Urteil vom Verwaltungsgericht Osnabrück (1. Kammer) - 1 A 81/03
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu den Kosten einer Bestattung im Wege der Ersatzvornahme.
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Der Kläger ist der Sohn des am 18. oder 19.06.2003 verstorbenen F.. Nachdem die Beklagte Kenntnis vom Ableben des Herrn F. erlangt hatte, ermittelte sie durch eine Einwohnermeldeamtsanfrage am 19.06.2003 - ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge um 8.58 Uhr - den Kläger mit dem zutreffenden - zwischenzeitlich geänderten - Familiennamen und dem zutreffenden Wohnort in Osnabrück als Kind des Verstorbenen. Gleichwohl findet sich in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten ein Vermerk vom 23.06.2003, nach dem die Bestattung von Herrn F. auf Grund der Gefahrenabwehr im Wege der Ersatzvornahme für die unbekannten nächsten Angehörigen von der Ordnungsbehörde durchzuführen sei. Die Beklagte veranlasste danach die Feuerbestattung und Beisetzung der Urne in einer anonymen Grabstelle. Die Ermittlung eines Nachlasses blieb erfolglos, der einzig bekannte Erbe, der Kläger, hat die Erbschaft ausgeschlagen.
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Mit Bescheid vom 21.08.2003 zog die Beklagte den Kläger nach vorheriger Anhörung zu den Kosten der Ersatzvornahme heran. Die Gesamtkosten in Höhe von 1.541,37 EUR setzten sich aus Bestattungskosten (894,77 EUR), Friedhofsgebühren (606,- EUR), Verwaltungsgebühr (35,- EUR) und einer Zustellgebühr (5,60 EUR) zusammen.
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Den hiergegen unter dem 23.08.2003 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass er seit 1986 keinen Kontakt mehr zu seinem Vater gehabt habe. Seine Mutter und er hätten sich auf Grund der Alkoholerkrankung seines Vaters und deren Begleiterscheinungen von ihm getrennt, er selbst habe erst zufällig am 15.07.2003 von dessen Tod erfahren. Zu dem Kläger habe er in keinerlei Verbindung mehr gestanden, eine solche hätte es nur noch zwischen dem Verstorbenen und seiner Schwester in Hamburg gegeben.
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Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2003 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Bestattung sei aus Gründen der Gefahrenabwehr erforderlich gewesen. Der Kläger sei Berechtigter an der Leiche gewesen, weil ihm die Totenfürsorge oblegen habe. Die Totenfürsorge obliege gewohnheitsrechtlich bei Fehlen ausdrücklicher Bestimmungen des Verstorbenen den nächsten Angehörigen. Er sei als Störer im Sinne § 7 GefAG anzusehen, auch der Abbruch der Beziehung im Jahre 1986 stünde der Geltendmachung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ebenso wenig entgegen wie die Verletzung von Unterhaltspflichten. Allein der Kontaktabbruch sowie die alkoholbedingten Gewalttätigkeiten des Verstorbenen gegen den Kläger und dessen Mutter könnten nicht als schweres Vergehen gewertet werden, das die Inanspruchnahme des Klägers grob unbillig erscheinen ließe.
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Mit der am 17.10.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, seine Heranziehung sei unbillig, weil der Verstorbene sich in Anlehnung an die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen in § 1611 BGB i.V.m. § 1579 BGB eines schweren Vergehens gegen den Kläger schuldig gemacht und längere Zeit seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt habe. So sei insbesondere die Beitreibung von Unterhaltsforderungen erfolglos geblieben, so dass letztlich von einem Straftatbestand im Sinne von § 170 b StGB auszugehen sei. Aus diesem Grunde sei der Verstorbene auch mehrfach in Haft genommen worden, habe aber in der Folgezeit gegen ihm erteilte Auflagen und Weisungen weiterhin verstoßen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 21.08.2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 17.09.2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und meint ergänzend, eine unbillige Härte durch die Heranziehung zu den Kosten der Ersatzvornahme sei nicht anzunehmen, die Verletzung von Unterhaltspflichten sei nicht geeignet eine solche zu begründen. Zwar könne die Unterhaltspflicht, wie auch das Recht zur Totenfürsorge wegen schwerer Verfehlungen des Unterhaltsberechtigten entfallen, hiervon sei jedoch im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Es gehe bei der Bestattung im Wege der Ersatzvornahme nicht um einen Dienst an dem Toten, sondern um Gefahrenabwehr und damit um ein Tätigwerden für die Allgemeinheit.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, sie sind in ihren wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat Erfolg.
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Die Beklagte stützt ihren Erstattungsanspruch auf § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. Gefahrenabwehrgesetz - NGefAG -. Danach kann die Verwaltungsbehörde auf Kosten der betroffenen Person eine Handlung selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen, wenn die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch eine andere Person möglich ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt wird. Die Durchführung einer Ersatzvornahme setzt grundsätzlich einen zuvor ergangenen Verwaltungsakt voraus, mit dem dem Betroffenen die Vornahme der vertretbaren Handlung unanfechtbar oder sofort vollziehbar aufgegeben wird, § 64 Abs. 1 NGefAG. Dies ist gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 NGefAG nur dann entbehrlich, wenn die Ersatzvornahme erforderlich ist, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren, insbesondere weil Maßnahmen gegen Störer im Sinne der §§ 6 bis 8 NGefAG nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, und wenn die Verwaltungsbehörde innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Diese Voraussetzung war zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe an das Bestattungshaus G. am 23.06.2003 offensichtlich nicht gegeben. Ausweislich des mutmaßlich zuvor gefertigten Vermerks vom 23.06.2003 ging die Beklagte zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sie aus Gründen der Gefahrenabwehr im Wege der Ersatzvornahme für die unbekannten nächsten Angehörigen, die dem Grunde nach bestattungspflichtig gewesen wären, die Beisetzung zu veranlassen habe. Selbst wenn die Einlassungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, sie habe am Tag der Kenntniserlangung vom Todesfall mehrmals telefonisch versucht, den Kläger zu erreichen, zutreffend sein sollte, sind damit die Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 Satz 1 NGefAG, die die Beklagte zur Ersatzvornahme ohne Erlass eines vollstreckbaren Grundverwaltungsaktes berechtigt hätten, nicht gegeben. Ausweislich der Einwohnermeldeamtsauskunft wusste die Beklagte vier Tage bevor sie den Auftrag an das Bestattungsunternehmen erteilte - worin der erste Schritt der Ersatzvornahme zu sehen ist - vom Vorhandensein eines nahen Angehörigen und dessen genauer und zutreffender Anschrift. Ihr stand damit ausreichend Zeit zur Verfügung, mehr als nur an einem Tage - wenn auch mehrfach - und nur auf telefonischem Wege zu versuchen, den nach ihrer Auffassung Totenfürsorgeberechtigten und damit Bestattungspflichtigen überhaupt vom Ableben seines Angehörigen in Kenntnis zu setzen. Mehr als nur Pietätsgründe hätten sie deshalb veranlassen müssen, wiederholt, ggf. durch persönliche Vorsprache oder schriftliche Benachrichtigung, die innerhalb der vier Tage ohne weiteres möglich gewesen wäre, dem als nahen Angehörigen ermittelten Kläger Kenntnis vom Ableben des Verstorbenen zu vermitteln. Unternimmt sie diese Anstrengungen nicht, kann sie sich nicht darauf berufen, vorrangig verpflichtete Personen seien nicht rechtzeitig oder ohne Aussicht auf Erfolg zu ermitteln gewesen. Schon weil eine Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis eines vorausgegangenen Verwaltungsaktes nicht vorliegt, ist die Klage deshalb erfolgreich.
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Sie wäre auch aus anderen Gründen, zumindest teilweise, erfolgreich, weil eine gegenwärtige Gefahr nicht bzw. zum Zeitpunkt der weiteren Maßnahmen nach der Einäscherung nicht mehr gegeben gewesen ist. Zwar mag eine gegenwärtige Gefahr anzunehmen sein, wenn unter Verstoß gegen § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Bestattung von Leichen vom 29.10.1964 (Nds. GVBl. S. 163) eine Leiche nicht innerhalb von 96 Stunden nach dem Eintritt des Todes bestattet, in eine öffentliche Leichenhalle überführt oder zur Bestattung an einem anderen Ort auf den Weg gebracht wird. Die gegenwärtige Gefahr wegen Verstoßes gegen diese Verordnung ist durch die Einäscherung ebenso beseitigt wie Gesundheitsgefahren, die von der Leiche vor der Einäscherung möglicherweise ausgegangen sind (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.07.2003 - 8 LA 89/03 -). Kosten für die Beisetzung der Urne wären danach allenfalls noch als Kosten der Ersatzvornahme erstattungsfähig gewesen, wenn die Friedhofssatzung für die Bestattung der Urne eine bestimmte Frist vorgesehen hätte. Jedenfalls hätte die Beklagte nach erfolgter Einäscherung innerhalb einer weitern vertretbaren Zeitspanne die Möglichkeit gehabt, den Kläger auf seine Verpflichtung zur Bestattung der sterblichen Überreste im Wege eines Leistungsbescheides hinzuweisen und ihm diese aufzugeben. Die Voraussetzungen für eine Ersatzvornahme ohne vorausgegangenen Verwaltungsakt bestanden zu diesem Zeitpunkt und insofern jedenfalls nicht.
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Auf das Vorliegen einer etwaigen unbilligen Härte kommt es indes nach Auffassung des Gerichts nicht an. Das Gericht teilt die Auffassung des OVG Münster (B. v. 02.02.1996, NVwZ-RR 1997, 99) nicht, wonach die Kostenerstattungspflicht im Falle grober Unbilligkeit entfallen kann. Der Rechtsgedanke aus §§ 1579, 1611 BGB enthält familienrechtliche Wertungen, die die Übernahme der Bestattungskosten und die Totenfürsorge als Nachwirkung der familienrechtlichen Verbundenheit kennzeichnen. Die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht hat einen hiervon gänzlich verschiedenen Anknüpfungspunkt. Sie wird getragen vom öffentlichen Interesse an einer pietätvollen aber auch den Anforderung einer wirkungsvollen öffentlichen Gesundheitsvorsorge entsprechenden Beseitigung von menschlichen Leichen. Dieser Aspekt ist Billigkeitserwägungen, die über die Regelungen des Polizeirechts hinausgehen, nicht zugänglich. Die familienrechtlichen Einschränkungen in die polizeirechtliche Bestattungspflicht hineinzulesen bedeutete letztlich, den gestuften und vielfältigen Ermessenserwägungen bei der Störerauswahl weitere Einschränkungen beizugeben, die ggf. im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidungen bei der Störerauswahl berücksichtigt werden könnten. Die Berücksichtigung einer unbilligen Härte widerspräche danach sowohl Sinn und Zweck der Regelung wie auch einerseits dem Zivilrecht, andererseits öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen immanenten Wertungen (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 20.03.2003 - 6 A 62/02; OVG Lüneburg, B. v. 19.05.2003 - 8 ME 76/03 -).
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Nach alledem war die Klage erfolgreich.
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