Urteil des Amtsgerichts H. vom 30.10.2002 (15 C 428/02) in Frage gestellt, mit dem eine von den Beigeladenen gegen die Klägerinnen anhängig gemachte Klage abgewiesen worden ist. Denn Gegenstand dieses Verfahrens war allein die Frage, ob die Beigeladenen ihrerseits einen Anspruch auf eine teilweise Nutzung des Grundstücks der Klägerinnen - in Form eines entsprechenden Überfahrt- bzw. Notwegerechts - bzw. auf eine Beseitigung der dort aufgestellten Blumenkübel haben, um ihre eigene Grundstückszufahrt besser erreichen zu können. Nur dies - nicht dagegen das Vorhandensein einer Grundstückszufahrt auf dem Grundstück der Beigeladenen - ist in dem genannten Urteil verneint worden.
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Die Klage kann im Übrigen - und insbesondere - auch deshalb keinen Erfolg haben, weil nicht erkennbar ist, in welche geschützte Rechtsposition der Klägerinnen die Beklagte durch die angefochtene Maßnahme (ermessensfehlerhaft) eingegriffen haben sollte. Eine derartige Rechtsbeeinträchtigung der Klägerinnen folgt insbesondere nicht aus dem bloßen Hinweis darauf, dass sie „vor ihrem eigenen Haus nicht mehr parken könnten“. Denn der damit offenbar angesprochene, aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitete (und demgemäß verfassungsrechtlich geschützte) Anliegergebrauch reicht jeweils nur soweit, wie die angemessene Nutzung des Eigentums eine Benutzung der Straße erfordert, wobei „angemessen“ in diesem Sinne nicht schon jede Nutzung der Straße ist, zu der das (Grund-) Eigentum Gelegenheit bietet; entscheidend ist vielmehr allein, inwieweit das konkrete Grundstück nach Maßgabe der es prägenden Umgebungssituation auf das Vorhandensein und die Nutzung der Straße angewiesen ist. Ein derartiges „Angewiesensein“ aber erfordert jedenfalls bei Grundstücken, die - wie hier - ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt werden, allein den Zugang des Grundstücks zur Straße und seine Zugänglichkeit von der Straße her; diese Möglichkeit wird in aller Regel durch entsprechende Zufahrten bzw. Zugänge - wie sie hier zum Grundstück der Klägerinnen tatsächlich vorhanden sind - gewährleistet (vgl. BVerwG, U. v. 08.10.1976 - VII C 24.73 -, NJW 1977, 2367; U. v. 29.04.1977 - IV C 15.75 -, BVerwGE 54, 1; U. v. 06.08.1982 - 4 C 58.80 -, DVBl. 1982, 1098 jew. m.w.N.). Demgegenüber kann der Eigentümer aus Art. 14 Abs. 1 GG regelmäßig keinen Anspruch darauf herleiten, dass in der näheren Umgebung seines Grundstücks öffentliche Verkehrsflächen für Parkzwecke überhaupt eingerichtet werden oder, soweit dies tatsächlich geschehen ist, für die Zukunft aufrechterhalten bleiben; die Nutzung etwaiger tatsächlich vorhandener Parkplatzflächen erfolgt vielmehr allein im Rahmen des Gemeingebrauchs an einer Straße, auf dessen Aufrechterhaltung jedoch kein Rechtsanspruch des Einzelnen besteht (vgl. BVerwG, U. v. 06.08.1982, aaO; B. v. 03.05.1985 - 7 B 209.84 -, DÖV 1985, 791; B. v. 13.07.1988 - 7 B 128.88 -, DAR 1988, 391; VGH Kassel, B. v. 05.08.1992 - 2 TH 2476/91 -, NJW 1993, 1090). Angesichts dessen ist für die von den Klägerinnen offenbar vertretene Auffassung, bei der vor ihrem Grundstück gelegenen öffentlichen Straße (Wendehammer) handele es sich um eine Fläche, die sie jederzeit und ungehindert zum Parken - sozusagen als „ihren“ privaten Parkplatz - nutzen dürften, von vornherein kein Raum. Deshalb brauchte dieser Gesichtspunkt im Rahmen der von der Beklagten zu treffenden Ermessensentscheidung, ob die streitige Grenzmarkierung aufgebracht werden soll oder nicht, auch nicht zugunsten der Klägerinnen berücksichtigt zu werden.
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